ZDF räumt ein: Bei „Deutschlands Beste“ wurde gezielt manipuliert

Es ist alles noch viel schlimmer.

Es gab nicht nur irgendwelche methodischen Probleme bei den Prominenten-Sortier-Shows „Deutschlands Beste“, die das ZDF vorige Woche gezeigt hat, nicht nur ein Kommunikationschaos und Pannen. Es gab laut ZDF gezielte Manipulationen. Diejenigen Prominenten, die zu Gast in den Sendungen waren, wurden demnach künstlich auf bessere Positionen gesetzt, als es den Umfrageergebnissen entsprach.

Franz Beckenbauer wurde von der Redaktion nicht nur zur „Lichtgestalt des deutschen Fußballs“ verklärt, sondern von Platz 31 auf Platz 9 verschoben. ZDF-Nachrichtenmann Claus Kleber (in der Sendung) kletterte von Platz 39 auf Platz 28, dafür wurde der RTL-Nachrichtenmann Peter Kloeppel (nicht in der Sendung) entsprechend nach unten durchgereicht.

Ursula von der Leyen musste ihren eigentlich vierten Platz räumen für Hannelore Kraft, die zu Gast in der Sendung war und eigentlich Fünfte war. Michael „Bully“ Herbig kletterte von 42 auf 36. Die Gäste hätten von alldem nichts erfahren.

ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler sagte in einer Pressemitteilung:

„Die Veränderungen am Ergebnis der Forsa-Umfragen sind ein grober Verstoß gegen die Programmrichtlinien des ZDF. Das ist nicht zu rechtfertigen und schadet der Glaubwürdigkeit des ZDF. Daher werden auch arbeitsrechtliche Konsequenzen geprüft. Wir werden dem Fernsehrat außerdem spezifische Regeln für Voting-Shows vorlegen. Ein zentraler Bestandteil wird die Transparenz der Ergebnisse und der Befragungsmethode sein. Ich entschuldige mich bei allen Zuschauerinnen und Zuschauern, bei allen, die an den Abstimmungen teilgenommen haben, wie auch bei den betroffenen Prominenten.“

Claus Kleber twittert:

Männer:

Name Forsa ZDF
Helmut Schmidt 1 1
Hans-Dietrich Genscher 2 2
Richard von Weizsäcker 3 3
Günther Jauch (Gast) 4 4
Joachim Gauck 5 5
Wolfgang Schäuble 6 11
Helmut Kohl 7 7
Papst Benedikt XVI 8 8
Michael Schumacher 9 10
Frank-Walter Steinmeier 10 6
Hape Kerkeling 11 12
Günter Grass 12 13
Mario Adorf 13 14
Sebastian Vettel 14 15
Jogi Löw 15 16
Uwe Seeler 16 17
Armin Müller-Stahl 17 18
Ulrich Wickert 18 19
Thomas Gottschalk 19 20
Peter Maffay 20 21
Dirk Nowitzki 21 22
Gerhard Schröder 22 23
Frank Elstner 23 24
Thomas Südhof 24 25
Hellmuth Karasek 25 26
Gregor Gysi 26 27
Peter Kloeppel 27 39
Jürgen Klopp 28 29
Sigmar Gabriel 29 30
Herbert Grönemeyer 30 31
Franz Beckenbauer (Gast) 31 9
Manuel Neuer 32 32
Sepp Maier 33 33
Götz George 34 34
Christoph Waltz 35 35
Jan Hofer 36 42
Joschka Fischer 37 37
David Garrett 38 38
Claus Kleber (Gast) 39 28
James Last 40 40
Oliver Welke 41 41
Michael „Bully“ Herbig (Gast) 42 36
Reinhard Mey 43 43
Jan Josef Liefers 44 44
Peer Steinbrück 45 45
Philipp Lahm 46 46
Roland Emmerich 47 47
Siegfried Lenz 48 48
Hubert Burda 49 49
Horst Seehofer 50 50

Frauen:

Name Forsa ZDF
Angela Merkel 1 1
Steffi Graf 2 2
Magdalena Neuner 3 3
Ursula von der Leyen 4 6
Hannelore Kraft (Gast) 5 4
Silvia Neid 6 7
Barbara Schöneberger 7 8
Senta Berger 8 9
Hildegard Hamm-Brücher 9 10
Helene Fischer 10 5
Rita Süssmuth 11 11
Iris Berben 12 12
Nena 13 13
Margot Käßmann 14 14
Maria Höfl-Riesch 15 15
Rosi Mittermaier (Gast) 16 16
Marietta Slomka 17 17
Anke Engelke 18 18
Nadine Angerer 19 19
Friede Springer 20 20
Maria Furtwängler 21 21
Anne Will 22 22
Christiane Nüsslein-Volhard 23 23
Anne-Sophie Mutter 24 24
Katarina Witt (Gast) 25 25
Andrea Henkel 26 26
Elke Heidenreich 27 27
Birgit Prinz 28 28
Andrea Berg 29 29
Ruth-Maria Kubitschek (Gast) 30 30
Dagmar Berghoff 31 31
Maybrit Illner 32 32
Ina Müller 33 33
Hannelore Elsner 34 34
Renate Künast 35 35
Claudia Roth 36 36
Sandra Maischberger 37 37
Caren Miosga 38 38
Cornelia Funke 39 39
Kati Wilhelm 40 40
Uschi Glas 41 41
Anni Friesinger-Postma 42 42
Heide Simonis 43 43
Annette Frier 44 44
Katrin Müller-Hohenstein 45 45
Sahra Wagenknecht 46 46
Claudia Pechstein 47 47
Martina Hill 48 48
Franziska van Almsick 49 49
Jutta Speidel 50 50

Was für das ZDF die Nachricht des Tages war


Matthias (links), Norbert (rechts).

Für die Leute vom ZDF gibt es nichts wichtigeres als die Quote. Und so war es für sie vermutlich selbstverständlich, die „heute“-Sendung um 19 Uhr am Mittwoch mit dieser Nachricht zu beginnen:

Matthias Fornoff: Guten Abend liebe Zuschauer, herzlich Willkommen. Am Tag nach dem Wunder von Belo Horizonte spielt König Fußball natürlich auch bei uns eine wichtige Rolle, Norbert.

Norbert König: Ja.

Fornoff: Und — es war ja auch ein Quotenrekord.

König: Ja. Also, nie in der Geschichte des deutschen Fernsehens, muss man einfach mal so sagen, haben mehr Menschen vor dem Bildschirm gesessen und dieselbe Sendung gesehen als gestern Abend. 32,57 Millionen haben Gänsehaut bekommen. Und wir auch, beim 7:1-Spektakel gegen Brasilien.

Muss man einfach mal so sagen. Wofür sonst hat man schließlich eine Nachrichtensendung, wenn man andere nicht gleich am Anfang, noch vor jeder anderen Meldung, an den eigenen Erektionen Erfolgen teilhaben lassen kann.

[via @tagesschauder]

Nachrichten-Wahnsinn pur: Das „heute-journal“, der Nahostkrieg und das WM-Drama

Es zwingt niemand das ZDF, sein „heute-journal“ in die Halbzeitpause eines WM-Spiels zu quetschen. Es könnte es vorher schon ausstrahlen, um 21 Uhr zum Beispiel. Es könnte es auch einfach ausfallen lassen. Aber das ZDF will das „heute-journal“ an solchen Tagen nicht ausfallen lassen oder vorher in der üblichen Länge zeigen. Es will es in die Halbzeitpause quetschen, um auf diese Weise den Zuschauerschnitt der Sendung in die Höhe zu treiben.

Man kann, wenn man sich Quoten dieser Mini-Ausgaben des „heute-journals“ ansieht, eindrucksvolle Durchschnittswerte bilden, und das ZDF macht das auch und sagt dann: „Der Erfolg gibt uns Recht.“ Die Weltmeisterschaft biete die Möglichkeit, „das ‚heute-journal‘ besonders ins Schaufenster zu stellen, wovon die Sendung profitiert, sobald sie nach der WM zur Regelsendezeit zurückkehrt“, sagt das ZDF.

Fast fünf Stunden hat das ZDF gestern Abend von der Fußball-WM berichtet. Knapp elf Minuten dauerte das Halbzeit-„heute-journal“. Das war zu lang, um nicht über die Fußball-WM zu berichten.

Die Sendung begann mit einem kurzen Bericht über die neue Eskalation im Nahen Osten, die Raketen-Angriffe auf Israel, die Offensive im Gazastreifen. Das ZDF schaltete zu seinem Korrespondenten Christian Sievers nach Tel Aviv. Er wirkte etwas mitgenommen und sagte: „Das ist Nahost-Wahnsinn pur.“

„Das ist Schockstarre pur“, sagte Andreas Wunn eine Minute später. Wunn ist der Südamerika-Korrespondent des ZDF. Er hat das Fußball-Spiel im Stadion in Belo Horizonte verfolgt und war herausgekommen, um den „heute-journal“-Zuschauern zu berichten, wie die Stimmung dort bei dem Fußballspiel war, das sie gerade gesehen hatten. Außerdem sollte er ein bisschen in die Zukunft schauen.

Und so füllte das ZDF ein Viertel seiner elf Minuten Alibi-Nachrichtenzeit mit diesem Korrespondentengespräch, das sich unmittelbar an die Schalte zu Christian Sievers anschloss:

Christian Sievers: … das heißt, es wird eine dramatische Nacht werden, nicht nur hier in Israel, sondern auch für die Menschen in Gaza, wo es kein Frühwarnsystem gibt und keine Bunker.

Claus Kleber: Dankeschön, Christian Sievers. Und wir haben inzwischen unseren Südamerika-Korrespondenten, der ständig dort ist, Andreas Wunn, an einem Schaltpunkt vor dem Stadion in Belo Horizonte, er ist aus dem Stadion herausgekommen. Andreas, so hatte niemand den Verlauf der ersten Halbzeit erwartet. Wie reagiert darauf Brasilien jetzt im Stadion, was haben Sie da erlebt, und was wird daraus werden in der Nacht von Brasilien nach dem Spiel, wenn es so weitergeht, noch ist es nicht vorbei.

Andreas Wunn: Also, ich komme in der Tat aus dem Stadion hier hinter mir. Das ist der schiere Schock. Die Brasilianer haben das überhaupt nicht erwartet. Die Stimmung war gut in den ersten Minuten, Sprechchöre, 64.000 Brasilianer, das ganze Stadion in Gelb. Und dann ein deutsches Tor nach dem anderen. Das ist Schockstarre pur, das kann man überhaupt nicht beschreiben. Die Sprechchöre haben dann in den Minuten nach der 30. Minute nach dem 5:0 völlig aufgehört. Und jetzt sieht man hinter mir: Es gibt schon viele Brasilianer, die hier das Stadion verlassen.5:0, das ist eine Schmach für die Brasilianer, das hat man sich so nicht vorgestellt. Man ist hier in das Halbfinale gegangen, um zu gewinnen, um ins Finale zu kommen und Weltmeister zu werden. Und wir hören auch von der Copacabana in Rio de Janeiro: Dort weinen die Menschen, dort strömen die Menschen aus dem Fanfest heraus, sie gehen zur U-Bahn und sie haben überhaupt keine Hoffnung mehr, dass Brasilien das noch rumreißt. Also, das ist Schockstarre pur hier in Brasilien.

Kleber: Im Moment Schockstarre. Sie kennnen Brasilien, Sie kennen die Brasilianer, haben auch vor der WM viel über die Stimmung im Land berichtet, die ja nicht ungeteilter Freude auf diese Weltmeisterschaft geschaut hat. Was wird sich da jetzt bahnbrechen? Können wir da überlegen, ohne da jetzt Teufel an die Wand zu malen?

Wunn: Das ist jetzt die große Frage. Das kann man jetzt noch nicht einschätzen. Der Schock ist so groß, dass sich der Schock, galaube ich, noch nicht in Wut ummünzt. Einen Sündenbock haben die Brasilianer auch schon, das ist die kolumbianische Mannschaft, das ist der kolumbianische Spieler, der Neymar aus dem Turneir gefoult hat. Und ich glaube, dass es, wenn es Aggressionen gibt, das erstmal dorthin kanalisieren werden. Ich sehe jetzt noch nciht, dass es hier zu Ausschreitungen heute abend kommt oder in den nächsten Tagen, aber natürlich ist das eine riesige Enttäuschung und nach all den Problemen bei dieser WM, nach all den Protesten, nach den Korruptionsfällen und nach den Problemen bei der Infrastruktur, ist jetzt — wir haben’s erst nach der ersten Halbzeit, aber ich glaube, viele Brasilianer denken, das ist schon so — ist die WM jetzt vorbei, und all das hat sich nicht gelohnt für die Brasilianer. Das ist, glaube ich, das vorherrschende Gefühl. Und wir müssen jetzt einfach in den nächsten Tagen sehen, was das dann auch auf der Straße bedeutet.

Es war aufgrund dieses „heute-journals“ nicht ganz leicht zu erkennen, wo sich das größere, das purere Drama in jenen Stunden abspielte, im Nahen Osten oder in Brasilien. Es reicht nicht, dass das ZDF die Nachrichten zur Quotenmaximierung in die Mitte eines Fußballspiels gequetscht hat; es muss einen wesentlichen Teil dann auch noch dem Fußball widmen und vors Stadion schalten.

Aber, hey, 84,5 Prozent Marktanteil, 31,8 Millionen Zuschauer, die angeblich zweitmeistgesehene Fernsehsendung in Deutschland aller Zeiten, „der Erfolg gibt uns Recht“, würde das ZDF sagen. Womöglich ließe sich das noch steigern, wenn es eine 30-Sekunden-„Schaufenster“-Version der Sendung produzierte und die in eine der kurzen Spielunterbrechnungen legte, mit Schalte zu einem Moderator im Stadion dann, der sagt, wie die Stimmung vor Ort ist und welche Konsequenzen das mögliche Ergebnis möglicherweise für das Land haben könnte.

Die Quote ist das einzige Kriterium, das das ZDF bei diesen Entscheidungen antreibt. Das kann man auch daran erkennen, dass das ZDF sein „heute-journal“ in den vergangenen Wochen auch an den Tagen verkürzte, an denen es keinen Fußball zeigte. Wenn in der ARD um 22 Uhr ein Spiel begann, endete dann auch vorzeitig das 21:45-Uhr-„heute-journal“. Weil die Quote nach Spielbeginn gesunken wäre und das schlecht für die Durchschnittsquote gewesen wäre und das wiederum schlecht für irgendwelche Jubel-Pressemitteilungen über den schönen Zuschauerzuspruch zum vermeintlichen Nachrichtenflaggschiff des ZDF (gerade auch im Gegensatz zu den „Tagesthemen“, die das nicht so gehandhabt haben). Im Zweifel opfert das ZDF seine Nachrichten gerne nicht nur dem Fußball, sondern vor allem der Quote.

Die Schein-Abstimmungen des ZDF für „Deutschlands Beste“

Fast vier Seiten hatte die Programmzeitschrift „Hörzu“ Anfang Mai freigeräumt, um für die von ihr „präsentierte“ neue ZDF-Ranking-Show „Deutschlands Beste“ zu werben. Sie traf den Moderator und „sympathischen Hamburger“ Johannes B. Kerner zum Interview. Vor allem aber listete sie vollständig die je 100 Frauen und Männer auf, die zur Wahl als „beste“ lebende Deutsche standen, und versprach:

„Wer gewinnt, bestimmen Sie, liebe Leserinnen und Leser.“

Bis zu zehn Kandidaten, die sie am meisten beeindruckten, konnten die Leser angeben, pro Geschlecht maximal fünf. Die Favoriten sollten sie auf eine frankierte Postkarte schreiben und an die „Hörzu“ schicken: „Entscheiden Sie mit, wer ganz vorn dabei ist!“


Einsendeschluss war der 23. Mai 2014.

Es hätte aber keinen Unterschied gemacht, wenn die „Hörzu“-Leser ihre Postkarten erst eine Woche später abgeschickt oder statt in den Briefkasten in den Mülleimer geworfen hätten. Ihre Stimmen hatten keinerlei Einfluss auf das Ergebnis. Zu dem Zeitpunkt, als die „Hörzu“ zur Wahl aufrief, standen die Top 50 längst fest. Das Umfrageinstitut Forsa hatte sie zwischen 24. und 28. April in einer Umfrage für das ZDF ermittelt.

Aber man musste kein „Hörzu“-Leser sein, um mit seiner Stimme das Ergebnis der Wahl nicht zu beeinflussen. Das ZDF selbst rief auch zu einer großen „Online-Abstimmung“ auf und gab in einer Pressemitteilung bekannt:

Bis Sonntag, 1. Juni, können die Zuschauer unter http://www.deutschlandsbeste.zdf.de für ihre Favoriten abstimmen.

Auch diese Ergebnisse hatten keinerlei Einfluss auf das Ranking. Im Nachhinein stellt der Sender das Online-Voting nun auch nicht mehr als Abstimmung dar, sondern als „sendungsbegleitendes Angebot mit Gewinnspiel, in das auch die Stimmen der Hörzu-Leser Eingang fanden“, wie ein Sprecher auf Anfrage erläuterte. Und weiter:

„Da es sich nicht mit dem Ergebnis der Forsa-Erhebungen zu einem gemeinsamen repräsentativen Ergebnis vereinen ließ, wurde es nicht für das Ranking verwendet.“

In den Fernsehshows selbst hatte Johannes B. Kerner noch behauptet, die Reihenfolge sei von Forsa und „im Internet“ ermittelt worden. (Allerdings mit dem schönen Zusatz: „Insofern kann man das schon ’n bisschen ernst nehmen.“)


Foto: ZDF

Auf Twitter behauptete das ZDF noch während der Ausstrahlung, dass „die Netzgemeinde“ abgestimmt hätte: „Die Abstimmung wurde sehr lange auf Twitter, FB [Facebook] und Co beworben.“ Auf Nachfrage erhielten Twitterer immer wieder die Antwort, Grundlage des Rankings sei eine Online-Abstimmung gewesen.

Was für eine sympathische Aktion: Ein öffentlich-rechtlicher Sender generiert Aufmerksamkeit für seine Prominenten-Sortier-Show, indem er seinen Zuschauern und den Lesern einer großen Programmzeitschrift fälschlicherweise vorgaukelt, sie könnten die Reihenfolge mitbestimmen.

Interessant ist auch, wie die Liste der je 100 Namen, aus denen die Top-50-Rankings gewählt wurde, zustande kam. Das ZDF stellt es so dar: In einem ersten Durchgang seien Anfang April 1016 Menschen von Forsa Omninet per Online-Umfrage befragt worden. Sie durften offen jeden Namen nennen. Mit den 100 meistgenannten Namen wurde dann die zweite Forsa-Umfrage (mit 2000 Befragten) durchgeführt, um zu einer Reihenfolge der 50 „Besten“ zu kommen.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie bei diesem Verfahren Namen wie Christiane Nüsslein-Volhard (Nobelpreisträgerin für Medizin 1995) oder Thomas Südhof (Nobelpreisträger für Medizin 2013) auf die Liste gekommen sein sollen. Sie sollen so bekannt sein, dass sie unter den 100 meistgenannten Namen — wohlgemerkt: ohne dass es eine Vorgabe gegeben hätte — landeten? Christiane Nüsslein-Volhard?

Viel wahrscheinlicher finde ich es, dass die Redaktion des ZDF oder der Produktionsfirma Riverside diese Namen mit auf die Liste der angeblichen Top-100 gesetzt hat, damit auch Wissenschaftler die Reihe der Sportler, Politiker und Unterhaltungskünstler bereichern.

Bei einem Sender, der die Zuschauer zur Teilnahme an einer Wahl aufruft, deren Ergebnis längst feststeht, würde mich das auch nicht mehr wundern.

  • Ebenfalls zum Thema:
    Boris Rosenkranz empört sich im „Zapp“-Blog, wie das ZDF seine Zuschauer „verarscht“ hat, und berichtet, dass die „Hörzu“ immer noch davon ausgehe, dass ihre Leser irgendetwas mitbestimmen konnten.

 

Nachtrag, 8. Juli, 16:05 Uhr. Es ist alles noch schlimmer bzw. ganz anders schlimm. Das ZDF erklärt:

„Deutschlands Beste!“ hatte sich in zwei Sendungen vorgenommen, die beliebtesten deutschen Frauen und Männer zu ermitteln. Dazu gab es drei Umfragen, um die Besten-Liste zu erstellen: eine repräsentative Forsa-Befragung, ein Online-Voting sowie einen „Hörzu“-Leseraufruf.

Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass das Online-Voting durch Fan-Gruppen stark beeinflusst worden war. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Redaktion dazu entschieden, sich auf die repräsentative Forsa-Umfrage zu stützen. Wie sich heute bei einer internen Nachprüfung herausstellte, wurden dennoch Ergebnisse des Zuschauer-Votings mit den Ergebnissen der Forsa-Umfrage vermischt.

ZDF-Showchef Oliver Fuchs: „Dieses Vorgehen war methodisch unsauber und somit falsch. Dafür entschuldige ich mich bei unseren Zuschauern, den Teilnehmern der Sendung und bei allen, die abgestimmt haben. Künftig wird das ZDF bei ‚Deutschlands Beste!‘ auf Internet-Votings verzichten und ausschließlich auf repräsentative Umfragen setzen.“

 

Nachtrag, 17:15 Uhr. Nun gibt es auch eine offizielle Stellungnahme der „Hörzu“. Gunther Fessen, Unternehmenssprecher der Mediengruppe Funke:

Die aktuellen Entwicklungen um die Sendung „Deutschlands Beste“ haben uns überrascht: Das „Hörzu“-Team hat selbst erst aus den Medien erfahren, dass die Stimmen ihrer Leser nicht in das endgültige Voting-Ergebnisse eingeflossen sind. Dies hat das ZDF uns gegenüber mittlerweile auch bestätigt. Wir empfinden dieses Vorgehen als höchst befremdlich. Aktuell stimmen wir intern das weitere Vorgehen ab und prüfen eventuelle rechtliche Schritte.

Was Google News von Rudi Völler unterscheidet

Die Verlage der Leistungsschutzrecht-Allianz behaupten, Google habe ihnen mit Auslistung aus der Suchmaschine gedroht. In Wahrheit tauchen selbst die Angebote, die die Einverständniserklärung für die kostenlose Nutzung bei „Google News“ nicht abgegeben haben, noch in der Nachrichtensuche des Konzerns auf.

Die „Rhein-Zeitung“ zum Beispiel hat sich im vergangenen Jahr entschieden, „Google News“ die kostenlose Auswertung ihrer Inhalte nicht zu gestatten. Trotzdem werden bei der News-Suche Artikel aus der „Rhein-Zeitung“ angezeigt:

Das liegt daran, dass Google zwischen der Nachrichtensuche und dem Nachrichtenaggregator „Google News“ unterscheidet.

Der Aggregator stellt aus verschiedenen Quellen und zu selbst wählbaren Themen einen Nachrichtenüberblick zusammen. Die Textanrisse („Snippets“) sind länger als in der normalen Google-Suche, und es handelt sich immer um die Anfänge der Artikel, nicht die Stelle, an der ein bestimmter Suchbegriff vorkommt.

In dieser Darstellung kommen Artikel der „Rhein-Zeitung“ nach Angaben von Google keinesfalls mehr vor.

Sobald der Nutzer aber oben in das Fenster einen Suchbegriff eingibt, verlässt er für Google die Logik eines Aggregators und wechselt in die Such-Logik. Über den angezeigten Ergebnissen steht zwar immer noch „News“, aber die Snippets sind kürzer und zeigen einen Artikelausschnitt rund um den gesuchten Begriff. Google ist der Meinung, für diese Anzeige keine besondere Einwilligung der Verlage zu benötigen, weil die Ausrisse kurz genug seien, um nicht unter das neue Presse-Leistungsschutzrecht zu fallen.

Die Einverständniserklärung, die Google im vergangenen Sommer von den Verlagen verlangte, um ihre Inhalte weiter (unentgeltlich) bei „Google News“ anzuzeigen, bezieht das Unternehmen ausschließlich auf den Nachrichtenaggregator, nicht auf die Suche.

Das ging aus dem damaligen Schreiben von „Google News“ keineswegs hervor, und die Unterscheidung ist auch für den Nutzer nicht offensichtlich. Die „Rhein-Zeitung“ klagt entsprechend auch darüber, dass das Verhalten von Google intransparent und unberechenbar sei: „Nach unserem Eindruck ändert Google News immer mal wieder seine Art und Weise, wie es unsere Nachrichten mal bereitstellt und mal nicht — und das ohne unser Zutun“, sagt Chefredakteur Christian Lindner. „Derzeit sind bei Google News wieder mehr unserer Nachrichten als früher zu finden — ohne dass wir etwas geändert oder dem zugestimmt haben.“

So undurchsichtig das Verhalten von Google ist: Es deutet nichts darauf hin, dass der Vorwurf stimmt, dass Angebote, die die Nutzung ihrer Inhalte bei „Google News“ abgelehnt haben, in irgendeiner Weise von Auslistung bei der Google-Suche bedroht wären. Im Gegenteil: Sie tauchen selbst in den aufmerksamkeitsstarken (und mutmaßlich viel geklickten) News-Kästen in der normalen Google-Suche auf:

Die „RTL 2 News“ zeigen die Schattenseiten der WM

Freitagabend. Um 19:54 Uhr endet das WM-Viertelfinalspiel Frankreich gegen Deutschland. Sechs Minuten später verkünden die „RTL 2 News“ den Zuschauern das traurige Ergebnis.

[via Mumu]

Nachtrag, 6. Juli. Ein Sendersprecher erklärt:

„Aufgrund technischer Probleme wenige Sekunden vor Sendungsbeginn konnten wir die RTL II News am Freitagabend nicht wie geplant live aus Berlin starten. Beim kurzfristigen Umschalten auf das Kölner Studio wurde bedauerlicherweise eine falsche Nachricht in den Sendungsablauf geladen und anmoderiert. Diese wurde in der Moderation sofort korrigiert. Wir prüfen weiter, wie es dazu kam, entschuldigen uns aber in aller Form bei unseren Zuschauern.“

Amnesie vom Besten

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Kerner plaudert sich mit seinen Top-Deutschen ins Nichts.

Im ZDF liefen in dieser Woche zwei große Shows, insgesamt 200 Minuten lang, in denen „Deutschlands Beste“ durchgezählt wurden. Ich habe beide gesehen und kann mich an nichts erinnern.

Angeblich saß in der einen Maria Höfl-Riesch auf dem Sofa, ich möchte aber schwören, dass sie in den eineinhalb Stunden nichts gesagt hat, außer einmal kurz, das habe ich aber sofort wieder vergessen. Ich weiß noch, dass ein kleiner Film über Anni Friesinger abrupt abriss, als die Kamera gerade auf ihren Ausschnitt schwenkte, das gab ein kleines Hoho. Am Ende bekamen die Frauen Blumen. Moderator Johannes B. Kerner entschuldigte sich bei Marietta Slomka fürs Überziehen. Und dann war es nicht nur vorbei. Es war, als wäre es nie gewesen.

Das ZDF hat es geschafft, zwei komplett rückstandslose Shows produzieren. Das muss ihm erstmal einer nachmachen.

Zum Glück habe ich mir während des Anschauens Notizen gemacht, so dass ich Teile des Nicht-Geschehens rekonstruieren konnte. Auf der obskuren Grundlage einer Forsa-Umfrage, einem Aufruf der „Hörzu“ und einem Online-Voting (Kerner: „insofern kann man das schon ’n bisschen ernst nehmen“) wurden je einhundert vom ZDF ausgesuchte lebende deutsche Frauen und Männer in eine Reihenfolge gebracht und mit kurzen Schnipselcollagen gewürdigt. Die erste Sendung befasste sich mit Männern, weil man fand, wie Kerner erklärte: „Das schwache Geschlecht möge beginnen.“ Er freute sich über diesen Witz, und das Saal-Publikum lachte.

Kerner versprach „ganz tolle Gäste, die wir eingeladen haben; ganz wertvolle Filme, die wir produziert haben“, und tatsächlich gab es Gäste und Filme. Die Gäste waren fast alle selbst auf der Liste, was immer einen Sonder-Applaus gab, und freuten sich über ihre Platzierung und die Ranking-Nachbarn vor und hinter ihnen. Kerner siezte sie mit Vornamen und stellte ihnen Kerner-Fragen, etwa diese an Claus Kleber: „Klaus, wir haben Joschka Fischer geshen, auf Platz 37 ein Politiker, der sich jetzt aus der Öffentlickeit weitgehend zurückgezogen hat, vielleicht Vorträge hält und hier und da gefragt wird und auch mal was Kluges schreibt, sind die Politiker in Wirklichkeit doch ’n bisschen näher an den Leuten als man so denkt? Weil wir so alle schimpfen auf die Politiker – sind sie wertvoller, als wir glauben?“ Günther Jauch fragte er: „Günther, aus Ihrer Erfahrung jetzt mit der Talkshow am Sonntag: Politiker – besser als ihr Ruf?“ (Jauch reagierte mit einem angestrengten Dreifachschnaufer, was ich auf die Frage bezogen hätte, alle anderen aber auf die Politiker, weshalb Kerner lachend rief: „Reicht schon!“, und das Publikum applaudierte.)

Die Kurzvorstellungen der 50 besten Besten waren so geschnitten, dass man all den Unsinn, der darin gesagt wurde, kaum registrieren konnte. Reinhard Mey wurde als „der Ikarus der deutschen Musik“ vorgestellt, Gregor Gysi als „das personifizierte soziale Gewissen“, und Horst Seehofer als der Name des Selbstbewusstseins. Caren Miosga sei „das charmante Aushängeschild in der toughen ARD-Nachrichtenwelt“, und zu Sandra Maischberger fiel den Textern der Satz ein: „So schön kann Journalismus sein.“

Ob die Video-Schnipsel inhaltlich passten, war ohne Belang, solange sie nur gut zu dem Gesagten aussahen. „Das Engagement für Gleichberechtigung und den Schutz von Minderheiten, das ist Claudia Roths großer Wurf“, sagte der Sprecher, während die Grünen-Politikern mit einem Ball einen Stapel Dosen abräumt – auf denen das Atomkraft-Logo prangt. Zur Illustration, dass Gerhard Schröder wegen des Kosovo-Einsatzes 1998 als Kriegs-Kanzler beschimpft wurde, lief sein Satz: „Die Logik des Krieges hat sich gegen die Chancen des Friedens durchgesetzt“, der allerdings von 2003 ist und sich auf den Irak-Krieg bezieht, dem er sich ja gerade verweigerte. Aber um sich daran zu stören, müsste man sich erst einmal erinnern.

Es war Wohlfühlfernsehen mit den Pointen der fünfziger Jahre, zeitgemäß verpackt als modernes Nichts. „Wir verplaudern uns, das ist schön“, rief Kerner an einer Stelle aus. Er ist beim ZDF wieder zuhause angekommen.

Lügen fürs Leistungsschutzrecht (7)

Die Verwertungsgesellschaft VG Media hat heute Mittag Bundestagsabgeordnete eingeladen, um sie über das neue Leistungsschutzrecht und die Auseinandersetzung mit Google zu informieren. Wobei es das Wort „informieren“ vielleicht nicht ganz trifft. Die Desinformation beginnt schon auf der Einladung. Dort heißt es:

Kurz vor Inkrafttreten des Leistungsschutzrechts der Presseverleger am 1. August 2013 hat Google alle Verlage dazu aufgefordert, auf die Durchsetzung ihres neuen Rechts zu verzichten und schriftlich zu erklären, keine Vergütungsansprüche geltend zu machen. Andernfalls werde Google die digitalen Angebote der Presseverleger „auslisten“ und bei ihrer Suche nicht mehr anzeigen. Google ist marktbeherrschend auf dem Markt für das Angebot und die Nachfrage von digitalen Suchdienstleistungen in Deutschland. Die VG Media hält die Androhung der Auslistung deshalb für marktmissbräuchlich.

Das stimmt nicht. Google hat den Verlegern nicht damit gedroht, ihre Angebote nicht mehr in seinen Suchergebnissen anzuzeigen. Google hat damals nur angekündigt, ohne eine entsprechende Einwilligung der Verleger deren Inhalte nicht mehr bei „Google News“ anzuzeigen.

Das ist ein gravierender Unterschied. „Google News“ ist für das Auffinden von Inhalten von ungleich kleinerer Bedeutung. Und es ist mehr als fraglich, ob Google auf dem Markt der Nachrichtenaggregatoren mit „Google News“ überhaupt marktbeherrschend ist.

Schon in den wenigen Sätzen der Einladung stellt die VG Media den aktuellen Konflikt falsch dar. Es spricht nichts dafür, dass sie die Bundestagsabgeordneten beim Lunch dann korrekt informieren wird.

Ich nehme nicht an, dass die Verwechslung von Google-Suche und „Google News“ ein Versehen ist. Die Darstellung, dass der Suchmaschinenkonzern im vergangenen Jahr die Verlage quasi dazu erpresst habe, ihr Einverständnis zur Anzeige von Ausschnitten ihrer Angebote zu geben, indem er drohte, dass sie sonst nicht mehr in der Google-Suche, ist zwar falsch, aber als Propaganda sehr überzeugend.

Die Falschdarstellung zieht sich durch die gesamte Kommunikation der deutschen Presseverlage, die gerade dafür kämpfen, dass Google und andere Suchmaschinenanbieter und Aggregatoren ihnen für die Anzeige von kurzen Textausschnitten Geld zahlt. Sie findet sich zum Beispiel auch in den Worten von Madsack-Geschäftsführer Thomas Düffert, mit denen der erklärte, warum sein Verlag und elf weitere kartellrechtlich gegen Google vorgehen:

„Madsack hat im vergangenen Jahr von Google eine schriftliche Aufforderung erhalten, auf die Durchsetzung unseres soeben durch den deutschen Gesetzgeber gewährten Presseleistungsschutzrechtes ganz zu verzichten und zu erklären, keine Vergütungsansprüche gegen Google geltend zu machen. Andernfalls würde Google, als deutschland- und weltweit größter Betreiber von Suchmaschinen, unsere digitalen verlegerischen Angebote auslisten. Für uns ist diese Drohung eindeutig ein Marktmissbrauch, denn bei einem Fast-Monopolisten wie Google ausgelistet zu werden und damit nicht mehr sichtbar zu sein, hat weitreichende Folgen.“

Nein. Die schriftliche Aufforderung, die Madsack (und alle anderen) im vergangenen Sommer von Google bekommen hat, bezog sich ausschließlich auf „Google News“. Man konnte das auch schlecht missverstehen. Der Absender war das „Google News Team“. Im Text war zehnmal von „Google News“ die Rede. Die entscheidende Stelle lautete:

Wir sind nach eingehender Prüfung davon überzeugt, dass unser Dienst GoogleNews mit dem Leistungsschutzrecht im Einklang steht. Dennoch möchten wir vor dem Hintergrund der Diskussion sichergehen, dass Sie weiterhin mit der Aufnahme der Inhalte Ihrer Website in Google News einverstanden sind. Wir führen deshalb am 21. Juni für unsere Verlagspartner eine neue Bestätigungserklärung ein. Diese gibt Verlagen und Webpublishern in Deutschland eine zusätzliche Möglichkeit, zu entscheiden, ob ihre Inhalte in Google News angezeigt werden sollen oder nicht. (…)

Wenn Sie bis zum 1. August keine Bestätigungserklärung bei uns hinterlegen, werden Ihre Inhalte ab diesem Datum nicht mehr in Google News angezeigt.

(Hervorhebung von mir.)

Auch zwei spätere Erinnerungsmails ließen keinen Zweifel daran, dass es bei dieser Einwilligungserklärung ausschließlich um „Google News“ ging.

Natürlich stellt auch Christoph Keese, Außenminister bei Axel Springer und der oberste Lobbyist für das Presse-Leistungsschutzrecht in Deutschland, das in einem aktuellen Beitrag zum Thema falsch dar.

Google ist — anders als die in der VG Media organisierten Verlage — der Meinung, dass seine normale Suche nicht vom Leistungsschutzrecht betroffen ist. Deshalb bezog es seine Bestätigungserklärung im vergangenen Sommer ausschließlich auf „Google News“, das längere Ausschnitte aus den Verlagsinhalten anzeigt und es, anders als die normale Google-Suche, ermöglicht, durch die Aggregation von Überschriften und Artikelanläufen einen eigenen kleinen Überblick über das Nachrichtengeschehen zu bekommen. „Die politische Debatte zum Leistungsschutzrecht drehte sich immer um Dienste mit klarem Bezug zu Nachrichten wie eben Google News“, sagt ein Unternehmenssprecher.

Ob diese Interpretation stimmt, darüber kann man streiten und darüber werden Gerichte entscheiden. Tatsache aber ist, dass sich die von Google geforderte Erklärung im Sommer 2013 und die damit verbundene „Androhung einer Auslistung“ ausschließlich auf „Google News“ bezog. Die Darstellung der Verlage ist falsch.

Die VG Media hat auf Fragen von mir dazu bisher nicht geantwortet.

Mit dem aktuellen Vorgehen gegen Google und andere Anbieter sowie der zweifelhaften Lobbyarbeit beim deutschen Bundestag versuchen mehrere Verlage, Geld von Suchmaschinenanbietern und Aggregatoren zu bekommen. Die Strategie im Fall von Google ist betörend paradox: Google soll gleichzeitig verboten und dazu gezwungen werden, Verlagsinhalte in seinen Suchergebnissen anzuzeigen. Das Leistungsschutzrecht, wie Keese und seine Gefolgsleute es interpretieren, untersagt die ungenehmigte Anzeige von kurzen Textausschnitten und Suchergebnissen. Weil Google aber so marktbeherrschend ist, dass jemand, der hier nicht gelistet ist, im Netz fast unsichtbar wird, dürfe es andererseits die Inhalte, die es mangels einer Genehmigung nicht anzeigen darf, nicht einfach nicht anzeigen, weil das einen Missbrauch seiner Macht darstelle. Der Ausweg aus diesem logischen Dilemma (und, so hoffen die Verleger anscheinend, aus ihren existenziellen Nöten): Google darf die Ausschnitte anzeigen, muss aber dafür zahlen.

Noch einmal zum Mitdenken und Staunen: Auf Druck der Verlage hat der Bundestag im vergangenen Jahr ein Leistungsschutzrecht beschlossen, das (unter anderem) Google eine bestimmte Verwendung der Verlagsinhalte ohne Genehmigung untersagt. Wenn Google dann entsprechend sagt: Gebt uns eine Genehmigung oder wird verwenden eure Verlagsinhalte nicht mehr so, ist das für die Verlage nicht die normale Konsequenz aus dem Gesetz, sondern ein erpresserischer Akt. Applaus!

(In der VG Media sind nicht alle großen deutschen Presseverlage organisiert. An der Leistungsschutzrechts-Allianz beteiligen sich zum Beispiel nicht „Spiegel Online“, FAZ.net, stern.de, sueddeutsche.de und Focus Online.)

Die scheinheilige Empörung über Schumachers gestohlene Krankenakte

Was wäre so schlimm daran, wenn jemand die medizinischen Informationen über Michael Schumacher veröffentlicht würde? Ich frage für Michael Konken, den Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes, der am Dienstag vorsorglich an die Medien appellierte, die gestohlenen Daten keinesfalls zu veröffentlichen, dem dafür aber kein guter Grund einfiel: Das sei „Sensationsjournalismus ohne Substanz und Relevanz“, formulierte er hilflos; der Inhalt der Akte habe „weder politische noch gesellschaftliche Bedeutung“.

Dass ein Inhalt weder politische noch gesellschaftliche Bedeutung hat, kann nicht im Ernst ein Grund sein, seine Veröffentlichung zu untersagen. Und genau genommen wäre es Sensationsjournalismus ohne Relevanz, aber mit Substanz: Er würde ja zur Abwechslung mal nicht auf Spekulationen und Hörensagen, sondern auf gesicherten Informationen eines behandelnden Arztes beruhen.

Im Original fuhr Konken noch fort: „Die Veröffentlichung wäre ein vollkommen inakzeptabler und äußerst schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Michael Schumacher.“ Ich kann nur erahnen, wie lange sie in der DJV-Pressestelle überlegt haben, ob sie ihn nicht vielleicht sogar „total super übervollkommen inakzeptabel“ sagen lassen sollen, damit niemand daran zweifelt, wie unglaublich inakzeptabel der Chef das findet, und niemand darauf kommt, ihn zu fragen, warum eigentlich.

Die Antwort liegt natürlich einerseits auf der Hand: Man muss schon moralisch sehr verkommen sein, solche Unterlagen zu stehlen, sie zum Verkauf anzubieten oder zu veröffentlichen. Aber daran gibt es doch gar keinen Zweifel. Dafür brauchen wir doch keine Pressemitteilung des DJV, um das zu sehen.

Interessant würde es doch, andererseits, dort, wo Konken erklären müsste, warum gerade diese potentielle Veröffentlichung so ein viel äußersterer schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Schumachers wäre als all die tatsächlichen Veröffentlichungen, die es in den vergangenen Monaten über seinen Gesundheitszustand gegeben hat.

All die Spekulationen und Gerüchte, all die Fantastereien und Behauptungen unter Bezug auf wissende Quellen. Wie die „Bunte“, die vor knapp zwei Wochen schrieb, was „aus Klinikkreisen zu erfahren“ sei und was sie „aus dem medizinischen Umfeld der Klinik in Grenoble“ erfahren habe: Dass zum Beispiel möglicherweise das Gehirn Schumachers stärkere Schäden davongetragen habe als bisher in der Öffentlichkeit bekannt. Oder dass „man“ in der Klinik nicht mehr an eine vollständige Genesung Schumachers glaube.

Keine Ahnung, ob die Illustrierte da einfach wild vor sich hinspekulierte oder über beste Drähte verfügte — womöglich zu jemandem, der Einblick in Schumachers Krankenakte hat? Und was von beidem wäre schlimmer, ekliger, eine größere Persönlichkeitsrechtsverletzung?

Das ist ein interessantes ethisches Labyrinth: Die Veröffentlichung der Krankenakte wäre gerade deshalb auch so empörend, weil ihr Inhalt wahr wäre. Im Gegensatz zu all dem unzuverlässigen Geraune, mit dem die Medien ihre Schumacher-Berichterstattung füllen. Und wenn sie doch, wie sie suggerieren, bestens informiert sind: Woher? Wer hat da aus dem Krankenhaus berichtet und für wieviel Geld?

Es wird ja vermutlich nicht reichen, einfach — wie anscheinend der „Focus“ — treuherzig in Richtung Krankenzimmer Schumachers zu spazieren und sich als „unerwünschter Besucher“ wieder herauswerfen zu lassen.

Die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ „wusste“ nach der Verlegung Schumachers von Grenoble nach Lausanne, was im Inneren des Krankentransporters vor sich ging: „Schumacher soll zwar nicht gesprochen haben. Aber er habe mit der Transportbesatzung per Kopf­nicken kommuniziert. Während der über 200 Kilometer langen Fahrt von Grenoble nach Lausanne habe er über weite Strecken die Augen geöffnet gehabt.“ Angeblich weiß „Blick“ auch, dass Schumacher viel Gewicht verloren hat.

Die „Bild“-Zeitung hatte da sogar konkrete Kilo-Angaben, sowohl was den Verlust angeht als auch den aktuellen Stand. Sie erzählte nicht nur von den Operationen, die an Schumachers Kopf durchgeführt wurden, sondern wusste auch, wann „Schumis Wille am stärksten“ war. Und sie berichtete ohne Quellenangabe, wie er atmet, ob er sprechen kann und dass er mit den Augen kommuniziere: „Sie reagieren auf Corinna deutlich stärker als auf andere Menschen“.

All das scheint den Chefsprecher der deutschen Journalisten nicht zu einem Appell herausgefordert zu haben. Vielleicht waren ihm die Türen da einfach nicht offen genug zum Einrennen.

Und man weiß ja auch gar nicht, woher „Bild“ und „Blick“ und „Bunte“ ihre Informationen hatten und ob sie überhaupt zutrafen. Nur dass sich die Medien sonst (wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, Gerüchte zu kolportieren) einig waren, dass zuverlässige Informationen ausschließlich von der Managerin Schumachers zu haben sind. Und dass diese Managerin dringend darum bat, die Privatsphäre Schumachers zu achten.

Die Aufregung um die gestohlenen medizinischen Unterlagen ist heuchlerisch. Für die Boulevardmedien ist der Fall ein Traum, weil sie so tun können, als würden sie anständig und verantwortungsvoll mit Michael Schumacher umgehen. Undenkbar, dass sie solche geheimen, gestohlenen Informationen kaufen und veröffentlichen würden – also, undenkbar in diesem einen Fall.

Aber ich bin gespannt, was passiert, wenn irgendein, sagen wir, ausländisches Medium die Akte doch noch veröffentlicht. Werden „Bild“ und „Bunte“ — und „Focus Online“ in seinem ewigen Schumacher-Live-Ticker — dann nicht berichten, was darin an Fakten stand?

Sondern stattdessen auf ihre anderen, dubiosen Quellen zurückgreifen, um gegen den Willen der Familie über Schumachers Gesundheitszustand zu spekulieren?

„Bild“ und Co. haben den Markt erst geschaffen, der Menschen glauben lässt, dass eine Kranken-Akte Schumachers viel Geld wert ist. Die einzige zulässige Berichterstattung über seinen Gesundheitszustand jenseits der offiziellen Statements der Managerin wäre: keine.

„Mit ein paar kleinen Hotelangestellten sollte einer wie er leicht fertig werden“

Man findet tolle Sachen, wenn man sich ein bisschen im Archiv durch die Berichterstattung über Christian Wulff wühlt. Zum Beispiel einen großen Text aus dem „Stern“ vom 23. Februar 2012, also aus der Woche nach dem Rücktritt des Bundespräsidenten.

Hans-Martin Tillack, Johannes Röhrig und Bernd Gäbler schrieben unter der Überschrift „Der falsche Freund“ über den einen Mann, über den Wulff gestürzt sei: den Filmproduzenten David Groenewold.

Darin heißt es:

Schon 2004 koproduzierte er — mit 250 000 Euro an niedersächsischen Steuermitteln — den TVFilm „Tsunami“. Darin löst ein skrupelloser Geschäftemacher in der Nordsee Unterwassersprengungen aus und damit „eine gigantische Tsunami-Riesenwelle, die auf Sylt zurollt“.

Am Ende wird natürlich alles gut. Sylt steht heute noch. Mitsamt dem schönen „Hotel Stadt Hamburg“. Seit 14 Tagen ist bekannt, dass Wulff und seine Bettina im Herbst 2007 dort drei Tage lang zusammen mit Groenewold urlaubten. Die Rechnung des damaligen Ministerpräsidenten — 804 Euro — übernahm Groenewold.

Der Politiker will die Zeche in bar erstattet haben. Trotzdem drängte Groenewold Mitte Januar beim „Hotel Stadt Hamburg“ darauf, auf keinen Fall Informationen an Journalisten zu geben — angeblich, weil er den Sachverhalt erst selbst prüfen wollte.

Mit ein paar kleinen Hotelangestellten sollte einer wie er leicht fertig werden. Auch wenn Groenewold erst 38 Jahre alt ist, hat er jahrzehntelange Erfahrungen in besseren Kreisen. Sein Vater, der Berliner Steueranwalt Erich Groenewold, hatte Anfang der 80er Jahre den Kinoerfolg „Christiane F. — Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ mitfinanziert.

Nun ja, „bekannt“ war die Sache mit dem gemeinsamen Urlaub damals nicht seit zwei Wochen (als „Bild“ darüber berichtete), sondern seit vier Wochen (als der NDR darüber berichtete), aber das ist, zugegeben, läppisch.

Atemberaubend finde ich aber den Satz über Groenewold: „Mit ein paar kleinen Hotelangestellten sollte einer wie er leicht fertig werden.“ Die „Bild“-Zeitung hatte, wie gesagt, den Eindruck erweckt, Groenewold habe Dokumente beiseite geschafft, um den gemeinsamen Urlaub zu vertuschen. (Das Hotel bestritt dies.) Vor diesem Hintergrund liest sich der Satz für mich wie eine Andeutung, dass Groenewold unzulässigen Druck auf die „kleinen Hotelangestellen“ ausgeübt hat. Wie soll das zu verstehen sein, dass „einer wie er“ leicht mit ihnen „fertig wird“?

Ich habe das heute Vormittag Hans-Martin Tillack gefragt. Seine Antwort:

Der von Ihnen zitierte letzte Satz bedarf keiner Interpretation.

Ah. Nicht.

Ich habe Tillack weiter gefragt:

Sie schreiben in Ihrem Blog, dass in de[r] „Bild“-Zeitung vom 8.2.2012 „in der Tat zu Unrecht der Eindruck erweckt [wurde], Wulffs Freund David Groenewold habe versucht, bei einem Hotel in Sylt Originale von Rechnungen verschwinden zu lassen“. Hat der „Stern“ diesen falschen Eindruck Ihrer Meinung nach nicht erweckt?

Hat der „Stern“ diesen falschen Eindruck je korrigiert?

Seine Antworten:

Wir haben weder geschrieben noch den Eindruck erweckt, Herr Groenewold habe versucht, Originale verschwinden zu lassen. Wie man aus der von Ihnen zitierten Passage etwas anderes herauslesen können soll, erschließt sich mir nicht.

Da wir nie den falschen Eindruck erweckt haben, Herr Groenewold wolle Originale verschwinden lassen, mussten wir ihn auch nicht korrigieren. Auch Herr Groenewold oder seine Anwälte haben uns nie entsprechende Vorwürfe gemacht und sind nie gegen uns vorgegangen.