Harald Schmidt

Harald Schmidt? Welcher Harald Schmidt? Wie es passieren konnte, dass dem großen Satiriker Wichtigeres verlorenging als Erfolg: Bedeutung

Die Arbeiter waren Demoliseure; Niederreißen war ihr Beruf, für Aufbauen kamen sie niemals in Betracht. „Und das ist recht so”, sagten sie. „Jedem sein Beruf und jedem sein Verdienst! Dies ist der König der Demolierer”, sagte der jüngere. Der ältere lächelte. So heiteren Sinnes waren die Zerstörer; und ich mit ihnen. (Joseph Roth)

Diesen Mittwoch war da fünf Minuten vor Schluß wieder dieses Gefühl: Er ist durch. Am Ende des Stoffs, den er sich vorgenommen hatte, war noch etwas Sendung übrig. Natürlich ist er Profi genug, die Reste zu strecken, zu improvisieren, die Leere zu verplappern. Aber die Spannung war dahin.

Vor allem war die Gewißheit dahin, daß die ein, zwei Sendungen, die Harald Schmidt pro Woche noch macht, vor Ideen platzen müßten. Daß sich in der Woche so viel Material angestaut haben würde, das von ihm abgehandelt gehört, einsortiert, relativiert, lächerlich gemacht, ernst gemacht, daß man mit ihm nach einer halben Stunde sagen würde: Die Sendung kann jetzt einfach noch nicht vorbei sein. Harald Schmidt rettet sich über die Runden. Nicht mühsam, sondern routiniert, aber er rettet sich über die Runden. Das wollte ich eigentlich nicht sehen.

Es gab eine Zeit, da hatten viele Menschen das Gefühl: Die „Harald Schmidt Show” muß man sehen. Wer sie verpaßt, verpaßt etwas. Natürlich stimmte das nicht immer. Natürlich gab es Sendungen, die langweilig waren, uninspiriert, mißlungen. Aber oft genug stimmte es. Heute ist dieses Gefühl nicht mehr da. Wenn ich Schmidts ARD-Show sehe, zufällig, aus alter Gewohnheit, aus naiver Neugier, gehe ich hinterher nicht mit einem Grinsen ins Bett über eine grandiose Idee und wache morgens nicht mehr auf mit dem Gedanken, irgend etwas daraus nachher den Kollegen erzählen zu müssen.

Man kann sich Harald Schmidt immer noch angucken. Aber man muß nicht. Manchmal denke ich mir nach einer Sendung, daß sie vielleicht nicht fünf Minuten früher hätte zu Ende sein sollen, sondern eineinhalb Jahre.

Vielleicht gibt es einen psychologischen Effekt, wie bei einer Beziehung. Schmidt hat sich uns ein Jahr lang entzogen, und nach so einer Trennung ist nichts wie vorher. Man kann nicht einfach dort weitermachen, wo man die Beziehung unterbrochen hatte, die Natürlichkeit ist dahin. Selbst Schmidts größte Fans, die Redakteure des „Spiegels”, haben irgendwann gelernt, sich an das Undenkbare zu gewöhnen: Ein Leben ohne Schmidt. Jetzt ist er wieder da, aber das Beste daran scheint zu sein, daß der Phantomschmerz weg ist.

Würde man den Fehler machen, seinen Begriff von der „Kreativpause” wörtlich zu nehmen, welche Ideen hätte er aus dem Jahr mitgebracht? Nur eine: Schmidt genügt.

Alles, was nicht Schmidt ist, hat er abgeschafft: Natali, Suzana und Zerlett, Dr. Udo Brömme, Bernd Zeller und all die Ansprechpartner, Stichwortgeber und Nebenfiguren. Übriggeblieben ist nur der bräsige Jeansjackenträger Andrack. Auf Studiogäste glaubt Schmidt auch verzichten zu können. Klar: Viele der Gespräche mit den vorbeischauenden Viva-Moderatorinnen waren unwichtig. Aber sie zwangen ihn in interessante Konflikte zwischen den Pflichten eines Gastgebers und dem natürlichen Desinteresse des Satirikers. Und sie konfrontierten Schmidt mit etwas anderem als sich selbst.

Der Titel seiner ARD-Show nennt nicht nur den Namen des Moderators; er ist eine fast vollständige Inhaltsangabe. In „Harald Schmidt” redet Harald Schmidt über Harald Schmidt. Jede Geste ein Zitat. Wie zu Sat.1-Zeiten fährt die Kamera immer noch auf Schmidt zu, wenn er einen Schluck Wasser trinkt. Schmidt macht Anspielungen auf sein Gehalt, die früheren Werbepausen, die ehemaligen Gäste, die Diskussion um die geringe Zahl der Sendungen. Selbst der Begriff „Unterschichtenfernsehen”, den er in die Welt gebracht hat, war ein Verweis auf seine eigene Vergangenheit.

Harald Schmidt war nie Fernsehmoderator, er war Fernsehmoderatoren-Darsteller. Er hat Karriere gemacht, indem er bekannte Fernsehrollen gespielt und gebrochen hat, und das Revolutionäre daran war, daß er diese Parodien nicht in irgendeiner Kabarettsendung oder Comedyshow aufgeführt hat, sondern an der Stelle, an der eigentlich das Original erwartet wurde.

Als Moderator der kleinen Quizshow „Maz ab!” karikierte er 1988 die Gattung der Kleinen-Quizshow-Moderatoren, indem er das Gegenteil dessen tat, was von einem Kleinen-Quizshow-Moderator erwartet wurde. Wahllos warf er mit Punkten, ließ vorsagen, zerstörte lustvoll die Rituale des Genres. Mit den gleichen Mitteln gab er als Moderator von „Verstehen Sie Spaß?” ab 1992 die Travestie eines Moderators einer großen Samstagabendshow.

In der „Harald Schmidt Show” auf Sat.1 spielte er nacheinander einen schlechten deutschen Nachahmer von David Letterman, einen erfolglosen Moderator, der mit Tabubrüchen Quote oder wenigstens schlechte Presse bekommen will, einen intellektuellen Missionar, der gemeinsam mit dem deutschen Feuilleton gegen die allgemeine Unbildung kämpft. Schillernd wurden all diese Rollen dadurch, daß Schmidt sie abwechselnd spielte und brach. Wenn man wollte, konnte man in den Tabubrüchen von „Dirty Harry” ebenso eine Kritik an Tabubrüchen wie eine Lust an Tabubrüchen sehen.

Inzwischen hat er alle Rollen durch. Geblieben ist die des Harald Schmidt. Harald Schmidt spielt, parodiert, konterkariert Harald Schmidt. Er hat seine eigene Person so kunstvoll in immer neuen Varianten seiner „Schmidt”-Persönlichkeit verschachtelt, daß alles, was er sagt, immer auch das Gegenteil bedeuten kann. Oder das Gegenteil des Gegenteils, was möglicherweise nicht identisch ist mit der Ursprungsaussage.

Die „Welt am Sonntag” hat Schmidt in einem langen Interview scheinbar ernsthaft gefragt, warum er seiner ersten ARD-Sendung das Motto „Es geht aufwärts in Deutschland” gegeben habe. Schmidt antwortete: „Das ist das Motto, unter dem die ganzen zwei Jahre, die der Vertrag läuft, stehen werden. Jede Sendung! Es boomt, es brummt, es ist phantastisch. Willkommen im Jahr der Entschlossenheit. Aus dieser positiven Grundhaltung wird gejammert.” So. Und jetzt versuchen Sie mal, diesen Sätzen die ganzen Wollmäntel und Kostüme aus Pathos und Ironie auszuziehen, bis nur noch die nackten Worte dastehen, und zu erklären, was uns Herr Schmidt wirklich sagen wollte. Meine Vermutung: nichts.

Schmidt hat sich so oft gewendet, daß man sich die Mühe sparen kann, zu versuchen, ihn zu entziffern. Spricht da Harald Schmidt, „Harald Schmidt” oder gar „,Harald Schmidt’”? Für Schmidt sind die Vielschichtigkeit und die ironische Brechung kein satirisches Mittel mehr, die Dinge klarer zu sehen, sondern Selbstzweck. Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob Schmidt den Satz „Willkommen im Jahr der Entschlossenheit” sagt, weil alle das sagen oder keiner das sagt oder niemand das sagen sollte oder alle es denken und keiner es sagt. Schmidt hätte auch sagen können: „Willkommen im Jahr der fliegenden Meerschweine”, es hätte den gleichen „Höhö”-Effekt ohne weitere Bedeutung – nur ohne den falschen Anschein von Relevanz.

Schmidt hat jegliche denkbare Haltung schon eingenommen. Er hat Satire aus der Position des Quotenkillers gemacht, den man eigentlich sofort aus dem Programm nehmen müßte, und aus der Position des schließlich doch Erfolgreichen, der seinem Sender Ansehen bringt wie nichts sonst. Heute in der ARD ist er dort angekommen, wo er hingehört, kein Feigenblatt im Privatfernsehen mehr, sondern ein überbezahlter Fernsehstar, „Grundversorgung” für die Öffentlich-Rechtlichen. Er ist, in jeder Hinsicht, etabliert. Subversiv ist an seinen Sendungen nichts mehr, kann es auch nicht sein. Selbst wenn er das gleiche macht wie vor zwei, drei Jahren bei Sat.1 – es ist nicht mehr dasselbe.

Und aus welcher Position macht er in der ARD Witze über „Maischberger”, „Scheibenwischer”, „Polylux”? Seine Quoten sind kaum besser als die von „Maischberger”, seine Witze kaum origineller als die vom „Scheibenwischer”, und bei allem, was man am Lifestylemagazin „Polylux” aussetzen kann – daß dort Menschen arbeiten, die offensichtlich Lust haben, so Fernsehen zu machen, wie sie es tun, wirkt wahnsinnig sympathisch und entspannt gegenüber einem Harald Schmidt, der sich ununterbrochen von seinem eigenen Tun, seinem Sender, sich selbst distanzieren muß.

Alles, was er tun kann, hat er getan. Man sieht, wie er mit einem blauen ARD-Schal hantiert, und weiß: Das wird jetzt wieder so ein Running Gag wie mit den BSE-Schleifen. Man sieht, wie er in einer Parodie auf den Visa-Untersuchungsausschuß endlos langsam in einem Ordner blättert, und erinnert sich: Ja, das war toll bei „Verstehen Sie Spaß”, als er ein Metronom aufgestellt und minutenlang für viel Geld nichts gemacht hat.

Und alles, alles steht in Anführungszeichen. Schmidt erzählt einen mittelschlechten Witz in Dialekt, weil er weiß, daß man mit Dialekt auch schlechte Witze retten kann, und dann sagt er, daß er das im Dialekt erzählt, weil man damit auch schlechte Witze erzählen kann. Schmidt weiß, daß man auch schlechte Sendungen damit retten kann, daß man damit kokettiert, wie schlecht sie sind. Aber vielleicht weiß er nicht, daß dieser Trick nur eine begrenzte Zeit lang funktioniert. Er hat schon bei der vierstündigen Rheinfahrt nicht mehr funktioniert, im Sommer 2003 auf Sat.1, eine unfaßbar langweilige Fernsehsendung, die kein Stück weniger langweilig dadurch wurde, daß Schmidt während der Sendung immer wieder sagte, wie langweilig sie doch sei.

Die Zuschauerzahlen der ARD-Show sinken, aber das ist nicht das entscheidende. Die Bedeutung von Harald Schmidt hat sich nie an Quoten bemessen, aber seine Bedeutung geht gegen null. Hilfsweise wird dies damit erklärt, daß Schmidt besser wäre, wenn er häufiger käme. Wie absurd: Als Stefan Raab nur einmal die Woche auf Sendung ging, war „TV Total” regelmäßig ein Feuerwerk guter Ideen. Schmidt aber macht seine ein bis zwei Sendungen pro Woche nicht aus dem Gefühl heraus, eine Art Best-of einer imaginären täglichen Sendung zu produzieren, sondern als liefe morgen und übermorgen und überübermorgen noch eine Show von ihm, da komme es ja nicht so drauf an, ob diese heute wirklich so gelungen sei.

Vielleicht ist die Antwort auf die Frage, warum Harald Schmidt so egal geworden ist, also eine ganz einfache. Die Leute haben so lange applaudiert, egal, was er gemacht hat, daß er denkt, er muß gar nichts machen. Er gibt sich einfach keine Mühe mehr.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

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