Der BR über die Propaganda-Soap des Heimatministers: „Markus Söder at his best“

Zu dem Werbepaket, das das Bayerische Fernsehen dem Heimatminister des Freistaates geschnürt hat, gehörte nicht nur der Auftritt in der Vorabendsoap „Dahoam is Dahoam“. Markus Söder (CSU) schaute am Tag der Ausstrahlung auch in der „Abendschau“ bei Moderator Christoph Deumling zum Kuscheln vorbei.

Deumling: Und jetzt in der Abendschau am Dienstag: Der Bayerische Finanz- und Heimatminister Markus Söder, herzlich willkommen.

Söder: Herzlich willkommen. Grüß Gott.

Deumling: Wobei Sie heute nicht als Minister da sind, sondern als Schauspieler, denn, liebe Zuschauer, heute Abend, in „Dahoam is Dahoam“, in einer Gastrolle zu sehen. Wie kam das? Sind die auf Sie zugekommen?

Söder: Ja, ich hab irgendwann die Anfrage bekommen, ob ich in der populärsten, besten Serie aller Zeiten mitspielen will, vor allem in Bayern. Und da hab ich mir gedacht, naja, als Heimatminister in der Heimatserie, das könnte schon passen. Ich hab aber gesagt, wenn überhaupt, dann kann ich nur sozusagen als Minister da auftreten und nicht irgendwie als jugendlicher Liebhaber oder älterer Familienvater oder was weiß ich. Und dann haben sie mich gefragt, und dann hab ich einen Drehtag gehabt, und das war, ehrlich gesagt, ganz spannend.

Ein Einspielfilm demonstrierte dann, wie sehr Söder solche Auftritte in der Öffentlichkeit liebt, zum Beispiel auch beim Fasching. „Aber jetzt“, sagte die Sprecherin, „Markus Söder at his best, bei ‚Dahoam is Dahoam‘.“

Das Gespräch mit Söder auf dem Sofa endete einige Minuten später so:

Söder: Ich bin echter Fan von Bayern.

Deumling: Und Sie sind leidenschaftlicher Finanzminister und haben ein hohes Ziel: ausgeglichener Haushalt und 2030 ein schuldenfreies Bayern. In welcher Position werden Sie das erleben?

Söder: Das weiß ich noch nicht. Ich hoffe, dass ich es erlebe, ja, aber in welcher Position, ob beim Bayerischen Rundfunk [sic!], ob als Kabarettist… ich hoffe als Politiker natürlich.

Deumling: Wie schauen Sie heute Abend „Dahoam is Dahoam“?

Söder: Ich fahr jetzt dann nach Kreuth, und vielleicht ein paar Kollegen schauen mit mir das gemeinsam an.

Deumling: Wir drücken die Daumen.

Söder: Ja, ich bin auch schon ganz nervös.

Deumling: Alles Gute und Danke für den Besuch!

Söders Propaganda-Soap: BR weist Vorwürfe zurück


Foto: BR

Der Bayerische Rundfunk (BR) hat Kritik an dem PR-Auftritt des bayerischen Heimatministers Markus Söder in seiner Seifenoper „Dahoam is Dahoam“ zurückgeweisen. Der Auftritt sei „eine Gemeinschaftsidee der Autoren, der Produktionsfirma und der Redaktion von ‚Dahoam is Dahoam'“ gewesen, heißt es in einer Stellungnahme:

Die Serie greift als Spiegelbild des täglichen Lebens immer wieder aktuelle Themen, auch aus der Politik, auf.

Auch zukünftig sind für „Dahoam is Dahoam“ Episoden mit Bezug zu politischen und gesellschaftlichen Themen geplant. Kurze Gastauftritte von Politikern anderer Parteien sind bereits in Entwicklung.

In der Serie greifen die parteilose Bürgermeisterin Veronika Brunner und Landrat Lorenz Schattenhofer brisante politische Themen zur Entwicklung des ländlichen Raums auf. Um die Glaubwürdigkeit der fiktiven Charaktere zu unterstreichen, entstand die Idee, auch einen realen Politiker in einer Folge auftreten zu lassen.

Den Dialog von Minister Söder mit der Bürgermeisterin hat ein sechsköpfiges Autorenteam geschrieben. Der Text entstand im Autorenteam ohne jeglichen Einfluss von außen und wurde von der zuständigen Serienredakteurin abgenommen. Minister Söder hat sich in seinem Dialog inhaltlich an das Drehbuch gehalten, in dem Bürgermeisterin Brunner im Übrigen seine Aussagen wiederholt kritisch hinterfragt.

Nun. Dieses „kritische Hinterfragen“ gestaltet sich in der Praxis zum Beispiel so:

Vroni: Habt ihr schon eine Lösung dafür?
Söder: Naja klar.

Eine Anfrage von mir an die Pressestelle ist bislang unbeantwortet geblieben. Vielleicht stellt die veröffentlichte Stellungnahme diese Antwort dar. Ich hatte gefragt:

  • Wie kam es zu diesem Auftritt? Von wem ist die Initiative dazu ausgegangen?
  • Gab es eine Absprache mit dem Ministerium, diesen Auftritt dazu zu nutzen, die Leistungen der Staatsregierung für den ländlichen Raum positiv herauszustellen?
  • Warum stellt der BR seine Serie in den Dienst einer solchen politischen Botschaft?
  • Gibt es Vorgaben im BR über den Einsatz von Politikern in Unterhaltungssendungen?
  • Wer im Sender ist über den Gastauftritt und seine konkrete Gestaltung informiert gewesen?
  • Sind ähnliche Placements mit Themen oder Akteuren der Landesregierung oder der Opposition geplant?

Die Grünen im Bayerischen Landtag und der Bayerische Journalisten-Verband (BJV) haben den Werbeauftritt Söders scharf kritisiert. Der BJV-Vorsitzende Michael Busch sagte:

„Einen offensichtlicheren Missbrauch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, kann es gar nicht geben. Von einer Staatsferne ist der Bayerische Rundfunk in diesem Fall offensichtlich weit entfernt.“

Söder wies die Kritik mit den Worten zurück: „Ich habe nur die Wahrheit gesagt.“

Heimatminister Markus Söder kämpft gerade mit Wirtschaftsministerin Ilse Aigner um die Nachfolge von Ministerpräsident Horst Seehofer. Söder ist im Bayerischen Rundfunk ausgebildet worden. BR-Intendant Ulrich Wilhelm (CSU) war von 2005 bis 2010 Regierungssprecher der CDU/CSU/FDP-Koalition unter Angela Merkel.

Nachtrag, 16:45 Uhr. Der Medienforscher Klaus-Dieter Altmeppen von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sagte der Nachrichtenagentur dpa: „So unverfroren aus der Regierungserklärung zu verlesen, das habe ich noch nie erlebt.“ Er empfehle dem BR ein „Redaktionsstatut, bei dem ein solcher Durchgriff der Politik auf das Programm ausgeschlossen wird“.

Der Kommunikationswissenschaftler Carsten Reinemann von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht in Söders Auftritt einen „Werbespot“ für die CSU: „Hier dienen die Charaktere der Serie als Stichwortgeber für die Darstellung der verschiedenen Programmpunkte.“

Fortsetzung hier.

„Super-TV“, ein Krebsgeschwür der deutschen Presselandschaft

Das war in der vergangenen Woche das Titelblatt der Zeitschrift „Super-TV“:

Die Zeitschrift „Super-TV“ erweckt den — falschen — Eindruck, dass die Sängerin Linda Hesse an Krebs leidet, weil Hesse als Botschafterin der Aufklärungs-Kampagne „Mit aller Kraft“ die Deutschen Krebshilfe unterstützt.

Die Zeitschrift erscheint im Klambt-Verlag. Der Chefredakteur ist Herbert Martin.

[via Claus Grimm]

Söders Propaganda-Soap: BR macht Regierungs-PR in „Dahoam is Dahoam“

Der Bayerische Rundfunk hat dem bayerischen Finanz- und Heimatminister Markus Söder in seinem Fernsehprogramm am Dienstag die Gelegenheit zu einer Art Regierungserklärung gegeben – in der Daily Soap „Dahoam is Dahoam“. Ausführlich und unwidersprochen rühmt Söder, der sich selbst spielt, die vermeintlichen Leistungen der Staatsregierung bei der Förderung des ländlichen Raums.

In die fiktive Handlung der Serie gelangt Söder über eine Autopanne auf einer einsamen Landstraße. Vroni, die Bürgermeisterin von Lansing, kommt zufällig vorbei und staunt, als plötzlich der Minister aus dem Auto aussteigt. „Der Söder!“ – „Bleiben’s locker, ich beiß net.“

Sie bietet ihm an, ihn nach München mitzunehmen – „wenn Ihnen mein Auto genehm ist“. Söder sagt: „Okay, es ist rot, aber auf Äußerlichkeiten kommt’s nicht an.“

Es gibt dann ein bisschen Geplänkel im Auto, weil er sagt, das sei „nett und sympathisch“ von ihr, „typisch bayerisch“ halt, und sie antwortet, er solle jetzt nicht gleich politisch werden. Daraus entwickelt sich folgendes Gespräch:

Vroni: Dass ihr Politiker immer so geschwollen daherreden müsst. Schafft doch lieber mal Fakten! (…) Was machen Sie jetzt zum Beispiel gegen die Abwanderung vom Land? Die jungen Leute wollen doch alle in die Stadt.

Söder: Stimmt, da machen wir ne ganze Menge, mehr als jedes andere Bundesland. Bayern ist in der Beziehung Vorbild in ganz Deutschland.

Vroni: Werden Sie doch mal konkret. Wie genau schaffen wir das, dass unsere Dörfer nicht aussterben?

Söder: Erstens bin ich immer konkret. Und zweitens machen wir beispielsweise ein Programm, damit die Leute da bleiben können, indem wir schnelles Internet schaffen.

Vroni: Das ist ja schön. Aber was hilft das, wenn man eine Arbeit hat, aber nicht weiß, wie man seine Kinder unterbringen soll.

Söder: Sie haben recht, aber da muss man was tun.

Vroni: Habt ihr schon eine Lösung dafür?

Söder: Naja klar. Es gibt einmal ein Programm für mehr Kinderbetreuung. Zweitens gibt’s eines, das sehr wichtig ist, für den Erhalt der kleinen Mittelschulen, auch bei weniger Schülerzahlen, dass die Klassen erhalten bleiben. Und, für die älteren Leute sehr wichtig: Wir machen auch die medizinische Versorgung, mit vielen Ärzten.

Vroni: Das Förderprogramm zur Niederlassung von Hausärzten im ländlichen Raum.

Söder: Wow, Sie kennen sich aus.

Am Ende erfährt Söder, dass seine Fahrerin Bürgermeisterin ist, und lobt sie für ihr politisches Talent.

Im Abspann der Sendung wird Söder als Darsteller aufgeführt, erstaunlicherweise aber nicht als Autor.

Handlung und Text dieses Teils der Folge wirken, als seien sie direkt in der Bayerischen Staatsregierung ersonnen oder in ihrem Auftrag verfasst worden. Der minutenlange Auftritt hat eine andere Qualität als etwa das Auftauchen des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder 1998 in der RTL-Seifenoper „Gute Zeichen, schlechte Zeiten“. Söder wird nicht nur als sympathisch-direkter Minister dargestellt, sondern rühmt auch ausführlich die angeblich herausragenden Taten seiner Regierung für den ländlichen Raum.

Heimatminister Markus Söder kämpft gerade mit Wirtschaftsministerin Ilse Aigner um die Nachfolge von Ministerpräsident Horst Seehofer. Söder ist im Bayerischen Rundfunk ausgebildet worden. BR-Intendant Ulrich Wilhelm (CSU) war vor diesem Amt Regierungssprecher der CDU/CSU/FDP-Koalition unter Angela Merkel.

Die Art, in der die Werbebotschaft in der Serie untergebracht wurde, entspricht der eines klassischen Placements. Werbung politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art ist nach dem Rundfunkstaatsvertrag unzulässig.

Der „Münchner Merkur“ hatte die Folge schon vorab besprochen – fand es aber offenbar nicht besonders skandalös oder überraschend, wenn der Bayerische Rundfunk sich zum Propagandasender der Regierung macht. Eher lakonisch schrieb die Zeitung:

Was niemand weiß: Ob diese Passagen auf sanftes Zureden von Söders Leuten ins Manuskript kamen, oder ob der BR das freiwillig tat. Söder war früher Redakteur beim Sender.

Für den echten Minister, der immer wieder an einem freundlich-nahbaren Image arbeitet, ist der Gastauftritt ein Riesenerfolg. (…) Es habe ihm echt Freude gemacht, sagt Söder über den Drehtag vor einigen Wochen. „Der Heimatminister muss auch mal in einer Heimatserie auftauchen. Aber ich bleib lieber doch dahoam in der Politik.“

Als ob er die für seinen Auftritt im Dienst der Eigen- und Regierungs-PR verlassen hätte.


Fotos: BR

Nachtrag, 22. Januar. Die Grünen im Bayerischen Landtag kritisieren das „dreiste Politiker-Placement“ und fordern eine Stellungnahme des BR-Intendanten. „Diese billige Werbung für die Seehofer-Administration kann nicht folgenlos bleiben“, sagte der Fraktionsvorsitzende Ludwig Hartmann. „Die Aufzählung der vermeintlichen Glanzleistungen der CSU-Staatsregierung hat in dieser Serie nichts verloren. Ich kann nicht verstehen, wie sich der Bayerische Rundfunk hierzu herablassen konnte.“ Die Partei will das Thema auch im Rundfunkrat des Senders auf die Tagesordnung bringen.

Fortsetzung hier.

Angela Merkel: Zwillinge!

Bäm!

„Das Neue“, die junge unterhaltende Frauen-Zeitschrift mit großem Extra-Rätsel-Heft aus dem Bauer-Verlag, hat den Scoop des Jahrzehnts. Und die vermeintlichen Nachrichtenmedien haben’s verpennt.

Nun könnte man als erfahrener Leser dieses Blogs (oder dieses Blogs) natürlich abwinken und sagen, pah, auf den Trick fallen wir nicht rein, vermutlich ist irgendwer ganz anderes zurückgetreten, womöglich auch nur von der Bahnsteigkante, und wenn man den Fehler macht, das Heft zu kaufen, stellt man fest, dass die das gar nicht so gemeint haben.

Nur: Die meinen das so. Also, mit der klitzekleinen Einschränkung, dass sie an der in diesem Zeitschriftengenre weit verbreiteten Satzzeichenschwäche leiden und ein Ausrufezeichen mit einem Fragezeichen verwechseln, aber sonst meinen die das so.

(…) Bisher galt sie als kühl, kontrolliert und konzentriert. Doch in den letzten Wochen macht sich eine erstaunliche Wandlung bei ihr bemerkbar. Die Ereignisse haben sie offenbar so sehr bewegt, dass sogar ein Rücktritt nicht mehr ausgeschlossen scheint.

Zuerst ihr körperlicher Zusammenbruch beim CDU-Parteitag im Dezember — schließlich die tragischen Ereignisse in Frankreich: All das hat die Regierungschefin doch sichtlich mitgenommen. Die Nerven liegen blank. Sie gestattet bei öffentlichen Anlässen sogar Einblicke in ihre Gefühlswelt. Das hat es noch nie gegeben!

(…) Sie wirkt sehr erschöpft, abgeschlagen und ist sehr blass.

Offenbar „pult und knabbert“ sie auch wieder an ihren Fingernägeln, hat „Das Neue“ festgestellt und zitiert Merkel:

„Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden“, sagte sie bereits 1998. „Ich will kein halb totes Wrack sein (…).“ Ein Schwur, der für Angela Merkel jetzt bittere Realität wird?

Lästiges Fragezeichen da am Ende. Aber sonst total zwingend.

Das genaue Zitat lautete übrigens: „Ich will nicht ein halbtotes Wrack sein, wenn ich aus der Politik aussteige.“ Wenn Merkel gerade, wie „Das Neue“ suggeriert, ein halbtotes Wrack ist, wäre das doch der nach ihrer eigenen Aussage schlechteste Zeitpunkt, aus der Politik auszusteigen?

Ach, was wäre das ärgerlich für die ehrgeizigen Journalisten da in der Redaktion von „Das Neue“, wenn sie aufgrund eines Denk- und Logikfehlers versehentlich so eine blöde Falschmeldung produziert hätten. Wenn sich jetzt womöglich noch rausstellt, dass die Liebe von Königin Letizia gar keine Lüge ist!

[via Ali Schwarzer, via Lady M.]

Bei „Bild am Sonntag“ ist Veronica Ferres halt nicht dabei

Werfen wir doch mal kurz einen nüchternen Blick auf Veronica Ferres. Laut Wikipedia hat die Schauspielerin aus Solingen, seit ihrem Auftritt in „Schtonk“ im Jahr 1992, in rund 70 Filmen oder Serien mitgespielt, voriges Jahr allein in drei Kino- und drei Fernsehfilmen. Und sie hat für ihr Tun etliche Preise und Ehrungen eingesteckt. Ein Satz, auf den sich also wohl alle einigen können, ist: Veronica Ferres ist eine bekannte, gut gebuchte deutsche Schauspielerin.

So. Und jetzt mal angenommen, Sie kämen auf die total ausgefallene Idee, eine repräsentative Umfrage in Auftrag zu geben, die ermitteln soll, wer die, verrückt: „100 beliebtesten deutschen Schauspieler“ sind. Quizfrage: Müsste man dann die Teilnehmer dieser Umfrage nicht wenigstens fragen, wie sie diese bekannte, vielleicht sogar beliebte Schauspielerin namens Ferres finden?

Die Antwort lautet: Nö. Jedenfalls wenn man bei „Bild am Sonntag“ arbeitet.

"Bild am Sonntag" 11.01.2015

Auf insgesamt fünf Seiten erschien dort am vergangenen Wochenende ein großes Ranking der beliebtesten deutschen Schauspieler, Männer und Frauen gemischt. Unter den Frauen taucht da natürlich Iris Berben auf. Und Hannelore Elsner. Und Katja Riemann. Die man ja alle kennt. Und dann sind da noch Schauspielerinnen, für die man nicht gleich ein Gesicht im Kopf hat. Oder wissen Sie sofort, wer Rosalie Thomass ist? Oder Emilia Schüle. Nicht? Bei „BamS“ sind sie aber im Ranking dabei, was ja auch okay ist. Nur an die Ferres hat eben niemand gedacht.

Aber vielleicht ist es ja auch so, dass Veronica Ferres nur sehr präsent ist, viel macht, dass sie aber gar keiner mag, man sie also auch gleich aus so einem Ranking rauslassen kann. Schauen wir mal nach. Eine gute Quelle dafür ist das Blabla-Blatt „Frau im Spiegel“, das so jährlich wie möglich repräsentativ rumfragt, welche Schauspieler beliebt sind.

Das Ergebnis: 2011 war Ferres dort auf einem engen dritten Platz, weil sie ihn sich mit Christine Neubauer teilen musste. 2012 auch. 2013 war Ferres mal kurz auf Rang acht, allein. 2014 auf Platz 5, wieder mit Neubauer. Und wenn man dann noch weiß, dass Veronica Ferres Platz drei bei einer Style-Umfrage von TNS Infratest (2011) erreicht hat und 2007 zur beliebtesten Schauspielerin Ostdeutschlands gewählt wurde, muss man wohl auch diesen Satz abnicken: Veronica Ferres ist eine bekannte und offenbar beliebte deutsche Schauspielerin.

Nur bei „BamS“ ist sie niemandem eingefallen.

Aus einer Liste von über 2000 deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern hat zunächst eine Jury aus zehn Redakteuren der BILD am SONNTAG nach Beliebtheit 100 Stars per Abstimmung gewählt.

So steht das im Text zur Umfrage. Und sagen wir mal so: Aha. „Nach Beliebtheit“ also. Die „BamS“-Redakteure haben folglich wohl mal ganz subjektiv und ohne irgendwelchen Kriterien-Firlefanz mit dem Finger auf Leute getippt, die sie gerade so ganz cool finden.

Nur die Ferres ist dabei niemandem eingefallen.

Nach den Redakteuren befragte dann, laut „BamS“, das Umfrageinstitut YouGov „bundesweit insgesamt 2093 Personen ab 18 Jahren“, ob sie „diese 100 Stars kennen und, falls ja, wie sie diese bewerten: Die Möglichkeiten reichten dabei von ’sehr beliebt‘ über ‚beliebt‘ bis zu ’nicht beliebt‘ und ‚überhaupt nicht beliebt‘.“ Rausgekommen ist dabei unter anderem, dass, laut „BamS“, Mario Adorf der beliebteste Schauspieler ist. Und die beliebteste Schauspielerin ist Jasmin Tabatabai, die sich voll freut über diese Ehre (und Werbung bei 1,2 Millionen „BamS“-Lesern), und die das, sagt sie, „kaum fassen“ kann, was auch kein Wunder ist. Bei „Frau im Spiegel“ kam Tabatabai in den vergangenen Jahren nicht mal unter die ersten Fünf.

Ich habe bei „BamS“-Chefredakteurin Marion Horn nachgefragt, weshalb Veronica Ferres nicht dabei ist. Und wer in der zehnköpfigen Jury saß. Und was es heißt, dass dort „nach Beliebtheit“ abgestimmt wurde. Nach knapp einem Tag ließ Horn per Mail einen Springer-Klassiker mitteilen:

Wir kommentieren die redaktionelle Berichterstattung nicht, in dem Artikel ist das Vorgehen ja beschrieben.

Sagen wir mal so: Aha. Das ist Marion Horns Strategie. Eine suspekte Studie machen, sie als repräsentativ verkaufen und Nachfragen einfach abblocken. Aber da ist ja noch diese eine Antwort, die alles erklärt, die Antwort auf die Frage, die „BamS“-Chefin Horn via twitter gestellt bekam, offenbar von einem Ferres-Fan: Wieso Veronica Ferres nicht in der Liste auftaucht? Auftritt Horn:

Jawoll! Ist halt nicht dabei. Oder anders gesagt: Klappe jetzt! Ist ja wohl auch eine Unverschämtheit, dass man eine Umfrage hinterfragt, die eine Boulevardzeitungs-Redaktion für repräsentativ hält. Es hat sicher seine Gründe, dass auch Matthias Schweighöfer nicht in der Umfrage auftaucht, weil der doch voriges Jahr bloß einen der erfolgreichsten Kinofilme („Vaterfreuden“) gemacht hat. Ist halt nicht dabei! Oder Elyas M’Barek. Der hat doch nur in einem Film mitgespielt („Fack ju Göhte“), den 2014 fast sieben Millionen Menschen in deutschen Kinos gesehen haben. Bekannt? Beliebt? Ist halt nicht dabei!

Geschenke für Terroristen

Okay, das war jetzt nicht der beste Sendeplatz, nachts um halb eins bei RTL. All die Terroristen da draußen wird es trotzdem gefreut haben; all jene, die darauf lauern, uns in Angst und Schrecken zu bannen. Gut 25 Minuten Sendezeit. Im deutschen Fernsehen. Und zudem Ausschnitte in anderen Sendungen, im Netz, in Zeitungen – das lohnt sich. Vor allem, wenn man so schön seine Punkte unterbringen kann, wie heute Nacht ein deutscher IS-Überläufer aus Solingen bei RTL.

Der Publizist Jürgen Todenhöfer hat ihn im Irak besucht, in Mossul. Und das muss man natürlich respektieren. Todenhöfer hat hartnäckig den Kontakt gesucht und sich im Dezember, noch vor den Attentaten in Paris, nach Mossul gewagt. Nur leider ist das, was er mitbringt und was da jetzt, als „Nachtjournal spezial“, über den Sender gegangen ist, auch ein Geschenk an die Terroristen.

Screenshot "Nachtjournal spezial" (RTL) 15.1.2015

Todenhöfer bummelt erst Mal ein bisschen durch die City, über die Straßen, den Markt, zum Freitagsgebet. Und er erzählt, dass es dort „eine gewisse Normalität“ gebe. Die Verkehrspolizei funktioniere. Das Gesundheitswesen auch. Und neben ihm habe sogar, total abgefahren, einer im Bayern-München-Trikot (Robben) gebetet. Zwar verschweigt Todenhöfer nicht, welche Gräuel geschahen, bis es zu dieser (Pseudo-)Normalität kam. Er sagt, Mossul sei die „gefährlichste Stadt der Welt“, aber eben auch, „mit aller Vorsicht“: irgendwie normal.

Ein bisschen erinnerte das dann doch an das Video des IS, das vor zwei Wochen im Netz landete. Nur dass es da nicht Todenhöfer war, der rumlief, sondern der vom IS entführte britische Journalist John Cantlie. Auch er berichtete, vielmehr: musste vermeintlich gelöst berichten, wie normal es in Mossul doch sei, wofür ebenfalls die funktionierende Polizei als ein Beispiel herhalten durfte.

Mag ja sein, dass Todenhöfer tatsächlich den Eindruck hatte, dass es in Mossul ganz heiter ist. Dass dies aber bloß eine geschickte Illusion ist, zeigt sich doch schon im Interview mit dem Überläufer, bei dem vier schwer bewaffnete IS-Kämpfer mit Sturmhauben permanent ringsum stehen. So normal ist das da in Mossul.

Natürlich ist es interessant, wie diese Typen ticken, die aus Deutschland nach Syrien oder den Irak gegangen sind, um sich dem IS anzuschließen, aber darüber, über den persönlichen Antrieb, erfährt man bei Todenhöfer nichts. Und was im Kopf der Terroristen vor sich geht (Alle umbringen!), kann man sich inzwischen auch ganz gut selbst ausmalen. Doch bei RTL darf der Terrorist das alles noch mal verbreiten. Todenhöfer fragt, ob denn mit Anschlägen in Deutschland zu rechnen sei? Der Überläufer sagt, man müsse sich gefasst machen. Und Todenhöfer hakt nach: „Größere Anschläge? Oder Anschläge von Einzelpersonen?“ Da fehlte es nur noch, dass sie eine Deutschlandkarte auspacken und rote Kringel einzeichnen.

Ich verstehe, ehrlich gesagt, den Mehrwert dieser Fragen und Antworten nicht. Wieso muss man sie senden? Wenn Terroristen im deutschen Fernsehen erzählen dürfen, dass sie Anschläge planen, und dass bitte alle dabei mitmachen sollen, die denken wie sie, machen sich Journalisten zwangsläufig zu Handlangern. Denn die Worte schüren weitere Angst. Sie bewirken, was die Terroristen beabsichtigen: Dass wir uns fürchten. Geduckt leben. Bibbern. Und unter Umständen animieren sie andere Terroristen, jene, die hier leben, konvertierte Deutsche. Die schauen RTL. Und hören dann, wie der Überläufer zum Beispiel einen Satz beginnt mit: „Wie unser Sprecher des Islamischen Staates gesagt hat…“ Um dann ausführlich referieren zu dürfen, wie der Pressesprecher an andere Islamisten appelliert, gegen die westliche Welt zu kämpfen. Und was im Detail zu tun sei.

Wie gesagt: Ich verstehe es nicht. Wieso müssen gerade (und immer wieder, wenn es um Terror geht) alle senden und schreiben, wozu Terroristen so aufrufen? Es sind ja nicht nur Todenhöfer und RTL, es sind auch die Online-Postillen, Zeitungen und Nachrichtensender, die mithelfen. Unlängst etwa wurde das Bekennervideo des Terroristen, der den jüdischen Supermarkt in Paris überfallen hat, bei Youtube hochgeladen. Nach seinem Tod. Ein Propagandavideo. Und ab diesem Punkt muss man das mal aus Sicht des IS-Pressesprechers denken: Wie toll das klappt! Weil die auch in Deutschland diese absurde Pressefreiheit haben, zeigen die alles, was wir rausschicken. Und sie lassen sogar, inklusive Texttafeln, den Aufruf drin, den unsere Brüder an die anderen Brüder da draußen richten.

Absurd, oder?

Es ist ja ganz edel, dass wir den Terroristen jene Pressefreiheit zuteil werden lassen, die sie in tiefer Verachtung bekämpfen. Dass wir ihnen Bilder und Infos vom Polizeieinsatz vor der Tür auf die Displays senden, wenn sie Geiseln genommen haben. Dass wir ihre Botschaften über die Sender jagen, ihre Manifeste drucken. Sehr edel. Aber vielleicht erkennt irgendwann jemand den Widerspruch.

Studie über Pegida-Demonstranten zeigt: Pegida-Demonstranten lehnen Teilnahme an Studie ab

Jetzt wissen wir also, wer der „typische“ Pegida-Demonstrant ist: Er „entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit aus und stammt aus Dresden oder Sachsen“. Das behauptet eine Studie der Technischen Universität Dresden auf der Grundlage einer Umfrage unter Teilnehmern der Demonstrationen.

Zutreffender ist vermutlich eine andere Aussage: Der typische Pegida-Demonstrant nimmt ungern an Umfragen teil. Zwei Drittel derjenigen, die dafür angesprochen wurden, lehnten hier ab.

Nun gibt es bei solchen Umfragen immer einen Anteil von Menschen, die keine Auskünfte geben. Das ist solange kein Problem, wie man davon ausgehen kann, dass diejenigen, die an der Umfrage teilnehmen, repräsentativ sind für alle. Dass es also keinen systematischen Unterschied gibt zwischen Antwortwilligen und Antwortunwilligen.

Für einen solchen non-response bias spricht hier aber einiges. Man kann durchaus vermuten, dass zum Beispiel gerade Pegida-Teilnehmer mit extremeren Meinungen sich weigern, Auskunft zu geben. Der Ökonom Hannes Hemker schreibt im Blog „Politischer Spielraum“:

Schliesslich ist es mehr als wahrscheinlich, dass es die radikaleren zwei Drittel der Demonstranten waren, die die Umfrage mit dem „Establishment“ verweigerten – so wie sie auch regelmäßig Interviews mit der „Lügenpresse“ verweigern. Dieses Artefakt der selektiven Nichtbeantwortung erklärt wahrscheinlich auch, warum Pegida in der Umfrage demographisch so „normal“ aussieht: weil es sich bei den Befragten um das gebildete, relativ reiche, sozial relativ integrierte Drittel der Demonstranten handelt.

Das Drittel der Angesprochenen, das Auskunft gegeben hat, unterscheidet sich möglicherweise grundlegend von den zwei Dritteln, die keine Auskunft gegeben haben. Ich kann natürlich nicht beweisen, dass das stimmt. Der Punkt ist aber: Die Verantwortlichen der Studie können nicht beweisen, dass das nicht stimmt. Sie wissen nicht, ob die 35 Prozent, die mit ihnen gesprochen haben, wirklich „typische“ Pegida-Demonstranten sind.

Sie tun aber so, als ob. Und veröffentlichen unter anderem solche Diagramme:

100 Prozent sind in dieser Darstellung die 400 Menschen, die bereit waren, sich bei einer Pegida-Demonstration befragen zu lassen. Vielleicht hilft es, sich anzusehen, wie sich das Diagramm verändert hätte, wenn man die rund 800 Demonstranten, die nicht mitmachen wollten, berücksichtigen würde:

Anders gesagt: Es gibt allen Anlass, die Ergebnisse der Umfrage mit größter Vorsicht und Zurückhaltung zu interpretieren. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans Vorländer, der die Studie durchgeführt hat, tut das nicht. Er hat für die Presse eine Präsentation zusammengestellt, die den Eindruck erweckt, er könne exakte Aussagen über den „typischen“ Pegida-Demonstranten treffen (bis hin zur Angabe: „48 Jahre alt“).

Dass zwei Drittel der angesprochenen Demonstranten eine Mitwirkung ablehnten, geht aus der Präsentation nicht hervor. In der Pressemitteilung der TU Dresden wird es nur beiläufig erwähnt.

In den Medien stießen Vorländers vermeintliche Erkenntnisse auf großes Interesse — und auf wenig Lust, sie wegen ihrer beschränkten Aussagekraft zurückhaltend zu interpretieren:

Die große Zahl von angesprochenen Demonstranten, die nicht mitwirken wollte, wird in einigen Artikeln angesprochen, aber in den wenigsten problematisiert. „Spiegel Online“ immerhin äußert am Ende eines Artikels auf der Grundlage eigener Beobachtungen Zweifel:

Die Forscher hatten die Schwierigkeit, dass zwei von drei Angesprochenen ihnen keine Antwort gaben.

Macht dies ihre Ergebnisse zur Zusammensetzung der Demos weniger aussagekräftig? Zumindest als Reporter vor Ort gewinnt man den Eindruck, dass vor allem die schlechter gebildeten Pegida-Teilnehmer das Gespräch verweigern: Oft erhält man nur Antworten wie „Sie schreiben doch eh, was sie wollen“ oder „Als Journalist wissen Sie doch eh schon alles“.

Vorländer, der Leiter der Studie, hält die Zahl der Antwortverweigerer für unproblematisch. „Solche Quoten sind in der empirischen Sozialforschung normal“, sagt er auf Anfrage. Ein „Effekt der Verzerrung“ lasse sich für ihn nicht feststellen.

Die „Leipziger Volkszeitung“ gibt in ihrem Bericht eine Ahnung davon, wie außergewöhnlich die Umstände waren:

Die Studie hat aber ein Problem: Von den angesprochenen Pegida-Teilnehmern verweigerten rund 65 Prozent jede Aussage. Zudem sei den Befragern eine teils feindselige Stimmung entgegen gebracht worden. Für manche hätte die Umfrage aber auch fast eine therapeutische Wirkung gehabt. Einige hätten sich gegenüber den Wissenschaftlern ihren ganzen Frust von der Seele geredet.

Die ungewöhnliche Umfragesituation könnte die Antworten vielfältig verzerren, etwa auch, wenn die Befrager als staatlich finanzierte Wissenschaftler als Repräsentanten des „Mainstream“ wahrgenommen werden, der diese Demonstrationen täglich öffentlich verurteilt. Das würde womöglich auch erklären, warum so viele Befragte diffus eine „Unzufriedenheit mit der Politik“ nannten und sich nicht negativ über den Islam äußerten.

Man weiß es einfach nicht genau. Auch wenn eine Studie und viele Medien den gegenteiligen Eindruck erwecken.

[mit Dank an Johannes Ost für den Hinweis]

Nachtrag, 16. Januar. Die Agentur epd berichtet, dass Vorländer die Kritik an seiner Untersuchung zurückweist: „Ich habe nicht behauptet, dass die Erhebung repräsentativ im strengen Sinne des Wortes ist.“ Gleichwohl lasse die Zufallsauswahl der Befragten „einen validen Blick auf die soziodemografische Zusammensetzung und die Motivationen“ der «Pegida»-Anhänger zu:

Laut Vorländer ist ein hoher Anteil von Antwort-Verweigerern bei allen Erhebungen üblich. Bei telefonischen Umfragen etwa gebe es nur eine Beteiligung von 20 Prozent. Mit einer Erfolgsquote von 35 Prozent unter etwa 1.200 angesprochenen Personen liege die Ablehnungsquote „im erfahrungsgemäß zu erwartenden Bereich der empirischen Sozialforschung, vor allem unter den besonderen Bedingungen einer Demonstrationsversammlung“.

Vorländer betonte, dass seine Interviewer explizit darauf hingewiesen hätten, dass sie keine Medienvertreter seien. „Das erste, was die ‚Pegida‘-Anhänger wissen wollten, war, ob wir Journalisten sind. Erst als wir das verneint haben, wollten sie mit uns reden.“ Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass diejenigen, die sich nicht beteiligt haben, andere Meinungen vertreten als die Umfrageteilnehmer.

NAchtrag, 16:20 Uhr. Vorländer äußert sich auch im Interview mit wiwo.de.

Die „Tagesschau“. Wo man schöne Inszenierungen nicht blöd hinterfragt.

Vielleicht könnte die „Tagesschau“ jemand anderes finden, der öffentlich auf Kritik an ihrer Arbeit reagiert? Jemanden, für den eine „Diskussion“ etwas anderes ist als eine Ansprache, der ein irgendwie ausgleichendes Wesen hat und womöglich sogar noch ein Bewusstsein dafür, dass er von uns Zuschauern bezahlt wird? Jemanden, der nicht alles noch schlimmer macht? Kurz gesagt, jemand anderes als Kai Gniffke?

Es gibt ja gerade ein bisschen Aufregung um die Bilder von den Staats- und Regierungschefs beim großen „Republikanischen Marsch“ in Paris am vergangenen Sonntag. „Le Monde“ berichtete, dass die gar nicht in dem Sinne den Zug anführten, wie man es aufgrund der Berichte in den Nachrichtensendungen und der Fotos in den Zeitungen glauben mochte. Sie waren nicht wirklich Teil der Menschenmenge; vor und hinter ihnen war die Straße offenbar abgesperrt. Die „taz“ und „Spiegel Online“ meldeten sogar, dass es sich um eine „einsame Nebenstraße“ gehandelt habe.

Ich kann verstehen, dass Menschen das ärgert, wenn sie das erfahren. Wenn sie Grund haben anzunehmen, dass Journalisten ihnen etwas vormachen und Komplizen bei einer Inszenierung sind, anstatt diese Inszenierung kenntlich zu machen. Natürlich ist jede Auswahl eines Fotos oder eines Filmausschnittes eine subjektive Entscheidung. Es ist aber nicht die Aufgabe von Journalisten, den Aufmarsch von mehreren Dutzend Staats- und Regierungschefs durch eine geschickte Wahl der Perspektive besonders eindrucksvoll wirken zu lassen.

Die Chefredakteurin der „taz“, Ines Pohl, verknüpfte diesen Fall mit der heutigen Kür des Begriffs von der „Lügenpresse“ zum „Unwort des Jahres“. Sie sagte: „Leider belegt der Umgang mit den Bildern des Pariser Marsches der Mächtigen, dass das Wort ‚Lügenpresse‘ nicht nur ein Hirngespinst der Pegida-Anhänger ist, sondern dass die Wirkung der Bilder – übrigens auch für deutsche Medienmacher – manchmal wichtiger ist als die Dokumentation der Realität.“

Das hat bei ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke eine Halsschlagader platzen lassen. Im „Tagesschau“-Blog schreibt er:

Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt wieder richtig auf die Fresse bekomme: Mir langt’s.

Der Vorwurf der Inszenierung sei eine „wilde Verschwörungstheorie“ und „kompletter Unfug“.

Er wirft dann mehrere Nebelkerzen und stellte fest, dass es „immer eine Inszenierung“ sei, wenn sich Politiker vor eine Kamera stellen, dass die französische Polizei ihren „Job verfehlt“ hätte, wenn sie die Politiker nicht von den anderen Menschen abgetrennt hätte (was kaum jemand ernstlich bestreitet), und dass, „sorry“, Kameraleute und Fotografen eben nicht immer einen Hubwagen zur Hand hätten. Und nach einem rätselhaften Einschub – „bei aller Selbstkritik“ – beklagt er sich schließlich darüber, dass solche Kritiker seine sensiblen Kollegen ganz kirre machten:

Ich wehre mich dagegen, über jedes Stöckchen zu springen, dass uns Verschwörungstheoretiker hinhalten. Denn sonst sickert noch viel mehr des Giftes der Furcht in unseren Berufsstand ein. Denn diese Diskussionen hinterlassen Spuren in den Redaktionen. Statt unser Bewusstsein für Qualitätsjournalismus zu schärfen, sind sie dazu angetan Redaktionen zu verunsichern.

Mit keinem Wort geht er auf die zentrale Frage ein, warum „Tagesschau“ oder „Tagesthemen“ nicht – und sei es noch so beiläufig, durch einen Halbsatz oder einen Kameraschwenk – deutlich machten, dass die Politiker in einem gehörigen Sicherheitsabstand vom eigentlichen Marsch ein kleines Stück für die Fotografen liefen. Warum seine Redaktion die Menschen nicht in einer Weise informiert hat, die verhindert hätte, dass offenbar eine erhebliche Zahl von ihnen, inklusive mehrerer Zeitungsredaktionen, sich in die Irre geführt fühlten, als sie später das Szenario aus anderer Perspektive sahen. Warum ARD und ZDF mit ihren Formulierungen den Eindruck erweckten, die Politiker hätten sich unter die Massen gemischt und „Seite an Seite“ mit dem Volk demonstriert.

Natürlich ist der Vorwurf einer „Verschwörung“ absurd, wenn etwa das Erste selbst am Nachmittag in seiner Live-Übertragung auch gezeigt hat, wie die Politiker getrennt vom Rest der Menschenmenge liefen. Aber deshalb ist doch nicht die Kritik an den Medien absurd, die in ihren Nachrichten und Fotos einen gegenteiligen Eindruck erweckt haben. Deshalb ist doch nicht die Frage unberechtigt, ob unter anderem die „Tagesschau“ ihren Zuschauern nicht diese Information hätte mitliefern sollen.

Ja, Herr Gniffke, fast alles ist Inszenierung. Und je häufiger Medien in einer Welt, in der das Publikum skeptisch geworden ist und sich aus ungezählten anderen Quellen informieren kann, diese Inszenierungen kenntlich machen, indem sie einfach mal einen Schritt zurücktreten, aufzoomen, zur Seite schwenken, umso größer ist ihre Chance, auch in Zukunft noch als glaubwürdig zu gelten. Wir brauchen viel, viel mehr Dekonstruktionen der Inszenierungen und Scheinwirklichkeiten. Dass Gniffke das nicht nur nicht versteht, sondern auch noch zurückpöbelt, lässt für die „Tagesschau“ das Schlimmste befürchten.

Wenn er weniger wütend gewesen wäre, hätte er es vielleicht geschafft, einen Teil der Kritik sachlich zu entkräften. Die Aufnahmen entstanden nämlich nicht in einer einsamen Seitenstraße, sondern durchaus auf der Strecke, die auch für den Trauermarsch genutzt wurde: auf dem Boulevard Voltaire. Insofern ist die Aussage nicht ganz falsch, dass die Politiker den „Republikanischen Marsch“ anführten – nur halt mit erheblichem Abstand.

Davon liest man bei Gniffke allerdings nichts. Stattdessen appelliert er:

Halten wir es doch einfach mal aus, dass es eine große Geste von Millionen von Menschen und zahlreichen Politikern gab, an der nichts auszusetzen ist.

Andere Journalisten hatten durchaus eine Menge an dieser „großen Geste“ auszusetzen, und das kann man mögen oder lästig finden, aber das gehört durchaus zur Aufgabe eines Journalisten, ein schönes, gefühliges, scheinbar stimmiges Bild zu stören. Es spricht Bände über das Selbstverständnis des Chefredakteurs von ARD-aktuell, dass er lieber die perfekte Inszenierung bewahren will, den Schein, das gute Gefühl: Halten wir das doch einfach mal aus.

Nachtrag, 14. Januar, 18:10 Uhr. Kai Gniffke hat im „Tagesschau“-Blog einen im Ton versöhnlichen Nachtrag veröffentlicht.