Ich würde nie behaupten, dass Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die Chefredakteure des „Stern“, zynische Arschlöcher seien. Aber nett wie ich bin, wollte ich ihnen die Bezeichnung zumindest mal zur Selbsterkenntnis angeboten haben.
Der „Stern“ gehört zu den Medien, die der Überzeugung waren, dass das Leiden für die Angehörigen der Opfer von Winnenden noch nicht groß genug war. Die Illustrierte half, ihr Leben noch ein bisschen unerträglicher zu machen, indem sie die Mädchen groß im Bild zeigte — mit Fotos, die offenbar jemand einfach aus ihren Profilen in verschiedenen sozialen Netzwerken entwendet hatte.
Das ARD-Magazin „Panorama“ fragte beim „Stern“ nach, woher die gezeigten Bilder stammen, ob die Angehörigen ihrer Veröffentlichung zugestimmt haben und wenn nein, warum man sie trotzdem zeigte. Der „Stern“ antwortete:
„Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine Auskunft.“
Der vom ebenso ehrenwerten Helmut Markwort geleitete „Focus“ hatte — genau wie die „Bild am Sonntag“ — die Idee, dass es noch lukrativer wäre, die aus SchülerVZ oder kwick.de stammenden Porträts der Opfer gleich verkaufsfördernd auf die Titelseite zu packen. Auf die Fragen von „Panorama“ nach der Herkunft der Bilder und der Zustimmung der Angehörigen antwortete der „Focus“ nicht.
Auch RTL zeigte u.a. ein Opfer groß im Bild, Quellenangabe: „SchülerVZ“. Chefredakteur Peter Kloeppel gilt unbegreiflicherweise immer noch als Guter Journalist des Privatfernsehens, aber der Sender erklärte gegenüber „Panorama“, dass man die Fragen des Magazins nicht beantworten wolle.
Vor vier Wochen bediente sich das Hamburger “Abendblatt” im Internet, um einen Bericht über einen Mann, der sich und seine Familie getötet hatte, schön mit Familienfotos illustrieren zu können. Autor Florian Büh, der als Fotograf angegeben war, wollte auf Nachfrage von Onlinejournalismus.de keine Auskunft geben und verwies an “Abendblatt”-Chefredakteur Claus Strunz. Der antwortete „trotz mehrmaliger Nachfragen“ gar nicht.
Thomas Schmid, Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, ließ einen Artikel über Winnenden mit einem Foto illustrieren, das scheinbar den Amokläufer zeigte, in Wahrheit aber einen Jungen bei der Opferfeier. Nachfragen des „Medium Magazins“ ließ Schmid unbeantwortet; in der nächsten Ausgabe der Zeitung fehlte jeder Hinweis auf den Fehler, jede Entschuldigung, jede Erklärung.
Vermutlich sind all die wichtigen Chefredakteure einfach zu beschäftigt, sich über elementare journalistische Grundsätze und antiquierte Vorstellungen von Anstand und Ethik hinwegzusetzen, als dass sie auch noch lästige Fragen dazu beantworten könnten.
Vergleichsweise vorbildlich ist da schon die „Bild“-Zeitung, die ihren Sprecher Tobias Fröhlich immerhin ein Statement abgeben ließ, das man auf den ersten Blick mit Antworten auf die gestellten Fragen verwechseln könnte. Fröhlich erlaubte sich gegenüber „Panorama“ den Witz, auf die Frage…
„Bilder von Toten dürfen — wenn nicht ein herausragendes öffentlichen Interesse besteht oder sie Personen der Zeitgeschichte sind — nur mit Genehmigung der Angehörigen veröffentlicht werden. Warum setzt sich BILD immer wieder darüber hinweg?“
…zu antworten:
„(…) entgegen Ihrer Annahme dürfen Fotos von Opfern auch ohne Genehmigung gezeigt werden, sofern es sich um Bildnisse im Zusammenhang mit wichtigen zeitgeschichtlichen Ereignissen handelt.“
Weiter scherzte er:
„Der Redaktion fällt eine solche Entscheidung nicht leicht (…).
(Man darf von seiner Antwort [pdf] aber nicht, wie ich es gerade getan habe, nur einzelne Sätze zitieren. Die „Bild“-Leute kennen schließlich ihre Rechte.)
Ich bin sicher, all die oben genannten Herren schlafen gut und halten (mit Ausnahme von Fröhlich natürlich) auf Anfrage auch gerne wohlklingende Vorträge darüber, wie wichtig es ist, dass Journalismus nicht von irgendwelchen skrupellosen Amateuren betrieben wird, sondern von Menschen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind, also von ihnen selbst. Redaktions-Interna bleiben von solchen ethischen Erwägungen natürlich unberührt.
Oha! Da hat sich aber einiger Frust entladen… Und ich muss sagen: zu Recht.
Was ist eigentlich die Steigerung von sprachlos
Es ist herrlich die genannten Personen die mehr oder weniger tagtäglich Sonntagsreden zum Thema Anstand und Ethik schwingen.
Gab es da nicht einen altestamentarische Spruch:
Und der Herr wandte sein Antlitz ab und weinte bitterlich.
Mir recht es
Ich glaube auch, dass es da lange gekocht hat … Mir geht es aber genauso!
Ich finde die Arroganz/Ignoranz vieler Medienmacher unerträglich. Winnenden und die Verarbeitung der Ereignisse in den Medien war da tatsächlich nochmal ein Augenöffner. Ich kann für mich sagen, dass ich in den letzten Wochen mein Medienverhalten kritisch hinterfragt habe (und durchaus einiges an Verbesserungspotenzial gefunden habe). Leider scheint eine solche Selbstreflektion einigen Medienmachern nicht möglich zu sein. Warum auch: man macht ja schließlich gute und seriöse Berichterstattung (im Gegensatz zu den ganzen Amateueren) …
Das sind so Geschichten bei denen man die Verantwortlichen eigentlich nur noch schütteln möchte.
Ich frag mich, ob diese vermeintlichen „Journalisten“ auch nur mal im Ansatz darüber nachdenken, was sie Angehörigen damit antun. Es gibt ja eigentlich nix moralisch verwerflicheres, als Menschen, die eh schon viel Leid und Schmerz erfahren haben, auf so eine Art und Weise zu behandeln.
tja was soll man dazu noch sagen
unter „geht sterben“ würde das ganze auch gut passen
Aber das Internet ist ja viel schlechter und der gute, deutsche „Qualitäts“journalismus ist dem was im Internet geboten wird, ja noch viel besser. ;-)
Man ist einfach zu hart mit den Journalisten.
„Natürlich gehört unser Mitgefühl den vielen Familien von Winnenden, dennen der schlimmstmögliche Schicksalsschlag widerfahren ist. Nichts kann den Schmerz und die Trauer über den Verlust eines Kindes oder eines Angehörigen lindern.“
Es ist also schon so schlimm, dass es gar nicht mehr schlimmer geht, da kann man niemanden einen Vorwurf machen, das Leid von Menschen auszubeuten. Man schadet damit ja niemanden. Weil der Schaden schon vorher maximal ist.
Tja, der stern… Die entdecken demnächst bestimmt auch die geheimen Tagebücher von Tim K., warauf der Medienexperte Jo Groebel erklären kann, warum die Tagebücher garantiert echt sind.
Den besten Artikel zu Winnenden habe ich übrigens bei Spreeblick gelesen.
@Lars: Ja, genau so habe ich die Formulierung auch interpretiert.
Ich frage mich nur, warum Sie angesichts der großen Auswahl lediglich Thomas Osterkorn und Andreas Petzold nicht als Arschloecher bezeichnet haben – und warum Markwort, Kloeppel usw. nicht auch nicht Arschloecher sind? Spielen die beiden erstgenannten eine besondere Rolle?
Interessant fand ich übrigens auch, dass im aktuellen SPIEGEL ein Interview mit einem Professor für Medienpsychologie abgedruckt ist, der der Titelgeschichte von letzter Woche eine Absolution erteilt, indem er betont, wie wichtig es ist, dass „die Medien alle Hintergründe aufarbeiten“. Man müsse eine Heroisierung des Täters vermeiden und daher unbedingt bei der Berichterstattung auch auf „das Umfeld des Täters, seine Familie, die Schule, die Mitschüler“ sowie die Familien der Opfer eingehen. Ach, und dass „in Internet-Foren“ eine solche Tat auch Thema ist, hält er für „ein echtes Problem“, dem mit der Berichterstattung professioneller Medien begegnet werden müsse.
Ganz klasse, Selbstkritik hat der SPIEGEL also auch nicht nötig.
[…] Wg. Presse Gepostet von Konstantin Klein am 27.03.2009 | Kein Kommentar Ich würde nie behaupten, dass Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die Chefredakteure des „Stern”, [insert Beleidigung here] seien. Aber nett wie ich bin, wollte ich ihnen die Bezeichnung zumindest mal zur Selbsterkenntnis angeboten haben. Stefan Niggemeier via stefan-niggemeier.de […]
@Andre: Auf die Fragen nach der Zulässigkeit der Berichterstattung nicht zu antworten, ist nur feige. Sie als „Redaktions-Interna“ abzutun, ist zudem noch dreist.
… passt nicht ganz und die Quelle ist mir entfallen (ZEIT ?): aber es lässt sich ein Zusammenhang zwischen Berichterstattung und Tat-Wiederholungen nachweisen. Ich glaube das Beispiel waren Selbstmorde, die es auf die Titelseite einer Zeitung geschafft hatten was Menschen in einem ähnlichen Lebensumfeld zur Nachahmung genau desselben Szenarios animiert hat. Übertragen auf Amokläufe (lt ZEIT vor ca. 1998 nur auf USA beschränkt) erzeugt solche Berichterstattung Nachahmungstäter erzeugt Berichterstattung erzeugt Nachahmung er…..
Dumm nur wenn der Vater keine Knarre unterm Kopfkissen hat … – nehm ich dann den Sparschäler von Mama und geht anstatt Ballerspiel auch Prince of Persia in DOS-Version ?
Wahre Worte…
Leider rallt einfach keiner, dass die privaten Sender/Printmedien mit ihren 2.t klassigen Nachrichten – oder treffender: „Actions News“ höchstwahrscheinlich Mitschuld daran tragen, dass sich derartige Taten mehren.
So furchtbar es klingt: Durch wochenlanges debattieren über die Ursachen einer solchen Tat, das Zeigen der dramatischen Bilder des Tatorts, der Angehörigen etc. machen sie die Täter in gewissen labilen Kreisen zu Märtyrern.
Und bringen sicherlich das ein oder andere, geistig minderbemittelte Kellerkind dazu, darin den einzigen Weg um einmal in seinem verkackten Leben im Mittelpunkt zu stehen, zu sehen.
Aber Nein… Schuld sich ja die bösen „Killerspiele“ und die lockeren *hust* Waffengesetzte in Deutschland…
Alles Arschlöcher.
Matthes
Das war das letzte Mal das ich mir den STERN gekauft habe. Der ist sowieso in letzter Zeit immer schlechter geworden. Das einzig gute darin ist die Kolumne von Jan Weiler.
Gut geschrieben!
Genau richtig getroffen zwischen offenen Worten und sachlicher Kritik. Wer so einen Blödsinn verfasst, der offensichtlich rechtswidrig ist, braucht sich nicht wundern, wenn er’s mal selber vor die Mütze bekommt.
Die letzten Wochen waren die beschähmensten für den Journalismus in Deutschland seit langem.
Schweinejournalismus.
Gesetzt den Fall, daß die Medienberichterstattung über Amokläufe tatsächlich Nachahmungstaten provoziert (Gibt es dafür eigentlich Belege oder ist das eine Vermutung?), wie sollen dann Medien eigentllich mit so einem Vorfall wie in Winnenden umgehen?
Sollte die Tagesschau das Ereignis totschweigen oder nur eine kurze Meldung vor dem Wetter bringen? Wie sollten Tageszeitungen berichten? Darf Anne Will das zum Thema ihrer Sendung machen? Wir dem Fall nicht zuviel Aufmerksamkeit zuteil wenn Bundespräsident, Bundeskanzlerin und Ministerpräsident zu einer zentralen Gedenkveranstaltung fahren? Oder sollen sie fahren, aber die Medien nicht darüber berichten?
Der Massenmord von Winnenden (um das Ding mal beim Namen zu nennen), ist ein so ungeheures Verbrechen, daß ich mir schlicht nicht vorstellen kann, wie Medien sich verhalten sollen, daß dem Fall keine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Mir ist auch nicht klar, wie eine aus meiner Sicht notwendige öffentliche Debatte darüber, wie man so etwas in Zukunft vielleicht verhindern kann, geführt werden soll, wenn nicht die Medien auch Einzelheiten berichten. Ist es nicht von Relevanz, aus was für einem Elternhaus der Täter kam? Dass er im Schützenverein war? Dass der Vater 17 (oder so) Waffen zu Hause hatte? Ob der Täter gemobbt wurde oder nicht? Was für ein Typ er war? Daß die Opfer fast ausnahmslos weiblich waren? Ob das vielleicht nur Zufall war? Oder ob es daran lag, daß die meisten in der letzten Reihe bei der Tür gesessen haben?
Wie genau hätten beispielsweise Tagesschau und Stern über den Fall bereichten sollen, ohne Gefahr zu laufen, Nachahmungstäter zu provozieren?
Danke für die beiden Einstiegssätze, die sind einfach köstlich. Und wenn die Verantwortlichen in den Redaktionen doch so gut schweigen können, wenn Sie nach ihrem Berufsethos gefragt werden: Warum tun sie das dann nicht endlich mal, bevor sie Personen, das, was man Anstand nennt und geltendes Recht verletzen?
Thomas D.: Zum Beispiel könnte man sich daran orientieren, wie gemeinhin über Selbstmorde berichtet wird. Auch dort gibt es nämlich die Gefahr, Nachahmungstaten zu provozieren. Generell aber würde ich sagen: Zumindest unter Einhaltung zivilisatorischer Mindeststandards.
Naja… englische Verhältnisse halt.
Chefred ist doch sowieso ein Synonym für Kiosknu… bordsteinschwalbe.
Pressekodex ist ja kein Gesetz. Da kann ja jeder drauf scheißen. Jugendschutzgesetz wirkt ja nicht – alles verbieten. Und Internetseiten filtern. Schöne neue Welt sag ich nur.
Arschlöcher, doppelt unterstrichen.
So zu berichten, wie man gemeinhin über Selbstmorde berichtet, hieße ja gar nicht zu berichten, oder mit einer Randnotiz im Lokalteil auf Seite 17. Ist das realistisch? Ist der Massenmord von Winnenden auch nur ansatzweise mit einem Selbstmord vergleichbar, bei dem sonst niemand zu schaden kommt (außer vielleicht ein paar Pendler die zu spät zur Arbeit kommen, wenn einer sich vor den Zug geschmissen hat).
Was „zivilisatorische Mindestandards“ angeht, sind wir uns einig – auch wenn sicher jeder eine eigene Meinung hat, welche das sind. Vermutlich ist dies auch die falsche Stelle für meinen Kommentar, weil es hier um Bilder der Opfer geht. Aber auch hier wurde in Kommentar 14 das Thema wieder damit vermengt, daß die Berichterstattung ja generell Nachahmungstaten provoziere.
Hätte man am Ende nur über den Täter berichten sollen, über die Opfer aber nur am Rande? Und wäre dann nicht die Aufregung groß gewesen, daaß am Ende nur der Täter im Mittelpunkt steht und keiner sich mit den Opfern befasst? Ich lese immer und überall nur Kritik an der Berichterstattung aber nirgends mal etwas, wie man es besser hätte machen sollen.
Bilden sich eigentlich inzwischen schon Schlangen vor den Briefkästen solcher Medienanstalten? Werden die vollgekotzten Briefkästen auch regelmäßig geleert?
@Thomas D.:
Ja, es gibt Studien darüber. Die Quelle fällt mir zur Zeit leider nicht ein (ich glaube das FBI hat die „beste“ dazu erstellt). Es ist nachgewiesen, dass bei Selbstmorden die Quote enorm ansteigt nach umfangreichen Berichterstattungen. Bezüglich Amokläufen gibt es auch bereits Studien, die das belegen. (Es könnte sein, dass ich das in der ZEIT von der letzten Woche gelesen habe.)
Und natürlich soll und muß die Presse über solch eine Tat berichten. Es gibt aber einen Unterschied, ob die Presse die Fakten zusammenträgt und auf eine weniger reißerische Art diese berichtet oder ob aufgeregte Nullinformationen pausenlos gesendet werden und die Zeitungen und Zeitschriften reißerisch und bildgewaltig auch nur die kleinsten Vermutungen zu Action-Stories ausblasen.
Alles (z.B. aus dem Privatleben der Opfer) muß die Öffentlichkeit nicht wissen – die wichtigsten Fakten genügen.
Ich mußte (leider) die ersten Sätze mehrfach lesen, bevor ich das geschnallt habe. Aber so kann man das wirklich gut schreiben.
Wir wollen auch niemenden einen Demagogen nennen.
Abmahnungssicher!
@Thomas D #23
Eine respektvolle Berichterstattung über die Opfer ist in einer angenmessenen Distanz und in anonymisierter Form ohne voyeuristische Darstellungen möglich – warum fehlt gerade hier die selbstbeweihräuscherte kreative Qualität des Journalismus?
Ist diese Art der Berichterstattung nicht kein Thema für den Presserat? Das Problem erscheint mir doch brisante als wenn die FAZ Michel Friedman als „Jude“ bezeichnet. http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~EC1D30723BD44472EB1D14EBAD0A19F75~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Lieber Herr Niggemeier,
Sie überziehen.
Ihre Geschichte ist doch stark. Warum schwächen Sie sie, indem Sie ihr Beleidigungen voran stellen? Warum lassen Sie nicht einfach das wirken, was Sie – größtenteils sachlich – beschreiben? Das genügt vollkommen. Der Leser kann dann selbst überlegen, ob nicht das ein oder andere Arschloch unter den genannten Kollegen ist. Und das funktioniert ja auch, wie die Kommentare hier zeigen.
Wer – wie Sie – fundiert über einen Skandal berichtet, der muss doch nicht mehr „Skandal!“ rufen.
So aber, mit diesem Einstieg, stellen Sie sich ohne Zwang selbst in eine emotionale Ecke und lassen Zweifel an Ihrer journalistischen Distanz aufkommen.
Schade eigentlich.
Ich bin mit den Nutzungsbedingungen von IrgendwerVZ & Co. nicht so vertraut – gibt es in deren AGB gemeinhin nicht sowieso Passagen, die die unautorisierte Verwendung von Bildern und sonstigem Material untersagen? Falls ja, wieso werden sie doch verwendet und einfach mit „Quelle: BlahVZ/Internet“ selbstautorisiert? Welche Mittel und Wege gäbe es denn, bei solcherlei unautorisierter missbräuchlicher Nutzung rückwirkend dagegen vorzugehen?
Das mit dem „… bin sicher, all die oben genannten Herren schlafen gut…“ ist ein Punkt, der mir ähnlich auch schon länger und immer wieder aufstösst, in allgemeineren Rahmen. Wie ist das so wenn man mit viel Idealismus mal die Berufslaufbahn „Journalismus“ eingeschlagen und sein Handwerk wohl auch von der Pike auf gelernt hat? Ich meine, zu dieser Berufswahl gehört ja durchaus ein gewisses Verständnis hinsichtlich „Wahrheit“ und „Moral“ und dergleichen hohe Güter. Wie geht es jemandem, der dann doch nur bei irgendwelchen Scheissblättern und Schleimmagazinen landet, wo er Tag für Tag die Wahrheit überdehnen und Lügen ausdenken und Dreck über Schwache auskippen kann/darf/soll/muss, wo Witwen geschüttelt und Opfer ein zweites und drittes Mal unter die Räder geworfen werden, wie ist das so wenn man routinemässig seine ursprünglichen Prinzipien und seinen eigentlichen Berufsethos mit Füssen tritt, ganz zu schweigen von grundlegenden Prinzipien des menschlichen Respekts und sozialen Umgangs miteinander? Wie geht es einem wenn man genau weiss, was man anderen Menschen täglich antut? Kann man sich da morgens oder abends noch ruhigen Gewissens im Spiegel ansehen, oder nagt sowas langsam aber sicher an einem? Ist man „glücklich“ in so einem Leben, fühlt man sich gescheitert oder dreckig oder schuldig, oder doch einfach gut? Wie wäre es denn z.B. mal, wenn -meinetwegen- die Mutter eines Opfers zu Besuch käme und all ihre Tränen und vielleicht auch Wut einfach persönlich vor die Füsse kotzt, vor versammelter Mannschaft und in aller Öffentlichkeit? Würde man dann vielleicht endlich verstehen, oder könnte man immer noch „Rechtfertigungen“ erfinden?
@Thomas D
ja, genau in den Lokalteil gehört solch eine Tat.
Da ich mir sicher bin das die beiden erstgenannten Personen Ihren Blog lesen, bin ich Ihnen dankbar, dass Sie diese Personen mal so nennen, wie sie es verdient haben.
Die Niveaulosigkeit der deutschen Medienlandschaft ist eine Katastrophe. Wenn Sie lieber Herr Niggemeier mit Ihren Kollegen Schader, Weinreich, Heinser und Co. eine umfassende Nachrichtenplattform im Internet schaffen würden, würde ich diese (mehrmals) täglich besuchen und dabei sogar gerne Adblock deaktivieren, um Ihnen Werbeeinnahmen zu ermöglichen.
Was eine Huffington in Amerika schafft, würde ein Niggemeier bestimmt auch in Deutschland schaffen.
Aua, man kann die Schmerzen beim Schreiben solcher Beiträge mitfühlen.
Da kommen dann auch einige wenige Lapsen zustande: Der Satz:
„einfach zu beschäftigt, sich … , als dass …“
könnte ein ‚damit‘ gebrauchen, um sinnvoll zu werden
und
„Tobias Fröhlich immerhin Statement abgeben“
wäre ein ‚ein‘ gut aufgehoben.
Ich habe dafür vollstes Verständnis und freue mich über jede Korrektur. :-)
Meister Niggmeier – Bravo!
Endlich einer der wiedermal Kisten anpackt,die schon längst zum Quertransport gepackt dastanden! Bitte weiter so!
Bis nächste Woche bei der Re: – publica09
Huhu Stefan,
du meinst glaube ich „Moral“, nicht „Ethik“.
Beste Grüße,
Max
@Thomas D.
Du hast schon recht, dass hier einige Dinge vermengt werden. Ich will deshalb versuchen, einzelne Punkte anzusprechen.
Natürlich kann man nicht erwarten, dass über ein solches Verbrechen nicht berichtet wird. Es geht aber darum, dass durch die – ich benutze den Ausdruck bewusst – aufgeheizte Berichterstattung die Gefahr steigt, dass es zu Nachahmungstaten kommt. Natürlich ist es schwierig, das geeignete Maß zu finden – doch hier gibt der Pressekodex gute Entscheidungshilfen an die Hand. Allerdings gilt dieser Kodex offenbar in den meisten Redaktionen gar nichts mehr.
Im vorliegenden Blogeintrag geht es Stefan ganz offensichtlich um den schamlosen Umgang der Medien mit den Opfern. Ich kann gut verstehen, dass ihn der aufregt. Denn mit dem ins Scheinwerferlicht zerren werden die Opfer ein zweites Mal gewaltsam misshandelt und missbraucht. Von den Angehörigen, die einen schweren Verlust erlitten haben, ganz zu schweigen. Es gibt zahlreiche Aussagen aus Winnenden, dass die Angehörigen gebeten haben, sie in Ruhe trauern zu lassen. Es sind ihre Familienmitglieder, die ermordet wurden, also steht m.E. auch nur ihnen zu darüber zu entscheiden, ob diese der Öffentlichkeit posthum ausgeliefert werden. Und nicht irgendwelchen Redakteuren, die die Toten mal eben schnell zu Personen der Zeitgeschichte machen.
Was die Anwesenheit von Bundespräsident, Bundeskanzlerin und Ministerpräsident bei der Trauerfeier angeht, sehe ich das als – tut mir leid – reinen Wahlkampf. „Seht her, wir stehen bei euch, wir trauern mit euch.“ Wer hat die Herrschaften eigentlich zur Trauerfeier eingeladen? Aufgeregt hat mich auch die Rede von Horst Köhler zu dem Anlass: Er hat schlicht behauptet, ganz Deutschland trauere mit den Angehörigen der Opfer. Ich gestehe, dass ich nicht getrauert habe. Ich kann nicht um Menschen trauern, die ich nicht kannte. Das Ereignis hat mich schockiert und die Opfer bzw. deren Angehörige haben mein tieftstes Mitgefühl. Aber das ist keine Trauer. Ganz Deutschland hat offenbar nicht getrauert, denn wäre sonst fast parallel zur Trauerfeier in Deutschlands Fußballstadien gekickt worden?
Vor allem aber hat mich erschüttert, dass der Bundespräsident nicht einmal ein leises Wort der Kritik am Verhalten der Medien geäußert hat. Anlass genug hätte es gegeben. Nur: Auf gute Presse ist er ja genauso angewiesen wie Angela Merkel. Da verscherzt man es sich am besten nicht mit den Redaktionen.
@ Thomas D
Ich denke schon, dass eine solche Tat eine überregionale, ja internationale Berichterstattung rechtfertigt.
Wie sich das bewerkstelligen lässt, ohne einen starken Anreiz zur Nachahmung zu liefern, wusste schon Johnny Cash: Don’t mention his name and his name won’t live on.
Niemand ist über das Geschehen besser informiert, wenn er Namen und Foto des Täters kennt.
@18
„Schweinejournalismus.“
Ja. Aber wie sollen wir damit umgehen? Die „klassischen“ Medien meiden, obwohl Panorama als klassisches Medium die Infos geliefert hat?
[…] (via Stefan Niggemeier) […]
„Die Illustrierte half, ihr Leben noch ein bisschen unerträglicher zu machen, indem sie die Mädchen groß im Bild zeigte“
Ich glaube manchmal, dass meine Empathie anormal gestört ist. Die Mehrbelastung, die die Angehörigen durch die Veröffentlichung von Opfer-Fotos erleiden, steht doch in keinem Verhältnis zur Ur-Tragödie des Verlustes eines Menschen.
Gerade nach einem Amoklauf muss doch irgendwie über die Opfer berichtet und ihr Schicksal in die Öffentlichkeit getragen werden. Und das mit Bildern. Wenn die mit Erlaubnis der Angehörigen veröffentlicht werden, umso besser – aber es muss auch ohne gehen. Der Spiegel setzt mit zwei A4-großen Fotos (eins auf dem Titel) dem Täter für immer ein Denkmal und ergeht sich damit in einem fatalen Personkult. Den jugendlichen Amok-Gefährdeten, der bei diesem Anblick keine leuchtenden Augen kriegt, will ich sehen.
Man muss der Täter-Heroisierung doch irgendetwas entgegensetzen und die Opferschicksale gesellschaftlich sichtbar machen. Ob die Angehörigen, die in dieser Phase sowieso wirkliches Leid auszustehen haben und andere Entscheidungen treffen müssen, dies möchten, ist dabei meiner Meinung nach zweitrangig. Abstrakt geht es um ein höheres Prinzip, konkret darum, weitere Amokläufe zu verhindern.
Ich weiß, das der Anspruch der genannten Medien ein anderer war: Auflage erhöhen und Page-Impressions erzielen. Ja, das ist alles schlimm und so. Trotzdem kann ich diese Aufregung über die Opfer-Thematisierung mit SchülerVZ-Fotos nicht ganz nachvollziehen, 100-mal mehr hat mich der Täterkult aufgeregt.
Die einzige Möglichkeit, sowohl Angehörige zu schützen als auch den Täterkult zu vermeiden wäre, über Amokläufe generell nicht mehr zu berichten. Komplette Nachrichtensperre. Das ist aber wohl illusorisch.
„Gerade nach einem Amoklauf muss doch irgendwie über die Opfer berichtet und ihr Schicksal in die Öffentlichkeit getragen werden.“
Warum? Um die Sensationsgeilheit der Bevölkerung zu befriedigen? Ein paar Tage nach Winnenden hat ein Vater seine Familie getötet, die Berichterstattung war marginal und das zu recht.
Dankeschön für diesen Artikel. Wäre ich ein Angehöriger eines der Opfer, würde ich jedes dieser Medien einzeln und sehr, sehr ausführlich zur Kasse bitte.
Fehler im Artikel entdeckt, btw: „die ihren Sprecher Tobias Fröhlich immerhin Statement abgeben ließ,“ -> Ein Statement, oder?
@Nona:
„Welche Mittel und Wege gäbe es denn, bei solcherlei unautorisierter missbräuchlicher Nutzung rückwirkend dagegen vorzugehen?“
1. Saftige Rechnung für die Bildnutzung stellen durch den eigentlichen Photographen des Bildes; kann in einem solchen Fall durchaus das vielfache des normalen Photographenhonorars sein wg. der unberechtigten Nutzung ohne Nachfrage, entsprechende Preislisten existieren im Netz
2. Bei Nichtbezahlung klagen
@JMK: „Warum?“
Das steht im Rest meines Kommentars.
Kurz: Mir ist wichtig, dass sich Opfer-Berichterstattung in Umfang und Qualität an Täter-Berichterstattung messen lassen kann.
@Ajo
ich konnte nur ein „Argument“ entdecken, dass angeblich weitere Amokläufe verhindert werden.
Eine Nicht-Berichterstattung kann dies also nicht leisten? Das Argument ist nun völlig absurd, vor allem angesichts der Tatsache, dass obige Medien beim nächsten Amoklauf, der leider Gottes kommen wird, genauso agieren werden.
Die Verwendung der Bilder hat m.W. nicht sonstwasVZ zu regeln, sondern es ist das Recht des Abgebildeten zu berücksichtigen (Recht am eigenen Bild vs. Zeitgeschichte/öffentl. Interesse) und das des Fotografen (Urheberrecht).
Am zweiten kommt man nicht mit der Zeitgeschichte ran – das sind Urheberrechtsverstöße, und sollte mal verfolgt werden.
Wenn den Wiederholungstätern entsprechend empfindliche Strafen aufgebrummt würden – also solche, daß die Betroffenen gar nicht erst auf die Idee kommen nachzurechnen, ob es sich nicht doch rentiert hat.
—-
Ich würde es auch begrüßen, wenn man von verschiedener Seite lernt die eigene Wut und Empörung auszudrücken, ohne Briefkästen und Körperöffnungen zu bemühen – das ist unwürdig und peinlich.
„Eine Nicht-Berichterstattung kann dies also nicht leisten?“
Doch, klar (letzter Absatz). Aber nur, wenn konsequenterweise auch über den Täter kein einziges Wort in der Öffentlichkeit verloren wird. „Das ist aber wohl illusorisch.“
„Und jetzt, liebe Kinder, guckt euch diese Qualitätsjournalisten noch einmal ganz genau an. Wenn ihr die mal auf der Straße trefft, dann könnt ihr überlegen, wie ihr das findet, was die so machen. Ihr könnt ihnen sagen, wie toll sie sind. Wie schlau sie sind. Und wie klug. Ihr könnt sie aber auch anspucken.“ (frei nach Spreeblick)
@thomasD Genau das sind die Fragen, die man in einer ernsthaften Diskussion stellt.
Wenn man ernsthaft diskutiert kann man nicht zu einer Berichterstattung kommen wie Stefan sie beschriebt.
@stefanW – ich denke, daß man Menschen, die sich derartig ausserhalb jedes moralischen Rechts stellen, wie es Stefan N tut, als Arschlöcher bezeichnen MUSS – da war doch mal ein Fischer….
@ajo Nein ich denke Informationssperren gibt es genug und Zensur wird gerade wieder diskutiert. Was man braucht ist ein vernünftiger Umgang mit sich selber aka ein Bewusstsein der Auswirkungen der eigenen Handelns.
Aber das fehlt ja schon vielen anderen Menschen auch.
Was mich besonders bedrückt, ist, dass all die Kritik an diesem ekelhaften, menschenverachtenden Verhalten der Medien im Nichts verpuffen wird.
Glauben Sie ernsthaft, dass sich irgendjemand in den Redaktionen davon beeindrucken lässt?
Ganz fürcherlich und trostlos, wie hier mit dem unfassbarem Leiden der Opfer und den mitfühlenden Menschen in Deutschland umgegangen wird.
Der schlimmste Moment für mich als Außenstehender an dem Massenmord in Winnenden: Der nächste Morgen, als das Gesicht des armseligen Mörders mich auf allen Zeitungen in der U-Bahn anlächelte.
Da wusste ich: Er hat das erreicht, was er wollte.
@ Raventhird, 43: Richtig, die Autoren der Fotos könnten ihre urheberrechtlichen Ansprüche geltend machen und dabei ein Vielfaches des üblichen und redlichen Honorars verlangen. Die Abgebildeten könnten die Chefredaktionen/Verlage wegen Verletzung ihres Rechtes am eigenen Bild (Kunsturheberrechtsgesetz) anzeigen. Denkbar wäre natürlich auch eine Unterlassungserklärung inkl. der Forderung, die Fotos aus (materiellen oder digitalen) Archiven zu entfernen. Da natürlich auch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, ließe sich auch an diesem Punkt der juristische Hebel ansetzen …
Die beschriebenen Mittel sind zweifelsohne effektiver als Appelle an Ethik und Moral.
Who watches the watchmen?
Und noch wirksamer wäre es natürlich, wenn der Medienkonsument derartige Publikationen durch Nichtbeachtung (= Nichtkauf, Nichtklick) straft.
Bravo!
@29: Der erste Absatz ist keine Beleidigung. Sie stellt zumindest zivilrechtlich keinen Straftatbestand dar, einfach durch die geschickte Formulierung. Beispiel: Wenn ihr mal vorhabt einen Polizisten entsprechend anzugehen formuliert es einfach als Frage: „Was würde es kosten wenn ich Sie ‚Dämlicher Wixer‘ nennen würde?“ Das ist eine legitime Frage, die keine Beleidigung darstellt. Der Beamte wird dann irgendwas antworten und ihr sagt daraufhin mit einem süffisanten Lächeln: Na, ihr habt ja Freudenhauspreise. Dann lass ich das mal lieber!“ – Und man ist fein raus. Es kommt _immer_ auf die Formulierung an. Ich bin mir sicher Stefan N. hat sich dahingehend besonders ausführlich beraten lassen.
Stefan zitiert aus dem gestrigen „Panorama“-Bericht. Erwähnen sollte man vielleicht noch, dass „Panorama“ immer unmittelbar vor den „Tagesthemen“ läuft, einer Sendung die am Abend des Amok-Laufs mit zwei Berichten eröffnete, die von Null-Statements von Anwohnern aus Winnenden und Menschen, die „jemanden kennen, der jemanden kennt, der…“ nur so wimmelten. Ich empfand die Berichterstattung der ARD an diesem Abend als fast ebenso unangemessen wie die der anderen Kanäle.
Interessanterweise beschäftigt sich der „Panorama“-Bericht aber nur mit den Verfehlungen der ANDEREN Sender. Selbstkritik fehlt völlig. Deshalb hatte mich der Bericht gestern Abend eher geärgert.
Nur Amoklaufen, um im Abschiedsbrief namentlich die Journalisten und Medien nennen zu können, die richtig geil über den letzten Amoklauf berichtet haben? Kann man nicht machen. Wäre aber wohl der einzige Weg, die genannten Medien dazu zu bringen, ihre eigene Rolle nicht mehr leugnen zu können.
Das sind keine blinden Flecke mehr. Das ist Totalversagen der Reflexion. Aus Dummheit, Zynismus oder einer Mischung.
aus beidem, „… eine Mischung aus beidem“, schreibe ich noch schnell hinterher.
Einfache Lösung: Eine schwarze Liste für alle Journalisten, die Urheberrechte verletzen, über Friedhofsmauern fotografieren oder Witwen schütteln. Für alle, die auf der Liste stehen, wird dann ein Berufsverbot auf Lebenszeit verhängt. Wer überredet BILD und Co.? ;-)
Bei all der berechtigten Medienkritik möchte ich auch hier vor zunehmender Verallgemeinerung warnen: Immerhin gibt es doch zigtausend Journalisten, die sich in den Ressorts ihrer Lokal- oder Regional-Zeitungen, bei ihren Special-Interest-Magazinen oder beim Versenden ihrer Hörfunk-Beiträge nichts, aber auch wirklich gar nichts, in Sachen ‚Winnenden‘ zu Schulden kommen haben lassen.
Oder ist ab sofort auch jeder Angestellte der Kreissparkasse Oberhavel mitverantwortlich für die Wirtschaftskrise, nur weil Fuld & Co. Milliarden verspekuliert haben?
All die hier genannten Verfehlungen betreffen Nachrichtenmagazine in Print & TV, die entweder schon lange nicht mehr oder noch nie mit Qualitätsjournalismus zu verwechseln waren. Wie viel haben sich denn Tagesspiegel und Handelsblatt, Frankfurter Allgemeine und Rundschau, Süddeutsche und Berliner Zeitung, taz und zeit an medienethischen Totalausfällen erlaubt? Wie viel arte oder mdr figaro?
Außerdem wird mir in letzter Zeit zuoft der Online-Auftritt von diversen Medien mit dem Print-Auftritt vermengt. Mir wird beim dauerhaften Lesen dieser medien(über)kritischen Seiten doch etwas zu kultur- und medienpessimistisch. Obwohl ich es wichtig und gerade mit Bezug auf den Eintrag rund um ntv und rtl auch richtig finde. Das ging nämlich gar nicht. Das hier oben beschriebene auch nicht. Aber trotzdem stehen die genannten Herren ganz bestimmt nicht repräsentativ für den deutschen Journalismus, nur weil sie wichtig und namhaft sind …
Das Problem ist für mich die Begriffsverwirrrung. Das sind keine „Journalisten“, das sind Infotainmentmakler. Die jazzen (erfundene) Stories und Promis hoch, schauen nur auf die Auflage und Werbedeals.
Wenn man diesen Drecksäcken mal auf Dauer die Berufsbezeichnung „Journalist“ verweigert, sieht man ihre Produkte auch nicht mehr als „Zeitung“, sondern als Werbemedium. RP Online ist ja auch keine online-Zeitung…
@Dogz&Salad: Nein, ich habe mich da nicht juristisch beraten lassen.
Eigentliches Thema dieses Eintrags ist übrigens gar nicht die Frage, was man zeigen darf und was nicht, sondern die Weigerung vermeintlich renommierter Medien, sich überhaupt der Debatte darüber zu stellen.
Oder nehmen wir Thomas Schmid. Der zeigt in seiner „Welt am Sonntag“ nicht nur einen Unschuldigen als Amokläufer. Er glaubt, er könne die Fragen, die ihm dazu gestellt werden, einfach ignorieren. Er glaubt, er müsse den Fehler nicht einmal richtig stellen. Diese Leute denken, sie können das alles aussitzen, ihrerseits die schlimmen Dinge von Nicht-Journalisten anprangern und natürlich ihrerseits von Politikern fordern, dass sie Rechenschaft ablegen. Diese Leute glauben, dass sie sich alles erlauben können, niemandem Rechenschaft schuldig sind und trotzdem als Meinungsführer auch in Zukunft noch ernst genommen werden.
Was für traurige Gestalten.
„Geht sterben (XY)“ :P
Danke, Herr Niggemeyer. Es ist uns nur schwer erträglich, dieser Tage die Zeitungen zu lesen oder Fernsehen zu schauen. Da hilft es, wenn hin und wieder eine vernünftige Stimme diese Dinge wenigstens zur Sprache bringt.
Die Mitarbeiter der BILD-Zeitung gehören einem Schlag Mensch an, denen ich auf der Straße ins Gesicht spucken würde.
PS: Verzeihen Sie bitte den Schreibfehler Ihres Namens.
63, Stefan:
„Eigentliches Thema dieses Eintrags ist übrigens gar nicht die Frage, was man zeigen darf und was nicht, sondern die Weigerung vermeintlich renommierter Medien, sich überhaupt der Debatte darüber zu stellen.“
Das ist es, was mich ein wenig hier stört. Es hat beinahe den Anschein, Sie benutzen diese Sache, um ihr Engagement gegen bestimmte Vertreter klassischer Medien voranzutreiben. Wäre das so, dann benutzen Sie all die schlimmen Dinge von Winnenden nur in eigener Sache.
Ich will nicht behaupten, dass dem so ist. Ich möchte nur erwähnen, dass der Eindruck entstehen könnte.
Die Art und Weise, in der viele Medien – ob klassisch oder digital – mit dem Amoklauf umgegangen sind, hat auch mich als Journalisten tief beschämt. Das sind Momente, wo man seine eigene Zunft verflucht. Es gab und gibt nicht einen einzigen vernünftigen Grund, die Fotos der Opfer als Galerie zu plakatieren.
Zu Recht wird hier auf die Heuchelei bestimmter Medienvertreter hingewiesen, die ansonsten wohlfeile Reden über Ethik halten. Eine Heuchelei war es zudem m.E., dass der SWR-Intendant nun erklärt, bei seinem Sender sei Denken vor Schnelligkeit gegangen. Tatsächlich hat der SWR länger gebraucht, weil seine eigenen Leute geschlampt haben. So wurde das auch ARD-intern kritisiert.
Die eigene Schnarchnasigkeit nun, da die Exzesse thematisiert werden, als wohlüberlegte Langsamkeit zu verkaufen, ist schon ein starkes Stück.
@treets: Ja. Ich benutze die für mich unfassbare Verlogenheit einer ganzen Batterie möchtegerngroßer Chefredakteure, um die für mich unfassbare Verlogenheit einer ganzen Batterie möchtegerngroßer Chefredakteure anzuprangern. Insofern benutze ich „all die schlimmen Dinge“ „in eigener Sache“.
[…] Infotainmentmakler nicht auch geeignet wären (Dank für den genialen Ausdruck an Zwiebelfleisch in einem Kommentar bei Stefan Niggemeier). Das wäre natürlich eine unzulässige […]
[…] Ehre, dass die letzten Minuten des Amokläufers gezeigt wurden. Aber es geht noch viel tiefer, s. hier. Das solltet ihr unbedingt […]
War es wirklich nötig, die Herren Chefredakteure so persönlich anzugreifen?
#71: Das ist nötig, glaub mir. Mit totstreicheln kommst du da nicht weiter.
Wäre es nicht zeitsparend, wenn man die Fälle vorbildlicher Berichterstattung zum Thema aufzählt? Wer hat ein paar gute Beispiele parat?
@Remember: wen denn bitte sonst?
Oder anders gefragt: warum soll man auf solche Menschen des öffentlichen Interesses Rücksicht nehmen?
Die meisten Chefredakteure sind nicht zu beschäftigt, sich um journalistische Grundsätze und so etwas wie journalistische Ethik zu kümmern. Sie sind einfach nicht daran interessiert. Und manche sind halt neuronale Einzeller, so dass sie gar nicht verstehen können, was ihre eigentliche Aufgabe wäre.
@Stefan W./46:
> Ich würde es auch begrüßen, wenn man von verschiedener Seite lernt die eigene Wut und Empörung auszudrücken, ohne Briefkästen und Körperöffnungen zu bemühen – das ist unwürdig und peinlich.
In der Tat. Diese Kotzerei und Spuckerei hier finde ich auch daneben. (Volle Zustimmung auch zum Rest Ihres Beitrags, Urheberrechtsverletzungen hinsichtl. geklauter Bilder sind ein Thema, vor allem, da zahlreiche Medien selbst in der Vergangenheit nicht sehr zögerlich agierten im umgedrehten Fall. Aber ob diese Kotzerei die Diskussion nach vorne bringt?).
Eigentlich kann man dazu nichts mehr sagen. Durch das Leid von Menschen Gewinn zu machen, daran ist man ja gewohnt. Aber das es so dermaßen offen geschieht, dass die Opfer quasie noch verhöhnt werden, das ist einfach erschreckend.
Leichenfledderei steht normalerweise unter Strafe – scheinbar gibt es aber Ausnahmen.
@ Bernd, #76: Die Kraftausdrücke sollen ja enorme Abscheu ausdrücken, und dabei besonders authentisch wirken, als ob der Schreiber nicht fähig wäre zu schreiben „ich verabscheue“. Letztlich ist das Schreiben vom Kotzen aber genauso vermittelt und medial wie das über Abscheu. Als zivilisierter Mensch darf man ruhig seine Reflexion über ein Gefühl äußern, und muß nicht das Gefühl selbst äußern.
Letzteres drückt ja aus, daß man die anderen Leser für ein bißchen blöde hält, die nur drastische Unmittelbarkeit verstehen. Amokkotzen.
Als Affektabfuhr funktioniert es doch auch nicht. Der Schreiber sitzt hinterher genauso frustriert mit seiner Wut da, und erlag nur momentweise der Illusion ein heftiger Ausdruck könne die Wut und den Ekel lindern. Aus einem großen, öffentlichen Kotz-In wird sicher kein kultureller Fortschritt resultieren. Ich kenne kein kulturelles Äquivalent wo man sich gemeinsam zum öffentlichen Abkotzen trifft. Außer vielleicht den Krieg, Bücherverbrennungen.
parallel zur aktuellen bildblog-eintrag ist mir der gedanke gekommen, warum eigentlich kein medium auf die idee gekommen ist einer heroisierung des täters entgegenzuwirken und ihn als „schwein“ oder „arschloch“ zu titulieren.
auch wenn es nicht den geboten des pressekodex entsprechen mag, fände ich ein solches vorgehen tasächlich nicht ganz verkehrt, um möglichen nachahmungstätern eine solche tat doch nicht erstrebenswert erscheinen zu lassen.
aber auf das abdrucken von bildern der opfer und des täters und das ausschreiben des namens des täters mag wohl kein medium verzichten. vermutlich verkauft sich das einfach besser.
Den trefflichen Eingangssatz in Sachen „Arschloch“ muss ich mir merken für kommende Gespräche mit weniger sympathischen Zeitgenossen.
Ich würde nie behaupten, dass Thomas Osterkorn und Andreas Petzold, die Chefredakteure des „Stern”, zynische
Arschlöcher* seien.*Arschloch darf Stefan Niggemeier nicht schreiben, sonst gibt es Ärger mit dem Presserat.
Sophistisch brillant, die Eingangswendung (auch wenn das Wort A….ch die Eleganz doch arg trübt). Das erinnert mich an einen ähnlichen Satz Dieter Hildebrandts im „Scheibenwischer“ (über die Graue-Panther-Despotin Trude von Unruh): „Ich würde nie behaupten wollen, sie habe nicht alle Tassen im Schrank. Aber vielleicht sollte sie mal nachschauen“.
@#82: Bei Niggemeier ist es „sophistisch brillant“, aber Verstoß gegen Ziffer 1 des Pressekodex bei BILD, die ihre Beleidigung zwar sprachlich plump aber prinzipiell analog zu Niggemeier relativiert? Bei aller Abscheu, die ich für die multimediale Aufbereitung und Ausbeutung des Elends in Winnenden zur Auflagenmaximierung mit Herrn Niggemeier vermutlich gemeinsam habe, möge er doch die selbe Messlatte an sich selbst anlegen, wie an jene, die er zu Recht kritisiert und die Debatte in einem sachlichen Ton führen.
@dovid:
Was Du nicht willst was man Dir tu…
Ergo: die ganzen Chefreds dürfen Stefan jetzt auch Arschloch nennen. Mehr nicht.
Viel nachhaltiger als das inkriminierte A-Wort wirkt das süffisante Epitheton „ehrenwert“, das Herrn Markwort (und vorgenannten Konsorten) angeklebt wird. Keineswegs denkt der Leser hier an die ursprüngliche Bedeutung – eine „ehrenwerte Gesellschaft“ nennt sich bekanntlich die Cosa Nostra. Der Autor will ja auch eine Brandrede halten, wie Marc Anton nach Cäsars Ermordung: „Friends, Romans, countrymen, lend me your ears“ (Shakespeare, Julius Cesar, III,2) – aber er nimmt so gerade noch Rücksicht auf den politischen wie sprachlichen Comment und nennt den Cäsarmörder eben: „And Brutus is an honourable man“.
Von der sehr berechtigten Erregung abgesehen (auch Turi hat einfach ungefragt mein Foto von meiner Homepage geklaut): Diese Herren, die zufällig die Bezeichnung Chefredakteur tragen, werden dann auch noch vom Medium-Magazin ohne nachvollziehbare Gründe mit Preisen gekrönt. Wenn nicht letztes und dieses Jahr, dann eben nächstes, man hat bald alle durch. Sie, hochgeschätzter Herr Niggemeier, sollten nicht auch noch bei so einer peinlichen Eigen-PR-Show dieser Publikation mitmachen.
Jede Gesellschaft hat die Journalisten, die sie verdient.
1. Wer es immer noch nicht wahrhaben wollte: Diese Blätter werden einzig und allein verkauft, um Geld zu verdienen. Es geht keinesfalls um Information, Aufklärung und ähnliche Schwachheiten.
2. Während Schnüffler, die sich gern Journalisten nennen, in der Privatwelt von Opfern herumwühlen und Hinz und Kunz mit allerlei Tricks ausfragen, verfallen die Redaktionschefs der Snchüffler in beredtes Schweigen, werden sie gefragt.
3. Einfache Schlussfolgerung: viele Medien sind überflüssig.
@kampfstrampler (85): Dafür eine Oscar-Nominierung!
(Bekam Marlon Brandow)
Zusatzinfo für die Nachtschwärmer in dieser Runde :-)
Zum 85. Geburtstag von Marlon Brandi zeigt mdr am 14.04.2009 die oscar-prämierte Shakespeare-Verfilmung von „Julius Cäsar“.
http://www.mdr.de/tv/programm/prog_detail+43208000269535.html
Sehenswert (drei Ausrufzeichen)
Das nennt man mal im Stil vergriffen – und zwar absichtlich und mit Erfolg (und das ist positiv gemeint). Einen Einwand gegen die Kommentatoren habe ich aber: die Anwesenheit der Higher-ups bei der Trauerfeier hat nichts mit Wahlkampf zu tun. Eher schon damit, dass die Herrschaften in solchen Situationen nicht gewinnen können – wenn sie hingehen, ist es Berechnung und Wahlkampf, wenn sie nicht hingehen, sind es zynische Unmenschen (siehe die Queen nach dem Tod von Prinzessin Diana). What would you do?
@91
Your „Higher-ups“ and „What would you do“ I can understand (at least the latter), but what about the remaining blahblah? Why not the whole in English?
@rumo #79:
> parallel zur aktuellen bildblog-eintrag ist mir der gedanke
> gekommen, warum eigentlich kein medium auf die idee
> gekommen ist einer heroisierung des täters
> entgegenzuwirken und ihn als „schwein” oder „arschloch”
> zu titulieren.
Ich biete noch „Terrorist” an.
@91
Zugegeben, da könnten sie in Erklärungsnöte geraten. Aber gegenüber wem eigentlich? Den Angehörigen der Opfer? Bei denen können sie sich auch persönlich melden (Telefonnummern hat Kai Diekmann sicher). Gegenüber der Öffentlichkeit? Wer, außer den Medien, verlangt das? Aber gut, wenn sie denn auftreten müssen, wie wäre es dann mit einem Kompromiss: Zur Trauerfeier gehen, aber einfach mal keine Reden schwingen.
Berichterstattung in den Medien ist ein Muss. Allerdings sollte sie sachlich und objektiv sein. Sieht man sich an was so geschrieben und gesendet wird, kann ich mich des Eindrucks nicht entziehen, dass es hier um Einschaltquoten und Verkaufzahlen geht. Bilder von Opfern und Tätern lassen sich bestimmt auch gut vermarkten. Nur muss man schnell und der Erste sein. Manchmal glaube ich, das könnte auch in einen Kriminalroman passen. Alles schön reißerisch.
Der FOCUS zeichnet sich letztlich nur durch seine Parteinahme vor Wahlen aus. Inhaltlich hat dieses Magazin gar nichts zu bieten!
Der Stern ist nur die BILD in Zeitschriftenformat!
Die BILD zeichnet sich meiner Meinung nach durch Formen der Berichterstattung aus, die ähnlich einer Zeitung ist, die nur in der 3. und 4. Dekade des letzten Jahrhunderts existierte…
Was Panorama dort aufgedeckt hat, bzw ja nicht aufgedeckt sondern einfach nur dargestellt ist gar nicht mehr zu überbieten in der Ignoranz dem menschlichen Wesen gegenüber…
[…] Stefan Niggemeier […]
Wo liegt eigentlich der moralische Unterschied, wenn Stefan „nie behaupten“ würde, die Chefredakteure des „Stern”, seien zynische Arschlöcher und wenn BILD explizit „nicht schreibt“, dass ein Kinerschänder ein Schwein ist?
Und wenn es keinen gibt, finden wir dann morgen http://www.stefan-niggemeier.de auf „BILDblog“ für alle?
Gute Frage @Alexander.
@98 + 99: in der Motivation dazu?
@Volker: die Motivation ist beim einen, sein Missfallen gegen einen Sexualstraftäter auszudrücken, beim anderen, sein Missfallen gegen zwei Chefredakteure auszudrücken. Inwieweit das moralisch einen Unterschied darstellt, wenn beide Missfallensäußerungen in menschenunwürdiger Weise geschehen, verstehe ich nicht.
@Alexander: Hmm, und du glaubst wirklich, dass bei Ersteren der Ausdruck von Missfallen und nicht plumpe Hetze, bösartige Aufwiegelung, Auflagensteigerung durch Aufputschung etc. die Motivation war (von der Aufmachung mal ganz abgesehen)?
@Volker: das ist auch möglich. Aber das hieße ja dann, wenn ein Journalist suggeriert, jemand sei ein „Schwein“ und dies aus der von dir genannten Motivation tut, ist das menschenverachtend (siehe Pressecodex Ziffer 1). Und wenn ein Journalist suggeriert, jemand sei ein „zynisches Arschloch“ und dies aus anderer (welcher?) Motivation heraus tut, ist das nicht menschenverachtend?
Vielleich kann Stefan da etwas Klarheit reinbringen, wieso es gegen die Menschenwürde verstößt, jemanden („nicht“) Schwein zu nennen, es aber nicht gegen die Menschenwürde verstößt, jemanden („nicht“) zynisches Arschloch zu nennen?
[gelöscht]
Vielleicht ist im Vergleich der beiden Fälle (oder deren Intention) jener Übergang von ‚Meinung ausdrücken‘ zu ‚Meinung machen‘ schwer zu finden, aber egal wo man die Grenze zieht: als gleichermaßen gültig seh ich das nicht.
Ich kann dir da in allen Punkten zu stimmen. Mir ging es ähnlich. Ich finde auch, dass solche Bilder nichts in den Medien zu tun haben.
Tolles Lob für Panorma von Stefan Niggemeier – wie hätten die Kollegen wohl berichtet, wenn sie sagen wir mal zwei Tage nach der Katastrophe hätten senden müssen? Und als Kronzeugen für ehrenwerten Journalismus und heroischen Einsatz für Informationsrechte den Rechtsanwalt Schertz auffahren – alle Achtung. Der Mann ist wirklich als Held für die deutsche Pressefreiheit zu feiern. Muss man nur mal bei Richter Buske am Hamburger Landgericht geladen gewesen sein – kleiner Tipp – Buskeismus.de und dann RA Schertz suchen … viel Spass.
[…] möchte, um dem Beispiel von Stefan Niggemeier zu folgen, der in seinem Blog-Beitrag „Niemandem Rechenschaft schuldig“ (1) die Situation und das dubiose Verhalten der Redaktionen beleuchtet und eigentlich noch immer […]
….egal wo wir uns selber moralisch ansiedeln…. wir sollten uns alle fragen warum überhaupt diese Form des Journalismus möglich ist….
weil wir es kaufen…. direkt oder auch indirekt…. am Zeitungsstand…. im Fernsehen…. beim Arzt oder Frisör…. wir lesen es…. wir sehen es…. darum wird es geschrieben / produziert…. eine Steigerung ist in der Zukunft nur möglich durch unser Zutuen…. unser aller Vojeurismus bringt die Journalisten, egal welcher Coleur oder geistigem Nivou sie entstammen, erst zu diesen „Glanzleistungen“…. der nächste Täter wartet schon auf „seinen großen Aufmacher“…. selbst wenn er es selber nicht mehr lesen wird….
[…] Kurze Interview-Sequenzen wurden in einem Beitrag der ARD-Sendung “Panorama” am 26. März gesendet (Transkript als pdf). Basis war ein ca. einstündiges Interview, das ein “Panorama”-Team mit mir in der Dieburger Bibliothek aufgenommen hatte. Es ging um das Problem, dass immer mehr Redaktionen Fotos aus dem Internet klauen und in ihren Publikationen drucken: häufig die Bild-Zeitung, aber auch andere – wie im Fall Winnenden z.B. Focus und Stern. Die Perfidie: Oft sind Opfer zu sehen, die ungefragt abgebildet werden. Oder falsche Fotos von angeblichen “Tätern”. Das sind massive Verstöße gegen die journalistische Ethik. Stefan Niggemeier hat in seinem Blog den “Panorama”-Beitrag treffend kommentiert und ergänzt. […]
Bei dem Versuch, diese Art der Berichterstattung zu legitimieren fällt ja immer wieder (auch in diesen Kommentaren) der Begriff „Täterkult“. Kann mir dazu mal bitte jemand sagen wo und wie das statfindet? Ich halte mich doch für leidlich bewandert in solchen Dingen, kenne aber keine On- oder Offlinecommunity, auf die so etwas zutreffen würde. Als einziges mögliches Beispiel fällt mir die Band Nevada Tan ein, die sich aber mittlerweile in Panik! umbenannt hat, und auf deren Texte dieser Schuh auch nicht so recht passen will.
Momentan jedenfalls halte ich „Täterkult“ einfach nur für das neue „Killerspiele“.
[…] In vielen Magazinen und Zeitungen – unter anderem Bild, Bild am Sonntag, Focus, Stern – sind Fotos von (jugendlichen) Opfern zu sehen. Zum einen wurde dabei eklatant gegen den Pressekodex verstoßen, der in der Richtlinie 8.1 fordert, dass weder Opfer noch Täter in Wort und Bild genannt und gezeigt werden. Zum anderen wurden die meisten dieser Fotos aus sozialen Netzwerken im Internet (u.a. Schüler VZ) einfach kopiert, ohne die Angehörigen der Opfer zu fragen. Die ARD-Sendung Panorama hat in einem Beitrag den Foto-Raubzug von Journalisten im Internet – auch zu anderen Themen – angeprangert (vgl. den Beitrag von Niggemeier dazu). […]
Früher, in der guten, alten Zeit hat man sich um die Opfer überhaupt nicht geschert. Ich meine im Zuge von Terroranschlägen der RAF war es, daß sich Opfer oder selbsternannte Betroffene empörten, daß so viel über die Täter, und so wenig über die Opfer berichtet wird.
Wenn man die Tat verstehen will, dann ist es natürlich interessant sich mit dem Täter zu beschäftigen. Er hat das Motiv. Die Opfer sind da nun mal uninteressant, da sie mehr oder minder zufällig zu ihrer Rolle kamen.
Da man Betroffenen nicht widerspricht hat niemand widersprochen, und irgendwann fingen die Medien dann tatsächlich an, verstärkt Opfer und deren Vertreter zu Wort kommen lassen.
Die frühere Praxis „Täterkult“ zu nennen wäre wohl eine Übertreibung, aber wenn es dem Täter darum geht im Mittelpunkt zu stehen, ins Fernsehen zu kommen, dann genügt wohl die neugierige Forschung nach den Gründen, um ihn zu befriedigen.
Stefan W.: „[…] und irgendwann fingen die Medien dann tatsächlich an, verstärkt Opfer und deren Vertreter zu Wort kommen lassen.“
Also früher haben sich Leute beklagt, dass sie in den Medien nicht zu Wort kommen, und heute zerrt man sie deswegen gegen ihren Willen in die Öffentlichkeit. Ja, diese Schlußfolgerung ergibt…überhaupt keinen Sinn.
„Er hat das Motiv. Die Opfer sind da nun mal uninteressant […]“.
Opfer sind in der Regel auch mit dem Motiv verknüpft. Im vorliegenden Fall könnte es von Bedeutung sein, dass der Täter bevorzugt Frauen angegriffen hat. Allerdings deutet momentan nichts darauf hin, dass ihre Persönlichkeit dabei wichtig gewesen wäre.
„[…] wenn es dem Täter darum geht im Mittelpunkt zu stehen, ins Fernsehen zu kommen […]“.
Welche Indizien gibt es dafür, dass dies im vorliegenden Fall so wäre?
man könnte einigen punkten durchaus zustimmen. aber die art und weise, wie sich herr niggemeier hier als scharfrichter der medien aufspielt, ist schon sehr gewöhnungsbedürftig.
@Franky S.: Hat ein Scharfrichter nicht irgendwelche Sanktionsmöglichkeiten? Ach ja.
Alles, was ich habe, ist die Möglichkeit, meiner Fassungslosigkeit darüber Ausdruck zu verleihen, dass diese Leute glauben, nicht einmal Rechenschaft ablegen zu müssen über das, was sie tun, geschweige denn ihre Fehler zu korrigieren – und journalistische Ethik für ihre Privatangelegenheit halten.
Pathetisch formuliert: Diese Leute zerstören durch ihr Verhalten das (Rest-)Ansehen des Journalismus – und wenn ich nichts weiter tue, als mich darüber zu empören, spiele ich mich als Scharfrichter auf? Wirklich?
pathos. genau. besser als scharfrichter. vielleicht ist es das, was mein unbehagen auslöst. der herr niggemeier präsentiert sich hier als letzter einsamer kämpfer für das ansehen des journalismus. wer ist ihnen denn rechenschaft schuldig? ich fürchte niemand. geht es einen groschen kleiner? nein? auch nicht so schlimm…
@Franky S.: Die Frage ist doch nicht, wer mir persönlich Rechenschaft schuldig ist. (Ich habe in diesem Fall überhaupt niemandem Fragen gestellt.) Sondern ob die Medien irgendwem Rechenschaft schuldig sind.
Natürlich dürfen die Herren Chefredakteure die lästigen Fragen danach, ob sie etwa die Fotos, die sie zeigen, überhaupt zeigen dürfen, einfach ignorieren oder lässig mit „Wir sagen nichts zu Redaktions-Interna“ abtun. So wie auch Politiker natürlich berechtigte Fragen von Journalisten nach der Wahrhaftigkeit ihrer Ausagen oder der Moral ihres Handelns einfach aussitzen können. Sie sollen sich dann aber nicht wundern, die Politiker oder die Chefredakteure, wenn sich das Publikum angeekelt von ihnen abwendet.
Und mein Pathos, das Ihnen nicht gefällt, rührt vielleicht auch daher, dass es sich hier, wie wir Journalisten so gerne sagen, nicht um einen Einzelfall handelt: „Stern“, „Abendblatt“, „Focus“, RTL, „Welt am Sonntag“… Sie alle glauben, Sie können sich einfach totstellen.
Und noch einmal: Thomas Schmid zeigt in seiner „WamS“ einen unschuldigen Jungen groß als Attentäter — und meint, er müsse auf Fragen danach nicht antworten und den Fehler nicht einmal richtig stellen? Wieviel deutlicher kann ein Chefredakteur sein Selbstverständnis zeigen?
@The_Vanguard: In die Medien gedrängt haben sich Gefühlsbetroffene, die nicht selbst betroffen waren, aber sich berufen fühlten, für Betroffene zu sprechen und sich selbst als Betroffen bezeichnet haben.
Das Zerren der Opfer ins Rampenlicht hat wirklich keinen Sinn.
Daß man die Opfer schlecht fragen kann, ob sie für Ihr Frausein selbst schuld sind bemerkst Du selbst. Was also soll die Öffentlichkeit mit den Opfern anfangen? Fragen, wie sie sich gefühlt haben? Das kann man sich ja einerseits denken, und zum anderen sind Betroffene ja selten sonderlich begabt darin ihre Gefühle sprachlich darzustellen.
Beim Stehen im Mittelpunkt muß ich aber passen. Ich habe zwar Psychologen gehört, die derartiges behaupteten – aber mehr allgemein, wenn ich mich recht erinnere, nicht konkret für diesen Fall.
Es geht da aber wohl um eine allgemeine Prävention, d.h. selbst wenn der letzte Täter nicht in die Medien wollte, so ist es wichtig das einzudämmen, weil die Nachahmungstäter sich daran orientieren.
@ 40 (ajo):
glaube mir, wenn dir der boden unter den füßen weg bricht und du nicht weißt, wie du deine widersprüchlichen gefühle einigermaßen zu ertragen lernen sollst, dann kann es äußerst unpraktisch sein, wenn dein gesicht oder das eines nahen beteiligten beim bäcker vom tresen grinst. eigenes maßloses leid ist schwer genug, sich in so einer situation vor allem und jedem erklären zu müssen, kann menschen auch zerbrechen. da sind dir irgendwelche verhältnisse und ur-tragödien ziemlich wumpe.
ich denke auch, dass über so eine tat berichtet werden muss. berichtet! nicht gemutmaßt, nicht pornös sabbernd herumfantasiert, und schon gar nicht alles noch mit pseudo-wahrheiten dickgefüttert.
ich habe im bekanntenkreis nach der tat in winnenden ein kleines experiment gemacht: bei herumgezeigten zeitschriften einfach mal „geile fotos!“ sagen. und schwupps, sind alle schon total schockiert, wie ich solche fotos denn „geil!“ finden kann, nein wie geschmacklos. „wenn das nicht geile fotos sind, dann würde [hier titel des pamphlets einfügen] die doch nicht drucken“, da ging dann die diskussion zu meinem eigentlichen thema los.
@62 (zwiebelfleisch):
infotainmentmakler ist sehr gut, danke für die vokabel.
@ch und überhaupt:
welchen sinn könnte eine berichterstattung zu einem solchen thema haben?
hier müssten wir wohl zwischen der berichterstattung, die sich unmittelbar (komisches wort, was?) an das geschehen anschließt, oder sogar durch liveübertragung darin eingreift, und der berichterstattung nach ein, zwei tagen unterscheiden. dann noch die der laufenden ermittlungsarbeit, die erste woche, die zweite. welchen zweck soll diese berichterstattung haben? die ermittlungsarbeit zieht sich wohl mehrer monate hin, sagen wir so etwa 3 bis 18 monate, je nach tat. dann kommt die juristische, letztlich auch gesellschaftliche bewertung in einem gerichtsverfahren. wieviel monate das jetzt wieder dauert, häkeln die sich selber zusammen, sind ja genug experten beieinander. auch hier wieder die frage: welchen zweck soll die berichterstattung darüber haben?
es gäbe die frage, wie sich individuen und eine gesellschaft wirksam vor solchen taten schützen können. gefährliches terrain für einen stammtisch, aber immerhin. ganz fruchtlos muss die suche nach erkenntnisgewinn da nicht sein. ich kenne in deutschland zwar keinen bruce schneier, aber man kann es ja mal versuchen.
bei überlebenden tätern könnte man nach einer angemessenen strafe fragen. und man kann sicher auch auf behutsame weise sehr eindrücklich von der menschlichen situation sprechen, in die die menschen vor ort durch die tat geraten sind. ein wenig gehirnschmalz und ein körnchen gute schreibe können hier mehr leisten als jedes foto aus einem irgendvz. das braucht natürlich, nun ja, personal vom feinsten.
was will ich als leser durch die berichterstattung über so eine tat erfahren? was es mich über mich, über meinen nachbarn, meine kinder und vielleicht über meinen schlimmsten feind lehrt, möchte ich zumindest erahnen oder selbst zusammenflicken können.
oder auch schlussfolgern, dass die ganze geschichte ziemlich sinnlos und ohne summe unterm milchmädchenstrich ist und bleiben wird. medien, die nicht davon ausgehen, dass wir in einer pluralistischen gesellschaft gut und kritisch zueinander stehen sollten, sondern jede spaltung genüsslich zelebrieren, sind hier die falschen dienstleister. onanie im angesicht eines so brutalen fetisch ist kaum im interesse denkender leser. die hatte ich eigentlich für eine kernzielgruppe mancher zeitung gehalten.
.~.
p.s.: ich habe natürlich noch ein paar phasen vergessen: bei überlebenden tätern gibt es irgendwann haftentlassung („was macht eigentlich…“) und irgendwann kommt dann noch der jubiläums-knopp… aber ich werde schon wieder zynisch, das geht gegen die ernsthaftigkeit meiner frage.
Äh, Stefan, eine Kleinigkeit:
Ich kann verstehen, dass ein griffiges, wertendes Wort für „unerlaubtes herunterladen/vervielfältigen“ gebraucht wurde, „entwenden“ ist dennoch falsch.
[…] und in absoler Topform. Sehr schön. Hier geht´s weiter. Tags: BILD, Medien, Medienamok, Stefan Niggemeiner, Stern, Winnenden Ähnliche […]
[…] darüber nochmal nachdenken. Ich habe ja überhaupt nichts dagegen, Journalisten hart anzupacken, die es verdient haben. Aber alles Scheiße finden, nur weil es nicht so läuft, oder langsamer läuft, oder gar […]
[…] Niemandem Rechenschaft schuldig « Stefan Niggemeier – „Natürlich gehört unser Mitgefühl den vielen Familien von Winnenden, dennen der schlimmstmögliche Schicksalsschlag widerfahren ist. Nichts kann den Schmerz und die Trauer über den Verlust eines Kindes oder eines Angehörigen lindern." Und daher wird durch Veröffentlichung von Bildern der Opfer einfach nochmal draufgehauen!? […]
[…] Schweigen ansonsten gerne sprechender Chefredakteure hat sich auch Stefan Niggemeier in dem Beitrag “Niemandem Rechenschaft schuldig” Gedanken […]
[…] 3. April 2009 von Lakritz und Schokolade Ein guter Beitrag von Stefan Niggemeier hier, […]
Wahrscheinlich muss es erst so weit kommen, dass ein Angehöriger eines Medienopfers Amok läuft und einen dieser verantwortungslosen Journalisten umbringt, damit die Skrupellosen anfangen nachzudenken.
Noch wahrscheinlicher ist allerdings, dass sie auch dann wieder Fotos der Beteiligten aus dem Netz zerren würden, um sich ihre Sonntagsbrötchen zu verdienen, auch wenn die stark nach Leichenschmaus schmecken…
[…] (Inken Ramelow hat „Zapp” übrigens mitteilen lassen, ihr Job sei das Fragenstellen und nicht das Beantworten von Fragen. Lustig, das sehen ihre Freunde vom „Stern” genauso.) […]
„…wollte ich ihnen die Bezeichnung zumindest mal zur Selbsterkenntnis angeboten haben“
Allein für diese charmante Art, jemanden die Meinung zu sagen, sollte man Kafka die Füße Küssen!
[…] nach der Herkunft der gezeigten Opferbilder und dem Einverständnis der Angehörigen noch mit dem Hinweis abgebügelt: „Zu Redaktions-Interna erteilen wir keine […]
[…] Infotainmentmakler nicht auch geeignet wären (Dank für den genialen Ausdruck an Zwiebelfleisch in einem Kommentar bei Stefan Niggemeier). Das wäre natürlich eine unzulässige […]
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[…] ob Journalisten Infotainmentmakler nicht auch geeignet wären (Dank für den genialen Ausdruck an Zwiebelfleisch in einem Kommentar bei Stefan Niggemeier). Das wäre natürlich eine unzulässige […]
„Stern“ und „Focus“ sind für mich zukünftig tabu!