Was Stefan Aust albern findet

Wenn ich’s richtig gesehen habe, hat noch niemand etwas über die kleine Testwagen-Affäre von „Spiegel“-Chef Stefan Aust gebloggt, und das wäre doch schade, dafür ist sie zu entlarvend.

Also: Die „Automobilwoche“ berichtet, dass Aust von VW zwei Autos testweise zur Verfügung bestellt bekam. Nein, keinen Polo, keinen Passat — den neuen Audi R8, 420 PS, 300 km/h Spitze, 14,6 Liter auf 100 Kilometer, Grundpreis jenseits von 100.000 Euro.

Die „Automobilwoche“ schreibt wohl über merkwürdige Umstände, unter denen Aust die Autos angeblich zurückgegeben habe, aber spannend wird die Geschichte für mich erst, als die „Welt am Sonntag“ sie aufgreift und bei Aust nachfragt, ob solche Geschichten denn vereinbar seien mit seiner Funktion als Chefredakteur eines unabhängigen Nachrichtenmagazins.

Die „WamS“ veröffentlicht Austs schriftliche Antwort in voller Länge, weil er sie ausdrücklich darum „bat“. Ich habe sie gekürzt:

„Die Albernheit kennt offenbar keine Grenzen. Es ist in der Tat so, dass ich gelegentlich zu Testzwecken für ein paar Tage neue Automodelle verschiedener Hersteller zur Probe fahre (…). Es handelt sich dabei jeweils nicht um wochenlange Testfahrten, sondern um ein paar Tage. Normalerweise gebe ich die Autos mit vollem Tank zurück. Tatsächlich habe ich auch den neuen Audi R8 ausgetestet. (…) Generell gesehen halte ich es für richtig und notwendig, dass auch Chefredakteure sich mit Produkten der deutschen Industrie befassen. Zu meinem Privatgebrauch habe ich im Übrigen meine eigenen Wagen, die Testwagen in nichts nachstehen.“

Ja, da bleiben ein paar Fragen offen. Zum Beispiel:

Herr Aust, wie geht der „Spiegel“ mit „Bitten“ von Gesprächspartnern um, sich nicht ein markantes Zitat aus einem Gespräch auszusuchen, sondern eine schriftliche Stellungnahme ungekürzt abzudrucken? Lachen die Redakteure da einmal kurz und trocken? Und lachen sie immer noch, wenn der Gesprächspartner sagt: „Aber Ihr Chefredakteur macht das doch auch so!“?

Was passiert in den Ausnahmefällen, Herr Aust, wenn Ihre Zugehfrau es versäumt hat, den Wagen rechtzeitig wieder vollzutanken? Legen Sie dann einen Scheck ins Handschuhfach? Zusammen mit einer Notiz, etwa in der Art: „Vielen Dank, dass Sie mir Ihren Wagen im Wert von 100.000 Euro mehrere Tage kostenlos zur Verfügung gestellt haben, aber Sie werden verstehen, dass es mit meiner Unabhängigkeit als ‚Spiegel‘-Chef nicht vereinbar ist, mich auf mehrere Liter Sprit von einem unserer Werbekunden einladen zu lassen. Ich muss daher darauf bestehen, die enstandenen Benzinkosten zu begleichen“?

Inwiefern ist es „richtig“ und „notwendig“, dass sich „auch Chefredakteure“ mit Produkten der deutschen Industrie befassen? Wie würde es die redaktionelle Qualität des „Spiegels“ beeinträchtigen, wenn sein Chefredakteur nicht aus eigener Erfahrung wüsste, wie sich der neue Audi R8 fährt, er also etwa in der gleichen Situation wäre wie 99 Prozent der deutschen Bevölkerung und selbst der „Spiegel“-Leser?

Testen Sie, Herr Aust, auch andere „Produkte der deutschen Industrie“ außer Autos? Kühlschränke? Gabelstapler? Aschenbecher? Füllfederhalter? Und auch solche, die weniger als einen sechsstelligen Euro-Betrag kosten? Und lassen Sie sich die auch von den Herstellern zur Verfügung stellen? Oder übernimmt das dann der „Spiegel“-Verlag, die Kosten, wenn der Chefredakteur sich für ein paar Tage aus beruflichen Gründen mit bestimmten Produkten „befassen“ muss? Oder müssen Sie sogar, ein abwegiger Gedanke, ich weiß, gelegentlich Teile Ihres Gehaltes aufwenden, um Produkte der deutschen Industrie, an denen Sie besonders interessiert sind, mit nach Hause nehmen zu dürfen, womöglich auf Dauer?

Dürfen andere „Spiegel“-Redakteure, sagen wir: aus dem Wirtschafts- oder Auto-Ressort, auch mal mit Ihrem R8 fahren (wenn sie hinterher wieder volltanken, natürlich)? Oder kriegen die eigene, kleinere Testwagen von der Industrie gestellt? Oder dürfen die solche Vergünstigungen gar nicht annehmen, weil sie selbst keine „eigenen Wagen“ haben, „die den Testwagen in nichts nachstehen“? Ist das Voraussetzung, einen Porsche Cayenne und einen VW Touareg in der Garage zu haben, damit keine Gefahr besteht, dass man sich von einem Audi R8 beeindrucken und in seiner Urteilskraft trüben lassen könnte?

Passiert es Ihnen manchmal, dass Sie ins Büro kommen und auf dem Schreibtisch liegt ein offenes Wörterbuch, in dem jemand das Wort „Realitätsverlust“ umkringelt hat?

Oh, Entschuldigung, Herr Aust, das war albern von mir.

Der Heilige Gral von 9Live

Allmählich glaube ich wirklich, dass es mit 9Live zu Ende geht. Mit 9Live-„Moderator“ Robin Bade allemal. Ich habe schon viele Stunden in meinem Leben 9Live gesehen. Aber dieser Monolog vom vergangenen Freitag schlägt alles:

Über eine Million Euro gehen hier Monat für Monat raus. (…) Und trotzdem versuchen es Leute schlechtzureden. Das geht nicht, liebe Zuschauer. Das geht nicht! Die Leute, die das hier schlechtreden wollen, sind dumm. So isses. Vollidioten. So sieht’s aus. Ernsthaft. Früher haben auch Vollidioten gemeint, die Welt ist eine Scheibe, aber meinten natürlich, sie wären im Recht. Bis dann einer kam, die Welt ist rund, und der wurde ausgelacht. Ja. Aber gut, mein Gott, was soll man machen, liebe Zuschauer. Was soll man machen? Ganz ehrlich: Wie willste mit nem Vollidioten reden? Ich weiß es nicht. Ich weiß es echt nicht. Was sollste da sagen? (…)

Rufen Sie mich jetzt an und holen Sie sich das Geld. Ich kann Sie bis zu einem gewissen Grad an die Hand nehmen. Und wir können zusammen den stolprigen Weg des Erfolges gehen. Aber den Griff an den Heiligen Gral, den müssen Sie alleine machen. (…)

Man kann alles im Leben schlecht reden, aber nicht 9Live. (…)

Ich weiß, dass 9Live wirklich funktioniert. Wenn Sie’s nicht erkennen, kann ich Ihnen nicht helfen. Will ich Ihnen auch gar nicht helfen. Weil, wenn man selber seinen Lebensweg so verhunzt, dann verhunzen Sie ihn halt, das ist mir egal. (…)

Ich hab’s satt, dass schlecht über 9Live geredet wird. Dafür gibt’s keinen Grund. Über mich redet sowieso keiner schlecht, weil sich gar keiner traut. Weil mich die Leute nämlich kennen. Da werden Sachen behauptet, noch und nöcher, und mit mir spricht keiner. Das ist unfassbar, liebe Zuschauer, da fasst man sich doch an den Kopf. Da diskutieren Leute, die wirklich keine Ahnung haben, und fragen nicht mal — es ist unfassbar. Da fass ich mir an den Kopf. (…)

Auf den Hot-Button hat niemand Einfluss. Und wer das behauptet, der lügt und hat keine Ahnung, glauben Sie mir. (…)

Es sind die Lügen, die Glücksversprechen, der Wahnsinn einer Sekte.

(via call-in-tv.de, DWDL)

Sven Gösmann glaubt nicht an Zufälle

Der Chefredakteur der „Rheinischen Post“, Sven Gösmann, vermisst Empörung in diesem Land.

Der Termin mag Zufall sein, aber irgendwie glaubt man nicht dran: Am 16. Juni – einen Tag vor dem früheren Tag der deutschen Einheit – wollen sich die bisherige Linkspartei.PDS und die westdeutsche Linksgruppierung „Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) in Berlin zur gesamtdeutschen Partei „Die Linke“ zusammenschließen. Die Geschmacklosigkeit ist wahrscheinlich in der hektischen, oft geschichtsvergessenen Berliner Republik kaum noch erklärbar: Dass die Nachfolger des SED-Regimes in der Nähe zum Datum des Gedenktages für den Volksaufstand in der DDR 1953 ihren bisher größten Tag im wiedervereinigten Deutschland erleben, sorgt nicht mehr für Aufsehen.

Ja, krass. Diese Berliner Republik ist so abgestumpft. Nichts bringt sie mehr aus der Fassung. Diese ganze PDS-WASG-Fusionsgeschichte ist voller geschmackloser Anspielungen. Da ist nicht nur „die Nähe zum Datum des Gedenktages für den Volksaufstand in der DDR 1953“. Da ist auch die Wahl des Ortes: Berlin! Und nicht irgendwo in Berlin, nein: ausgerechnet im Estrel Convention Center, das es 1953 zwar noch nicht gab, aber in Neukölln liegt, einem Westberliner Stadtteil, der ganz in der Nähe zu Ostberlin liegt, wo ja exakt 54 Jahre früher und einen Tag später der Volksaufstand stattfand! Und laut vorläufiger Tagesordnung soll die Gründung der neuen Partei ausgerechnet unter Tagesordnungspunkt fünf stattfinden, und was ist die Quersumme aus 17.6.1953? Fünf! Gut, das mag Zufall sein, aber irgendwie glaubt man nicht daran.

Über Bauklötze staunen

Am Wochenende war ich in der Jury der Steinerei, einem Wettbewerb für Brickfilme. Brickfilme sind (das weiß ich auch noch nicht so lange) kurze Filme mit Lego-Steinen, die mit Stop-Motion animiert werden.

Aber wenn man das so technisch formuliert, wird man den Schätzen, die man in dieser Welt findet, der Virtuosität, dem Wahnsinn, der rührenden Naivität, dem Anspielungsreichtum und dem Humor — überhaupt: der Vielfalt dieser Filme nicht gerecht. Nicht, dass da nicht auch fröhlich vor sich hindilettiert wird, aber es sind auch echte Kunstwerke dabei, und die Leidenschaft, mit der die meist jungen Filmemacher ans Werk gehen, sich wochen- und monatelang für ein paar Minuten Trickfilm verausgaben und sich über die neuesten Tricks austauschen, ist ansteckend.

Im vergangenen Jahr gewann Mirko Horstmann mit „Der Fischer und seine Frau“ sowohl den Jury- als auch den Publikumspreis — ein wunderbarer kleiner Film mit merkwürdigem, sprödem, irgendwie selbstironischem Humor.

In diesem Jahr hieß das Thema „Geflügelte Worte“ und den Jury-Preis gewann schon wieder Mirko Horstmann. Diesmal mit dem Beitrag „Der Künstler“

…mit noch leiserem Humor (unbedingt auf die kleinen „Hms“ achten!), aber voller liebevoller Details, ein Film, der schlicht daherkommt und trotzdem erstaunlich anrührend ist. (Bislang leider nur im ogg-Format online; ein passender Player kann hier heruntergeladen werden).

Das Publikum wählte einen virtuoses Musik-Video zum Sieger, das eindringlich vor den Gefahren des, äh, falschen Drogenkonsum warnt: „Haschisch Kakalake“ von nichtgedreht.

Sehenswert sind meiner Meinung nach vor allem noch „Stonetime“ von brick-potter.de, den man auf der großen Leinwand als Ausstattungsfilm bezeichnen würde…

…das irgendwie gesellschaftskritische Musikvideo „Standard und Durchschnitt“ von Zetta…

…und „Was wäre wenn“ [ogg] von Holgor, eine Art „Lola rennt“ als Brickfilm, das meiner Meinung unbedingt nach einen Preis verdient hätte — wenn es halb so lang gewesen wäre.

Mehr über deutsche Brickfilme findet man im Brickboard-Forum. Der Szene täte aber sicher eine zentrale Internet-Seite gut, in der man nicht nur miteinander diskutiert, sondern die besten Filme und aktuelle Nachrichten leicht zugänglich für ein größeres Publikum präsentiert.

9Live: Die Lügen und die Wahrheit

Pressestellen von Unternehmen haben naturgemäß ein eher taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Die (hier bereits gewürdigte) Unternehmenskommunikation des Anrufsenders 9Live aber spielt in einer ganz eigenen Liga.

Das ist vielleicht kein Wunder, wenn das eigene Geschäftsmodell grundsätzlich darauf aufgebaut ist, die Zuschauer über den Ablauf des „Geschäfts“ gezielt in die Irre zu führen. Aber wie routiniert der 9Live-Pressestelle die Verdrehung von Tatsachen selbst dort von der Hand geht, wo es nicht nötig wäre, ist beeindruckend.

Gegenüber dem ARD-Magazin „Plusminus“ erklärte Sendersprecherin Sylke Zeidler schriftlich:

„Sicherlich haben Sie anlässlich des Gesprächs der Medienaufsicht mit Fernsehveranstaltern und -produzenten am 3. Mai zur Kenntnis genommen, dass auf unsere Initiative hin die Richtlinien für TV-Gewinnspiele fortgeschrieben und weiterentwickelt werden.“

„Auf unsere Initiative hin“? Geladen zu dem Treffen hatte die Gemeinsame Stelle Programm Werbung, Medienkompetenz (GSPWM) der Landesmedienanstalten am 12. März. In der Einladung hieß es wörtlich:

„Dabei soll nicht nur die in der Vergangenheit vereinzelt ausgesprochenen Beanstandungen, die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich und die nicht abnehmende Zuschauerresonanz thematisiert werden, sondern u.a. auch eine modifizierte Version der genannten Gewinnspielrichtlinie erörtert werden. Ein Entwurf … liegt diesem Schreiben zu Ihrer Information bei.“

Und wir merken uns, wie 9Live mit der Wahrheit umgeht — selbst wenn es wirklich nicht so entscheidend ist, selbst wenn die Wahrheit leicht zu beweisen ist, selbst wenn es die eigenen Aufsichtsbehörden betrifft.

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Es gibt viele Täuschungen im Spielablauf von 9Live und seinen Nachahmern und Konkurrenten wie CallActive (MTV-Gruppe) oder DSF. Aber eine zentrale Täuschung ist der systematisch erweckte Eindruck, ein technischer Zufallsmechanismus entscheide bei all den „Hot-Button“- oder „Leitungs“-Spielen darüber, wann der nächste Anrufer ins Studio durchgestellt wird. In Wahrheit ist es in aller Regel, die Redaktion, die entscheidet, ob man die Zuschauer noch ein paar Minuten oder, keine Ausnahme: Stunden warten lässt, bis einer der Anrufer eine Gewinnchance erhält.

9Live veranstaltet quasi nicht nur eine Lotterie, sondern behält sich selbst die Entscheidung darüber vor, wann die nächste Ziehung stattfinden wird. Und während in Wahrheit alle Beteiligten beim Sender wissen, dass man erst am Ende der Sendung wieder einen Anrufer durchstellen wird, lügt vorne der Moderator ununterbrochen: „Sie müssen jetzt anrufen / der Hot Button kann jede Sekunde zuschlagen / es liegt an Ihnen, dieses Spiel zu beenden /beeilen Sie sich“ etc.

Dass es sich dabei in aller Regel um eine Lüge handelt, ist aus vielerlei Gründen klar:

  1. Erkennt man es, wenn man nur lange genug die Sendungen schaut und Spielabläufe vergleicht.
  2. Geben es Call-TV-Veranstalter unter der Hand zu.
  3. Haben es eine ehemalige 9Live-Redakteurin und ein ehemaliger 9Live-Moderator gegenüber dem ARD-Magazin „Plusminus“ bestätigt.
  4. Sieht man es sehr schön an zwei Ausschnitten, die die unermüdlichen 9Live-Gucker und Aufzeichner des Forums Call-In-TV.de in den vergangenen Wochen aufgenommen haben. In beiden Fällen scheinen die Moderatoren zu glauben, sie seien nicht mehr zu hören, und bestätigen indirekt, dass der Zeitpunkt des „Zuschlagens“ vom Redakteur gewählt wird:

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Mir gegenüber beschreibt ein ehemaliger 9Live-Mitarbeiter den genauen Ablauf und die „Machenschaften“, wie er es nennt, wie folgt:

„In der Regie und zum Beispiel auch bei 9Live-Geschäftsführer Marcus Wolter steht ein Monitor, der alle 15 bis 30 Sekunden anzeigt, wie viele Anrufe eingehen. Es gibt eine klare Ansage, bei hohem Aufkommen von Anrufern, zu ‚ziehen‘.

Ich war dabei, wie Regie und Redakteur den Raum verlassen, ‚komm‘, geh’n wir eine rauchen‘, während der Moderator sich abzappelt: ‚jeden Moment kann er zuschlagen!“. Nein, kann er nicht. Nur der fahrende Redakteur öffnet das Zeitfenster (wenige Sekunden), in denen dann der Hot Button zuschlägt. Das ist dann in der Tat zufällig.

Würde die Landesmedienanstalt auch nur einmal ein paar Stunden in der Regie sitzen, würde das Geschäftsmodell platzen wie eine Seifenblase.

Interne Zahlen von 9Live haben übrigens mal gezeigt, dass ein Großteil des Umsatzes mit einer winzigen Anzahl ‚Zocker‘ gemacht wird. Ich erinnere mich an Zahlen, in denen es etwa hieß: Die immer gleichen Vierzigtausend Leute machen achtzig Prozent des Umsates einer Woche. Was steht auf den Lottoplakaten? Glücksspiel macht süchtig…“

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Und damit schalten wir zurück in die Unternehmenskommunikation von 9Live, wo Geschäftsführer Marcus Wolter seiner Sprecherin Sylke Zeidler inzwischen eine Gebetsmühle installiert hat. Wer dort nachfragt, wie das denn nun ist mit dem Zufallsmechanismus, bekommt folgende Antwort:

„9Live stellt über unterschiedliche — auch technlsche — Systeme sicher, dass für Anrufer in unseren Gewinnspielen jederzeit die Chance besteht, ausgewählt und ins Studio gestellt zu werden.“

Das ist ein hübsch schillernder Satz, der unschärfer wird, je genauer man hinguckt. Denn dass es „auch“ technische Systeme sind, die beteiligt sind, schließt ja nicht aus, dass menschliche Entscheidungen hinzukommen. Und den Begriff „jederzeit“ kann man so missverstehen, dass man als Zuschauer ja nicht weiß, wann der Redakteur den Hot-Button auslöst, es aber theoretisch jederzeit der Fall sein könnte.

Noch ein bisschen abenteuerlicher ist der Satz, den Frau Zeidler sich zurechtgelegt hat, um Alidas Worte „… noch ein bisschen mitzunehmen. Lasst das doch Max übernehmen. Bei solchen Peaks, schlagt doch später zu…“ zu erklären. Sie sagt:

„Die Aussage der Moderatorin hat keine Relevanz für den technischen und inhaltlichen Verlauf der Sendung.“

Nun ja, genau genommen stimmt das: Denn der technische und inhaltliche Ablauf der Sendung mit all seinen Täuschungen und dem Zuschauerbetrug ist ja in der Tat unabhängig davon, ob und wie Alida sich in der Sendung verplappert. Insofern (und nur insofern) hat ihre Aussage wirklich „keine Relevanz“ für den Verlauf der Sendung.

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Ich weiß nicht, wie die Geschichte mit 9Live und den anderen weitergeht. Ob das wirklich der Anfang vom Ende des ungetrübten Abzockens im deutschen Fernsehen sein sollte. Und sich Leute wie der genauso unbekümmert die Wahrheit verdrehende CallActive-Geschäftsführer Stephan Mayerbacher demnächst neue dubiose Einnahmequellen erschließen müssen. Ich weiß ja nicht einmal, ob diesen Leuten und den Max Schradins dieser Welt manchmal nachts im Traum spielsüchtige Menschen erscheinen, die sie in den Ruin getrieben haben.

BBC, Scientology und die neue Medienwelt

Die BBC wollte einen Bericht über Scientology drehen und über die Frage, ob sich diese Organisation verändert hat. Am Ende lautete der Titel der „Panorama“-Sendung „Scientology and me“, weil es ein Bericht darüber wurde, was passiert, wenn man versucht, einen kritischen Film über Scientology zu drehen. Das Stück ist bemerkenswert, und man kann es sich hier ansehen. (Und sich dabei gelegentlich daran erinnern, dass das ZDF zufrieden damit war, das Scientology-Testimonial John Travolta auf der „Wetten dass“-Couch sitzen zu lassen, wenn er nur nicht über Scientology redet.)

Mindestens so spannend wie das „Panorama“-Stück ist das, was drumherum geschah. An einer Stelle während einer Konfrontation mit Scientology rastet BBC-Reporter John Sweeney vollständig aus, und Scientology sorgte dafür, dass dieser höchst beunruhigende Ausschnitt schnell per YouTube weltweite Verbreitung fand.

Es ist eine beschämende Szene für den Reporter und für die BBC. Und wie geht die BBC damit um? Mit Selbstbewusstsein, Offenheit und Transparenz. Sie zeigt den Ausraster in dem „Panorama“-Stück selbst. Sie verlinkt auf das YouTube-Video. Sie lässt den Reporter in einem Online-Artikel erklären, wie es dazu kam. Sie lässt den Redakteur der Sendung im Editors-Blog erklären, wie er die Sache einschätzt, und er sagt unter anderem: „I’m very disappointed with John, and he’s very disappointed.“ Sie lässt den Chef des „BBC College of Journalism“ im Editors-Blog diskutieren, was sich aus dem Fall lernen lässt. Und er verlinkt auf die Anti-BBC-Scientology-Seite und erklärt:

„The scientologists have done us a service. Their rebuttal campaign aimed at John Sweeney’s Panorama investigation is a foretaste – a particularly well-funded and well-produced foretaste – of the feedback firestorm beginning to engulf all of Big Journalism. (…)

It’s uncomfortable… IF you’re used to the old one-to-many lecture that journalism used to be. But the reason it’s to be welcomed is that it will improve journalism; perhaps even raise our trust in what journalists tell us. (…)

Journalism that has integrity and honesty in the first place has nothing to fear.“

Die „Welt“ ist zu gut für Blogs (2)

„Welt“-Medienblogger Daniel Fiene schreibt in seinem eigenen, Nicht-„Welt“-Blog darüber, wie es ist, für Springer ein Medienblog und einen Medien-Podcast zu machen.

Und ich sitze ratlos vor seinem Text. All die Fragen, die sich mir (und ich glaube, nicht nur mir) in den vergangenen Tagen nach dem Eklat um den gelöschten Blog-Eintrag auf „Welt Online“, nach der fehlenden Debatte auf „Welt Debatte“ und nach der auf „Welt Online“ neuerdings geltenden Unvereinbarkeit von Blogs und professionellem Journalismus gestellt haben: Er nennt sie nicht einmal beim Namen, geschweige denn, dass er ein paar Antworten versuchte.

Innenansichten von tagesspiegel.de

Der „Tagesspiegel“ gibt einen ersten Blick auf seine zukünftige Online-Optik. Mercedes Bunz und Markus Horeld begleiten unter innenansichten.tagesspiegel.de den geplanten Relaunch mit einem Blog und versprechen:

Es wird wirklich gut aussehen.

Sieht momentan aber auch so aus, als es sei es möglicherweise noch gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.

europa = tolerancja

Ich unterstütze, wie viele andere, den Warschauer Pakt 2007. Und, nein, das hat nichts mit der Punktevergabe beim Grand-Prix zu tun.

„Die Rechte Homosexueller sind Bürgerrechte. In Polen häufen sich weiterhin massive homophobe Äußerungen von Politikern. Wir als Bürger der Europäischen Union nehmen das nicht hin.

Wir fordern die polnische Regierung auf, im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender zu achten. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen in Polen, die für Bürgerrechte eintreten.“