Die Grenzen der Meinungsfreiheit beim „Handelsblatt“: Der Chefredakteur lässt kommentarlos einen Beitrag des Wirtschaftswissenschaftler Harald Uhlig löschen, der für die Zeitung bloggt. Oder vermutlich besser: gebloggt hat:
Die Grenzen der Meinungsfreiheit beim „Handelsblatt“: Der Chefredakteur lässt kommentarlos einen Beitrag des Wirtschaftswissenschaftler Harald Uhlig löschen, der für die Zeitung bloggt. Oder vermutlich besser: gebloggt hat:
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Ich bin zu wenig Wirtschaftswissenschaftler um beurteilen zu können, ob der implizit in dem gelöschten Artikel hergestellte Zusammenhang zwischen einem schlecht laufenden Fonds und der Existenz einer Bank seriöse Interpretation oder boulevardeske Spekulation ist.
Von der Beantwortung dieser Frage aber wiederum könnte abhängen, ob es verantwortbar für ein großes Medienhaus ist, so einen Text ins Netz zu stellen, bzw. im Netz zu lassen.
Außerdem finde ich es zumindest fragwürdig, über die Sicherheit der Einlagen in der deutschen Bankenwelt insgesamt nachzudenken und in diesem Zusammenhang nur ausgewählte Namen fallen zu lassen.
@ niels: Toller Kommentar. Eine Vorverurteilung des Handelsblatts wäre bei der möglichen Tragweite der Veröffentlichung von Harald Uhlig, ein Schnellschuss. Aber einen Fehler hat das Handelsblatt gemacht: Die kommentarlose Löschung des Beitrages von Uhlig war nicht die feine Art. Man hätte vorher mit Uhlig sprechen müssen, um evtl. Bedenken diskutieren zu können.
Zensur findet nicht statt.
Es sei denn, es geht um den Einlagensicherungsfonds?
Selbst wenn Uhlig Blödsinn geschrieben hätte, und das ist zu bezweifeln, so stellt diese Löschung doch einen gravierenden Eingriff in die freie Meinungsäußerung dar. Seitens der Medien, ausgerechnet.
Eine Schande.
Ich glaube, den Artikel von Uhlig kann man hier nachlesen (ohne dass ich weiss, ob er korrekt wiedergegeben ist).
Das Löschen dieses Textes ist natürlich indiskutabel (auch wenn ich Deutschland deswegen noch nicht ins „Diktatorische“ abdriften sehe).
Der Text spielt jedoch mit einem alten Topos, der jede Bank auf der Welt in den sofortigen Ruin treiben würde: sein Geld abheben zu wollen. Würden dies alle tun und noch noch gleichzeitig, würde in der Tat die Systeme kollabieren. Vielleicht sieht hier ein ängstlicher Redakteur eine Art Anstiftung zu einer „Revolution“.
(In einem Punkt irrt Uhlig: „Die Chinesen“ wollten sehr wohl die Dresdner Bank – die deutsche Bankenaufsicht wollte das aber nicht. Aber auch das: kein Grund, diesen Kommentar zu entfernen.)
Danke, für den Link. Die FAZ handelt Harald Uhlig als Top-Ökonom. Seine Artikel sind wirklich interessant und scheinen schlüssig geschrieben.
Wenn Uhlig schon 1998 „das schwere Problem der rein nationalstaatlichen Bankenaufsicht und das Fehlen eines zentralen “lenders of last resort” im europäischen Währungsraum“ angemahnt hat, sehe ich hier den eigentlichen Skandal: Führende Finanzpolitiker der Regierungsparteien verzichten (fahrlässig?) seit mindestens 1998 auf die Meinung und das Fachwissen anerkannter Ökonomen.
@5/Cornelius
Naja, Helmut Schmidt sagt ähnliches auch schon seit über zehn Jahren. (Banken-)Aufsicht gilt (galt?) seit Jahren in der Wirtschaft als unsexy, weil hemmend. Adam Smith galt als quasi unantastbar.
@ Gregor: Schmidt schätze ich sehr, aber warum werden die meisten klugen Leute erst im Alter weise? Warum nimmt sich die Berufspolitik so wenig des überlieferten Geistesschatzes der Weltphilosopie an? Es ist längst geschrieben, was getan werden muss. Und dennoch gehen Werte und Moral weiter den Bach runter.
Adam Smith schrieb nicht nur von der Freiheit des Marktes, sondern auch noch von Vernunft. Eine Politik, die nicht in den Markt eingreift, handelt in meinen Augen verantwortungslos. Ökonomischer Erfolg ohne soziales Gewissen wird langfristig die Menschheit bedrohen, sogar vernichten.
@Cornelius: Ob es vielleicht daran liegt, daß diese Leute, wenn sie die Macht haben (?) etwas zu ändern, anderen Interessen und ‚Sachzwängen‘ folgen (müssen), als am Ende ihrer Karriere, wenn sie quasi ‚frei von der Leber‘ weg erzählen können was sie wollen? ;-)
Nicht das ich der Meinung wäre Politiker wären grundsätzlich ‚ferngesteuert‘, aber allein (selbst mit den schönsten Ideen und dem größtem Einsatz) können sie auch nix auf die Beine stellen, da bedarf es schon großer Mehrheiten und die finden sich eben nicht so einfach, wenn verschiedenste Interessen auf einander prallen.
Zu wissen was ‚das Richtige‘ ist und es durchsetzen zu können sind leider oft genug zwei paar Schuhe…
@7/Cornelius
Man darf nicht vergessen, dass Schmidt als Initiator des G7-Treffens gelten muss. Der Gedanke dabei war eine Art Bündelung der nationalstaatlichen Kräfte gegen einen beginnenden multinationalen Kapitalismus. Später ist das (wie Schmidt selber sagt) nur noch zum Selbstzweck verkommen; eine reine Showveranstaltung. Man musste früh feststellen, dass die Interessen der einzelnen Teilnehmer unterschiedlicher waren, als man dachte. Ökonomie folgt im übrigen selten Legislaturperioden. Da greift dann Stonys #8.
Am vergangenen Sonntag wurde auf Veranlassung der Handelsblatt-Chefredaktion der Beitrag „Die Welt-Finanzkrise: was ist los mit Commerzbank, Dresdner Bank, UBS und Fortis?“ aus dem Handelsblatt-Blog von Harald Uhlig entfernt.
Uns ist bewusst, dass dies einen tiefgreifenden Eingriff in das Blog von Herrn Uhlig darstellt.
Grund für unsere Entscheidung war die Befürchtung, dass der Blog-Beitrag von Herrn Uhlig in der Öffentlichkeit irrtümlich nicht als die persönliche Meinung eines Wissenschaftlers, sondern als redaktioneller Beitrag des Handelsblatt wahrgenommen werden könnte und der Eindruck entsteht, das Handelsblatt rufe zu einem „Run“ auf die Commerzbank und andere Finanzhäuser auf.
In einer Situation, die ohnehin sehr fragil ist, wollten wir jedes Risiko ausschließen, durch missverständliche Äußerungen eine Panik in der deutschen Finanzindustrie zu verursachen. Dies haben wir höher bewertet als die Meinungsfreiheit unseres Bloggers.
Wir bitten Herrn Uhlig und unsere Leser dafür um Verständnis.
Bernd Ziesemer & Sven Scheffler
Meinungsfreiheit hat immer Grenzen. Und zwar dann, wenn es droht justiziabel zu werden. Und deshalb halte ich den Artikel von Herrn Uhlig ebenfalls für grenzwertig – weil er nämlich spezifische Banken herausgreift.
Trotzdem ist hier zu vieles schief gelaufen. Es gab keine vernünftige Kommunikation mit Herrn Uhlig und auch zu wenig Absprache zwischen Online und Print. Dies lag aus meiner Sicht auch maßgeblich daran, dass diese Episode sich an einem Wochenende abspielte.
Leider, leider ist es auch weiterhin so, dass Print-Verlage in Sachen Web dazulernen müssen. Und zwar alle.
@ Stony: Mit politischen Sachzwängen habe ich mich schon oft auseinandergesetzt. Obwohl eine Demokratie als vernünftigstes Instrument gilt, hat sie mehr Löcher als ein Schweizer Käse: Auch Esel dürfen regieren, wenn sie in der Mehrheit sind. Oder: Demokratie ist, wenn 10 Esel einen Weisen überstimmen.
Um (sinnfreie) politische Sachzwänge an die Zügel nehmen zu können, wird man nicht herum kommen, der Demokratie (und der Berufspolitik) neue Statuten zu verschreiben. Eine Art Numerus Clausus. So kann es jedenfalls nicht bleiben, dass 10 Esel einen großen Blödsinn beschließen können, nur weil sie in der Mehrheit sind. Das können die Väter der Demokratie nicht gewollt haben. Hier sehe ich großen Handlungsbedarf.
@ Gregor: Das G-7-Treffen sowie jede andere Bündelung gemeinsamer Interessen zum Wohle und Fortbestand unterschiedlicher Völker ist richtig und wichtig. Klar, die vielen unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bekommen, ist schwierig und langwierig. Dennoch muss es machbar sein, einen gerechten Weg zu finden, den alle nutzen können.
Die gegenwärtige Finanzkrise zeigt einmal mehr, dass es JETZT grundlegende Änderungen geben muss.
Uhligs gelöschter Beitrag ist hier für die Nachwelt erhalten:
http://www.matthiassuess.de/blog/archives/154-Harald-Uhlig,-Handelsblatt-und-Bank-Run.html
@Bernd Ziesemer, Sven Scheffler:
Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber müssten Sie mit der Begründung dann nicht gleich alle Blogs unter dem Signum und der Domain des Handelsblatts dicht machen? (Das soll gar nicht gehässig klingen, es ist eine ernst gemeinte Frage.)
Ich sehe auch als völliger Wirtschaftslaie (und Volksbank-Kunde) ein, dass die Nennung einzelner Banken irgendwie unglücklich ist. Aber hätte es da nicht die Löschung der Bankennamen getan?
@ Handelsblatt: Von Berufs-Politikern würde ich mir eine so zeitnahe und nachvollziehbare Erklärung zu fraglichen Entscheidungen und Vorgängen in ihrem Ressort wünschen. Die Statements sind aus meiner Sicht anständig und schlüssig formuliert. Der mögliche Schaden aus der Veröffentlichung von Harald Uhlig ist – auch aus unserer Sicht – höher zu bewerten, als die Meinungsfreiheit des Autors. Jeder gesunde Menschenverstand dürfte es ähnlich sehen. Zumal hier tatsächlich noch auf die justiziable Tragweite der Veröffentlichung eingegangen werden müsste.
@ Lukas:
Natürlich müssen wir nicht alle Blogs beim Handelsblatt dicht machen. Wir haben eine lebendige Blog-Community, in der auch strittige Themen kontrovers diskutiert werden können und sollen.
Bei dem Eintrag von Herrn Uhlig sieht das insofern anders aus, als das wir befürchtet haben, dass der Blog-Beitrag von Herrn Uhlig in der Öffentlichkeit irrtümlich nicht als die persönliche Meinung eines Wissenschaftlers, sondern als redaktioneller Beitrag des Handelsblatt wahrgenommen werden könnte. Und wir (das Handelsblatt) ruft nicht zu einem „Run“ auf die Banken auf.
Ich schätze die Unabhängigkeit von Blogs sehr, dennoch hat Meinungsfreiheit auch Grenzen, etwa dann, wenn es droht justiziabel zu werden.
Sven Scheffler
@Cornelius: „So kann es jedenfalls nicht bleiben, dass 10 Esel einen großen Blödsinn beschließen können, nur weil sie in der Mehrheit sind. Das können die Väter der Demokratie nicht gewollt haben. Hier sehe ich großen Handlungsbedarf.“
Sie haben das Prinzip der Demokratie ja eigentlich recht gut verstanden, die Mehrheit regiert. Punkt. Und als Zusatz: jede Minderheit hat das Recht zu einer Mehrheit zu werden!
Ihr obig zitierter Schluß, dies dürfe nicht so bleiben, hat allerdings recht wenig mit Demokratie zu tun. Vielmehr kommt es darauf an, daß die welche meinen ‚weiser‘ zu sein, dies der Masse (Wahlvolk) vermitteln müssen, um eben zur Mehrheit zu werden. Jedes Volk bekommt die Regierung die es verdient. Das Problem sind nicht die ‚regierenden Esel‘, sonder die, welche sie wählen.
@Sven Scheffler: Ich kann nicht beurteilen, wie justiziabel der Beitrag von Herrn Uhlig war. Aber das Argument, sein Blog-Eintrag hätte als redaktioneller Beitrag des „Handelsblatts“ missverstanden können, überzeugt mich nicht. Die Zeitung hätte dieses vermeintliche Missverständnis durch einen schlichten redaktionellen Zusatz ausräumen können, in dem sie darauf hinweist, dass Uhligs Beitrag nicht der Meinung der Redaktion entspricht.
Ich finde auch Thomas Knüwers Argument mit dem Wochenende schwierig. Am Sonntag hat die Chefredaktion den Eintrag löschen lassen. Sie verzichtete aber auch am Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag darauf, mit den Lesern zu kommunizieren.
Ah, ich sehe gerade, dass man beim Handelsblatt auch weiß, wie einfach so ein Disclaimer gewesen wäre: http://blog.handelsblatt.de/oekonomie/eintrag.php?id=40#k7322707
… ich fürchte die Löschung des Beitrages – wie relevant er nun auch gewesen sein mag – wird eher zur Verunsicherung beitragen und somit den Run auf die Banken noch wahrscheinlicher machen.
Eine einfache redaktionelle Distanzierung hätte weniger Aufsehen erregt.
@ Stony: Es wäre einfacher, ’ne Kohlmeise mit ’nem Nashorn zu paaren, als die regierenden Esel von ihrer Weide zu vertreiben. Wir arbeiten daran …
Wahrlich: „Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient“. Befand schon der französische Philosoph und Politiker Joseph Marie de Maistre (1753-1821).
Warum verstaubte Zitate auskramen, die nicht mal zeitgemäß sind.
Man kann auch selbst philosophieren ohne Philosoph zu sein.
„Jede Regierung macht sich das Volk, an das es am meisten verdient!“ (GH)
Was an Uhligs Beitrag justiziabel gewesen sein soll, bleibt völlig im Dunkeln.
Was missverständlich, noch mehr. Der Beitrag war viel mehr sehr verständlich und sehr klar.
Darin lag wahrscheinlich das Problem. Warum sollte das Noam Chomsky-Zitat aus dem neuen SPIEGEL „Die Wirtschaftspresse ist da deutlich zielgreichtet gewesen.“ nicht auch auf das Handelsblatt zutreffen?
@ GH: Ganz hübsch … Und, willst jetzt einen Orden haben? ;-)
„Jede weitere Philosophie über die Undinge in der Welt ist ein tragischer Verlust von kostbarer Zeit. Bräuchten wir doch nur jene, die das schon vorhandene Wissen auf einmal und beständig zur Anwendung bringen.“
„… Und, willst jetzt einen Orden haben?“ …besser ’nen Duden *FG*
von wegen schlechte kommunikation wegen wochenden:
die kfw wurde auch nicht verschont.
wochenende muss es heißen.
[…] 3.10.: Die ersten Blogs greifen das Thema auf. Darunter auch ein paar bekanntere wie Don Alphonso, Stefan Niggemeier oder der […]