„Spiegel“-Autor Neef: „Das ‚Stoppt Putin jetzt‘-Titelbild war misslungen“

Christian Neef, der für den „Spiegel“ unter anderem aus der Ukraine berichtet, hat sich vom „Stoppt-Putin jetzt!“-Titel distanziert. Anders als die Verschwörungstheoretiker glauben wollten, sei das Cover zwar nicht von der CIA initiiert, aber ein Beispiel dafür, „dass wir in Zeiten wie diesen noch mehr über Titelzeilen und -bilder nachdenken müssen.“ In einem Gastbeitrag für das „Medium Magazin“ schreibt er:

Das Titelbild von Heft 31 war misslungen. Zum einen, weil die Zeile „Stoppt Putin jetzt“ missverständlich ist — auch wenn ich den Gedanken dahinter teile. Zum anderen, weil die Fotos der Opfer von MH 17 von vornherein unterstellten, dass Russland die Boeing abgeschossen hat. Und drittens, weil es ein „unspiegeliger“ Titel war — „Spiegel“-Titel sollten klug, anregend und mitunter auch doppelsinnig sein, keinesfalls plakativ. Vielleicht sollten wir unseren Lesern mitunter auch Einblick in die heißen Debatten gewähren, die jeden Freitag im Titelbild-Ressort des „Spiegels“ entbrennen.

Ich denke, darauf können wir noch lange warten.

Das „Medium Magazin“ beschäftigt sich in seiner aktuellen Titelgeschichte „Ihr lügt doch alle!“ aus vielen Perspektiven mit der „Glaubwürdigkeitsfalle“, in der sich Medien befinden. Zu Wort kommen unter anderem WDR-Chefredakteurin Sonia Seymour Mikich, ARD-Korrespondentin Golineh Atai, „Zeit“-Politikchef Bernd Ulrich und der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Thevessen. FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher äußert sich in einem ausführlichen Interview zur Redaktionskultur bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und den Vorwürfen von Udo Ulfkotte. Und der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger kritisiert (auch frei online in der Leseprobe) die inzwischen berühmte Untersuchung von Uwe Krüger über den „Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten“ und wirft dem Kollegen schwere wissenschaftliche Versäumnisse vor. (Von mir stehen auch ein paar Zeilen zu Ulfkotte im Heft.)

In dieser Überschrift ist skyne Werbung für einen Pay-TV-Sender versteckt

Vielleicht sollten sie bei der „Rheinischen Post“ überlegen, die nächste Kolumne von Sky du Monts Sohn schreiben zu lassen. Oder neben der Kolumne einen Banner zu platzieren, auf dem steht: „The sky is the limit“. Oder: „Das Skylight der Woche“. Irgendwas. Und ruhig schön blöd. Hauptsache, da steht noch mal Sky. Wie der Pay-TV-Sender. Sky. Sie wissen schon. Sky. Haben Sie gehört? Sky. Sky. Sky.

Einen anderen Grund für die Kolumne „Sky-Reporter“ kann es nicht geben. Außer: Möglichst auffällig den Namen des Senders unterzubringen. Seit drei Wochen schreiben bei RP-Online Jugendliche über das, was sie samstags in der Glotze gesehen haben: Fußball. Da steht dann zum Beispiel, dass nun das Freistoß-Spray auch in der Bundesliga benutzt wird, ein Freistoß von Bayern „allerdings“ daneben ging und ein anderer rein. Und dass es nun „spannend“ wäre, zu wissen, „ob der Freistoß auch ohne den Spray den Weg ins Tor gefunden hätte“, was aber doch nicht sooo interessant sei, weil das Spiel ja eh 6:0 ausging. So steht das da.

Screenshot "Rheinische Post" 3.11.2014

Die Jugendlichen freut das wahrscheinlich, mal was für eine Zeitung schreiben zu dürfen, und das ist ja auch schön. Die „Rheinische Post“ macht sich aber offenbar nicht mal die Mühe, das inhaltlich intensiv zu betreuen. Oder Rechtschreibfehler zu korrigieren. Wäre ja auch viel Arbeit bei Texten, die so rund sechs bis sieben Sätze umfassen. Damit aber wenigstens die Kernbotschaft ankommt, heißt der erste Schreib-Schüler der Marketing-Kolumne sicherheitshalber – Skye. Kein Scherz.

Die Emanzipation der Youtuber

Krautreporter

Videoblogs boomen, aber im Wachstums- und Kommerzialisierungsrausch droht der Zauber des Mediums unter die Räder zu kommen. Eine Gruppe bekannter Youtuber will mit einem Verein Alternativen entwickeln und über Inhalte reden, nicht über Klickzahlen. Sie suchen auch nach ihrem eigenen Selbstverständnis.


Foto: www.svensonpictures.com

Ein Dachgeschoss-Loft in einer ehemaligen Fabrik in Berlin-Neukölln. Marie Meimberg steht am Kochblock und macht Käse-Spätzle, viele Käse-Spätzle. Eine Auflaufform voll steht schon im Backofen, in eine zweite schichtet sie abwechselnd frische Nudeln und Käse. Kerzen brennen, große Weingläser stehen bereit, im Hintergrund läuft unaufdringliche Jazzmusik, quer durch den großen, offenen Wohnbereich hängen noch Girlanden von einer Geburtstagsfeier in der letzten Woche, in der Ecke steht ein Fußball-Kicker.

Es wirkt, als hätte man sich in eine ZDF-Familienserie verlaufen.

Marie erwartet Gäste. Es ist Vereinsabend. Alle paar Wochen treffen sich die Mitglieder des Vereins „301+“, lassen es sich gut gehen und arbeiten an der Rettung der Youtube-Szene in Deutschland.

15 Freunde zwischen 21 und 31 sind sie, Studenten, Selbständige. Marie ist dabei, die persönliche Filme macht; Dominik, der versponnene Filme macht; Steven und Rick, die lustige Filme machen; Marti, der musikalische Filme macht, Robert, der Filmkritik-Filme macht. Die bekanntesten sind Nilam Farooq, die als daaruum über Mode und Lifestyle bloggt, und Florian Mundt, der als LeFloid das Zeitgeschehen kommentiert und den seine Freunde hier „Flo“ nennen.


Foto: www.svensonpictures.com

Die Szene der Youtuber wächst gerade wie blöd. Große Unternehmen, teils mit Millionen im Rücken, versuchen von dem Boom zu profitieren und heizen ihn weiter an. Sie vermarkten und vernetzen die einzelnen Videoblogger, helfen ihnen, ihr Publikum zu vergrößern und Geld zu verdienen. Worum es ihnen geht, formuliert Christoph Krachten, Präsident des größten Netzwerkes Mediakraft, in erstaunlicher Klarheit: „Wachstum, Wachstum, Wachstum!“

Die 15 Freunde von „301+“ eint der Gedanke, dass das nicht alles sein kann. Und die Sorge, dass bei dem Tempo und der Art des Wachstums gerade das auf der Strecke bleiben könnte, was den Reiz des Mediums eigentlich ausmacht. „Alles, was ich an Youtube immer propagiert habe, warum es so geil ist, dass ich mein eigener Herr über alles bin – das verkommt langsam“, sagt Flo. „Uns verbindet die Sorge um den guten Content und die Community.“

Er ist einer der erfolgreichsten. Sein Videokanal hat über zwei Millionen Abonnenten. Der Erfolg führt in dem Klima der überhitzten Kommerzialisierung und Professionalisierung aber nicht dazu, dass auch andere versuchen, ihren Weg zu gehen, sondern dazu, seinen nachzugehen. „Man hat Kanäle wie den von Flo genommen“, erzählt Marie, „und fast schon gesagt: Okay, was macht der? So müssen’s jetzt alle machen. Schlimm finde ich, dass sich die Inhalte angleichen. Jetzt lernen alle: Okay, ich muss möglichst viele Kooperationen machen, ich brauche ein Intro, eine ‚Endcard‘ am Schluss, die auf eine bestimmte Weise aussehen muss; in Minute so-und-so muss ich das tun; das Video darf nicht länger sein als so-und-so …“

„Das sind halt alles Regeln, die eigentlich irrelevant sind!“, sagt Dominik.

„Das ist so ein Quatsch!“, sagt Marie.

Flo, alias LeFloid, sagt, er leide darunter, wie sehr die kommerziellen Netzwerke den Nachwuchs beeinflussen, in jeglicher Hinsicht: „Heute werden Nachwuchs-Youtuber herangezüchtet, mit dem Versprechen, sie werden der nächste große, geile Shit – und das betrifft jedes einzelne Netzwerk, nicht nur Mediakraft. Das Problem daran ist, dass man sich heute mit Nachwuchskünstlern auseinandersetzen muss, die einen anderen Antrieb haben als wir. Die gar nicht mehr eine intrinsische Motivation haben, sondern aufgepumpt und hochgezüchtet werden und sich dann fragen: ‚Warum zur Hölle hab ich nach 14 Tagen immer noch nicht 100.000 Abonnenten?‘, ‚Warum wollen meine Netzwerk-Kollegen von Y-Titty mit drei Millionen Abonnenten jetzt nicht mit mir mit meinen 1.000 Abos kollaborieren, das müssen die doch machen.‘ Dieser Anspruch auf Erfolg, der da künstlich eingeimpft wird in jeden kleinen Hoffnungsträger, macht meiner Meinung nach vieles kaputt, was den kreativen Input angeht, die reine Motivation aus sich selbst heraus.“

So sind sie, diese jungen Youtube-Leute. Reden sich in Rage und bringen trotzdem noch Worte wie „intrinsische Motivation“ unter.

LeFloid hat gerade bekannt gegeben, dass er sich von Mediakraft trennen wird, und für ein Unternehmen, das derart zahlenfixiert ist, ist das ein besonders bitterer Verlust. Was man so hört, klingt nicht danach, als ob beide harmonisch auseinandergehen würden.

Die Netzwerke sind ein Teil des Problems, wobei den „301+“-Leuten wichtig ist, dass sie sich nicht als Gegner der Netzwerke verstehen. Sie wollen nur zeigen, dass es auch einen anderen Weg geben kann, in dieser Youtube-Welt, einen eigenständigen. Das ist gar nicht selbstverständlich, wie Robin alias RobBubble besonders handfest erlebte, als man ihn nicht bei den Videodays reinlassen wollte, dem jährlichen Mega-Event der Szene in Köln, bei dem viele Tausend Fans ihre Stars treffen. „Bei der Akkreditierung am Eingang wurde ich gefragt, zu welchem Netzwerk ich gehöre. Ich hab gesagt: Bei keinem. Da hieß es: Das geht nicht.“

Es muss eine lustige Szene gewesen sein, denn von den Fans war er längst erkannt worden und musste schon Autogramme geben. Sie ließen ihn schließlich rein.

Robin sagt: „Die Leute sehen uns und sehen, dass es auch anders gehen kann. Wir wollen den Markt ein bisschen aufrütteln, dann kann jeder selbst entscheiden. Ich bin auch ein großer Fan von dem, was Netzwerke leisten können. Nur haben sie momentan eine gewisse Monopolstellung. In Zukunft gehen Leute vielleicht nur dahin, wenn es wirklich für sie einen Mehrwert hat.“

Auch die Gründung von „301+“ hängt mit einem Abschied von einem Netzwerk zusammen: Vor einem halben Jahr hatte Marie bei Mediakraft gekündigt, wo sie als „gute Fee“ gearbeitet hat. „Es gab danach ganz viele, die mir angeboten haben, ein Netzwerk zu gründen. Mir war aber klar, wir brauchen jetzt nicht noch ein Netzwerk in dieser Szene, die sich fast schon anfühlt wie eine Immobilienblase, wo viel zu viele Netzwerke um viel zu wenige Youtuber buhlen.“ Sie fand dann ganz andere Themen relevant, die gerade im Gegenpart zur Wachstumsfixierung und Professionalisierung liegen: „Wo diskutieren Creators über ihre Verantwortung? Wann übernehmen sie Verantwortung? Wie wollen sie selber die Szene mitgestalten und sich nicht nur von ihrem Netzwerk vertreten lassen?“

Von einem „Empowerment“ der Videoblogger spricht sie. Es fallen dann noch Begriffe wie „Emanzipation“ und „Nachhaltigkeit“. Rick von den Space Frogs legt Wert darauf zu betonen, dass es nicht nur darum ging, dass sie unzufrieden waren, und Marie stimmt zu: „Es war schon eher ein positiver Moment.“

Sie verstehen sich als Freundeskreis, aber es war ihnen auch wichtig, zu zeigen, dass es ihnen ernst ist, dass das hier nicht nur eine Bierlaune ist. So entschlossen sie sich, den formellen, umständlichen und irgendwie merkwürdig altmodischen Weg zu wählen, einen richtigen deutschen Verein zu gründen, mit Schatzmeister und Protokollen und allem. Die Form ist eine klare Distanzierung von Netzwerken und gewinnorientierten Agenturen. Und sie soll auffallen, eine gewisse Resonanz hervorrufen, wie Flo sagt: „Damit die Leute sehen, es ist ein Bündnis.“ (Der Name „301+“ steht übrigens für die Zahl, die bei Youtube früher lange pauschal eingeblendet wurde, wenn ein Video mehr als 300 Abrufe hatte.)

Sie waren schon bei den Leuten von Youtube und haben Wünsche und Anliegen vorgetragen. Sie reden mit vielen. Und sie finden es nur halb abwegig, wenn man sie mit einer Gewerkschaft vergleicht – wobei sie erst einmal herausfinden müssen, was sie überhaupt leisten können und wollen. Rechtsberatung zum Beispiel sicher nicht, aber bei vielen Youtubern, meinen sie, würde schon der gute Rat helfen, einen Anwalt über die Verträge schauen zu lassen, die man unterschreibt.

Vor allem aber soll ihr Verein ein Ort sein, an dem man sich austauscht über das, was man tut. Über Inhalte statt über Reichweite. Und über das eigene Selbstverständnis.

Es ist ein merkwürdiges Medium, dieses Youtube, mit einem ganz besonderen Verhältnis zwischen den Machern und dem Publikum. Es ist unmittelbar, ungefiltert und sehr persönlich. Und trotzdem ein Massenmedium. Diese Kombination aus großer Nähe und großem Publikum ist nicht ohne Probleme, und damit ist nicht einmal gemeint, dass LeFloid nicht mehr zum Elektronikmarkt gehen kann, ohne eine halbe Stunde lang von einer Traube von Menschen belagert zu werden. Bei den Videodays haben Fans teilweise mehrere Stunden angestanden und konnten ihre Idole trotzdem nicht treffen – ein Scheißgefühl, wie LeFloid sagt.

Marie hat Anfang Oktober ein bemerkenswertes Video gemacht, das die besondere Beziehung zwischen den Youtubern und ihren Zuschauern thematisiert. Sie hat es „Ich bin nicht Eure Freundin!“ genannt und sagt darin:

„Ich habe das Gefühl, dass wir uns auf Youtube was vormachen, weil wir der Realität nicht ins Auge sehen und festhalten an einer Idee, die schon lange nicht mehr der Realität entspricht. Wir reden davon, dass wir alle auf einer Augenhöhe sind, dass Youtuber keine Stars sind und wir alle besser und anders sind als Fernsehen und Megastars und hastenichtgesehen. Aber das ist inzwischen nicht mehr wahr. Ich glaube, dass das Problem darin besteht, dass wenig Leute sagen, was Sache ist, weil man an dieser Illusion festhalten will. Dadurch verpassen wir aber die Möglichkeit, dieser Tendenz entgegenzuwirken oder zumindest ein Dazwischen zu finden. (…)

Wenn euch irgendjemand sagt, mit was weiß ich wieviel Tausend Abonnenten, dass jeder Abonnent ein Freund ist, dann lügt der euch einfach an. Dann ist das Quatsch. Das ist Quatsch. Und auch gefährlich, glaube ich.“

Es ist ein Video, das tastend nach einer Alternative sucht, etwas Neuem, einem Zwischending zwischen der Illusion von Freundschaft zwischen Youtube-Filmer und Youtube-Gucker einerseits und andererseits dem Verhältnis von Stars, die auf der Bühne stehen und von Fans, die vor der Bühne stehen, angehimmelt werden.

„Viele von uns wollen nicht nur Fans“, sagt Dominik, „sondern Leute, mit denen wir uns austauschen, wo Dialog entsteht.“ Das Thema beschäftigt sie alle.

„Wenn du dich für ein Leben mit Youtube entschieden hast“, sagt LeFloid, „bist du einen 24/7-Vertrag mit dir und deiner Arbeit eingegangen. Es wird einfach irgendwann ein Teil von dir, denn du bist verantwortlich für alles. Du bist verantwortlich für vieles und, wenn du darüber nachdenkst, auch für viele. Denn du hast bei vielen einen sehr, sehr hohen Stellenwert. Du bist irgendwann der große Bruder, die große Schwester. Das geht schon sehr nahe – dessen muss man sich auch bewusst sein.“

Ihr Verein ist ein Schritt aus dem Hamsterrad, um sich gemeinsam Gedanken zu machen, vielleicht der Anfang einer Independent- Bewegung, aber das ist alles noch offen. Langfristig, meint Marie, könnte so eine Youtuber-Emanzipation auch den großen Netzwerken zugute kommen: „Weil sie dann mit Leuten zu tun haben, die sich Gedanken gemacht haben, was sie wollen und was nicht.“

„Als Texte noch einmalig sein mussten, um gedruckt zu werden“

Wenn es Verwerfungen gibt in den Verlagen, rufen die Redaktionen beim früheren „Stern“-Chefredakteur Michael Jürgs an und lassen sich erklären, was da eigentlich passiert.

Denn diese Newspeak von krawattenlosen Flanellmännchen, die ohne uns Journalisten gebrauchte Tablets verkaufen müssten so wie ihre Vorgänger einst, als es so etwas noch gab, Nähmaschinen, und die bei Entlassungen wie Pferdeflüsterer von Freisetzungen reden — bedeutet in Wahrheit ja etwas ganz anderes. (…)

Als Texte und Fotos noch einmalig sein mussten, um gedruckt zu werden, als ihre Schöpfer noch First Class flogen und Verleger ihren Champagner aus den Gehirnschalen ihrer Chefredakteure tranken, umschwärmten Verlagsmanager die Fotografen und Autoren wie Motten das Licht.

Michael Jürgs, „Süddeutsche Zeitung“, 31.10.2014, über die Entlassungen bei Gruner+Jahr.
 

Zwar tranken Verleger, egal welcher Couleur, auch die im Norden ansässigen, den Champagner aus den Gehirnschalen ihrer Besten. (…)

Fürs Geschäft hielten sie sich hoch bezahlte Manager, die Springer abschätzig Flanellmännchen nannte und bei mangelndem Erfolg, wie auch Chefredakteure in stattlicher Zahl, gut abgefunden feuerte.

Michael Jürgs, „SZ-Magazin“, 27.7.2013, SZ-Magazin, über den Verkauf der Springer-Blätter an Funke.
 

Die Verlagsmanager, jahrzehntelang als natürliche Gegner der Journalisten gegrüßt und von Axel Springer „Flanellmännchen“ genannt, sind in den beiden aktuellen Fällen vom Vorwurf aktiver Sterbehilfe freizusprechen. Sie haben für die Krankenpflege und die Operationen teuer bezahlt. (…)

Denn die von ihnen geleiteten Verlage haben in fetten Jahren wie einst die genuinen Verleger ihren „Champagner aus Gehirnschalen der Journalisten schlürfend“ (Erich Kuby) Milliarden verdient – und es im Rausch der eigenen Bedeutung versäumt, Rücklagen zu bilden für schlechte Zeiten.

Michael Jürgs, „Tagesspiegel“, 2.12.2012, über die Zeitungskrise.
 

Was immer wir Journalisten von den jeweils amtierenden Vorsitzenden hielten, die Jahre brauchten, bis sie in die Rolle eines Verlegers hineinwuchsen und begriffen, dass sie ohne uns Wahnsinnige Nähseide oder Mähmaschinen verkaufen und selbstgebraute Biere trinken müssten, statt Champagner aus unseren Gehirnschalen zu schlürfen – niemals hätten wir widerspruchslos hingenommen, dass ein Gruner+Jahr-Chef, also letztlich einer von uns, durch gezielte Schüsse aus dem Hinterhalt erledigt wurde.

Michael Jürgs, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 9.9.2012, über Gruner+Jahr.
 

Der Verleger Axel Springer nannte sie abschätzig Flanellmännchen, obwohl er sie dringend brauchte. (…)

Wer schreibt, gehört zu den Lebewesen, aus deren Gehirnschalen Verleger einst ihren Champagner tranken (das Bonmot stammt natürlich von einem Journalisten, von Erich Kuby, dem persönlicher Luxus, bezahlt von seinen Verlegern, nie unlieb war

Michael Jürgs, sueddeutsche.de, 18.03.2010, über die Krise des Journalismus.
 

Axel Springer nutzte einst die Flanellmännchen fürs laufende Geschäft, aber er wusste, dass sein Verlag ohne die Eitlen von der schreibenden Zunft allenfalls eine Schraubenfabrik wäre.

Michael Jürgs, „Hamburger Abendblatt“, 24.11.2008, über die Medienkrise.
 

Richtig ist: immer wenn es kriselt, glauben Flanellmännchen, nunmehr schlage ihre Stunde und die Rettung in Gefahr und Not seien Entlassungen, Kürzung der Honorare, Verzicht auf teure Recherchen.

Michael Jürgs, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, 8.6.2008, über die Medienkrise.
 

Früher war das Primat der Redaktion in den Verlagen keiner Rede wert. Früher war nicht alles besser, aber fast alles. Nach dem Abgang der großen Verleger aber — Henri Nannen, Axel Springer, Rudolf Augstein, Gerd Bucerius, John Jahr –, die sowohl das eine als auch das andere beherrschten und darauf achteten, dass die von AS „Flanellmännchen“ genannten Kaufleute bei ihren Leisten blieben, wurden die Grenzen durchlässig.

Michael Jürgs, „Süddeutsche Zeitung“, 14.12.2006, über Machtkämpfe beim „Spiegel“.
 

Stärkt freie Feuerköpfe gegen festangestellte Flanellmännchen, gönnt den Korinthenkackern (nicht verwandt mit Euren Korinthern) den Ruhestand!

Michael Jürgs, „Süddeutsche Zeitung“, 24.12.2004, an das Christkind.
 

Sie sind mein derzeitiger Nachfolger. Habe ich hier oben etwas übersehen? Gab es außer Sparappellen auch journalistische Ideen? Ein Flanellmännchen ist ja noch kein Verleger. Der muss mit seinen Blättern wachsen oder fallen. Nicht mit ihrem Ende drohen.

Michael Jürgs, „Financial Times Deutschland“, 12.9.2003, als (!) Axel Springer an Mathias Döpfner.
 

Über das Schweigen der Belämmerten, weil keiner von uns recherchierte, wie viele Milliarden deutsche Zeitungs-und Zeitschriftenverleger in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren verdient haben, ihren Champagner schlürfend aus den Gehirnschalen der Journalisten, wie einst Erich Kuby erkannte.

Michael Jürgs, „Tagesspiegel“, 27.10.2002, über seinen Ärger über die Medien.
 

Schmutzzulage gilt für alle Chefredakteure, und manchmal müssen sie dafür anders bezahlen, nämlich in Zeiten, da sie angesichts einer Krise ihre Leute entlassen ins Ungewisse auf Anweisung ihrer Verleger, die in den guten Jahrzehnten zuvor viele Millionen mit den Ideen der Journalisten gemacht haben und ihren Champagner, laut eines immer noch gültigen Bonmots des Publizisten Erich Kuby, aus deren Gehirnschalen schlürften.

Michael Jürgs, „Tagesspiegel“, 28.7.2002, über Scheckbuchjournalismus.
 

Keine Helden, keine Schurken, nirgendwo. Alle haben verloren: Viele Redakteure, die glaubten, es müsse im Leben mehr als alles geben. Ein Verleger, der sich gegen Flanellmännchen im eigenen Verlag bis zum Schuss wehrte und dann aufgeben musste.

Michael Jürgs, „Süddeutsche Zeitung“, 12.03.2002, über die Einstellung der „Woche“.
 

Die von Axel Springer oft verächtlich Flanellmännchen genannten Manager übten sich immer schon in der Kunst, hinten zu meucheln, vorne zu lächeln, aber das ist eigentlich nicht der Rede wert.

Michael Jürgs, „Capital“, 20.4.2000, über den neuen Springer-Chef Claus Larrass.
 

Übrigens auch da war er Axel Springer ähnlicher, als man glaubt, denn auch der sprach verächtlich über die leider so notwendigen Flanellmännchen aus den Verlagsetagen.

Michael Jürgs, „Hamburger Abendblatt“, 3.9.1999, über Henri Nannen.
 

(Unvollständige Auswahl.)

Neues aus der Ranking-Redaktion: Der schönste Werbeclip im „Ersten“

Wenn die ARD repräsentative Umfragen veröffentlicht, sagt sie in der Regel dazu, was da gefragt wurde und wie viele der Befragten sich wofür entschieden haben; ist ja auch nicht ganz unerheblich. Nur zu den repräsentativen Umfragen, die der WDR einst machen ließ, um damit die „schönsten“ Bauernhöfe, Schlösser und Städte Deutschlands zu küren, sagt der Sender so gut wie nichts. Auch auf Nachfrage zu den methodischen Hintergründen schickt der WDR nur dürre Zeilen, wie neulich hier beschrieben. Was komisch ist, wenn man sonst doch Wert auf das Mittel der repräsentativen Umfrage legt und offen damit umgeht.

Ich habe deshalb, weil es mich interessiert, wie die Sendungen entstanden sind, an den WDR-Rundfunkrat geschrieben und gefragt, was der so dazu meint, dass der WDR an dieser Stelle so mauert. Die Vorsitzende Ruth Hieronymi antwortet, dass es „nicht Sache des Rundfunkrats“ sei, „zu entscheiden, ob der WDR redaktionelles Material veröffentlicht oder nicht.“ Da es aber seine Aufgabe sei, zu überwachen, ob der Sender seinen Programmauftrag erfülle, habe sie sich die Studien angeschaut. Resultat: Ruth Hieronymi kennt nun die Studien, kann aber auch nur wenig Erhellendes liefern, weil sie ja nicht zuständig ist. Leider. Aber man kann ja noch andere Leute um Antworten bitten.

Standbild "Die schönsten Bauernhöfe Deutschlands" (ARD)

Nehmen wir die Folge „Die schönsten Bauernhöfe Deutschlands“. Nach einigen Telefonaten ist mir nun schon etwas klarer, wie es lief: Die Umfrage für diese Sendung wurde, wie die anderen, vom Düsseldorfer Institut innofact gemacht – so viel hatte der Sender verraten. Laut Rundfunkrat gaben die ARD-Landessender vor, welche Höfe zur Auswahl stehen sollten. So habe man eine „bundesweite Streuung“ garantieren wollen, heißt es. Was auch damit zusammenhängt, dass die Dritten Ranking-Experten sind: Fast alle Höfe aus dem „Ersten“ liefen zuvor schon mal in einem Ranking im Dritten, zum Beispiel bei „Unsere schönsten Bauernhöfe“ im SWR Fernsehen. Das waren aber keine repräsentativen Umfragen, sondern Online-Votings. Die Vorauswahl trafen Autoren und Redakteure.

Bei der innofact-Umfrage wurden dann repräsentativ rund 1.000 Teilnehmer befragt. Ihnen wurden Fotos von Höfen gezeigt, und sie sollten entscheiden, welcher davon der „schönste“ ist, ganz subjektiv und oberflächlich. In der Sendung geht es natürlich um mehr: um die Historie der Anwesen; um die Betriebe, die dort ansässig sind; oder um Familiengeschichten der Hofeigner. All das Substanzielle der Sendungen war in der Studie nicht inbegriffen. Da ging es bloß um Ästhetik.

Unklar ist weiter, wie viele Höfe zur Auswahl standen, wie die Teilnehmer abstimmen konnten und was genau dabei herauskam. Die Ergebnisse der Umfragen haben ja nur innofact und der WDR; und ein Institut rückt so eine Studie nur raus, wenn es der Auftraggeber erlaubt. Man kann aber davon ausgehen, dass es, bei 1.000 Befragten und 30 Plätzen, auf den hinteren Rängen eng war. Doch um belastbare Statistik und Repräsentativität geht es hier ja ohnehin nur am Rande.

Es geht darum, einfachstes Fernsehen herzustellen, das seriös wirkt (durch die Studie); das eine leicht zu begreifende Dramaturgie hat (durch die Hitliste); und das günstig ist. Gedreht hat der WDR für die Bauernhof-Folge wohl kaum bis gar nicht, weil das Material ja vorlag. (Das dürfte bei den Schlössern und Städten ähnlich sein.) In mindestens einem Fall kamen die Bilder in der Bauernhof-Folge allerdings nicht von der ARD. Ausgerechnet das Finale der Sendung, den ersten Platz, hat der WDR mit Bildern aus einem Edeka-Werbefilm illustriert.

Einige der Bilder liefen schon mal im Privatsender TV Berlin, wo der Edeka-Filialist Reichelt bisweilen Betriebe aus der Region vorstellt, deren Produkte er vertreibt. Dazu gehört auch das Gut Hesterberg in Neuruppin, das beim ARD-Ranking gewann. Der Werbefilm wurde von Edeka in Auftrag gegeben und von TV Berlin produziert, mit Hilfe einer externen Produktionsfirma. Auf der Seite des Bauernhofs kann man den Film noch heute ansehen.

Im ARD-Ranking finden sich daraus nun Aufnahmen des Hofes und der Wurstproduktion, außerdem ein O-Ton aus einem Interview, das im Auftrag von Edeka mit der Betreiberin geführt wurde. Die ARD hat das Material offenbar kostenlos verwenden dürfen und damit günstigerweise einen Großteil des Porträts bestückt. Edeka kommt in der ARD-Fassung zwar weder bildlich noch im Text vor, der Bauernhof aber natürlich bestens weg. Nun ja, ist ja auch der schönste.

Das kann einem nun natürlich egal sein, weil es ja eh egal ist, welcher Bauernhof oder See oder Park bei diesen Rankings obsiegt, nicht wahr? Ist was dran.

Aber ich finde es trotzdem interessant, wie diese Sendungen hergestellt wurden, weil es zweierlei anschaulich zeigt. Erstens: Wie sonderbar verdruckst der WDR kommuniziert, wenn es um diese Sendungen geht. Und zweitens: Wie hier Programm gemacht wird. Da kauft der WDR eine Studie, in der es um Optik geht, und wenn es darum geht, diese Optik ins Fernsehen zu bringen, fährt nicht mal einer zu dem Gewinner hin und dreht – stattdessen greift man auf einen Werbeclip zurück. Offenbar echt egal, was da bei diesen Rankings hinten so rauskommt.

Offenlegung: Ich bin fester freier Mitarbeiter der ARD.

Gerechtigkeit für Revolverheld!

Ja gut. Dieser Blog-Eintrag wär jetzt echt nicht nötig. Aber irgendwie hat’s mir dann doch keine Ruhe gelassen, nachdem dieses schockierende Video in den letzten Tagen in den sozialen Medien die Runde machte:

Hochgeladen wurde es mit der Beschriftung „Revolverheld Worst Performance EVER“, und verbreitet unter anderem vom populären Bürozeitvertreibsblog Schlecky Silberstein:

Live und scheiße – Der mieseste Revolverheld-Auftritt aller Zeiten

Tja Revolverheld, der Plan ging nicht auf: Vor den 30 Zuschauern der NDR-Show DAS! muss man einen Auftritt also nicht sauber proben. Das sieht eh keiner. Also ging die Band direkt vom Drogen-Strich Neuharlingersiel ins Studio. Motto: Wir fiedeln das hier runter, nehmen die 300 Euro und Abflug. Da wurde leider die Rechnung ohne das Internet gemacht. Viel Spaß mit der beschissensten Version von “Ich lass für Dich das Licht an”, die Ihr heute hören werdet. Die Vollpfosten.

In den Kommentaren herrscht ein gewisses Rätselraten, ob Blogger Christian Brandes das Fake wirklich nicht als solches erkannte. Auch die Seite Testspiel.de präsentierte ihren Lesern das Video und staunte:

Revolverheld mit der vielleicht miesesten Performance von “Ich lass für Dich das Licht an” ihrer Karriere in der NDR Sendung „DAS!“. Unplugged. Wir sind sprachlos und schaffen es noch nicht einmal mehr, unsere Stimme gegen Revolderheld zu erheben.

Ja. Nun. Also, jedenfalls: Das hier war der mieseste Revolverheld-Auftritt aller Zeiten So klang es wirklich, als Revolverheld live bei „DAS!“ auftraten:

Gern geschehen. Und wär nicht nötig gewesen, weiß ich schon.

Udo Ulfkotte: Wie die FAZ mich aus den Fängen des BND rettete


Ulfkottes Danksagung an den BND und die Welt in seinem Buch „Verschlusssache BND“, 1997

Zu den aufregendsten Geschichten, die Udo Ulfkotte in seinem vor Fehlern strotzenden Bestseller „Gekaufte Journalisten“ erzählt, gehört die, wie zwei Schlapphüte vom Bundesnachrichtendienst bei der FAZ in einem Besucherraum saßen und ihm seine Artikel diktierten. „Absatz für Absatz“ hätten sie ihm 1993 weitgehend vorgegeben, was er über eine Giftgasfabrik in Libyen schreiben sollte, bei deren Bau europäische Unternehmen halfen. „Der BND machte das damals, mit Wissen deutscher Medienhäuser, nach Angaben seiner Mitarbeiter bei vielen Zeitungen so“, behauptet Ulfkotte.

Ich habe Zweifel daran, dass das so war, selbst im Fall von Ulfkotte. Denn Ulfkotte hat über diese BND-Connection selbst vor Jahren schon geschrieben, den Fall damals aber in entscheidenden Details anders dargestellt.

Im Jahr 2006 hatte Ulfkotte die FAZ längst verlassen. Er arbeitete als „Chefkorrespondent“ bei der Zeitschrift „Park Avenue“, einem kurzlebigen Versuch des Verlages Gruner+Jahr, eine Art „Vanity Fair“ zu machen. In der Ausgabe 07/2006 veröffentlichte er unter der Überschrift „Liebesgrüße aus Pullach“ einen langen Artikel darüber, wie der BND angeblich versuchte, ihn anzuwerben, und dann seine Naivität ausnutzte und ihn als Sprachrohr benutzte. Die über zwei Seiten lange Schilderung, wie die erste Kontaktaufnahme geschah, hat Ulfkotte Wort für Wort, nur mit winzigsten Änderungen, aus diesem Zeitschriftenartikel in sein Buch übernommen.

In dem acht Jahre alten „Park Avenue“-Stück kommt auch die Episode mit dem Artikel über die Giftgasfabrik vor. Aber es ist keine Rede davon, dass ihn die BND-Leute für ihn formuliert hatten, womöglich gar in der Redaktion sitzend. Ulfkotte schreibt stattdessen:

Ich wurde von BND-Leuten über alle Details dieser 1993 im Bau befindlichen Anlage informiert und schrieb dazu in der FAZ.

Er habe mangels eigener Kenntnisse ungeprüft exklusive Nachrichten veröffentlicht, „die der BND offenbar — im Nachhinein muss ich es so sehen — lanciert hatte, damit sie bemerkt würden“.

2006 schildert Ulfkotte es also so, dass er erst rückblickend gemerkt habe, dass der BND über ihn Nachrichten lanciert habe. 2014 behauptet er, die Texte seien ihm Absatz für Absatz diktiert worden.

Auch die Rolle, die die FAZ in diesem Spiel einnimmt, beschreibt Ulfkotte heute plötzlich ganz anders als damals. In der Darstellung in seinem aktuellen Buch ist die FAZ ein skrupelloses, korruptes Unternehmen, das ihn in die Arme des Geheimdienstes trieb und sogar mit Entlassung drohte, wenn er sich weigere, zum willenlosen Sprachrohr der Dienste zu werden:

Die FAZ ermunterte mich ausdrücklich dazu, den Kontakt zu westlichen Geheimdiensten zu verstärken und freute sich, wenn ich die mitunter von dort zumindest in Stichworten vorformulierten Berichte mit meinem Namen versah. (…)

Man war bei der FAZ richtig stolz darauf, dass man gute Kontakte zu „Geheimdienstkreisen“ hatte. (…) Ich habe daran zwar freiwillig mitgewirkt, aber mir wurde auch mitgeteilt, dass ich entlassen werden könne, wenn ich da nicht mitmache.

Vor acht Jahren schilderte er das noch ganz anders. Damals war die FAZ noch in der Rolle des besorgten Arbeitgebers, der vor zuviel Nähe warnt. Im Zusammenhang mit den Kontakten zum BND, der Ulfkotte bei einem Besuch in München angeblich die Möglichkeit zu einer vertraulichen Verbindung schuf, schrieb er:

Natürlich hatte ich die Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über alle Vorgänge unterrichtet. Der Kontakt war erwünscht, die Skepsis groß. Reisen und Gespräche durften nur mit Dienstreiseantrag und auf Kosten der FAZ unternommen werden. Eine weise Entscheidung.

Ulfkotte beschrieb sich selbst damals als unendlich naiv:

Ich hatte zu wenige Kontakte, die mir geholfen hätten, das vom BND Gehörte — es ging dabei ums Ausland, überwiegend den Nahen Osten — gegenzuprüfen. Ich nahm die Informationen eins zu eins für bare Münze.

Erst später habe er sich Distanz erarbeiten können, vor allem, weil die FAZ ihn immer wieder unterstützte, wenn er unlautere Ansinnen des BND zurückwies. Schließlich veröffentlichte er aus dem ganzen Material, das ihm zugesteckt wurde, ein Buch, das angeblich ein Befreiungsschlag war:

Der BND wollte das Manuskript vor der Veröffentlichung gegenlesen. Mit Rückendeckung der FAZ-Herausgeber lehnte ich das ab. Alle Drohungen aus Pullach halfen nichts, wir blieben bei der Haltung.

Das Buch „Verschlußsache BND“ erschien. Mit einem Schlag hatte ich mich aus dem Spinnennetz befreit. Das habe ich vor allem den Herausgebern der FAZ zu verdanken. Ohne ihre Loyalität hätte ich dem Druck kaum standgehalten.

Die FAZ, die dem unbedarften Jung-Redakteur, der dem BND auf den Leim gegangen ist, hilft, davon wieder Abstand zu gewinnen — das ist ziemlich exakt das Gegenteil von dem, was Ulfkotte heute über seinen ehemaligen Arbeitgeber erzählt. Dafür ist die heutige Geschichte natürlich ungleich aufregender und verkauft sich besser.

Als gesichert kann gelten, dass Ulfkotte grenzenlos gutgläubig war und auch in diesem Fall — wie auch bei bezahlten Einladungen zu Luxusurlauben — außerordentlich leicht zu beeindrucken, um nicht zu sagen: käuflich. Er selbst schilderte es 2006 in „Park Avenue“ so:

Ich war 33 Jahre alt und hatte Berührung mit dem Geheimsten alles Geheimen. Das ist es, wovon jeder Journalist träumt: mehr zu wissen als andere, eine Quelle aufzutun, die andere nicht haben. Besser zu sein als die anderen.

Das „Park Avenue“-Stück hat damals kaum Aufsehen verursacht. Aber inzwischen hat er einen Weg gefunden, aus solchen Geschichten Bestsellermaterial zu machen. Er stellt sein persönliches Versagen nachträglich als System dar. Dass die FAZ und vage als „renommierte deutsche Zeitungen“ bezeichnete Medien sich willentlich zum Handlanger des deutschen Auslandsgeheimdienstes machen und von ihm Artikel diktieren ließen, ist aber eine bloße Behauptung — die auch noch dem widerspricht, was er selbst vor acht Jahren über den Fall veröffentlichte.

[Offenlegung: Ich schreibe regelmäßig frei für die FAZ.]

Judd Nelson lebt, während andere von seinem angeblichen Tod profitieren

In den USA rast seit gestern diese Meldung durch die sozialen Netzwerke:

Falschmeldung zum angeblichen Tod von Judd Nelson

Sie wird getwittert und geteilt, allein auf Facebook inzwischen mehr als 200.000 Mal. Nur die Originalquelle. Und die Nachricht vom Tod des Schauspielers geht immer noch rum, dabei ist sie längst widerlegt. Judd Nelson wurde nirgends tot aufgefunden. Er lebt. Sein Agent bestätigte das gestern gegenüber der „Los Angeles Times“ und schickte ein Foto mit. Es zeigt Nelson mit einer aktuellen Zeitung.

Gestreut wurde die falsche Nachricht von einer Seite mit der Adresse foxnews.es, also scheinbar eine (spanische) Seite des US-Senders „Fox News“ – in der Fakenews-Welt gilt das vermutlich als Ausweis von Seriosität. Doch auf der Seite befindet sich offenbar nichts, bis auf jene Meldung. Und sowieso sollte einen die Aufmachung stutzig machen. Der Betreiber hat sich nicht mal die Mühe gemacht, die Seite so aussehen zu lassen, als wäre sie tatsächlich ein Ableger von „Fox News“. Im Gegenteil: Sie ist geradezu nackt. Oben finden sich die üblichen facebook- und twitter-Buttons. Dann die Überschrift. Werbung. Text. Werbung. Das war’s. Kein Logo. Keine weiteren Texte. Keine Bilder. Nichts.

Falschmeldung auf der Fake-Seite "foxnews.es"

Anderen Screenshots zufolge scheint es jedoch mal eine weitere Version der Seite gegeben zu haben mit einem Foto, das einer Eilmeldung aus dem US-Fernsehen nachempfunden war, inklusive „Breaking“-Banner. Doch ob mit oder ohne Foto: Es hat funktioniert. Auch nachdem die „LA Times“ berichtet hatte, dass die Meldung falsch sei, posteten Fans weiter ihre Trauer über Nelsons Ableben.

Nach Angaben des spanischen Domain-Verwalters Dominios wurde die Seite foxnews.es von einer Person namens Fred Post registriert. Googelt man die dazugehörige Mail-Adresse, stößt man auf weitere Seiten, die mit diesem Namen und dieser Mail-Adresse angemeldet wurden. Als Wohnort gibt Fred Post die Stadt Uvalde, Texas an, was aber wohl so falsch ist wie die Todesmeldung. Und nun wird es spannend: Fred Post gehört auch die Adresse okmagazine.us, die umgeleitet wird auf ebuzzd.com. Und eBuzzd ist mehr als berüchtigt, denn die Seite hat sich zur Aufgabe gemacht, jede Menge Schwachsinn in die Welt zu grunzen.

Fake-Meldung auf ebuzzd.com

Aktuell findet sich dort beispielsweise die Nachricht, Angelina Jolie zeige erste Anzeichen einer Ebola-Erkrankung, was aber auch lediglich eine Grippe sein könne. Das finden manche Menschen vermutlich genau so lustig wie all die anderen Geschichten, mit denen eBuzzd immer wieder für Furore sorgt, vor allem mit Falschmeldungen: Das Magazin verkündete vor ein paar Monaten, Phil Collins sei ein Arm amputiert worden; es schrieb, US-Fernsehstar Austin „Chumlee“ Russel sei gestorben; oder die Schauspielerin Betty White. Alles Unsinns-Artikel und derweil, jedenfalls teilweise, wieder gelöscht. Aber auch sie verbreiteten sich zunächst.

Wer hinter eBuzzd steckt, lässt sich über den üblichen Weg nicht herausfinden; die Seite wurde anonym registriert. Das Online-Magazin „PandoDaily“ aber hat den Mann hinter den Todesmeldungen bereits im Frühjahr enttarnt und sich in einem langen, lesenswerten Artikel mit ihm befasst. Demnach soll es sich um einen 36-jährigen Ex-Trucker aus Texas handeln, der seinen Führerschein nach einem Drogentest verloren hat. Nun besitzt er etliche Websites, die er unter verschiedenen Pseudonymen angemeldet hat. Fred Post, der Name des foxnews-Fakers, ist laut „PandoDaily“ zwar nicht darunter. Aber es kann ja sein, dass er sich inzwischen weitere Pseudonyme zugelegt hat. Jedenfalls sieht die Methode, mit der nun die Falschmeldung von Nelsons Tod viral ging, jener der eBuzzd-Macher ähnlich.

Laut „PandoDaily“ verhöhnen sie die Leser, die auf ihre Falschmeldungen reinfallen. Wer eBuzzd nicht möge, solle die Seite halt nicht besuchen oder teilen, sagt der Chef der Seite. Und sein Bruder äußerte sich in einem (inzwischen gelöschten) Facebook-Post abgeblich so:

Seriously, all of the people that responded to this are idiots! Read the fine print! LOL! It is a webpage for hoaxes! Damn! Get out and do something with your life! Stop letting television rot your brain!

Lustig, nicht? Auch wenn man jetzt nicht genau weiß, wieso das Fernsehen daran schuld sein soll, wenn Menschen auf kalkuliert gestreute Falschmeldugen im Internet reinfallen. Allenfalls offenbaren die Falschmeldungen die Schwachstelle sozialer Netzwerke, in denen alles sofort weitergebrabbelt wird, ohne darauf zu achten, ob die Quelle zuverlässig ist. Die Macher setzen dabei gezielt auf die Schocksekunde: Man liest, dass jemand gestorben ist – und weil einen das so angeht, erzählt man es gleich weiter. Dass das so prima funktioniert, wollen die eBuzzd-Leute wohl als eine Art Medienkritik verstanden wissen. Dabei dürfte der wahre Grund ein anderer, viel profanerer sein: Geld.

Neben den Falschmeldungen steht Werbung, etwa Google Adwords, wie im aktuellen Fall. Damit, so „PandoDaily“, ließen sich mehrere Zehntausend Dollar in wenigen Tagen verdienen, wenn nur genügend Leute auf die Werbung klicken. Der eBuzzd-Chef dementiert das allerdings und sagt, er habe (zumindest mit eBuzzd) bisher kaum Geld verdient. Was man jetzt glauben kann oder nicht.

„Ebenso lächerlich wie böswillig“: FAZ-Außenpolitikchef weist Ulfkotte-Vorwürfe zurück

Als „falsch“ und „ehrabschneidend“ hat Klaus-Dieter Frankenberger, der Außenpolitikchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, den Vorwurf zurückgewiesen, er habe sich vom Sultan von Oman kaufen lassen und Gefälligkeitsberichterstattung betrieben.

Erhoben hat diesen Vorwurf der frühere FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte. Ulfkotte profiliert sich seit einigen Jahren als „Gegner von Qualitätsmedien“ und schreibt Bücher wie „So lügen Journalisten“, „SOS Abendland“, „Vorsicht Bürgerkrieg!“ und „Albtraum Zuwanderung“. Im Kopp-Verlag („UFOs — Generäle, Piloten und Regierungsvertreter brechen ihr Schweigen“) hat er das Buch „Gekaufte Journalisten“ veröffentlicht. Darin enthüllt er, dass es in Deutschland keine Meinungsfreiheit mehr gibt und Pressefreiheit „nur eine gut gespielte Illusion“ ist. Das Werk wird in der kommenden Woche Platz 13 der „Spiegel“-Bestsellerliste erreichen.

Ulfkotte, der sich nach eigenen Aussagen als Journalist von Shell „schmieren“ ließ und als Lobbyist des BND diente, beschreibt darin unter anderem, wie er sich in den neunziger Jahren vom Sultan von Oman korrumpieren ließ: Auf Kosten des autoritären Staatschefs sei er zu Besuchen eingeladen und mit bezahlten Luxus-Angeboten verwöhnt worden. Unter anderem habe der Sultan sogar seine „Ausbildung zum Padi-zertifizierten Rettungstaucher mit Jason Erodottu als privatem Tauchlehrer“ bezahlt. Er habe den kostenlosen Luxus als „Jackpot“ empfunden und entsprechend geschönt über das Land und seinen Diktator berichtet.

Wie er habe sich auch sein damaliger Kollege Frankenberger kaufen lassen, behauptet Ulfkotte, der suggeriert, dass die ganze Branche und insbesondere die FAZ so korrumpierbar und korrupt ist, wie er es war.

Gegenüber dem neuen Online-Magazin „Krautreporter“ widerspricht Frankenberger:

Tauchkurse hat vielleicht Herr Ulfkotte auf Kosten anderer gemacht, ich nicht. Der Vorwurf Herrn Ulfkottes, „wir“ seien korrupt gewesen, trifft jedenfalls für mich nicht zu.

Bei den Reisen nach Oman handelte es sich zum Teil um privatfinanzierte Reisen (z.B. 1995 und 1996), zum Teil um Einladungen des omanischen Informationsministeriums. Der von Herrn Ulfkotte erweckte Eindruck, hierdurch sei eine Gefälligkeitsberichterstattung meinerseits erfolgt, ist nicht nur falsch, sondern auch ehrabschneidend. Ich weise diesen Vorwurf entschieden zurück.

In jener Zeit konnte man als Journalist bestimmte Länder, zum Beispiel Oman, nur bereisen, wenn man von offizieller Seite eingeladen wurde. In den neunziger Jahren gab es in Oman nur ein einziges internationales Hotel, in dem sich Journalisten aufhalten konnten.

Den Eindruck zu erwecken, man könne mich mit einer finanzierten Reise „kaufen“ oder eine positive Berichterstattung erreichen (wie das Herr Ulfkotte in diesem und in anderen Fällen sich zuschreibt), ist ebenso lächerlich wie böswillig. Dies gilt für mich und im Übrigen für alle seriösen Journalisten.

Frankenberger weist auch den Vorwurf zurück, er sei ein „Lobbyist“, weil er Mitglied etwa im Beirat der Trilateralen Kommission, in der Atlantischen Initiative und im Institut für Europäische Politik war oder ist:

Die Mitgliedschaft ermöglicht Zugang zu Inhalten und Informationen, die notwendige Grundlage sind für eine seriöse und umfassende Berichterstattung. Dabei geht es gerade darum, über Dinge zu berichten, die ansonsten nicht den Weg in die Öffentlichkeit finden würden.

Auch hier scheint Herr Ulfkotte ein Verständnis von Journalismus zu haben, aus dem eine merkwürdige Anmaßung spricht und das obendrein den Geist der Verschwörung atmet.

Journalistische Unabhängigkeit ist ein für mich unabdingbarer Grundsatz meiner professionellen Tätigkeit. Weil das so ist, bin ich auch seit vielen Jahren für eine Redaktion tätig, die nach diesen Grundsätzen arbeitet und diese selbstverständlich auch immer wieder anhand von Einzelsituationen kritisch diskutiert und hinterfragt. Wenn das für Einzelne nicht immer gegolten hat, ist es aus meiner Sicht mehr als unlauter und journalistisch nicht besonders seriös, dies zu verallgemeinern, um aus dem daraus erhofften öffentlichen Skandalwert persönlichen Profit zu schlagen.

Ulfkotte sieht mit seinem Buch den „Armaggedon der Leitmedien“ gekommen. Die meisten seiner „Enthüllungen“ im Buch sind entweder bekannt oder falsch. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit einigen seiner Behauptungen erscheint in Kürze ist jetzt auf krautreporter.de zu lesen:

[Offenlegung: Ich schreibe regelmäßig für die FAZ.]