Wie auf Amazon plötzlich ganz viele Leute für Reinhold Beckmanns Musik schwärmten

Der Fernsehmoderator Reinhold Beckmann macht jetzt Musik, und sein Album „bei allem sowieso vielleicht“ ist so unerwartet fantastisch geworden, dass die Menschen beim Versandhändler Amazon eine mittelgroße La-Ola-Welle machen:

  • „mehr als positiv überrascht“ (Michael Becker)
  • „positiv überrascht“ (hortoo)
  • „echt positiv überrascht“ (Godwin)
  • „überraschend gut“ (Klinsi)
  • „absolut positiv überrascht“ (Corina Schreiber)
  • „lange nicht mehr so positiv überrascht worden“ (Anja Stollenwerk)
  • „positiv überrascht“ (heinz hirsch)
  • „Überraschung ist tatsächlich gelungen!“ (Bernd O.)
  • „sehr angenehm überrascht“ (Dirk Sistenich)
  • „sehr positiv überrascht“ (Dany Ward)
  • „positiv überrascht“ (Daniel Kreitz)
  • „positiv überrascht“ (JulFlo)
  • „mehr als überrascht“ (Monika Lueke)

Ist das Album etwa so gut geworden, dass andere Leute das unbedingt auch kaufen sollten?

  • „Vorbehaltlos zu empfehlen.“ (Michael Becker)
  • „Kann es euch nur weiter empfehlen.“ (Sebastian Wirtz)
  • „Bitte reinhören und weitersagen;)“ (Godwin)
  • „Ist wirklich sehr zu empfehlen!“ (Daniel Rossignol)
  • „empfehlenswert“ (vflpunk)
  • „Nur zu empfehlen!!!“ (Isa)
  • „Ich kann das vorbehaltlos empfehlen.“ (Dirk Sistenich)
  • „Sehr empfehlenswert, kaufen;-)“ (volker neumüller)
  • „nur zu empfehlen….“ (mark krichels)
  • „wirklich weiterzuempfehlen!“ (Dany Ward)
  • „Wer auf anspruchsvolle Musik steht darf hier gerne zugreifen! ;)“ (Daniel Kreitz)

Anscheinend können sich Beckmann & Band darauf einstellen, dass sich die Leute nicht nur um die Platte, sondern auch die Tickets prügeln:

  • „freue mich auf das Live-Programm“ (Sophie Ulrich)
  • „Ich gehe auf jeden Fall in ein Konzert“ (Karlos)
  • „Ich freue mich auf das Tourprogramm und bin dabei!“ (Ursula Ide)
  • „Freu mich schon die Band mal live zusehen“ (aixmoney)
  • „Bei einem Ihrer Konzerte werde Sie mich sicher in der ersten Reihe wiederfinden..“ (JulFlo)
  • „Freue mich schon jetzt auf ein Konzert in meiner Nähe!“ (HaKa)

33 begeisterte Fünf-Sterne-Besprechungen fanden sich gerade unter Beckmanns Album, und das wäre vielleicht für sich genommen noch nicht bemerkenswert. Natürlich kann es auch sein, dass dieses Album bei erstaunlich vielen Rezensenten erstaunlich ähnliche Reaktionen hervorruft: Hätt ich nicht gedacht! Kaufen! Konzert!

Die Fünf-Sterne-Rezensenten haben aber auch abgesehen von ihrer überschwänglichen Begeisterung auffallende Ähnlichkeiten. 27 der 33 Spitzenwerter haben auf Amazon nichts rezensiert außer der fantastischen Beckmann-Platte. Und keiner von ihnen scheint das Album bei Amazon gekauft zu haben, was sonst bei Amazon-Rezensenten eher die Regel als die Ausnahme ist.

Auf Amazon scheint sich das Album bislang jedenfalls nicht besonders gut zu verkaufen, obwohl Beckmanns Musik-Projekt größere Aufmerksamkeit in den Medien bekam und zum Beispiel sein Haussender, der NDR, ihn in die „NDR-Talkshow“ einlud und dort anscheinend als „deutschen Van Morrison“ ankündigte. Vielleicht helfen ja die vielen „Top Kauf!“- und „Musikalisches Highlight“-Besprechungen von Leuten, die sich zufällig alle gerade dafür bei Amazon angemeldet haben.

Auch eigens für eine Wortmeldung an dieser Stelle scheint sich ein Ludwig81 registriert zu haben. Er vergibt allerdings nur einen Stern und kommentiert:

ERBARMEN!!!!

Mit wie vielen gekauften 5-Sterne-Lobhudeleien von Beckmanns Freunden und seiner Plattenfirma werden wir hier *noch* zugeschüttet?!?! Ist das dem Herrn Künstler nicht selbst peinlich?

Unsere Öffis (1): Dokumentationenverstecken mit dem hr

Beim Hessischen Rundfunk wird sie noch gepflegt, die große Dokumentation in Spielfilmlänge. Gestern lief dort der preisgekrönte Film „Die Verführungskünstler“ von Johanna Bentz. Leider schauten nur 20.000 Zuschauer zu. Die Quote beim jungen Publikum lag unterhalb der Nachweisbarkeitsgrenze. Undankbares Pack.

Gut, vielleicht war der Sendeplatz nicht ganz ideal. Die Dokumentation lief in der Nacht von Sonntag auf Montag, von 1:30 bis 2:45 Uhr.

Das war keine Ausnahme. Das ist immer so. Der Sendeplatz für die große Dokumentation im hr-Fernsehen ist montagsfrüh, kurz vor dem Morgengrauen.

Auch Erstausstrahlungen finden um diese Zeit statt. Der wunderbare Dokumentarfilm „Boney M. aus Lämmerspiel“, der ausgehend von den Anfängen in der hessischen Provinz die traurige Geschichte der Band rekonstruiert und damit sogar einen perfekten Regionalbezug aufweist, lief hier im vergangenen Jahr zum ersten und einzigen Mal im deutschen Fernsehen — um 1:15 Uhr. 60.000 Zuschauer waren dafür wach geblieben (oder vorher, ohne auszuschalten, eingeschlafen).

Nun könnte man, wenn man naiv ist, natürlich fragen, ob es nicht denkbar wäre, diese Dokumentationen wenigstens ein bisschen früher zu zeigen — es muss ja nicht in der Primetime sein, wo solche Sendungen womöglich den Gesamtmarktanteil reduzieren könnten, dem sich die Dritten Programme verpflichtet fühlen — aber vielleicht so, dass zum Sendebeginn gerade noch nicht der neue Tag angebrochen ist.

Das würde aber zum Beispiel sonntags bedeuten, dass der Hessische Rundfunk sich von seinem Game-Show-Marathon verabschieden müsste, und das kann nun wirklich niemand erwarten. Sonntags zeigt das hr-fernsehen nämlich nach hesslichen Sendungen wie „Die beliebtesten Dialekte der Hessen“, „Hessens originellste Gasthäuser“ oder „50 Dinge, die ein Hesse wissen muss“ sowie der „Sportschau“:

22:15 „Das große Hessenquiz“ (eine Rateshow)
23:00 „Dings vom Dach“ (eine Rateshow)
23:45 „Straßenstars“ (eine Rateshow)
00:15 „Wer weiß es?“ (eine Rateshow)
01:00 „Ich trage einen großen Namen“ (eine Rateshow)

Ja: Das hr-Fernsehen zeigt jeden Sonntagabend fünf Rateshows am Stück und kann deshalb leider erst ab 1:30 Uhr schöne, lange, gelegentlich preisgekrönte Dokumentationen zeigen.

(Fotos: hr; Foto im Logo geklaut beim „Neo Magazin“.)

Im Wortlaut: Der „Code of Ethics“ von „Zeit Online“

Ein Problem an der ganzen Sache mit „Zeit Online“ und Moritz Gathmann war, dass sich die Redaktionsleitung auf „interne ethische Richtlinien“ berief, die außerhalb der Redaktion gar nicht bekannt waren und sind. Der „Code of Ethics“ gilt seit Sommer 2012 und ist nach Angaben von Markus Horeld, dem stellvertretenden Chefredakteur, allen Redakteuren bei „Zeit Online“ „bekannt und zugänglich“. Chefredakteur Jochen Wegner schrieb hier in den Kommentaren, es sei „sicher sinnvoll“, die Richtlinien „so schnell wie möglich zu publizieren. Auch das ist ein Versäumnis, das wir in den kommenden Monaten nachholen werden.“

Ich bin mir nicht ganz sicher, warum das so eine langwierige Angelegenheit sein soll, wenn sich andere Dinge in der Redaktion innerhalb von zwei Stunden und drei Tweets erledigen lassen. Vielleicht kann ich das abkürzen. Das hier ist der „Code of Ethics“ von „Zeit Online“:

1. JOURNALISTISCHE UNABHÄNGIGKEIT

a. Wir legen offen, wenn ein Autor zu den in seinen Artikeln beschriebenen Personen oder Institutionen persönliche Beziehungen unterhält. Dies betrifft Mitgliedschaften bei Parteien und Verbänden, gegebenenfalls auch bei Kirchen, ebenso wie in Jurys oder ähnlichen Gremien.

Die Offenlegung kann im Fließtext eines Artikels, in einer Autorenbox oder auch unter dem Text vorgenommen werden.

b. Aktienbesitz wird innerhalb des Wirtschaftsressorts offen gelegt.

c. Die Redaktion von ZEIT ONLINE nimmt keine Journalistenrabatte in Anspruch. Auch von der privaten, außerdienstlichen Nutzung von Journalistenrabatten wird abgeraten. Insbesondere ist es nicht gestattet, bei privater Beantragung von Journalistenrabatten auf ZEIT ONLINE als Arbeitgeber zu verweisen.

d. Reisen im Rahmen journalistischer Berichterstattung werden selbst bezahlt. Bei Einladungen wird eine den Reisekosten entsprechende Summe gegen Rechnung überwiesen. Begleiten Journalisten Politiker, Manager oder andere auf Reisen im In- und Ausland, wird in der Regel von den Ausrichtern die Übernahme der Kosten angeboten. Solche Kostenübernahme-Angebote lehnt ZEIT ONLINE ab. Eine Ausnahme bildet das Ressort Reisen.

Ausnahmen sind in begründeten Einzelfällen Reisen in Krisengebiete oder Reisen mit Politikern bzw. an Bord von Flugzeugen oder Schiffen der deutschen Bundeswehr, wenn über Themen von erheblichem öffentlichen Interesse berichtet wird und diese Berichterstattung aus eigenen Mitteln oder aus Gründen der persönlichen Sicherheit des jeweiligen Reporters nicht realisierbar wäre. Ausnahmen sind auch ergebnisoffene Reisestipendien von Organisationen wie IJP oder der Arthur F. Burns Fellowship. Auch wenn ZEIT ONLINE–Redakteure von einer externen Organisation zu einer Reise eingeladen werden und sämtliche Reisekosten von ZEIT ONLINE selbst getragen werden, sollte in den mithilfe dieser Reise entstanden Texten oder Videos dennoch darauf hingewiesen bzw. erwähnt werden, wer diese Reise organisiert hat.

Ein Sonderfall ist das Ressort „Reisen“, das oft auf die Unterstützung von Fremdenverkehrsorganisationen angewiesen ist. Hier wird unter dem Artikel von ZEIT ONLINE deklariert, wenn die Reportage mithilfe von Drittmitteln zustande gekommen ist. Selbstverständlich ist die Redaktion auch in diesen Fällen verpflichtet, Sponsoren in keiner Weise Einfluss auf Themenauswahl oder Inhalt der Reportage zu gewähren. Die Finanzierung einer Reise durch das unmittelbare Berichtsobjekt, also beispielsweise ein Hotel, das redaktionell besprochen wird, ist nicht möglich.

e. Alle Arten von Geschenken werden sozialisiert, soweit sie einen Wert von 40 Euro überschreiten. Redakteure liefern Geschenke an einer zentralen Stelle ab. Am Ende des Jahres werden sie zugunsten eines wohltätigen Zwecks versteigert.

f. Bücher oder andere Produkte von Redakteuren werden nicht redaktionell bewertet. Bei eventuellen Vorabveröffentlichungen solcher Werke wird die Befangenheit für den Leser deutlich gekennzeichnet. Redakteure können ihre Bücher auf ihren persönlichen Profilseiten erwähnen. Diese Erwähnungen können auf begleitende Websites dieser jeweiligen Bücher oder Leseproben der jeweiligen Verlags-Site verlinkt werden, nicht jedoch zu Amazon oder anderen Shop-Seiten, auf denen das Buch gekauft werden kann. Bei der Besprechung von Büchern ehemaliger Redakteure von ZEIT ONLINE oder DIE ZEIT wird auf den Umstand ihrer früheren Redaktionszugehörigkeit hingewiesen.

g. Jede Nebentätigkeit von Redakteuren muss der Chefredaktion zur Genehmigung vorgelegt werden. Die Prüfung erfolgt unter den Kriterien möglicher Beeinflussung der Berichterstattung, einer möglichen Beschädigung der Marke ZEIT ONLINE sowie unter arbeits-ökonomischen Gesichtspunkten der Redakteure. Der Chefredakteur muss seine Nebentätigkeiten dem Verleger mitteilen.

h. Freie Mitarbeiter müssen Tätigkeiten in dem Journalismus nahen Bereichen — Marketing, PR — offen legen. Eine Tätigkeit in einem dieser Bereiche schließt in der Regel die redaktionelle Bearbeitung inhaltlich verwandter Themen bei ZEIT ONLINE für den Zeitraum eines Jahres nach Abschluss der jeweiligen Tätigkeit in Marketing und PR aus, wenn nicht in beiderseitigem Einvernehmen eine Regelung getroffen werden konnte, die eine Einflussnahme auf die Berichterstattung ausschließt.

2. QUALITÄTSSICHERUNG

a. Jeder auf ZEIT ONLINE erscheinende Text wird außer vom Autor noch von mindestens einer weiteren Person auf sachliche und stilistische Qualität überprüft und anschließend von einem Korrektor bzw. Schlussredakteur auf Rechtschreibung überprüft. Die Verantwortung für die Richtigkeit von Daten und Fakten verbleibt beim Autor bzw. dem im Impressum als „verantwortlich“ genannten.

b. Bei berechtigter Kritik durch Online-Leser an einem Text aus der Redaktion von ZEIT ONLINE melden sich Online-Redakteure im Kommentar-Thread unter ihrem Artikel selbst zu Wort. Faktische Fehler werden dabei in folgender Weise berichtigt:

  • Korrektur der betreffenden Textstelle
  • Ein Hinweis unter dem Text, dass korrigiert wurde.
  • Sofern geboten: Im Kommentarthread eine Antwort an den jeweiligen Leser, die seinen Hinweis anerkennt.

Inhaltliche Fehler online nur stillschweigend auszubessern, ist nicht akzeptabel.

3. BEZIEHUNG ZU ANZEIGENKUNDEN

a. Anzeigenkunden haben keine Möglichkeit, den redaktionellen Inhalt zu beeinflussen. Einzelne Themen tauchen zwar durchaus auch aufgrund möglicher Anzeigenerlöse in ihrem jeweiligen Umfeld auf, potenzielle Inserenten haben jedoch keine Möglichkeit, auf Umfang, Art und Urteil der Berichterstattung Einfluss zu nehmen.

b. Kein Anzeigenkunde kann durch die Drohung, Aufträge zu stornieren, kritische Berichterstattung verhindern. Droht ein Anzeigenkunde damit, wird die Redaktion diesen Vorgang veröffentlichen.

c. Anzeigen mit journalistisch wirkenden Inhalten (zum Beispiel Anzeigen-veröffentlichungen/ Advertorials) müssen sich in der Darstellung vom Layout der redaktionellen Inhalte von ZEIT ONLINE so offensichtlich unterscheiden, dass keine Verwechslung möglich ist. Dies betrifft zum Beispiel Schrifttype oder Linkfarbe. Online-Advertorials müssen stringent als „Anzeige“ gekennzeichnet sein. Eine Benennung als „Spezial“, „Verlagsbeilage“ oder „Sonderveröffentlichung“ darf nicht vorkommen.

d. Die Details der auf ZEIT ONLINE einzusetzenden Werbemittel sind in der zwischen Chefredaktion und Verlagsgeschäftsführung regelmäßig definierten Werbemittelkonvention geregelt.

4. VERHÄLTNIS ZU KOMMERZIELLEN PRODUKTEN IM EIGENEN HAUS

a. Kommerzielle Produkte des Verlages werden im redaktionellen Teil nicht besprochen. Beworben werden sie durch Anzeigen. Ausnahmen bilden Non-Profit-Produkte des Verlages.

b. Veranstaltungen, die der Verlag ausrichtet, werden in aller Regel im redaktionellen Teil ZEIT ONLINE nicht besprochen. Wertende Berichterstattung dazu findet grundsätzlich nicht statt. Eine dokumentierende Wiedergabe als Video ist möglich und liegt im Ermessen der Redaktion.

c. Geschäftspartner, die Veranstaltungen, Produkte oder andere Aktivitäten des Verlages unterstützen, haben keinerlei Einfluss auf die redaktionelle Berichterstattung.

e. Für journalistische Produkte im Bereich von Corporate Publishing (Tempus Corporate GmbH) dürfen Redakteure und feste freie Mitarbeiter nicht aktiv werden. Freie Mitarbeiter von ZEIT ONLINE müssen ihre Mitarbeit im Corporate Publishing offen legen — und sind daraufhin im entsprechenden Themenbereich als Autoren von ZEIT ONLINE für ein Jahr nach Abschluss der jeweiligen Tätigkeit im Corporate Publishing gesperrt.

5. Der Code of Ethics ist eine freiwillige Selbstverpflichtung.

Etwaige Verstöße dagegen ziehen keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen nach sich. Davon ausgenommen sind Verstöße gegen Pflichten, die sich bereits aus dem Arbeitsverhältnis der jeweiligen Kollegin/des jeweiligen Kollegen ergeben.

Das scheinen mir Richtlinien mit vielen vorbildlichen und brauchbaren Regeln zu sein. Es ist mir ein Rätsel, warum man sie quasi geheim halten wollte.

Allerdings könnte man angesichts des Wortlautes auch noch einmal fragen, warum sich „Zeit Online“ von Moritz Gathmann trennen musste. Der freie Journalist hatte, wie berichtet, für eine vom Kreml mitfinanzierte Zeitungsbeilage gearbeitet. Er hat diese Arbeit aber jetzt beendet. Unter Punkt 1h heißt es im Kodex, dass eine solche Tätigkeit „in der Regel“ die Bearbeitung ähnlicher Themen bei „Zeit Online“ ausschließe. Die folgende Sperre gelte nur, „wenn nicht in beiderseitigem Einvernehmen eine Regelung getroffen werden konnte, die eine Einflussnahme auf die Berichterstattung ausschließt“.

Jochen Wegner hatte es dagegen so dargestellt, als hätte es keinerlei Entscheidungsspielraum gegeben.

Gegen einen Notgroschen für besseres öffentlich-rechtliches Fernsehen

Morgen entscheiden die Ministerpräsidenten, was mit den überschüssigen Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag passieren soll. Nach der Umstellung auf die Haushaltsabgabe wurde viel mehr Geld eingenommen, als dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusteht.

Sechs Verbände von Schauspielern, Drehbuchautoren, Filmschaffenden und Produzenten haben heute einen Vorschlag gemacht: Rund 100 Millionen von dem zuviel eingenommenen Geld sollen ARD und ZDF behalten dürfen, um damit besseres Programm zu machen.

Gut, eigentlich sollen ARD und ZDF das Geld natürlich den Schauspielern, Drehbuchautoren, Filmschaffenden und Produzenten geben, damit die damit ein besseres Programm machen können. Es ist insofern ein leicht durchschaubares, aber völlig legitimes Werben in eigener Sache. Aber die Argumentation dahinter ist von rührender Naivität.

In der gemeinsamen Presseerklärung heißt es:

Die Produzentenallianz und verschiedene Kreativen-Verbände haben sich in mehreren Stellungnahmen dafür ausgesprochen, jedenfalls Teile der zu erwartenden Überschüsse zu nutzen, um ARD und ZDF in die Lage zu versetzen, eine Programmoffensive zu starten (…).

Ahem. Wenn die Sender statt, grob gerechnet, 8 Milliarden Euro 8,1 Milliarden Euro zur Verfügung hätten, dann wären sie plötzlich „in der Lage“, eine Programmoffensive zu starten? Mit all den tollen innovativen Sendungen, die bislang irgendwie nur das Ausland hinkriegt?

Ja, genau so stellen sich das die Filmverbände vor:

Eine solche Programm-Initiative würde es beiden Sendern ermöglichen, vermehrt Programme in Auftrag zu geben, die international Qualitätsstandards setzen und die mit Produktionsbudgets ausgestattet wären, welche es den Produzenten ermöglichen, den Kreativen und den Filmschaffenden Arbeits- und Vergütungsbedingungen zu bieten, die der hohen Qualität ihrer Leistungen entsprechen.

Und dann gibt es endlich auch ein deutsches „House of Cards“, ein deutsches „Homeland“, ein deutsches „Downton Abbey“, ein deutsches „Borgen“? Genau:

Die Mittelkürzungen in den Programmetats von ARD und ZDF sind eine Ursache dafür, dass die heute international anerkannten Programmideen nicht mehr aus Deutschland kommen. Hier sind etwa die TV Serien („House of Cards“, „Homeland“, „Downton Abbey“, „Borgen“ etc.) zu nennen, die weltweit — und auch in Deutschland — wegen der Qualität und Sorgfalt, mit der sie produziert wurden, Anerkennung finden.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was die Produzenten mit „nicht mehr“ meinen. Welche frühere international anerkannte Programmidee kam denn aus Deutschland? Okay, „Derrick“.

Die Bedingungen, unter denen in Deutschland Fernsehen entsteht, sind sicher schwieriger geworden; Etats, Drehtage, Gagen schrumpfen. Der Anspruch an ARD und ZDF, Arbeitsbedingungen zu schaffen, unter denen hochwertiges, auch innovatives Fernsehen entstehen kann, ist absolut berechtigt. Das ist ihr Auftrag.

Aber was für ein absurder Gedanke, dass dieser Auftrag nicht mit 8 Milliarden Euro erfüllt werden könnte. Oder wenn er nicht mit 8 Milliarden Euro erfüllt werden kann, dass er mit 8,1 Milliarden Euro erfüllt würde.

Ich bin prinzipiell ein Freund des dualen Systems und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seiner Finanzierung durch die Allgemeinheit (obwohl mir die Programme von ARD und ZDF zunehmend Probleme bereiten, das zu begründen). Aber die Idee, dass man den Sendern zusätzlich Geld geben müsste, damit sie herausragendes Fernsehen machen, ist komplett abwegig.

Es ist eine Frage des Wollens. Es ist eine Frage der Prioritätensetzung. Und es ist eine Frage der Senderkultur. Man kann das am Beispiel des dänischen Fernsehens nachlesen, dass deren besonderen, hochwertigen, erfolgreichen Produktionen eben in einem besonderen Umfeld entstanden sind, mit Menschen, die eine Vorstellung von dem hatten, was sie tun wollten, mit einem Sender, der sich seines besonderen Auftrages bewusst war, mit einer Kultur, in der nicht Angst und Risikovermeidung und Quotenfixierung herrscht, sondern die Kreativität ermöglicht, Freiräume schafft, Talente fördert.

Es stimmt schon, dass Geld dabei auch hilft, aber so sehr es in den Sendern aufgrund der eher sinkenden Programmbudgets an einigen Stellen empfindlich kneifen mag, kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland insgesamt an Mitteln fehlt.

(Und, wie gesagt, das schreibe ich als einer von gefühlt gar nicht so vielen Menschen, die ARD und ZDF das Geld, das sie jetzt bekommen, noch verhältnismäßig gern zugestehen und sie nicht auf irgendwelche Schwarzbrot- oder Pay-TV-Programme reduzieren wollen. Zur vor-vor-(vor?)-letzten Gebührenerhöhung hab ich noch in der FAS einen Artikel mit der Überschrift „Gebt’s ihnen“ geschrieben. So einer bin ich.)

Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs hat vorgeschlagen, den Rundfunkbeitrag um 73 Cent zu senken. Das entspricht der Hälfte des Betrags, der nach ihren Schätzungen gerade zuviel eingenommen wird. Die andere Hälfte soll zurückgelegt werden, für den Fall, dass sich diese Schätzungen als falsch herausstellen, und als Puffer, damit der Beitrag dann nicht sofort wieder erhöht werden muss.

Ich bin sehr für diese Senkung, weil genau das immer die Geschäftsgrundlage für die Umstellung der Rundfunkgebühren war: Wenn dadurch mehr eingenommen wird, bekommen die Bürger das zurück. Das war auch ein entscheidendes Argument, den hysterischen Medienberichten der vergangenen Jahre zu widersprechen, die immer neue, immer höhere Prognosen brachten, wie viel Mehreinnahmen zustande kommen könnten: Dass sich das Geld, das ARD und ZDF bekommen, nicht danach richtet, wieviel eingenommen wird, sondern danach, was sie brauchen und ihnen von der KEF zugestanden wird. Dass man erbittert darüber streiten kann, wie viel das sein sollte, liegt in der Natur der Sache. Aber dieses Prinzip jetzt in Frage zu stellen, wäre falsch und ein gefährliches Signal an die rundfunksbeitragsskeptischen Rundfunkbeitragszahler.

Mögen die 73 Cent auch läppisch wirken: Die Reduzierung wäre ein klares Zeichen und eine vertrauensbildende Maßnahme. Und die Kreativen müssen das Geld, das sie brauchen, um bessere oder wenigstens besser bezahlte Arbeit zu machen, aus dem bestehenden Etat heraus verhandeln. Hilft alles nix.

Journalismus 2014

Wörtliche Zitate aus der Berichterstattung von „Spiegel Online“ über den Prozess gegen Uli Hoeneß, der, soviel immerhin darf als gesichert gelten, am Montag begonnen hat.

10. März, 9:42
Wenn nichts dazwischenkommt, soll es am Donnerstag ein Urteil geben.

10. März, 14:47
Wenn nichts dazwischenkommt, soll es am Donnerstag ein Urteil geben.

10. März, 18:39
Wenn nichts dazwischenkommt, soll es am Donnerstag ein Urteil geben.

11. März, 9:17
Im Gerichtssaal unterhalten sich Polizisten. Sie mutmaßen, dass es nach der heutigen Zeugenaussage zur Vertagung des Prozesses kommen könnte, weil das Gericht Zeit zur Prüfung der neuen Zahlen brauche.

11. März, 9:34
[U]rsprünglich wollte der Vorsitzende Richter Rupert Heindl bereits am Donnerstag das Urteil verkünden. Nun muss sich zeigen, ob Hoeneß überraschend umfassendes Geständnis den Zeitplan ändert.

11. März, 10:23
Gerhard Wipijewski von der Bayerischen Finanzgewerkschaft glaubt, dass sich der Prozess angesichts des spektakulären Geständnisses zu Beginn länger hinziehen könnte.

11. März, 10:53
Die Vernehmung der Finanzbeamtin habe erst angefangen, sagt eine Gerichtssprecherin. Doch schon jetzt seien dadurch „etliche Fragen“ aufgeworfen worden. Deshalb sei auch „nicht sicher, ob die Vernehmung der Zeugin heute abgeschlossen werden kann.“

11. März, 11:34
Alles sieht nach einer Verlängerung des Prozesses aus. Es sei „durchaus davon auszugehen, dass weitere Termine erforderlich sein werden“, sagte eine Gerichtssprecherin.

11. März, 12:01
Ob die Prozessdauer verlängert wird, hängt nach Ansicht der Staatsanwaltschaft von den weiteren Aussagen der heute vernommenen Finanzbeamtin ab.

11. März, 12:07
Es wird vermutlich nicht zu einer Urteilsverkündung am Donnerstag kommen. „Es ist nicht mehr sehr wahrscheinlich, dass es so sein wird“, sagt Gerichtssprecherin Andrea Titz. Es sei durchaus davon auszugehen, dass weitere Termine erforderlich sein werden.

11. März, 13:35
Wegen der neuen Enthüllungen und möglicher weiterer Zeugenaussagen ist es unwahrscheinlich, dass das Urteil wie ursprünglich geplant an diesem Donnerstag verkündet wird. „Es ist durchaus davon auszugehen, dass weitere Termine erforderlich sein werden“, sagte Titz.

11. März, 15:14
Ein schnelles Ende des Prozesses ist nach dem Hoeneß-Geständnis nicht in Sicht.

11. März, 15:50
Wird der Prozess verlängert? Diese Entscheidung soll laut einer Gerichtssprecherin erst am Mittwoch fallen. Zuvor hatte sie es jedoch bereits als „nicht mehr sehr wahrscheinlich“ bezeichnet, dass das Urteil wie ursprünglich geplant schon am Donnerstag fällt.

11. März, 18:47
Der Zeitplan mit einer raschen Urteilsverkündung am Donnerstag ist (…) trotz der neuen Entwicklungen weiterhin möglich – allerdings keineswegs sicher. Das Gericht will erst noch den Mittwoch abwarten.

12. März, 9:39
Verspätung: Eigentlich hätte der dritte Prozesstag vor einigen Minuten beginnen sollen. Bislang sind aber weder das Gericht noch Anklage, noch Verteidigung im Saal. Warum, ist derzeit unklar.

12. März, 9:57
Laut eines Sprechers der Staatsanwaltschaft ist mit einem Abschluss des Verfahrens am Donnerstag zu rechnen, falls die Zeugenanhörung heute abgeschlossen werden kann. Ob es wirklich dabei bleibt?

12. März, 10:13
Bislang ist noch nichts aus dem Gerichtssaal durchgesickert. Auch wir warten auf neue Informationen.

12. März, 10:58
Ob wie geplant am Donnerstag auch das Urteil gegen den 62-jährigen Hoeneß gesprochen wird, steht im Augenblick nicht fest.

12. März, 11:02
(…) es könnte also tatsächlich beim ursprünglichen Zeitplan bleiben.

12. März, 11:18
Die Gerichtssprecherin hält ein Ende des spektakulären Steuerprozesses gegen Uli Hoeneß bereits am Donnerstag für „höchstwahrscheinlich“ (…) Wenn es keine weiteren Beweisanträge gibt, können am Donnerstag die Plädoyers folgen und dann die Urteilsverkündung, sagte Gerichtssprecherin Andrea Titz.

Aufmacher auf „Spiegel Online“:

Kurzer Prozess: „Zeit Online“ und der geschasste 150-Euro-Reporter

Unter den Artikeln, die der freie Journalist Moritz Gathmann für „Zeit Online“ über die Ukraine geschrieben hat, steht seit kurzem folgender Hinweis:

Offenlegung: Der Autor arbeitet für die vom russischen Staat mitfinanzierte Zeitungsbeilage Russland heute. Dies entspricht nicht unseren Grundsätzen. Wir entschuldigen uns dafür.

Testfrage: Wofür genau entschuldigt sich „Zeit Online“?

Man würde annehmen, dass Leute, deren Beruf es ist, mit Sprache umzugehen, es schafften, eine solche Offenlegung klar zu formulieren. Aber vermutlich ist das im konkreten Fall keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.

„Zeit Online“ hat an den Texten von Moritz Gathmann nichts auszusetzen. Markus Horeld, der stellvertretende Chefredakteur, sagte gegenüber dem Mediendienst „Newsroom“: „Wir waren mit seinen Beiträge[n] sehr zufrieden.“

Nicht zufrieden ist „Zeit Online“ damit, dass Gathmann außer für „Zeit Online“ auch für „Russland heute“ gearbeitet hat, ein deutschsprachiges Monatsmagazin, das der „Süddeutschen Zeitung“ beiliegt, vom Kreml finanziert wird und die Aufgabe hat, das angeblich „einseitige Bild“ Russlands in den ausländischen Medien zu korrigieren.

Dass Gathmann für „Russland heute“ gearbeitet hat, war kein Geheimnis. Es stand auf seiner Internetseite. (Vor allem habe er Texte redigiert und über eher unverfängliche Themen berichtet, sagt er.) „Zeit Online“ hat sich dafür wohl nicht interessiert, bis David Schraven sich darüber beschwert hat.

David Schraven leitet das Ressort „Recherche“ bei der Funke-Mediengruppe („WAZ“), er sitzt im Vorstand von „Netzwerk Recherche“ und er hat, was womöglich nicht ganz unwesentlich ist, eine andere Meinung zu den Vorgängen in der Ukraine als Gathmann. „Eher voreingenommen und gefärbt“, nennt er dessen Artikel.

Er fand einen Weg, sehr schnell etwas dagegen zu tun. Am Samstag um 17 Uhr twitterte er Jochen Wegner an, den Chefredakteur von „Zeit Online“:

diverse Sichtweisen in der Zeit sind gut. Aber es wär besser zu sagen, dass Moritz Gathmann für Russlands Propagandadienst schafft

Wegner ist zwar gerade in den USA auf einer Konferenz, antwortete aber eine Stunde später:

Ja, wir diskutieren dies gerade (auch aus anderen Gründen). Ich melde mich in spätestens 2h.

Es dauerte kaum mehr als eine Stunde, bis Wegner schnell mal geklärt hatte, dass die Zusammenarbeit mit dem freien Autor (an dessen Texten für „Zeit Online“ man, wie gesagt, nichts auszusetzen hat) mit sofortiger Wirkung beendet wird, was er ebenfalls auf Twitter bekanntgab.

So zügig geht das heute, dank Twitter, auch am Wochenende, auch aus der Ferne, wer wollte da bis zum folgenden Montag abwarten, um womöglich ein Gespräch mit dem betroffenen und eigentlich respektierten Autor abzuwarten?

David Schraven fand’s jedenfalls super so. „Danke“, twitterte er Wegner zurück, und lobte die unkomplizierte Ruck-Zuck-Trennung auf Facebook als „gut und bewundernswert“. Na, von so einem Mann möchte man doch gerne seine Interessen als Journalist vertreten lassen.

Nun räumt Gathmann selbst ein, dass die Arbeit für ein Medium, das vom russischen Staat mitfinanziert wird, problematisch war — jedenfalls in der aktuellen politischen Situation und „angesichts der immer stärker werdenden medialen Polarisierung aufgrund der Ukraine-Krise“. Er hat diese Arbeit jetzt beendet.

Warum war das nicht die Lösung: Gathmann arbeitet nicht mehr für „Russland heute“ und dafür weiter für „Zeit Online“? Weil dessen Ethik-Kodex das angeblich nicht erlaubt. „Unsere Grundsätze sehen eine Übergangszeit von mehreren Monaten vor“, antwortet mir Markus Horeld. „Heißt: Ein Autor kann erst nach einer gewissen Zeit wieder für uns über ein Thema schreiben, für das er zuvor PR o.ä. gemacht hat.“

Es geht also nur und ausschließlich ums Prinzip. „Zeit Online“ hat es vorher verschlafen, sich darum zu kümmern, ob der Reporter den Verhaltenskodex erfüllt, erzwingt diesen Verhaltenskodex aber im Nachhinein gnadenlos. Gathmann sagt übrigens, er habe von diesem Kodex und seinen Vorgaben, denen seine Arbeit für „Russland heute“ widersprach, nichts gewusst.

„PR o.ä.“ ist übrigens in diesem Fall eine treffend vage Beschreibung. Hat Gathmann wirklich PR für Russland gemacht? Das soll keine rhetorische Frage sein, sondern eine offene — meiner Meinung nach liegt die Antwort nämlich nicht auf der Hand.

Aber vielleicht bin ich da auch befangen, denn mir hat der „Spiegel“ vor ein paar Jahren vorgeworfen, als Medienjournalist für ein Magazin gearbeitet zu haben, das von ProSiebenSat.1 herausgegeben wird. Mir ist schon klar, dass die Fallhöhe und Brisanz in Gathmanns Fall um ein vielfaches größer sind, aber es geht „Zeit Online“ ja ums Prinzip, und das ist dann vielleicht doch vergleichbar.

Ich glaube im konkreten Fall unabhängig von der Frage, ob „PR“ der richtige Ausdruck ist, dass der Interessenkonflikt zu groß ist. Und dass es notwendig war, dass Gathmann nicht mehr für „Russland heute“ arbeitet. Aber solche und ähnliche Konflikte werden in Zukunft häufiger auftreten, nämlich zunehmend mit der abnehmenden Bereitschaft oder Fähigkeit unabhängiger Medien, Journalismus ordentlich zu bezahlen.

Gathmann formulierte es gegenüber „Newsroom“ so: „In gewisser Weise hat die Redakteursarbeit für Russland Heute mir auch erlaubt, mich in der übrigen Zeit mit ‚reinem‘, aber schlecht bezahltem Journalismus zu beschäftigen.“

Konkret hat er für seine Texte von „Zeit Online“ offenbar den „Standardsatz“ für Texte von mehr als 5000 Zeichen bekommen. Das sind 150 Euro. Außerdem hat sich „Zeit Online“ offenbar an den Spesen beteiligt.

Gathmann will sich über diese Bezahlung gar nicht beklagen. „Wenn gerade Revolution ist“, hätten Journalisten und Experten wie er kaum Finanzierungsprobleme. Schwierig sei eher die Zeit zwischen den Krisen, wenn die Medien keinen besonderen Bedarf an Berichterstattung aus Russland oder der Ukraine haben. Da hilft natürlich, scheinbar, ein Auftraggeber wie „Russland heute“.

Matthias Dell hat im „Altpapier“ heute einen dazu passenden Text von Gemma Pörzgen zitiert, die vor einem halben Jahr in der „taz“ darüber schrieb, dass „deutsche Zeitungen immer weniger Wert auf den eigenen Korrespondenten und ein Büro in Moskau zu legen [scheinen]“. Wieviel günstiger so ein freier Journalist ist, kann man da erahnen, und im Zweifel ist man ihn auch innerhalb von zwei Tweets los.

Gathmann sagt, dass andere deutsche Medien weiter mit ihm zusammenarbeiten wollen.

Super-Symbolfoto (102)

Teile des deutschen Journalismus sind ja seit gestern damit beschäftigt, das Gesicht von Uli Hoeneß zu beschreiben und zu interpretieren. „Spiegel Online“ hat freundlicherweise sogar eine Bildergalerie gemacht, mit vier Fotos und vier Stellen aus dem Geständnis des FC-Bayern-Präsidenten.

Und wenn man sich da so durchklickt …

… ich glaube, beim vierten, da wirkt er echt ein bisschen angefasst.

Büchner-Preisträgerin ekelt sich vor auf „abartigen Wegen“ gezeugten Halbmenschen

Die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat am vergangenen Sonntag in Dresden eine ungeheuerliche Rede gehalten, in der sie die künstliche Befruchtung verurteilte und sich voller „Abscheu“ über Kinder äußerte, die auf solch „abartigen Wegen“ entstanden sind: Sie seien „Halbwesen“, „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“.

Ungeheuerlich ist auch, was danach passierte: fast nichts. Es gab keinen Aufschrei, keine bestürzten Reaktionen im Literaturbetrieb, der Sibylle Lewitscharoff seit Jahren mit Preis um Preis auszeichnet, keine aufgeregten Debatten in den Feuilletons, die sie im vergangenen Jahr feierten, als sie auch noch die bedeutendste literarische Auszeichnung des Landes erhielt, den Georg-Büchner-Preis.

Die „Sächsische Zeitung“ attestierte Lewitscharoff in ihrem Bericht über die Rede „Mut“, dass sie mit dem Thema ihrer Rede „vermintes Gelände“ betreten habe. Die Berichterstatterin scheint zwar verblüfft über einige Positionen und Worte von Lewitscharoff und darüber, dass kein Protest aus dem Publikum zu hören gewesen sei. Aber sie kommt zu dem versöhnlich-verdrucksten Schluss, die Schriftstellerin habe immerhin „Stoff zum Nachdenken und Diskutieren“ geboten, „auch zur empörenden Reaktion auf die Empörung“.

Aber die „Sächsische Zeitung“ kann oder will offenbar auch nicht unbefangen über Lewitscharoff berichten und angemessen scharfen Reaktionen keinen Raum geben. Weil sie Mitveranstalterin der „Dresdner Reden“ ist und insofern auch Mit-Einladerin der Schriftstellerin.

Der Chefdramaturg des Schauspielhauses, Robert Koall, wollte und konnte die Rede dennoch nicht unwidersprochen lassen. Ich dokumentiere seine Antwort mit freundlicher Genehmigung Koalls.

 

Offener Brief an die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff
als ­Antwort auf ihre Dresdner Rede vom 2. März 2014
von Robert Koall

Die Autorin Sibylle Lewitscharoff hat am 2. März im Dresdner Schauspielhaus im Rahmen der traditionsreichen „Dresdner Reden“ auf Einladung des Staatsschauspiels Dresden und der „Sächsischen Zeitung“ gesprochen. Frau Lewitscharoff gehört zu den profiliertesten deutschsprachigen Autorinnen und wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, zuletzt 2013 mit dem Georg-Büchner-Preis. Ihr Vortrag war angekündigt unter dem Titel „Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“.

Sehr geehrte Frau Lewitscharoff,

als Chefdramaturg des Staatsschauspiels bin ich mitverantwortlich für Ihre Einladung nach Dresden — was eine öffentliche und kritische Antwort auf Ihre Rede eher ungewöhnlich machen mag.

Aber lieber verletze ich die guten Sitten und Gebräuche der Gastgeberschaft als Ihnen nicht zu widersprechen. Ich fühle mich durch Ihre Worte zu sehr persönlich getroffen. Nach der Rede im Foyer ließ sich feststellen, dass ich mit dieser Einschätzung nicht alleine bin. Im Übrigen weiß ich, dass Sie Einspruch schätzen.

In Ihrer Einleitung hatten Sie am Sonntag mit einem feinen Lächeln vorgewarnt und um Entschuldigung dafür gebeten, dass es heute wohl nicht gelingen werde, der Rede „durch Scherze und ein kleines Fluten der Ironie eine gewisse Leichtigkeit zu verschaffen“. Die Rede sei ernst. Nach dem Vortrag lässt sich ­sagen, dass „ernst“ nicht das richtige Wort war. Welcher Ausdruck wäre besser? Menschenverachtend? Gefährlich?

Im ersten Teil ihres Vortrags widmeten Sie sich dem Tod und dem Sterben. Ihre Thesen dazu sind wenig spektakulär, im Wesentlichen sprachen Sie über das Gottvertrauen, dessen Sie sich zu bemächtigen versuchen, wenn Sie sich überfordert fühlen von den Zumutungen der Existenz. Und darüber, dass die moderne Medizin und die Möglichkeit der Patientenverfügung Ihnen zu sehr eingreifen in das, was nach Ihrer Auffassung Aufgabe der Schöpfung wäre: den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen.

Ich teile Ihre Sicht nicht, aber das ist unerheblich.

Danach jedoch ging es um das menschliche Leben und seinen Beginn.

Und erstaunt musste ich feststellen: Eine der meistbeachteten deutschen Schriftstellerinnen pflegt öffentlich ein Menschenbild, das Verklemmung mit Verachtung paart. Ein beängstigendes Menschenbild.

Sie, Frau Lewitscharoff, um es mal zusammenzufassen, plädieren für die Kopulation. Die lassen Sie gelten. Zwischen Mann und Frau natürlich. Das ist der einzige Weg zur Menschentstehung, den Sie akzeptabel finden.

Leihmutterschaft aber ist Teufelswerk, und Onanie mögen Sie auch nicht, wie Sie uns wissen lassen. Ein „Onanieverbot“ erscheint Ihnen „weise“. Vor allem die Abgabe von Samen zum Ziele der künstlichen Befruchtung ist Ihnen „nicht nur suspekt“, sondern Sie finden sie „absolut widerwärtig“.

Und was folgt für Sie daraus? Dass Menschen, die auf künstlichem Wege gezeugt wurden, nicht menschlich sind. Sondern monströs:

„Der eigentliche Horror resultiert für mich dabei […] aus den Methoden, auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen. Frau Doktor und Herr Doktor Frankenstein, die weithin geschätzten Reproduktionsmediziner, haben ein sauberes Arztkittelchen an und werkeln nicht mit brodelnden Glaskolben und in einer mit giftigen Dämpfen erfüllten mittelalterlichen Bogenhalle. Es geht dabei sehr rein und fein und überaus vernünftig zu. Der Vorgang selbst ist darum nichts weniger als abscheulich.“

Diejenigen, die hier einwenden mögen, dass die Reproduktionsmedizin ein Segen für Menschen mit unerfüllbarem Kinderwunsch ist und ein Segen für die Kinder, die ihre Existenz nur dieser Wissenschaft verdanken, werden von Ihnen brüsk belehrt:

„So simpel können nur Menschen denken, die auf die psychische Bedeutung von Ursprungskonstruktionen noch nie einen Gedanken verschwendet haben. Wie verstörend muss es für ein Kind sein, wenn es herausbekommt, welchen Machinationen es seine Existenz verdankt.“

Das alles ist schon sehr herablassend und abwertend. Aber nun wird es grotesk:

„Grotesk wird es aber spätestens in anderen, inzwischen durchaus zahlreichen Fällen, […] in denen sich lesbische Paare ein Kind besorgen, indem entweder ebenfalls ein anonymer Spender oder ein naher Verwandter der Freundin der künftigen Mutter herangezogen wird, um sein Sperma abzuliefern.“

Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz einhaken: Es gibt in meinem Bekanntenkreis ein dreijähriges Mädchen, das nicht in einem klassischen Familienmodell aufwächst — sie hat eine Mutti und eine Mama. Ihre Existenz verdankt sie der Wissenschaft, die Sie verteufeln. Sie ist ein intelligentes, fröhliches und geliebtes Mädchen, sie ist ein Kind Gottes, und ihr Dasein ein Segen.

Nicht aber für Sie, Frau Lewitscharoff. Für Sie ist dieses Mädchen kein vollwertiger Mensch. Sie haben nur Abscheu für sie übrig,

„weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.“

Halbwesen. Widerwärtig. Abscheulich. Abartig. Man muss sehr viel Selbstbeherrschung aufbringen, um sich vom Sprachduktus nicht an Zeiten erinnert zu fühlen, in denen eine solche Wortwahl dazu diente, die Würde von Menschen antastbar zu machen.

Sie aber, Frau Lewitscharoff, fahren ungebremst fort:

„Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor. Ich übertreibe, das ist klar, ich übertreibe […].“

Was wollen Sie mit dem letzten Satz sagen? Dass nur, weil man etwas sagt, das noch lange nicht heißt, dass man es auch so meint?

Das wäre eine enttäuschende Haltung für einen denkenden Menschen.

Sie sind Schriftstellerin. Sie sind in der Sprache zuhause. Eine Unschuldsvermutung gibt es für Sie in diesem Fall kaum.

Es fällt sehr schwer zu glauben, dass Sie nicht wussten, welche Worte Sie wählten, welche Vergleiche Sie zogen. Dass Sie nicht bemerkten, in welchem Sprachraum Sie sich bewegen.

Wir haben Sie, Frau Lewitscharoff, als streitbaren Geist eingeladen. Wir begreifen Theater als Ort der lebendigen, kritischen Auseinandersetzung. Wir setzen uns ein für Differenz, für das Unbequeme und für Haltung und Gegenhaltung. Das alles muss eine Gesellschaft und das alles muss ein Theater aushalten. Wenn aber die Würde der Menschen angetastet wird, kann das nicht unwidersprochen geschehen.

Man könnte Ihre Worte abtun und hoffen, dass sie schnell vergessen werden.

Man könnte aber auch sagen, dass man es leid ist, dass immer wieder so getan wird, als würden Worte nichts bedeuten. Es gibt einen Punkt, der die Dresdner Rede vom 2. März gefährlich macht. Das ist das Tendenziöse, die Stimmungsmache, das tropfenweise verabreichte Gift.

Die Art der Argumentation und die Wortwahl verbreiten sich immer mehr.

Wenn der durchaus prominente Journalist Matthias Matussek jüngst in der „Welt“ offen darüber schwadroniert, dass sein privates Unbehagen gegenüber Schwulen für viele ja offenbar schlimmer sei als Antisemitismus (und damit nur sagt, dass er ein bisschen Homophobie offenbar für absolut okay hält). Wenn Populisten wie der verwirrte Thilo Sarazzin öffentlich beklatscht vor dem „Tugendterror“ warnen (und damit eigentlich nur Raum für Vorurteile, Lügen und Ressentiments schaffen wollen). Wenn schließlich in einer Rede Leihmutterschaft und lesbische Elternpaare als Fortführung nationalsozialistischer Familienpolitik mit anderen Mitteln bezeichnet werden (und dann als harmlose rhetorische Volte abgetan werden).

Dann befördert all das einen schleichenden Klimawandel in der Gesellschaft.

Das alles bemüht sich nicht um Toleranz und Solidarität, um Gemeinschaft und Gemeinwohl. Das befördert Absetzung, Ausgrenzung, Abschottung, Abschaffung.

Ihre Worte sind nicht harmlos, Frau Lewitscharoff. Aus falschen Worten wird falsches Denken. Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte.

Hochachtungsvoll
Robert Koall
Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden

  • Auf den Seiten des Staatsschauspiels Dresden kann man Lewitscharoffs Rede anhören und jetzt auch nachlesen.
Nachtrag, 20:00 Uhr. Lewitscharoff hat sich gegenüber der „FAZ“ geäußert: „Darf ich nicht sagen, was ich denke?“

Wie Wulff ohne „Bild“ nach Afghanistan reiste und so vielleicht einen „Krieg“ auslöste

Nikolaus Harbusch hatte sich vorbereitet. Der preisgekrönte „Bild“-Reporter saß in der „BILD-Live-Sendung“, die während der Werbepausen des „Bild“-„Spiegel“-Sat.1-Filmes „Der Rücktritt“ lief. Die Moderatorin kündigte an, gleich die nachgesprochene Nachricht abzuspielen, die Christian Wulff auf der Mailbox von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann hinterlassen hatte. Und Harbusch faltete einen Zettel auseinander, den er mitgebracht hatte.

So ein Bundespräsident hätte ja nicht viele handfeste Aufgaben, sagte er sinngemäß, aber eine dann doch: Den Verteidigungsfall, den Kriegszustand, zu verkünden, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird. Vom Zettel las er die entsprechenden Passagen aus dem Grundgesetz vor.

Ja, den Kriegszustand ausrufen, das kann der Bundespräsident. Und Wulff habe das getan, suggerierte Harbusch, als er Diekmann auf die Mailbox sprach und sagte, man solle sich doch nach seiner Rückkehr nach Deutschland zusammensetzen — „und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen“.

Krieg! Er hat „Bild“ irgendwie den Krieg erklärt, was er als Bundespräsident, der ja sonst fast nichts kann, kann. So stellen es die preisgekrönten Redakteure der Zeitung noch heute dar.

Natürlich lässt sich der Wortlaut der Nachricht, den die „Bild“-Zeitung heute mit einem Mal vollständig veröffentlicht hat und von dem es inzwischen heißt, dass er gar nicht aggressiv-wütend, sondern im üblichen ruhigen Tonfall Wulffs vorgetragen wurde, auch ganz anders lesen. Nämlich so, dass Wulff das Gefühl hatte, dass „Bild“ ihm den Krieg erklärt hat.

Warum tat sie das überhaupt? Warum hörte sie scheinbar plötzlich damit auf, den Mann hochzuschreiben, und begann damit, ihn runterzuschreiben? Warum konfrontierte sie ihn mit unangenehmen Tatsachen anstatt sie, wie zuvor, schönzufärben?

Michael Götschenberg, der das MDR-Hörfunkstudio im ARD-Hauptstadtstudio leitet, hat darauf eine verblüffende Antwort. Für ihn markiert eine Afghanistan-Reise des Bundespräsidenten im Oktober 2011 den endgültigen Bruch der „Bild“-Zeitung mit Christian Wulff, die Änderung der Geschäftsbeziehung.

Eigentlich hätte Wulff schon im September 2011 nach Afghanistan reisen sollen. Begleiten sollten ihn nur fünf Journalisten: je ein Radio- und Fernsehreporter der ARD sowie drei Vertreter von Nachrichtenagenturen. Eine Auswahl unter Zeitungsjournalisten wollte das Bundespräsidialamt nicht treffen, um sich nicht den Zorn der nicht Erwählten zuzuziehen.

Aufgrund der angespannten Sicherheitslage wurde dieser Besuch jedoch im letzten Moment abgesagt. Solche Reisepläne werden üblicherweise bis zur Ankunft vor Ort streng geheim gehalten, und das Bundespräsidialamt versuchte auch zu verhindern, dass die kurzfristige Absage an die Öffentlichkeit kommt, weil Wulff die Reise schon bald nachholen sollte.

Als die „Bild“-Zeitung von der Absage erfuhr, bat das Präsidialamt, nicht darüber zu berichten. Präsidentensprecher Olaf Glaeseker bot dem Blatt einen Handel an: Als Gegenleistung für das Schweigen dürfe „Bild“ mitfahren, wenn Wulff die Reise nach Afghanistan nachhole.

Anstelle von „Bild“ machte aber dann der „Spiegel“ die abgesagte Reise öffentlich. Man kann sich vorstellen, dass die „Bild“ nicht glücklich war, die eigene Exklusivmeldung der Konkurrenz überlassen zu haben, aber immerhin gab es ja dafür das Versprechen, beim nächsten Anlauf mitzukommen.

Das Problem war — laut Götschenberg — nur, dass Gläseker sein Versprechen nicht mit den zuständigen Stellen im Bundespräsidialamt abgesprochen hatte, und als der nächste Reisetermin anstand, war er im Urlaub.

Als die Präsidentenmaschine in Kabul ohne einen „Bild“-Reporter landet, findet bei „Bild“ gerade eine Redaktionskonferenz statt. Als „Bild“-Chef Kai Diekmann sich erkundigt, wer mit in Afghanistan sei, bekommt er die Antwort: Von „Bild“ niemand. Diekmann, so berichtet ein Teilnehmer der Sitzung, habe daraufhin nur geschwiegen: „Nichts sagt so viel, wie wenn Diekmann schweigt.“

Diese Entscheidung, so sieht man es später im Bellevue, habe für „Bild“ das Fass zum Überlaufen gebracht. Nach einer langen Phase der Entfremdung zwischen dem ehemaligen „Bild“-Liebling Wulff und der „Bild“-Zeitung, die ihren Anfang nimmt, als Wulff Bundespräsident wird, sei mit der Afghanistanreise endgültig der Ofen aus gewesen, erklärt man sich im Bellevue den weiteren Lauf der Dinge.

So schildert es Götschenberg in seinem Buch „Der böse Wulff?“.

Ich weiß nicht, ob es so war. Aber es entspräche der Art, wie Kai Diekmann entscheidet, wer in seinem Blatt gut wegkommt und wer schlecht. Wichtig sind dabei allem Anschein nach weniger inhaltliche Positionen als ein schlichtes Freund/Feind-Denken. Wer mit „Bild“ kooperativ zusammenarbeitet und ihr gibt, was sie braucht, hat beste Chancen, von ihr gut behandelt zu werden, solange sich das für sie lohnt.

Die scheinbar so läppische vergeigte Sache mit der Afghanistan-Reise, der nicht eingehaltene Deal, das könnte aus „Bild“-Sicht wie das letzte, unmissverständliche Signal wirken, dass kein Verlass mehr darauf ist, dass Christian Wulff ihr gibt, was sie braucht. Und wenn er kein Freund mehr ist, ist er ein Feind. Und der berühmte Fahrstuhl-Schalter wird umgelegt.

Natürlich ist die Afghanistan-Geschichte, wenn sie stimmt, nur ein letzter Anlass, der Schlusspunkt einer Entwicklung, bei der das übliche Prinzip des Gebens und Nebens zwischen Wulff und der Zeitung aus Sicht von „Bild“ ohnehin immer schlechter funktioniert hatte. Götschenberg schreibt:

In den Wochen vor der Wahl zum Bundespräsidenten wahrt „Bild“ wohlwollende Neutralität, obwohl der Mainstream ganz klar zugunsten von Gauck verläuft. Man kann davon ausgehen, dass „Bild“ sich dafür eine Gegenleistung erwartet, vor allem in Gestalt von Exklusivgeschichten aus dem Bellevue. (…)

Doch je länger Wulff Bundespräsident ist, desto mehr reift in „Bild“ die Erkenntnis, dass der ehemalige Liebling die „Geschäftsbeziehung“ aus Hannover aufgekündigt hat. „Bild“ wartet vergeblich auf Exklusivgeschichten aus dem Schloss, selbst ein Interview bekommt die Zeitung nicht. (…) Wulff „liefert“ nicht: Letztlich ist er der Ansicht, dass Bundespräsident und „Bild“ nicht zusammenpassen. Umso intensiver beginnt man bei „Bild“ an einer Geschichte zu recherchieren, für die sich auch schon andere interessieren (…)

… die Geschichte des Hauskaufs in Großburgwedel.

Der „endgültige Bruch“ mit Springer, mit dem Wulff Diekmann auf dem Anrufbeantworter droht, er ist von der anderen Seite ohnehin längst vollzogen worden. In den Worten Götschenbergs:

Nachdem Wulff das Verhältnis zu „Bild“ still und leise aufgekündigt hat, tut „Bild“ das nun auch — nur nicht still und leise.

Kai Diekmann hatte in einem Kommentar geschrieben:

Wer den Fall und die Probleme des Bundespräsidenten jetzt zu einem Machtkampf zwischen dem ersten Mann im Staat und der größten Zeitung im Land aufpumpt, der geht wahrhaft völlig in die Irre.

Götschenberg urteilt:

Richtig ist zweifellos, dass die Krise um den Bundespräsidenten deutlich mehr ist als ein Machtkampf zwischen Diekmann und Wulff. Die Auseinandersetzung um die Mailbox-Nachricht macht allerdings sehr deutlich, dass sie das eben auch ist.

Wulff habe „Bild“ mit seiner Mailbox-Nachricht den „goldenen Dolch“ überreicht.

Götschenbergs Buch „Der böse Wulff?“ ist bereits Anfang 2013 erschienen. Für alle, die sich nicht nur auf die „Bild“- und „Spiegel“-Version der Geschichte verlassen wollen, ist es eine sehr empfehlenswerte Lektüre, weil Götschenberg sich große Mühe gibt, Christian Wulff und seiner Amtszeit gerecht zu werden. Er beschreibt nicht nur seine — zweifellos katastrophalen — Fehler, sondern auch die üblen Reflexe der Medien.

Nachtrag, 8:30 Uhr. Kai Diekmann twittert dazu: „Schöne Szene — leider falsch! Blick in Kalender: Wulff landet Sonntagfrüh in Kabul — BILD-Chef schläft aus, geniesst sunday at home!“