„Nachtmagazin“ produziert Anfang nach Panne noch einmal neu fürs Netz

Sie mögen das bei ARD-aktuell, aus irgendwelchen Gründen, wenn die Moderatorin oder der Moderator des „Nachtmagazins“ am Anfang der Sendung ein paar Schritte quer durchs Studio geht. Deshalb stehen sie nicht auf ihrer ersten Moderationsposition, sondern laufen immer erst vom Tisch über das teure Nachrichtenparkett dahin. Währenddessen fliegt die Kamera eine Runde durchs Studio, vermutlich nach dem Motto: Wenn das schon technisch möglich ist, sollte man es auch machen.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gab es Komplikationen:

Kann mal passieren, und Gabi Bauer ist ohnehin nicht so leicht aus der Fassung zu bringen.

Interessant ist aber, dass die Sendung im Archiv auf tagesschau.de ohne die Panne beginnt. Stattdessen sieht man in ganzer Pracht, was sich die Redaktion ausgedacht hatte, um die gewaltige Projektionswand zu bespielen.

Der Anfang wurde also nach der Sendung noch einmal produziert. Was doch ein erstaunlicher Aufwand ist. Kai Gniffke, Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, erklärt es mir so:

Die Nutzer von tagesschau.de haben Anspruch auf inhaltlich und technisch fehlerfreie Informationssendungen. Dabei lassen wir uns von folgender Überlegung leiten: Ist eine Nachrichten-Website ein reiner Ausspielkanal für all das, was man im linearen Fernsehen gesendet hat, quasi als Dokumentation des Senders, oder ein Portal, das den Nutzern die Möglichkeit gibt, sich zeitunabhängig mit Hilfe von Videos auf Abruf zu informieren? Wir haben uns ganz eindeutig für das Letztere und damit für die meines Erachtens modernere Interpretation entschieden, auch wenn wir diejenigen Nutzer enttäuschen, die auf unserer Website auch gerne Sendestörungen wiedergegeben sähen.

Na gut. Müssen die Sendestörungsgucker halt hierher kommen.

[mit Dank an Robin D.!]

Ehe, Gewicht, Promis: Wie man Experte für Allesmögliche bei „bunte.de“ wird

Dieser Satz ist ja an sich schon ganz lustig:

BUNTE.de hat bei einem Experten nachgefragt.

Der Experte in diesem Fall heißt Abbas Schirmohammadi, und es gibt ihn wirklich; Bunte.de hat in einem Artikel freundlicherweise gleich einen Link gesetzt zu seiner Seite und ihn als „Münchner Heilpraktiker für Psychotherapie“ vorgestellt. Wobei das wechselt. Bunte.de spricht in jüngster Zeit öfter mit Herrn Schirmohammadi. Mal ist er Psychologe, mal Heilpraktiker, mal Personality Coach. Mal „Experte“ für Ehe, für Gefühle, Charakterwechsel, Narzissten. Und insgesamt auch, kann man wohl so sagen: „Experte“ für alles, was Prominente betrifft.

Doch welche Chancen hat die Ehe der beiden Schauspieler [Brad Pitt und Angelina Jolie]? BUNTE.de hat den Münchner Psychologen Abbas Schirmohammadi (36) gefragt.

Wir haben uns ihr Verhalten [das von Heidi Klum] von dem Münchner Heilpraktiker für Psychotherapie und Personality Coach Abbas Schirmohammadi (36) erklären lassen.

Wir fragen den Münchner Psychologen Abbas Schirmohammadi (36), wie er die Gefühlslage der schönen Blondine [Corinna Schumacher] einschätzt.

Wir haben uns ihren Charakterwechsel [den von Claudia Effenberg] von dem Münchner Heilpraktiker für Psychotherapie und Personality Coach Abbas Schirmohammadi (36) erklären lassen.

Für BUNTE.de hat der Psychologe Abbas Schirmohammadi (36) genauer hingeschaut und die Kandidaten [der Sendung „Bachelorette“] analysiert.

Auch in einem anderen Artikel taucht Herr Schirmohammadi auf, jedoch nicht auf bunte.de, sondern in der „Süddeutschen Zeitung“, wo er vor zwei Jahren Auskunft darüber gibt, weshalb Erotikpartys bei jungen Leuten so angesagt sind. Außerdem sitzt er schon mal bei „taff“ rum, auf Pro Sieben. Oder Herr Schirmohammadi kümmert sich um die „Herzensangelegenheiten“ der „Freundin“-Leserinnen. Und jetzt ist er auch noch „Experte“ für Gewicht. Denn den Redakteuren von bunte.de sind vor ein paar Tagen Fotos in die Hände gefallen, auf denen David Beckham seine dreijährige Tochter Harper trägt. Bunte.de schlussfolgert:

Während die beiden Stars [David und Victoria Beckham] rank und schlank durchs Leben gehen, zieht es Harper offenbar vor, getragen zu werden. Das zeigen aktuelle Aufnahmen.

Diese Pseudo-Investigative ist schon toll: „Das zeigen aktuelle Aufnahmen.“ Und dass sich eine Dreijährige tragen lässt! Unfassbar! Und dass sie obendrein die Frechheit besitzt, dabei, laut „Bunte“-Recherche, einen „Softdrink“ zu konsumieren und zudem wohlgenährt aussieht! Un. Fass. Bar. Deshalb titelte bunte.de:

Bunte.de Titel

Im Text spekuliert bunte.de zunächst darüber, wie viele Kalorien die Beckham-Tochter täglich wohl so zu sich nimmt und wie viele Kalorien mehr als ihre Mutter. (Der Satz ist inzwischen verschwunden.) Außerdem überlegt bunte.de, ob Harpers Eltern ihr „bedenkenlos Süßes und Fettiges im Übermaß“ geben. Um dann schließlich noch über das Gewicht der Dreijährigen abstimmen zu lassen:

Voting auf Bunte.de

Ein Voting zum Gewicht einer Dreijährigen. Erfreulicherweise bescherte das der Redaktion Zoff mit ihren Lesern; und der Konzern Dr. Oetker teilte Burda Media mit, dem Verlag der „Bunten“, man wolle nicht in einem „ethisch bedenklichen Umfeld“ werben. Laut Dr. Oetker entschuldigte sich der Verlag daraufhin rasch und gelobte Besserung. Was ebenfalls lustig ist, denn kurz zuvor hatte bunte.de noch versucht, den reißerischen Artikel zu verklären und behauptet, man habe lediglich für ein Thema sensibilisieren wollen: für „Übergewicht bei Kleinkindern“.

Und da kommt Herr Schirmohammadi ins Spiel.

Der Psychologe/Heilpraktiker/Coach ist der Kronzeuge. Weil er irgendeinen Titel trägt, irgendwas Medizinisches, was mit Psychologie, wirkt das natürlich wahnsinnig seriös, was er sagt. Schirmohammadi soll ganz fachmännisch einschätzen, ob das Kind zu dick ist. Oder eher: Er soll mal eben sagen, ob das Kind auf Fotos zu dick aussieht. Und das macht er dann auch:

Auf den aktuellen Fotos lässt sich nicht leugnen, dass die kleine Harper für die Beckhams untypisch moppeliger ist, als man erwarten dürfte.

Er weiß auch, weshalb. Jedenfalls so ungefähr.

Die Gründe dafür liegen seiner Ansicht nach auf der Hand: schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung oder eine Wachstums- und Entwicklungsphase.

Bäm! Analyse! Und es geht noch weiter. Herr Schirmohammadi sagt, dass es einen „Zusammenhang von essgestörten Eltern zu essgestörten Kindern“ gebe und die Tochter zu dick sei, weil die Mutter zu dünn sei. Jedenfalls auf Fotos:

Posh leidet meiner Meinung nach definitiv unter einer Essstörung, die in Richtung Magersucht geht. Das zeigen Fotos, auf denen sie extrem dünn ist.

Es ist faszinierend, wie unverfroren bunte.de versucht, das als Journalismus darzustellen, was sie da machen: also in München sitzen, auf ein Paparazzo-Foto schauen, irgendeine Story stricken und dann, wenn’s Ärger gibt, so tun, als hätte man eine überfällige Debatte angestoßen. Die Berechnung, das Heuchlerische darin müsste man aus 300 Metern Entfernung erkennen; aber ich fürchte, ausreichend Leser kaufen das bunte.de ab. Dass ein Experte für Allesmögliche dem Gelaber einen Schein der Seriosität verleihen soll, indem er etwas zu Fotos meint.

Ich wollte wissen, wie das ist, wenn bunte.de anruft und einen „Experten“ sucht, also habe ich einen Experten angerufen: Herrn Schirmohammadi.

Website Abba Schirmohammadi

Bunte.de, sagt Abbas Schirmohammadi, sei „durch einen psychologischen Fachbeitrag“ auf ihm aufmerksam geworden. Und nun ruft bunte.de schon mal an, um eine „Einschätzung mit psychologischem Hintergrund“ zu bekommen. Den habe er nach diversen Ausbildungen. Acht Jahre lang, sagt Schirmohammadi, habe er Schulen und Akademien besucht, sich zum Heilpraktiker, Mediator, Personality Coach und Management-Trainer ausbilden lassen. Und weil er auch Ratgeber-Bücher und DVDs veröffentlicht hat, etwa zu „Audiovisuellem Chillout“ oder „50 bewährte Tipps gegen Liebeskummer“, melden sich immer mal Journalisten, um was zu fragen. Schirmohammadi findet das schön: „Ich freue mich, wenn bekannte und erfolgreiche Magazine mein Fachwissen hinzuziehen wollen.“

Herr Schirmohammadi kennt sich also aus mit Medien. Er sei ja auch selbst Chefredakteur eines „naturheilkundlich-psychlogischen Magazins“, sagt er; das steht auch auf seiner Seite: „Chefredakteur der Magazine ‚Paracelsus‘ und ‚Mein Tierheilpraktiker’“. Und beim Fernsehen war Schirmohammadi auch sechs Jahre lang, allerdings nur zu hören: Während seiner Ausbildungen war er Wrestling-Kommentator, unter anderem für die Sender „Premiere“ und „DSF“.

Und nun also: „Experte“.

Dass das, was er so über Leute sagt, die er von Fotos kennt, zuweilen wie eine Ferndiagnose klingt, findet Schirmohammadi nicht. Es sei eine „psychologische Einschätzung“. Außerdem beschäftige er sich mit dem konkreten Sachverhalt und gebe „keine Antworten aus dem Stegreif“. Es gebe zudem, was Victoria Beckham betreffe, „genügend Fotos und Aussagen von Victoria selbst, die auf eine Essstörung hinweisen könnten“. Woraus Schirmohammadi den Schluss zieht, dass Frau Beckham vielleicht magersüchtig sei, was aber keine Ferndiagnose sein soll.

Er bekomme viele Rückmeldungen auf das, was er bunte.de sage, zumeist positive. Bei der Harper-Geschichte habe es auch kritische Anmerkungen gegeben, „die sich aber mehr auf die Grundsatzdiskussion und das Thema des Beitrags“ bezogen hätten. Dennoch: „Unsere Gesellschaft will Gerüchte und Einschätzungen zu Skandalen hören“, sagt er. Wenn das dann so reißerisch verpackt wird wie bei bunte.de, hilft Herr Schirmohammadi also folglich dabei, auch wenn er darauf keinen Einfluss hat. Aber es zahlt sich aus: Auch wenn Schirmohammadi seine Kommentare unentgeltlich abgäbe, wozu er nichts sagen will – ein geldwerter Vorteil ist es, mit Namen und Link auf – beispielsweise – bunte.de vertreten zu sein.

Herr Schirmohammadi hat natürlich Recht: Menschen tratschen gern, schon immer. Ich finde trotzdem, dass es ein zwielichtiges Geschäft ist, aufgrund von Paparazzo-Fotos oder Gerüchten, auch mal zu spekulieren, was mit irgendwem vielleicht sein könnte. Harper Beckham ist da nur ein Beispiel, Michael Schumacher ein anderes, allerdings ein besonders krasses angesichts dessen, was da schon alles verzapft wurde. Da draußen wimmelt es von Ärzten und Halbmedizinern, die irgendwas glauben und meinen, wenn wieder irgendeine Redaktion anruft.

Ach, ja: Ich habe Herrn Schirmohammadi übrigens seine Zitate zugeschickt. Wünschte er so. Und dann hat er einiges duchaus Interessantes gestrichen. Auf die Frage, ob er das bei bunte.de auch so mache, antwortet er, dass er den Redaktionen, die anfragen, seine Einschätzungen schriftlich zukommen lasse. Was sie daraus verwenden würden, obliege den Redaktionen. Darauf habe er keinen Einfluss.

Dumme Nüsse

Halten Sie sich bitte fest, es ist alles ganz schlimm! Ebola. Syrien. Ukraine. Gaza. AfD. Und dann ist kürzlich in einer Redaktion noch jemandem eingefallen, dass es im Frühjahr in der Türkei ja diese eine Nacht gegeben hat, in der es so frostig war, dass durch die Eiseskälte Haselnuss-Sträucher beschädigt wurden. Das ist schlecht, auch weil gut zwei Drittel aller Haselnüsse aus der Türkei kommen. Weltweit. Und wenn es früh friert, fällt die Ernte geringer aus. Mal viel geringer, mal weniger.

In der Redaktion dachten sie sich dann: Hm? Und nach einer Weile dachten sie: Haselnüsse? Und dann: Wo sind die noch mal drin? Was ihnen eingefallen ist, haben sie anschließend ins Netz oder in eine Zeitung geschmiert, und nun hat es sich ausgedehnt. Vergessen Sie deshalb, was Sie oder die Welt derzeit bewegt.

Denn wir erleben:

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Ja, richtig. Eine Nutella-Krise. Offenbar so schlimm, dass die „Berliner Morgenpost“ die Meldung dazu auch auf der Titelseite der Print-Ausgabe bringt.

Der erste Artikel, den man zu dieser Krise hierzulande findet, steht am 16.8.2014 im Wirtschaftsteil der FAZ. Überschrift: „Haselnuss-Preis im Höhenflug“. In der Unterzeile schreibt die FAZ, dass Ferrero, der Hersteller des Brotaufstrichs, wegen des Frosts für die „Nutella-Zutat“ mehr zahlen müsse. Im Text wird das, was in der Überschrift so klar klingt, dann aber wieder eingeschränkt, gleich im ersten Satz:

Der Preis für Haselnüsse ist angeblich auf einem Zehnjahreshoch, was für den Hersteller von Frühstückscremes wie Nutella, Ferrero, einen Kostenschub bringt.

Angeblich. Und ein paar Sätze später noch mal: angeblich. Die FAZ scheint also das, was sie da verbreitet, nicht so genau zu wissen, auch eine Quelle nennt sie nicht.

Aber da kann ja sicher die „Süddeutsche Zeitung“ helfen, die vier Tage später in ihrem Wirtschaftsteil nachlegt. Falls Sie diesen Wirtschaftsteil eher meiden, weil Sie denken, dort ginge es arg sachlich-fachlich zu – schauen Sie mal wieder rein! Der Artikel über die Nusspreise und deren Folgen hat schon mal eine flockige Überschrift: „Auf die Nuss“. In der Unterzeile des Print-Artikels verkündet die SZ: „Schlechte Ernte lässt die Preise steigen – mit Folgen für Nutella“. Offenbar ganz kausal: Ernte schlecht = Preise hoch = Nutella teurer. Und dann haben sie im Wirtschaftsressort der SZ Kerzen angezündet. Und Glühwein aufgesetzt.

Was soll jetzt nur aus Aschenbrödel werden? Weihnachten steht quasi schon wieder vor der Tür und damit auch der Filmklassiker. Die Prinzessin in spe braucht also dringend ihre drei Haselnüsse – die sind in diesem Jahr aber extrem knapp und viel teurer als sonst.

Ein Einstieg, der wirklich fesselt, vor allem Ende August. Laut SZ wissen sie also nicht mal mehr im Märchen, woher sie drei dumme Nüsse kriegen sollen, weil die so knapp sind dieses Jahr. Den Wirtschafts-Autor ängstigt das: „Wird jetzt Nutella auf dem Frühstücksbrot zum Luxusgut?“ Schließlich bestehe „die Creme zu 13 Prozent aus Haselnüssen, sogar der Kakaoanteil ist geringer.“ Krass, oder? Zu 13 Prozent! Das sind ja nur 87 Prozent weniger als 100 Prozent! Nicht auszudenken, was los ist bei der „Süddeutschen“, wenn der Zucker-Preis steigt.

Dass der Text bloß aufgeblähte Mutmaßung ist, erfährt der Leser, wenn er es nicht längst ahnt, im vierten Absatz:

Ob damit aber die Süßigkeiten-Produktion sichergestellt ist oder ob nun Preiserhöhungen drohen, dazu mochte Ferrero zunächst nichts sagen.

Und das ist der Haken: Zwar war es (wie immer mal wieder) frostig in der Türkei; zwar wurden dadurch Pflanzen beschädigt; zwar stieg der Preis pro Tonne Haselnüsse – die Hersteller aber sagen gar nicht, dass die Preise ihrer Produkte deshalb ebenfalls steigen. Oder dass es gar, wie auch geschrieben wird, zu Nachschub-Problemen kommen könnte. Laut dpa will Ferrero die Preise nach eigener Aussage im Oktober abstimmen, weil erst dann klar sei, wie die Ernte ausgefallen ist – und wie folgenreich der Frost war. Der Konzern sagt sogar, er wolle die „Auswirkungen auf den Endverbraucher“ so gering wie möglich halten.

Aber das reicht ja schon, um Journalisten komplett austicken zu lassen:

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(Welt kompakt, 21.8.2014)

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(Stern.de, 22.8.2014)

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(Blick.ch, 20.8.2014)

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(Bild.de, 19.8.2014)

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(Yahoo Finanzen, 21.8.2014)

Nutella-Knappheit! Krise! Droht! Ich bin gerade ganz froh, dass ich niemandem aus einem ärmeren Land erklären muss, wie das in dieser Form hierzulande überhaupt nur annähernd zu einer Meldung werden kann. Wobei: hierzulande?

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(The Independent, England, 14.8.2014)

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(20 minutes, Frankreich, 20.8.2014)

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(Huffington Post, Kanada, 18.8.2014)

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(Hindustan Times, Indien, 24.8.2014)

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(NBC News, USA, 19.8.2014)

Auch Nachrichtenagenturen berichten über die so genannte Nutella-Krise. Die Deutsche Presseagentur warnt noch vor wenigen Tagen: „Schlechte Zeiten für Naschkatzen“. Und lässt wissen: „Auch der Schokoladenhersteller Ritter Sport schließt höhere Preise nicht aus.“ Merke: Er schließt auch nicht aus! Als Beleg für die Journalistenblödformel liefert dpa folgendes Zitat:

„Da wir die Einkäufe auf längere Sicht planen, können wir noch keine Auskünfte geben, ob die Preise steigen werden“, sagte Sprecherin Elke Dietrich.

Die Sprecherin von Ritter Sport schließt nichts ein, nichts aus, sie will oder kann derzeit einfach „keine Auskünfte geben“. Was aber, wenn man bei dpa arbeitet, bedeutet, dass da eine Restwahrscheinlichkeit ist. Also raus damit.

Die SZ müht sich derweil, dem Schrecken noch etwas Gutes abzuringen, etwas, das Hoffnung macht, wenn auch nur bei einer bestimmten Gruppe von Lesern:

Profiteure der derzeitigen Nuss-Krise könnten die Allergiker sein: Sie dürfen angesichts der Knappheit darauf hoffen, dass die Lebensmittelindustrie – aus Kostengründen – auf die berühmten „Spuren von Haselnüssen“ in allen möglichen Produkten verzichtet.

Was für ein Blödsinn. Die Hersteller rieseln nicht freundlicherweise „Spuren“ in ihre Produkte, weil das so super schmeckt. Eigentlich Nuss-freie Lebensmittel können lediglich deshalb „Spuren von Haselnüssen“ enthalten, weil in derselben Produktionsstraße mal Nüsse verarbeitet wurden. Ein Reinigungsproblem. Völlig egal, wie teuer oder billig die Nüsse sind. Aber, kurz zur Wiederholung: Das steht so im Wirtschaftsteil der „Süddeutschen Zeitung“, Rubrik: „Nahaufnahme“.

Alles total wirr.

Und zuweilen liest es sich, als würden Journalisten den Konzernen schon mal Tipps geben, wie sie, im Fall eines Falles, erhöhte Preise plausibel erklären könnten. Oder als hätten die Nutella-Werbetexter einen tollen neuen Job bei Bild:

Konsistenz: cremig-weich. Farbe: schokoladig-glänzend. Suchtfaktor: hoch!

Für viele Deutsche ist ein Frühstück ohne Nutella kein Frühstück.

Für Nutellaholics eine echte Horror-Meldung…

Bei Ferrero müssen sie sich durmelig freuen über so viel kostenlose Werbung. Noch ist nichts gewiss, aber die halbe Medienwelt trommelt schon mal schön. Man kann nur hoffen, dass das bis Weihnachten geklärt ist. Wegen Aschenbrödel.

Nachtrag, 6.9.2014, 14:13 Uhr. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat ihren Artikel inzwischen mit einer Anmerkung versehen. Dass die Lebenmittelindustrie aus „Kostengründen“ auf „Spuren von Haselnüssen“ verzichte, sei ironisch gemeint gewesen. Da das nicht alle Leser verstanden hätten, habe man den Absatz gekürzt. (Danke für den Hinweis in den Kommentaren hier.)

Das „Hamburger Abendblatt“ hat indes auch geschrieben, es gebe gute Nachrichten für Allergiker, da künftig „eine größere Auswahl an fertigen Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen wird, die bisher ‚Spuren von Haselnüssen‘ enthielten, weswegen auch immer.“  Ist aber wohl ebenfalls Ironie, auch wenn es sich nur schwerlich so liest. Immerhin steht „Glosse“ drüber. (Danke für den Hinweis an @rakeeede.)

Dr. Oetker und die Frage: Ist bunte.de ein „von Ethik geprägtes redaktionelles Umfeld“?


(Verpixelung von mir.)

Bei Burdas Knallportal Bunte.de machen sie sich Sorgen um das Gewicht von Harper, der dreijährigen Tochter von Victoria und David Beckham. Unter dem Schutz der Anonymität hat dort ein redaktioneller Mitarbeiter einen Artikel verfasst, der fragt, ob das Mädchen „zu moppelig“ ist.

Während die beiden Stars rank und schlank durchs Leben gehen, zieht es Harper offenbar vor, getragen zu werden. Das zeigen aktuelle Aufnahmen. Zudem lässt es sich die kleine Prinzessin dabei noch schmecken, genießt augenscheinlich einen Softdrink. Wenn dem so ist, nimmt Harper mit einem Zug wohl mehr Kalorien zu sich als ihre Mutter in der ganzen Woche…

Können Becks und Posh ihrer Kleinen etwa keinen Wunsch abschlagen? Lassen sie bei der Erziehung die Zügel schleifen und geben ihr bedenkenlos Süßes und Fettiges im Übermaß? Die weitere Entwicklung der Dreijährigen wird es zeigen.

(Der „Wenn dem so ist“-Satz ist inzwischen ohne Erklärung verschwunden.)

Das eklige Fabulat auf der Grundlage von Paparazzi-Fotos hat der „Bunten“ viel Kritik beschert, aber offenbar auch reichlich Klicks — heute legt sie mit der Ferndiagnose eines Heilpraktikers nach.

Mathias Schindler hat das Machwerk gestern dazu bewegt, eine Mail an Dr. Oetker, einen Werbekunden von bunte.de, zu schreiben:

Sehr geehrter Herr Dr. Schillinger,

über soziale Netzwerke bin ich heute auf einen Textbeitrag auf der Website www.bunte.de hingewiesen worden, auf der — unabhängig von allen anderen Verstößen gegen Persönlichkeitsrecht und Würde der
Betroffenen — die Frage aufgeworfen wird, ob die dreijährige Tochter von zwei Prominenten zu dick sei. Neben diesem Text ist umfangreiche und entsprechend der üblichen TKPs wohl auch recht teure Werbung für Produkte Ihres Hauses (Screenshot als Referenz anbei). Sie finanzieren über Ihren Werbeetat ein solches Verhalten und ich werde Sie nicht aus der moralischen Verantwortung dafür entlassen.

Es ist nicht anzunehmen, dass die Redaktion der Bunten über Nacht ihr Verhalten aus innerer Überzeugung heraus ändern wird, allerdings werde ich die nächste Kaufentscheidung an der Tiefkühltruhe meines Supermarktes davon abhängig machen, wie Sie meine Fragen beantworten:

1. Inwiefern finden sich die Grundsätze des Unternehmens Dr. Oetker GmbH im Umgang mit den Persönlichkeitsrechten von minderjährigen Kindern Prominenter durch die BUNTE im Einklang?

2. Welche Werbemaßnahmen führen Sie auf www.bunte.de durch und welche werden Sie in Zukunft durchführen?

Bitte erlauben Sie mir die Veröffentlichung Ihrer Antwort in den sozialen Medien.

Mit freundlichen Grüßen,
Mathias Schindler, Potsdam

Schillinger, Leiter der Hauptabteilung Öffentlichkeitsarbeit, antwortete:

Sehr geehrter Herr Schindler,

vielen Dank für Ihre Mail und den Hinweis auf das redaktionelle Umfeld unseres Werbebanners auf „bunte.de“.

Bei der Platzierung unserer Werbemittel in klassischen Medien wie TV, Print und Online ist uns als Familienunternehmen ein von Ethik geprägtes redaktionelles Umfeld sehr wichtig. Um diese Umfeld-Qualität zu gewährleisten, nehmen wir Preisaufschläge für Qualitäts-Umfelder gerne „in Kauf“ und akzeptieren hierfür selbst eine Verteuerung unserer Produktkampagnen. Platzierungen in „Dirty“ Talk Shows, im Dschungelcamp oder Big Brother wird es daher von unseren Produkten nicht geben, dies gilt auch für Online-Umfelder.

Die Bunte sowie der Online-Ableger „bunte.de“ sind uns bislang nicht als „problematisches“ Umfeld aufgefallen. Wir werden Ihren Hinweis jedoch zum Anlass nehmen, unsere Platzierung auf „bunte.de“ zukünftig kritisch zu begleiten und diese Erfahrungen in unsere Platzierungsstrategie einfließen zu lassen.

Einen direkten Einfluss auf die Redaktion lehnen wir jedoch ab, da wir auf der Grundlage des Grundgesetzes an den Sinn einer Trennung von Redaktion und Werbung glauben und entsprechend handeln. Wir werden gleichwohl dem Verlag unsere Position darstellen.

Mit freundlichen Grüßen

Jörg Schillinger

Ich kann nicht beurteilen, ob das nur eine Standardantwort ist. Aber es liest sich doch erstaunlich deutlich.

Und das wäre doch eine erfreuliche Entwicklung: Wenn besinnungslos auf Klicks und Krawall optimierte Medien wie bunte.de von (potentiellen) Werbekunden als das beurteilt werden, was sie sind. Mir würden da jetzt noch ein paar andere Ausdrücke einfallen, aber für den Anfang tut’s problematisches Umfeld auch.

Plump klickt gut

Es wäre beunruhigend, wenn sie das, was sie bei news.de fabrizieren, tatsächlich für Nachrichten halten. Oder sogar für „mehr als Nachrichten“, wie es im Logo steht. Zum Beispiel das hier: „Einmal Oralsex für Angela Merkel“. Das steht da so, in der Überschrift. Und drüber steht, in der Dachzeile: „Blowjob-Festspiele“. Es geht also, Sie ahnen es sofort: um die Bayreuther Festspiele und um Frank Castorfs Inszenierung vor ein paar Wochen, bei der es zu Oralsex auf der Bühne gekommen sein soll. Was natürlich ein total heftiger Skandal ist.

Für news.de ist so ein Skandal ein Fest. Und weil da neben Sex auch Merkel drin vorkommt, steht dieser Artikel bei news.de im Ressort „Politik“. Das passt ganz gut. Denn in diesem Ressort entstehen auch Artikel wie diese (Verpixelung von mir):

Das sind nur Beispiele. Sie könnten sich auch genauso gut irgendeinen Scheiß ausdenken; die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ihn auf news.de finden, ist relativ hoch. Die Methode ist immer dieselbe: geile Überschrift, kaum Inhalt. Denn news.de berichtet nicht, news.de schwurbelt, schreit und lügt.

Im Merkel-Artikel steht im Vorspann: „Wie Merkel und das Publikum reagiert haben, erfahren Sie hier.“ Und was erfährt man? Nichts. Weil news.de nichts weiß, jedenfalls nicht darüber, wie Merkel reagiert hat: „Ein Blowjob auf der Bühne dürfte vermutlich nicht ganz nach ihrem Geschmack gewesen sein.“ Oder: „Ob der Kanzlerin dabei die Schamröte ins Gesicht lief? Das ist ungewiss“.

So läuft das ständig. Hätte. Könnte. Dürfte.

Oder man behauptet einfach mal was: „Angela Merkel nimmt eine Eisdusche“ zum Beispiel. Und das bebildert man dann mit einem Foto von Merkel – auch wenn es tatsächlich bloß Oliver Pocher war, der sich, als Merkel verkleidet, bewässerte.

Im Leitbild von news.de heißt es, die Redakteure und Reporter würden „nach dem Grundsatz seriöser, unabhängiger Berichterstattung“ arbeiten und „Informationen aus Politik, Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft, Sport, Gesundheit, Medien, Technik und Auto“ liefern. Na, und was für welche!

„Hier berichten die Redakteure nicht nur aus der Berliner Republik, sondern auch über nationale und internationale Wirtschaftsthemen. Sie sind nah dran, wenn Fluten oder Flammen Landstriche verwüsten, spektakuläre Sportereignisse anstehen oder wichtige Urteile gesprochen werden.“

Ich nehme an, mit „nah dran“ ist gemeint, dass die Redakteure besonders nah an den Bildschirm rücken, um die Agenturmeldungen zu lesen, die sie dann eben umwursteln. Wer sich nicht den ganzen Kram reintun, aber einen Eindruck davon bekommen möchte, mit welchen Titten-, Tod- und Trallala-Geschichten sie bei news.de Klicks generieren, kann sich auch die Tweets ansehen:

Erst dachte ich: Wer das jeden Tag befüllen muss, hat kein schönes Leben. Aber das befüllt offenbar niemand, es scheint automatisiert zu sein.

Laut Arbeitsgemeinschaft Online Forschung (AGOF) ist die Seite knapp unter den Top 30 der deutschen Nachrichtenseiten. Mit etwas mehr als einer Million Unique User ist news.de zwar weit von den Großen wie bild.de oder spiegel.de entfernt, lässt aber trotzdem Titel wie die „Berliner Zeitung“ oder die „Mopo“ hinter sich. Kein Wunder: Für einen schnellen Klick machen sie bei news.de eben alles.

Sobald in der Reha-Klinik, in der Michael Schumacher liegt, ein Wasserhahn tropft oder sich Uli Hoeneß im Gefängnisbett umdreht, ist ein Artikel bei news.de so gut wie sicher. Die Texte werden ständig republiziert, immer mit einer kleinen unsinnigen Umdrehung oder einem Zitat mehr, womit news.de dann bei Google News ganz weit oben steht und Leser auf die Seite zieht.

Hinter diesem, nun ja: Konzept steht der Internet-Konzern Unister mit Sitz in Leipzig, eine der größten Internet-Firmen Deutschlands. Unister betreibt neben news.de noch boersennews.de, eine Art Wirtschaftsnachrichtenticker, vor allem aber Portale wie partnersuche.de, myimmo.de oder ab-in-den-urlaub.de, mehr als 40 Stück insgesamt. Der Konzern verdient an der Vermittlung, zum Beispiel von Urlaubsreisen, und hat es perfektioniert, Google für seine Zwecke zu nutzen. Wer dort nach Hotels oder Flügen sucht, stößt schnell auf eine Seite von Unister.

Bei Investoren stand der Konzern deshalb hoch im Kurs, auch wenn er schon länger einen eher zwielichtigen Ruf genießt und sich auch die Staatsanwaltschaft für den Laden interessiert. Zuweilen werden außerdem Vorwürfe laut, der Konzern stelle sich gesünder dar, als er tatsächlich sei. Sicher ist bloß: Unister ist ein Konzern, der darauf ausgelegt ist, Geld anzuhäufen und immer weiter zu wachsen. Und news.de, 2008 gegründet, sollte das Feigenblatt sein. Etwas vermeintlich Seriöses im Urlaubsverkäuferimperium.

Früher sollen bei news.de noch Leute auch mal selbst telefoniert und nachgedacht haben. Heute blasen sie Agenturmeldungen mit Nonsens auf und garnieren sie für die angelockten Leser mit Bilderstrecken, Links und Umfragen. Und mit Werbung:

news_de_werbung

(Haben Sie in dem Screenshot den Bericht gefunden? Kleiner Tipp: Hinter den Autos! Und den Hochhäusern! Und der Facebook-Werbung!)

Naja, und gestern sind dann die Sicherungen komplett durchgeknallt: news.de empört sich über „die aktuelle“, die „Leser-Dummfang“ betreibe. Das Friseur-Blättchen hat diese Woche einen wie immer raunenden Titel gebracht, eine Null-Info-Geschichte über angebliche Trennungs-Gerüchte bei Corinna und Michael Schumacher, irgendwo aus Facebook abgeschrieben. Tatsächlich plump und dumm. Doch dass ausgerechnet news.de diese Masche kritisiert, ist, als würde sich ein Exhibitionist beklagen, dass am FKK-Strand alle nackt sind.

Kurz gesagt: Die Welt wäre um einigen Wortmüll (und viel nervige Werbung) ärmer, wenn diese Seite aus dem Netz verschwände. Das wäre natürlich schlecht für die Mitarbeiter. Zumal ich hoffte dachte, dass die nur da arbeiten, weil der Markt für Leute, die was mit Medien machen, gerade so mies ist. Eine Redakteurin gibt da auch so einen Hinweis. Im Impressum schreibt sie, wieso sie bei news.de ist:

„Weil ich in den Osten wollte und news.de die spannendste Option war, meine Miete zu bezahlen.“

Ein anderer Redakteur schreibt, er sei jung und brauche das Geld. Eigentlich aber finden sie es ganz geil, da zu arbeiten. Chefredakteur Jan Grundmann schreibt, er sei bei news.de, um die, Obacht: „Medienzukunft“ mitzugestalten. Andere wollen „Erfahrungen“ sammeln, an ihrer „Schreibe“ feilen oder die „journalistischen Kenntnisse“ ausbauen. Ich weiß bloß gerade nicht, bei welchem Arbeitgeber news.de als gute Referenz gelten könnte. Außer vielleicht bei Focus Online.

Schweigen fürs Leistungsschutzrecht

Nachtrag, 14:40 Uhr. Okay, keine Glanzleistung, dieser Eintrag. Zwei wichtige Korrekturen unten.

Im Juni haben zwölf Verlage und die von ihnen gestützte Verwertungsgesellschaft VG Media Beschwerde beim Bundeskartellamt gegen Google eingelegt. Sie werfen dem Suchmaschinen-Unternehmen vor, im Zusammenhang mit dem neuen Presse-Leistungsschutzrecht seine Vormachtstellung am Markt zu missbrauchen.

Das Bundeskartellamt hat diese Beschwerde, wie die „Frankfurter Allgemeine“ berichtete und die Agenturen dpa, epd und Reuters meldeten, zurückgewiesen.

Über die Beschwerde berichtete die „Welt“, deren Verlag Axel Springer zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete die „Welt“: nicht.

Über die Beschwerde berichtete das „Hamburger Abendblatt“, dessen Verlag Funke zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete das „Hamburger Abendblatt“: nicht.

Über die Beschwerde berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“, dessen Verlag DuMont Schauberg zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete der „Kölner Stadt-Anzeiger“: nicht*.

Über die Beschwerde berichtete die „Hannoversche Allgemeine“, deren Verlag Madsack zu den Beschwerdeführern zählt, im Juni:

Über die abschlägige Antwort des Kartellamtes berichtete die „Hannoversche Allgemeine“: nicht*.

„Wir Verlage“, sagt Thomas Düffert, Chef der Madsack-Mediengruppe, „sind ein Garant der Meinungsbildung und damit für die Demokratie in Deutschland.“ Solche Sätze dienen offenkundig nur dazu, Forderungen an andere zu bekräftigen. Sie sind keine Verpflichtung für die eigene tägliche Arbeit.

*) Korrektur, 14:15 Uhr. Die „Hannoversche Allgemeine“ hat zwar nicht online, aber am Samstag in ihrer Print-Ausgabe berichtet. Und auch der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat zwar online keine Meldung gebracht, aber in der Zeitung.

 
Aus dem Archiv:

Mutmaßungen über Google: Kartellamt lässt Madsack und VG Media blöd aussehen

FAZ.net berichtet, dass das Bundeskartellamt eine Beschwerde deutscher Zeitungsverlage gegen Google in Sachen Leistungsschutzrecht scharf zurückgewiesen gewiesen habe. In einem Brief der Behörde heiße es: „Die Anknüpfungspunkte für ein eventuell kartellrechtsrelevantes Verhalten von Google beruhen teilweise nur auf Mutmaßungen. Das eigentliche Beschwerdeziel bleibt unklar.“ Kartellamtspräsident Andreas Mundt sagte: „Erforderlich für die Einleitung eines Missbrauchsverfahrens ist stets ein hinreichender Anfangsverdacht. Die Beschwerde der VG Media konnte diesen nicht begründen.“ Die Vorwürfe der VG Media knüpften nicht an ein konkretes Verhalten von Google an.

Das erinnert mich daran, dass ich hier seit Wochen einen fertigen Eintrag zum Thema ungebloggt herumliegen habe. Es ist die Fortsetzung dieses Eintrags, in dem ich der VG Media vorgeworfen hatte, den Bundestag in eben dieser Sache zu desinformieren.

Das passt heute ganz gut:

Die Madsack-Mediengruppe macht Google öffentlich unhaltbare Vorwürfe, möchte Nachfragen dazu aber nicht beantworten.

Thomas Düffert, der Vorsitzende der Geschäftsführung, hatte im Juni begründet, warum sich sein Verlag („Hannoversche Allgemeine Zeitung“, „Leipziger Volkszeitung“, „Lübecker Nachrichten“) zusammen mit elf anderen und der Verwertungsgesellschaft VG Media beim Bundeskartellamt über den Suchmaschinenkonzern beschwert habe:

„Madsack hat im vergangenen Jahr von Google eine schriftliche Aufforderung erhalten, auf die Durchsetzung unseres soeben durch den deutschen Gesetzgeber gewährten Presseleistungsschutzrechtes ganz zu verzichten und zu erklären, keine Vergütungsansprüche gegen Google geltend zu machen. Andernfalls würde Google, als deutschland- und weltweit größter Betreiber von Suchmaschinen, unsere digitalen verlegerischen Angebote auslisten. Für uns ist diese Drohung eindeutig ein Marktmissbrauch, denn bei einem Fast-Monopolisten wie Google ausgelistet zu werden und damit nicht mehr sichtbar zu sein, hat weitreichende Folgen.

Ich habe der Madsack-Pressestelle dann folgende Fragen gestellt:

Können Sie mir sagen, wann und in welcher Form Google Madsack damit gedroht hat, die Angebote aus seiner Suchmaschine auszulisten?

Im Zusammenhang mit dem Leistungsschutzrecht hat Google im Sommer 2013 angekündigt, Angebote, die keine entsprechende Einverständniserklärung abgeben, aus „Google News“ herauszunehmen, nicht aber aus der Suchmaschine. Bezieht sich die Aussage von Herrn Düffert darauf? Oder gab es weitere „Drohungen“ von Google?

Hat „Google News“ nach Ansicht von Madsack eine marktbeherrschende Stellung im Bereich der Nachrichtenaggregatoren?

Die Pressesprecherin sagte mir zu, sich „schnellstmöglich“ zu melden, tat das dann aber gar nicht mehr. Auf Nachfrage erklärte sie, sie hätte meine Anfrage an die VG Media weitergegeben. Auf erneute Nachfrage sagte sie, Madsack werde sich nicht dazu äußern.

Einer der großen Regionalzeitungsverlage, „ein Garant der Meinungsbildung und damit für die Demokratie in Deutschland“ (O-Ton Düffert) behauptet lautstark, von Google quasi erpresst worden zu sein, möchte aber nicht sagen, wann und in welcher Form das geschah.

Es könnte natürlich damit zu tun haben, dass Google, wie gesagt, gar nicht mit einer solchen Auslistung aus der Suche gedroht habe, sondern es bei dem Vorgang im Sommer 2013 ausschließlich um den Nachrichtenaggregator „Google News“ ging.

Aber tatsächlich, immerhin, bekam ich dann doch noch eine Antwort von der VG Media, jener Organisation, die für Madsack, Springer und mehrere weitere Verlage versucht, aus dem neuen Leistungsschutzrecht Erlöse zu erzielen. Die VG Media hatte im Juli Bundestagsabgeordnete und Vertreter mehrerer Bundesministerien zu einer Informationsveranstaltung eingeladen und dabei ebenfalls behauptet, dass Google den Verlagen im vergangenen Jahr mit einer Auslistung aus der Suche gedroht habe. Auf meine Bitte um eine Erklärung antwortete die VG Media nach nur zwei Nachfragen:

Das Leistungsschutzrecht spricht von Suchmaschinen und anderen kommerziellen Diensten, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Im Gesetzestext ist der zentrale Satz so formuliert: „Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.“ Deswegen ist keineswegs nur Google News betroffen, sondern auch Google Search, Google Bilder und jede andere Form von Suche und Aggregation, die mehr umfasst, als einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.

Das mag sein. Die Einverständniserklärung, die Google im vergangenen Jahr forderte und die die VG Media für einen Missbrauch der Marktmacht Googles hält, bezog sich allerdings ausschließlich auf „Google News“.

Die VG Media weiter:

Außer Google weiß niemand, mit welchen Mechanismen die verschiedenen Google-Dienste miteinander verknüpft sind. Die VG Media hat deutliche Hinweise darauf, dass die Auslistung aus Google-News auch Auswirkungen auf die Auffindbarkeit in der Suchmaschine hat. Google verschweigt die Auswirkungen, die die angedrohte Auslistung von „Google News“ auf die anderen Google-Dienste hat, insbesondere auch auf die allgemeine Google-Suche.

Ich hatte im Juli, als ich die Antwort bekam, auch schon den Verdacht, dass es sich bei den „deutlichen Hinweisen“ um bloße Mutmaßungen handelt. Und selbst wenn nicht, hätte das nichts mit dem Vorwurf zu tun, den die VG Media und Verlage wie Madsack gegen Google erhoben haben, nämlich mit einer Auslistung aus der Suche zu drohen.

Irgendwie bin ich nicht überrascht über die Klatsche des Kartellamts für diesen Verein.

Nachtrag, 18:50 Uhr. Die VG Media bezeichnet die Meldung von FAZ.net sprachlich originell als „sachlich unzureichende Darstellung und Bewertung“ des Sachverhaltes.

iRights.info dokumentiert das Schreiben des Kartellamtes im Original und kommentiert es.

 

Abwarten und totsaufen

Plötzlich war es also da, einfach so, inmitten der Stadt Fürth in Mittelfranken, wo rund 120.000 Menschen leben, es einen Bürgermeister von der SPD gibt und eine Lokalzeitung, die weiß, was sie nicht tut. Von heute auf morgen lag es da rum, das unbekannte Subjekt, und die Reporter der „Fürther Nachrichten“ haben es gleich identifiziert, denn es lag in einem Park in der Innenstadt, hatte lediglich einen „kleine[n] Rucksack“, eine Gitarre und sonst nicht viel, wie die Zeitung wissen lässt.

Und nun treten Sie bitte besser schon mal einen Schritt zurück und halten sich Nase und Augen zu, denn das unbekannte Subjekt, um das es sich handelt, ist:

ein Obdachloser.

120.000 Einwohner in Fürth müssen zusehen, wie ein einzelner Obdachloser auf öffentlichem Grund versucht, irgendwie klarzukommen. Die schockierende Meldung: „Der Obdachlose wurde – vor aller Augen – zum Bewohner des kleinen Parks.“ Vor aller Augen! Es ist so schlimm. Das haben den „Fürther Nachrichten“ auch „Experten“ versichert: „Es ist ein ungewöhnlicher Fall, nicht nur weil es in Fürth in jüngerer Zeit nach Erkenntnis von Experten keine Menschen mehr gab, die dauerhaft im Freien lebten.“ Keine Obdachlosen also in Fürth. Gesegnete Stadt.

Aber nun sehen die armen Leute in Fürth eben live, was sie sonst nur aus dem Fernsehen oder vom Drei-Tage-Bustrip nach Berlin kennen: Armut. Was die Reporterin auch rührselig notiert: Wie es da liegt, das „Bündel Mensch im Pavillon“, auf der „Isomatte, die die Kälte des Steins erträglich macht“. Und wie es, „hinkend“ und „nie aggressiv, nie laut“, durch den Tag zu kommen versucht, zwischendurch auf der Gitarre spielt, das immergleiche Lied, um an etwas Geld zu kommen.

Was macht also die Lokalzeitung?

Sie geht mal zu dem Unbekannten hin. Fragt, wer er ist. Fragt, woher er kommt. Was mit ihm geschehen ist. Fragt, ob es ihm gut geht oder er Hilfe braucht. Gibt ihm etwas Geld oder zu essen und zu trinken. Ruft in der Zeitung dazu auf, zu helfen. Trommelt. Macht. Schreibt dann eine herzzerreißende Geschichte über einen Obdachlosen und dessen Schicksal. Sie ruft die Polizei.

„Ein besorgter Anruf aus der FN-Redaktion nach den ersten Tagen war Anlass für die Polizei, die Personalien des Mannes festzustellen.“

Diese tiefe Besorgnis, sie muss immens sein, so immens, dass die Lokalreporter nicht aus der Redaktion bzw. in die Nähe des Unbekannten gehen können. Aus gebotener Entfernung und in tiefer Sorge hat die Zeitung den Obdachlosen also abgelichtet, netterweise von hinten, wie er da im Schlafsack liegt, ein Tetrapack neben sich und die Gitarre. Wo er möglicherweise herkommt, was möglicherweise ist, all das erfährt der Leser aus zweiter und dritter Hand, weil das Lokalblatt, statt mit dem Mann Kontakt aufzunehmen, seine Zeit damit zubringt, nach der Polizei auch noch das Sozialamt anzurufen. Und zu warten. Und zu kucken. Und zu warten.

Aber gut, mit Hilfe der einigermaßen hilflosen Sozialamts-Chefin wird dann in den „Fürther Nachrichten“ wenigstens noch mal dargelegt, wie, Zitat: „uferlos“ dieses Problem mit dem einen Obdachlosen doch scheine. Und dass man da jetzt auch nicht recht, ähä, nun ja, also: Man kann ja niemanden zwingen. Man kann ihm nur Optionen aufzeigen. Eine hätte die Sozialamts-Chefin schon mal anzubieten:

Es handle sich immer noch um einen freien, erwachsenen Mann, den man nicht entmündigen dürfe, der sich, wenn er dies wolle, auch totsaufen dürfe.

Der Artikel, ihre Untätigkeit – beides hat den „Fürther Nachrichten“ schon Rüffel von ihren Lesern beschert. Die Redaktion hat trotzdem eine total sozialkritische Erklärung parat, warum sie das jetzt so gemacht hat und nicht anders:

„Der Artikel beschäftigt sich damit, dass es in einer Stadt wie Fürth – erschreckenderweise – drei Wochen lang nicht gelungen ist, einem schutzbedürftigen Menschen zu helfen bzw. überhaupt erst einmal zu erfahren, ob er sich Hilfe wünscht.“

Dazu hätte ich eine kurze Frage: Hä? Die Autorin des Artikels ist erst damit beschäftigt, Ämter zu alarmieren und drei Wochen abzuwarten, ob sich was tut, um sich dann, weil sich nichts tut, damit zu befassen, dass sich nichts tut? Knaller. Das hätte der selbstreferentiellste Text zwischen ungefähr 1987 und heute werden können. Nur fragt sich die Zeitung leider nicht, weshalb sie nichts (anderes) tat.

Der Obdachlose, ein Mann aus Ungarn, bekam übrigens offenbar doch noch Hilfe, wie die Redaktion in einer Stellungnahme auf eine Leser-Beschwerde schreibt. Eine Leserin der „Fürther Nachrichten“ fuhr hin, konnte sich auf Ungarisch mit dem Mann verständigen und bot ihm Geld für ein Zugticket an. Angeblich hat er sich darüber gefreut. Das Bittere ist bloß: Weil die Hilfsaktion durch den Artikel ausgelöst wurde, denken sie bei den „Fürther Nachrichten“ nun wahrscheinlich, dass ihre Arbeit etwas bewirkt habe – und dass das Lokaljournalismus ist.

Nackt-Selfie-Affäre in der Schweiz: „Jetzt muss er auf die Knie“

Es ist eine pikante Geschichte, mit der gerade in der Schweiz der Boulevard gepflastert wird und die gestern Abend groß im Fernsehen, bei SRF1, diskutiert wurde. In Kurzform geht sie so: Ein Politiker, Nationalrat und Stadtammann, fotografiert sich (halb-)nackt, angeblich auch tagsüber in Diensträumen, und verschickt die Fotos nebst passender Kurznachrichten an eine Frau. Die Bilder und Texte liegen inzwischen, wie angeblich auch Ton-Mitschnitte von Gesprächen des Politikers, in etlichen Schweizer Redaktionsstuben, wo man sich fröhlich über sie hermacht. Allen voran: die Wochenzeitung „Schweiz am Sonntag“.

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Deren Chefredakteur, Patrick Müller, ließ es sich voriges Wochenende nicht nehmen, sein Blatt höchstselbst mit der Story vollzutropfen und ausführlich zu zitieren, was auf den Bildern des Nationalrats Geri Müller zu sehen und in den Nachrichten Schlüpfriges zu lesen ist. Privat waren die Dokumente für die „Schweiz am Sonntag“ nicht mehr, da die Aufnahmen ja im Stadthaus gemacht worden sein sollen, teilweise zur Dienstzeit, weshalb das von öffentlichem Interesse sei.

Zumal dem Nationalrat im Text auch unterstellt wird, er habe, durch sein Amt bevorteilt, die Polizei auf die Frau gehetzt, um an ihr Handy und damit an die Bilder und Nachrichten zu kommen. Klingt wie eine Tatsache, geschrieben aus Sicht des vermeintlichen Opfers, gedruckt in der „Schweiz am Sonntag“:

„Im Polizeiauto ist für sie klar: Der Stadtammann hat die Stadtpolizei losgeschickt, um ihr das Handy wegzunehmen.“

Das ist schon interessant. Hier wird suggeriert, der Politiker habe die Polizei quasi für private Zwecke instrumentalisiert, was tatsächlich von öffentlichem Interesse wäre. Aber die Frage ist: Stimmt es überhaupt? Nationalrat Müller stellte es gestern auf seiner Pressekonferenz anders dar. Die Frau sei in Not gewesen, sagte er, deshalb habe er die Polizei alarmiert. Also, um sie zu schützen. Oder eine andere Frage: Was war das für eine Beziehung? Wie eng war sie? Geht eigentlich niemanden was an, aber auch dazu kursieren verschiedene Versionen. Wie auch dazu, wer auf wen Druck ausgeübt hat. Der Nationalrat auf die Frau? Oder sie (auch) auf den Nationalrat? Es ließe die Sache in jeweils ganz anderem Licht erscheinen.

Aber die Gerüchte sind draußen und all die schmutzigen und erfundenen Details. Die heißeste Erfindung: das Alter der Bekannten. In der „Schweiz am Sonntag“ ist lediglich die Rede von einer „jungen Frau“, doch so wummst das natürlich noch nicht. Plötzlich wird kolportiert, der 53-jährige Politiker habe da was mit einer 21-Jährigen gehabt, worauf man sich natürlich prima einen runterschreiben kann, was auch etliche gemacht haben. Der alte Sack, das junge Ding – das läuft ganz gut, auch wenn es nicht stimmt. Nationalrat Müller hat dazu gestern erklärt, die Frau sei nicht 21, sondern 33 Jahre alt. Naja, und wer hat’s erfunden? Die Gratiszeitung „20 Minuten“. Online schrieb sie, noch bevor „Schweiz am Sonntag“ ihre Print-Geschichte mittags selbst ins Netz stellte:

„Die Geschichte, die die Zeitung ‚Schweiz am Sonntag‘ heute über den Grünen Badener Stadtrat und Nationalrat Geri Müller und dessen angebliche 21-jährige Handy-Sex-Chat-Partnerin schreibt, ist hochbrisant.“

Dass das Alter offenbar nicht stimmt, hat „20 Minuten“ inzwischen begriffen und sich entschuldigt. Chefredakteur Marco Boselli schreibt auf meine Nachfrage: „Der Fehler geschah auf Grund einer – im Nachhinein kaum mehr rekonstruierbaren – Fehlinterpretation des Original-Textes.“ Was wohl darauf hinaus läuft, dass der Autor des Artikels die Altersangabe irgendwo am Wegesrand gefunden hat. Man müsste viel „interpretieren“, um aus der Wendung „junge Frau“ abzuleiten, dass die so etwa genau 21 ist. In ihrer Korrektur schreibt „20 Minuten“, man habe die Altersangabe in allen Artikeln „entfernt“ und weise mittels einer Box darauf hin.

Stimmt.

So eine unscheinbare Box steht auch im Interview mit der „Sexologin Esther Schütz“, das mit der Frage beginnt: „Warum lässt sich eine 21-Jährige mit einem über 50-jährigen Politiker wie Geri Müller ein?“ Und in der zweiten Frage ist von der „21-Jährigen Geliebten“ die Rede. Davor und danach spekuliert die Sex-Tante, wieso irgendwer irgendwas macht, um einen „Kick“ zu bekommen, während „20 Minuten“ dafür Klicks bekommt. In der nun eingefügten Box heißt es, man habe das Interview in der Annahme geführt, die Frau sei 21, das stimme aber nicht. Worin bei „20 Minuten“ allerdings niemand einen Grund sieht, das Interview zu löschen. Stattdessen steht es da und verbreitet weiter Legenden.

Das falsche Alter, die schmierigen, unbestätigten oder erfundenen Details bleiben kleben, wie immer in solchen Fällen. Im Netz findet sich die falsche Altersangabe auch an anderen Stellen, beispielsweise in einem bemerkenswerten Kommentar der „Basler Zeitung“. Der Autor ahmt so etwas wie eine Argumentationskette nach, die bei der Hauptfigur der Serie „House of Cards“ beginnt und über Geri Müller und seine „sexuelle Beziehung zu einer 21-jährigen“ Frau führt, um dann bei Silvio Berlusconi und Bill Clinton anzukommen. Fazit: Vögeln darf man überall, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Oder im Wortlaut:

„Selbstverständlich darf man in der Badener Amtsstube Sex haben, auch auf der Toilette, auf dem Parkplatz, im Lift, wo es eben beliebt – aber man sollte sich nicht erwischen lassen.“

Was schön die schwiemelige Moral zeigt, mit der hier die Geschichte breitgetreten wird. Denn es bedeutet ja schlicht: Machen darf jeder alles, aber sobald er erwischt wird – Feuer frei! Der Autor attestiert dem Politiker dementsprechend noch, einer „organisierte[n] Form von Sexualität“ gefrönt zu haben, da er, der Nationalrat, ja regelmäßig Nachrichten verschickte. Was schweizerisch-ordentlich klingt, aber auch so ähnlich wie „organisierte Kriminalität“. Der Text endet deshalb folgerichtig mit einem Richterspruch:

„Jetzt muss er auf die Knie. Das sind die Mechanismen der Öffentlichkeit.“

Auf die Knie. Weil er sich „erpressbar gemacht“ und „dämlich verhalten“ habe. Kurz abgesehen von der (wahrscheinlich beabsichtigten) sexuellen Konnotation – es ist ein bezeichnendes Bild vom Journalisten, der oben steht und auch bei dünner Faktenlage urteilt, wer sich nun bitteschön in den Staub werfen soll.

Wo Nationalrat Geri Müller übrigens längst ist: Der Nationalrat hat sich gestern Abend in der Sendung „Club“ bei SRF1 einer Runde gestellt, in der mehr als eine Stunde lang ausschließlich über ihn und untenrum geredet wurde.

  • Ebenfalls zum Thema: Kollege Rainer Stadler schreibt im NZZ-Blog, dass Vorsicht hier oberstes Gebot wäre. „Und Schweigen öfters besser.“

Gastblogger: Boris Rosenkranz

Ich glaube ja, dass ein Grund für die chronische Überlastung der ZDF-Pressestelle darin besteht, dass mehrere Mitarbeiter vor einiger Zeit dafür abgestellt wurden, kleine Boris-Rosenkranz-Voodoo-Puppen zu basteln. Spätestens als er mit einem Kamerateam von „Zapp“ auf dem Mainzer Lerchenberg auftauchte und dort einfach den Fernsehrat beim Sich-Versammeln-im-Konferenzraum filmen wollte. Da könnte ja jeder kommen. Und kommt auch! „Wir hatten in der letzten Zeit ein paar Fälle“, sagt ZDF-Kommunikationschef Alexander Stock, „wo sich ein paar Journalisten im Haus bewegt hatten.“

Jedenfalls entstand bei der Gelegenheit der folgende schöne Beitrag für das NDR-Medienmagazin:

Rosenkranz geht gerne zu Medienanlässen und fällt anderen zur Last, bei einer „Nacht der Medien“ in Hamburg („Herr Struhunz? Wir suchen die Krihise!“) ebenso wie bei Christian Wulffs Buchvorstellung („Herr Wulff, ist das denn heute auch ein Tag, wo Sie sagen, komm‘, wir machen einen Neuanfang, ich verzeih‘ Euch, ihr Medien?“).

Die Sommerpause von „Zapp“ hat er durch frenetisches Twittern überbrückt und nebenbei das ZDF um Kopf und Kragen gefragt.

Die nächsten Wochen tobt er sich neben seiner Arbeit bei „Zapp“ hier im Blog ein bisschen aus.