Wie kommt es, dass ausgerechnet die große Abschlussrede an der Universität die beinah einzige amerikanische Tradition ist, die es noch nicht nach Deutschland geschafft hat? Würde uns das Personal dafür fehlen? Die Kultur des Redenhaltens? Die Kunst, die heikle Mischung aus Pathos und Komik, aus Allgemeinplätzen und Subjektivität hinzubekommen?
Jedenfalls hat der Schriftsteller Neil Gaiman dem großen Genre der commencement speech einen weiteren Höhepunkt hinzugefügt. Er sprach am 17. Mai an der University of the Arts in Philadelphia, und ich hatte am Ende der zwanzig Minuten wieder einmal einen Kloß im Hals.
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And I decided that I’d do my best in the future not to write books just for the money. If you didn’t get the money then you didn’t have anything. And if I did work I was proud of, and I didn’t get the money, at least I’d have the work.
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But people keep working, in a freelance world — and more and more of today’s world is freelance — because the work is good and because they’re easy to get along with and because they deliver the work on time.
And you don’t even need all three. Two out of three is fine.
People will tolerate how unpleasant you are if your work is good and you deliver it on time.
People will forgive the lateness of your work if it’s good and they like you.
And you don’t have to be as good as everyone else if you’re on time and it’s always a pleasure to hear from you.
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So be wise, because the world needs more wisdom. And if you cannot be wise, pretend to be someone who is wise and then just behave like they would.
And now go, and make interesting mistakes, make amazing mistakes, make glorious and fantastic mistakes.
Break rules. Leave the world more interesting for your being here.
Make good art.
Neil Gaiman – Ich liebe ihn!
Um Deine Frage zu beantworten
Deutsche Unis haben
– keine Studentenverbindungen in dem Maße wie die Unis in den USA
– keine Zulassungsgebühren von 20.000 Dollar und mehr pro Semester
– kein Verhältnis von 1 Tutor pro 4 Studenten
– kein Sportsystem mit 80.000 bis 120.000 Zuschauern fassenden Stadien im Besitz der Unis
Uni ist in den USA ein intensives Erlebnis. Sobald das soweit kommt in Deutschland wird eine Abschlussveranstaltung auch ähnlich wahrgenommen wie in den USA und dann wird sie wichtiger. Im derzeitigen Unisystem in Deutschland hast Du allenfalls nen Gottesdienst.
Bezüglich Neil Gayman empfehle ich die Folge des Nerdist Podcasts und seine Besuche bei Craig Ferguson. Google ist Dein Freund.
Ich verstehe die Bedeutung dieses Blogeintrags nicht.
Ich auch.Danke für viele,tolle Romane!
Vor 2 Tagen habe ich gerade erst mit dem 2. Tripel der Sandman-Bände angefangen (Nebel/Himmel/Fabeln).
Und am Samstag läuft der Sternwanderer auf Sat1.
Good Art.
@Ralf Rechnig: Ganz einfach: weil….
Weil es in Deutschland an ganz vielen Unis keine zentralen Abschlussfeiern gibt. (Ich habe meine Zeugnisse und Urkunden alle per Post bekommen. Einen Händedruck gabs in der letzten mündlichen Prüfung.)
Und weil – würde es Mode – ganz viele Unis furchtbar viel Geld dafür ausgeben würden, dass Mario Barth oder Volker Pispers die Abschlussrede halten.
@Alberto:
Und dann nicht mal den Schneid hätten Barth zu einer Abschlussrede eines politisch orientierten Studiengangs und Pispers zu BWLern zu schicken.
Auch eine nette Darstellung seiner Rede:
http://zenpencils.com/comic/50-neil-gaiman-make-good-art/
Gibt es das an überhaupt einer deutschen Universität, diese zentralen Abschlussveranstaltungen? Ich weiß von keiner…
Öhm, in Deutschland gibt es statt der Abschlussreden sog Antrittsvorlesungen neuen Personals – und diese Antrittsvorlesungen sind (zumeist) allerallerfeinstenst. Also mal bitte danach schauen – und nicht immer nur nach Amerika schielen und nörgeln.
„Wie kommt es, dass ausgerechnet die große Abschlussrede an der Universität die beinah einzige amerikanische Tradition ist, die es noch nicht nach Deutschland geschafft hat?“
Mit den heutigen Bachelor/Master-Studiengängen mag das vielleicht eher einzurichten sein, aber in meinem Studiengang gab es keine zentralen Abschlussprüfungen. D.h. meine „Abschlussfeier“ bestand darin, dass ich mir gegen Quittung mein Zeugnis und meine Urkunde im zentralen Prüfungsamt abholen konnte. Das war bei der überwiegenden Zahl der Leute aus meinem Umfeld – auch aus anderen Studiengängen – ähnlich. Wäre zwar nett gewesen, wenn dort jemand eine Rede für mich gehalten hätte, aber auf die Gesamtheit betrachtet, wahrscheinlich doch ein bisschen zu aufwendig…
@Tom: Dir ist aber schon klar, dass Herr Gaiman kein „neues Personal“ ist, oder? In Deutschland hätte er diese Rede nicht gehalten, weil die Gelegenheit dazu nicht existiert hätte. Nicht mehr und nicht weniger.
Meine kleine Schwester hat auf der Promotionsfeier (!) ihrer norddeutschen Uni einen Kugelschreiber mit Werbeaufdruck der Hochschule überreicht bekommen…
Ich bin ganz grundsätzlich der Meinung, dass die Amerikanisierung des deutschen Hochschulsystems ein absolutes Unding ist, dieses „Uni ist in den USA ein intensives Erlebnis“, das Sebastian Peitsch (#2) beschreibt ist mir in jeder Hinsicht zuwider. Kollektive Abschlussfeiern mit prominenten Rednern sind da nicht das Schlimmste, allerdings … vermisst habe ich sie in meinem Studium auch nicht. Im Gegenteil, dieser prosaische Verwaltungsakt des Zeugnis-Abholens hatte doch einen gewissen Charme.
People will tolerate how unpleasant you are if your work is good and you deliver it on time.
People will forgive the lateness of your work if it’s good and they like you.
And you don’t have to be as good as everyone else if you’re on time and it’s always a pleasure to hear from you.
Ist doch eine alte Comicbusiness-Regel. Ich hoffe er hat den Urheber dieser Regeln auch bezahlt, nicht dass er sich eine Klage einhandelt.
Bei meiner Uni gab’s ne Abschlussfeier. Mit Aufbrezeln, Gruppenfoto, Reden und feierlichem Händedruck. Der damalige Hauptredner ist zwar halbwegs prominent, war aber nicht extra engagiert sondern halt einfach der Dekan. Eine Absolventin hat auch geredet. Thema von fast allen Reden war (wie schon auf den Einführungsveranstaltungen): Was ist eigentlich „Soziologie“? Antworten gab’s allerdings keine ;-)
Wir hatten sogar einen echten Ministerpräsidenten als Redner. war aber trotzdem nicht so gut wie diese Rede hier. Und ich war maximal genervt, denn ich hatte auf meine Promotionsurkunde mehrere Monate warten müssen, weil meine Universität diese Feier zur Pflichtveranstaltung bei Promotionen erklärt. Finden dann aber nur 1x/Semester statt. Wer seine Verteidigung kurz nach so einer Veranstaltung hatte – Pech gehabt. So mußte ich in meine Bewerbungen reinschreiben, daß die Promotion ja eigentlich schon erledigt ist, aber vorzeigen kann ich leider nichts.
Ein Kollege ist wegen dieses Unfugs richtig in Schwierigkeiten gekommen, weil die Promotion Voraussetzung für die Verlängerung seiner Stelle war. Die schriftliche Bestätigung der Uni, daß die Promotion ja eigentlich schon erledigt sei und er nur noch auf diese Feier warten müsse, hat der Personalabteilung der gleichen Uni nicht ausgereicht. Ging dann nur gerade so durch eine Überbrückung mit Drittmitteln.
Da bekomme ich doch lieber meine Urkunde wie früher einfach mit der Post…
In meinem Studiengang (Informatik an einer großen Aachener technischen Hochschule) gab es halbjährlich ein Fest, mit feierlicher Übergabe der Diplomurkunden (die man in der Regel zuvor per Post erhalten hatte und eine Woche vor der Feier zurückgeben musste, um sie wieder überreicht zu bekommen), und kurzer Vorstellung des Diplomarbeitsthemas (aus Tradition mit mindestens einem peinlichen Rechtschreibfehler pro Titel). Die Rede gab es von einem geschätzten Emeritus (ist mir viel lieber als irgend ein Minister …). Danach gesponsortes warmes Buffet, Getränkeausschank, und Professoren, die sich im Verlauf des Abends aneinander festhalten müssen, um den Weg zur Toilette zu finden. Alles sehr launig. Einzig der Anblick von fünf dutzend frischgebackenen Informatikern, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Sakko tragen müssen, war eher verstörend.
Ich hatte das große Glück, bei meiner Absolventenfeier Prof. Susanne Baer sprechen hören zu dürfen. Sie hat einen großartigen Festvortrag gehalten, der mit ihrer ganzen Persönlichkeit unterlegt war und der den amerikanischen Vorbildern in nichts nachstand.
Doch, doch, lieber Gastgeber, all das, was Sie hier vermissen, gibt es natürlich auch an deutschen Unis, nur eben nicht überall – und manchmal auch recht stillos. Die großen Antrittsvorlesungen, die großen Abschiedsvorlesungen, die merkwürdigen Preisverleihungen, zu denen Absolventen anrührende Reden halten … all das habe ich schon erlebt, mitgemacht, erduldet. Es gibt sogar die akademischen Scherzvorlesungen … und all das war an mitteleuropäischen Unis lange, lange, bevor ein Prediger namens Harvard jenseits des Großen Teiches zu stiften anfing, üblich, ja sogar verbindlich.
@18 Skandal! Für so etwas gibt es Verwaltungsgerichte – oder besser noch, die alte biologisch-anthropologische Grundkonstante: Drohung stärker als Ausführung.
Ich bin froh über jede nicht-gehaltene Rede in Deutschland. Denn es stimmt leider (äußerst seltene Ausnahmen bestätigen die Regel): Uns mangelt es an der Kunst des Redenhaltens. Professoren gleichermaßen wie Politikern oder Unternehmern oder sogar Künstlern.
Ich glaube, es liegt an der in Deutschland üblichen latenten Unterstellung (die auch für Bücher, Filme oder Vorlesungen gilt) dass jemand, der etwas unterhaltsam präsentiert, nichts tiefgründiges zu sagen hat.
Zum einen geben es die Strukturen hierzulande nicht her, zum anderen würde sicher auch kaum jemanden wie Neil Gaiman oder Ellen de Generes dazu einladen. Unter den prominenten Absolventen meiner Uni sind genug Menschen, die dafür bekannt sind, sich gerne in Talkshows reden zu hören (Ok, mein Studiengang gibt das auch her, Augen auf bei der Berufswahl). Keinen von denen hätte ich gerne bei meiner Abschlussfeier zugehört.
Die Uni Bonn veranstaltet seit einigen Jahren so ein Fest. Die Teilnahme ist freiwillig (vielen ist das zu spießig), die Akzeptanz ist aber inzwischen deutlich gestiegen. Man bekommt dementsprechend nur eine symbolische Urkunde, was aber auch besser ist, als monatelang auf sein Zeugnis zu warten. Die entsprechende Rede hat in meinem Jahrgang Ulrich Wickert gehalten (zugegeben, Neil Gaiman ist deutlich cooler ;) ).
http://www.fotos.uni-bonn.de/Veranstaltungen/Absolventenfest/index.html
@Tom: Eine Antrittsvorlesung und eine Commencement Speech haben ja nichts miteinander zu tun, von daher sehe ich deinen Punkt nicht.
Bei uns gibt es fast immer ne Semestereröffnungsrede unseres Rektors Peter Sloterdijk.
An den meisten deutschen Unis würden die Astas gegen solche elitären, selbstherrlichen Veranstaltungen sturmlaufen und als faschistoiden Obrigkeitswahn boykottieren lassen. Wo kommen wir denn da hin, dass jemand öffentlich zeigt, was er erreicht hat?
In Deutschland gibt es tatsäclich kaum zentrale Abschlussfeiern, genauso wenig wie Alumninetzwerke.
Meistens werden die Abschlusszeugnisse per post zugestellt.
Einige Außnahmen bestätigen allerdings die Regel:
Ich weiss, dass es an der Uni heidelberg, immerhin die tradiotionsrteichste der deutschen Unis, in genau 2 Fächern eine zentrale Abschiedfeier für alle Examinierten gibt. Nämlich am Hisrorischen und am Anglistischen Seminar, am Historischen Seminar werden sie von der Studierendenvertretung organisiert und auch zur Hälfte bezahlt, den Rest bezahlt der Freundeskreis des Seminars, von Universitätsseite kommt also kein Geld.
Immerhin findet die Feier in schönem Ambiente, in der Alten Aula statt. Zwar gibt es keine Prominenten Festredner, aber die Professoren und Professorinnen des Seminars halten meist ganz gute Reden.
Weil die Blogeinträge immer wieder mal ein schöner Anlass sind sich an nette Sachen zu erinnern, sehe ich gerade, dass „wear sunscreen“ gar kein Commencement Speech war, das habe ich jahrelang geglaubt, der Text hing für eine Weile sogar an meinem Kühlschrank. Wusste das wieder jeder ausser mir?
Ich war vor 18 Monaten bei der Abschlussfeier der Uni Hannover im Fachbereich Ingenieurwissenschaften, weil mein Neffe sein Diplom bekam. Und ich war überrascht, wie launig und interessant Ing-Profs reden können – und wie angemessen diese Feier war. Dabei ist mir klar geworden, wie unangemessen der Abschluss meines Studiums war (Urkunde per Post – das war’s). Man muss sich mal klarmachen, dass in diesem Land jede Schule in der Lage ist, eine zumindest halbwegs feierliche Verleihung der Abizeugnisse (viele Realschulen übrigens auch der entsprechenden Abschlusszeugnisse) zu organisieren. Von den Handwerks- und sonstigen Kammern gar nicht zu sprechen. Aber an den allermeisten Unis: nix. Traurig ist das.
Immer wenn das Bild durchs Publikum schwenkt, steigt mir der Puls an: „Guck mal da, ne Kamera!*kicher* Auf uns gerichtet! *kicher*“… grrrrrr
@Raventhird: Besonders hirnamputiert sind Leute in Talkshows wie Illner und Co. die sich bemühen ins Bild zu kommen, indem sie langsam mit dem Oberkörper hin und her schwenken bis sie von der Kamera gezeigt werden und so tun, als wäre es ihnen egal.
Was schreib ich hier eigentlich?
Gott sei Dank haben es die commencement speeches (größtenteils) noch nicht in die deutschen Unis geschafft. Mir rollen sich bei diesen Reden grundsätzlich die Zehennägel hoch vor Fremdschäm. „Cringeworthy“, würde ich wohl sagen, wäre ich Amerikaner. Geht mir bei der oben verlinkten Rede nicht anders, länger als 3.5 Minuten konnte ich das nicht aushalten.