Vor dem Grand Prix wagt Stefan Raab den offenen Konflikt mit der „Bild“-Zeitung. Er ist nicht der einzige Prominente, der sich wehrt.
Irgendwann wird es klappen. Eines Tages wird beim Eurovision Song Contest eine junge Frau strahlend die Bühne betreten und nicht nur „für Deutschland“ singen, sondern auch für die „Bild“-Zeitung. Weil die sie ausgesucht und ihre Vorzüge so gründlich auf der ersten Seite ausgebreitet hat, daß das Volk gar nicht anders konnte, als sie zu wählen. Das wird passieren, ganz bestimmt. Vielleicht nicht die nächsten fünf, zehn Jahre, aber dann. Wäre doch gelacht.
An Versuchen hat es nicht gemangelt seit Guildo Horns Grand-Prix-Putsch 1998, der nicht denkbar gewesen wäre ohne die Schlagzeile: „Darf dieser Mann für Deutschland singen?“. Im Jahr darauf schickte „Bild“ die damals noch unbekannte Jeanette Biedermann ins Rennen, 2002 die heute noch unbekannte Isabel Soares, 2003 die „Gerd-Show“ – alles ohne Erfolg. Diesmal schaffte es die inoffizielle „Bild“-Kandidatin Masha nicht einmal, sich für den Vorentscheid zu qualifizieren.
Irgendwie kann man den verbissenen Ehrgeiz verstehen: Es ist doch zum Verrücktwerden, daß die vermeintlich mächtigste Zeitung Deutschlands es nicht schafft, einen eigenen Teilnehmer zu diesem lächerlichen Song Contest hinzuschreiben!
Eine gewisse Unentspanntheit darf man also schon voraussetzen; in diesem Jahr aber ist die Situation besonders verkorkst: Am Samstag wird Deutschland ausgerechnet von einem Mann vertreten, dessen Kür in Stefan Raabs „TV Total“ über Wochen von der „Bild“-Zeitung mit Mißachtung gestraft wurde – angeblich, weil die nötige Relevanz fehlte, möglicherweise aber auch nur, weil Thomas Anders in der Jury saß, der Intimfeind von Dieter Bohlen, dem besten Freund der „Bild“-Zeitung.
Als sich der erstaunliche Erfolg von Max nicht länger ignorieren ließ, brachte „Bild“ schließlich doch ein größeres Stück über den gerade noch unbekannten Schüler. Überschrift: „Grand-Prix-Max als Zechpreller überführt“. Der Sänger werde in Istanbul „von Geldeintreibern“ erwartet, hieß es. Ein türkischer Hotelier, bei dem er seine Rechnung trotz Mahnungen nicht bezahlt habe, erhebe „schwere Vorwürfe“.
Die erhob der Mann dann allerdings gegen „Bild“. Er ließ ausrichten, er habe sich nie so geäußert, sei stolz, einen plötzlich so berühmten Gast beherbergt zu haben, und hätte ihm das Geld bis zum nächsten Besuch gestundet. Der Internetableger von „Bild“ brachte kurz darauf eine Gegendarstellung von Max, die Zeitung aber weigerte sich. Raabs Managerin Gaby Allendorf bestätigt, daß „Bild“ einen Vergleich angeboten habe: 5000 Euro und freundliche Berichterstattung. Max lehnte ab. Raab sagte, es gehe ihm nicht um Geld, sondern darum, Max‘ Ehre wiederherzustellen. Vergangene Woche urteilte ein Richter: „Bild“ muß die Gegendarstellung bringen.
Klingt nach einem Standardfall im Boulevardzeitungsalltag, ist aber unerhört. Man lehnt ein Vergleichsangebot von „Bild“ nicht einfach so ab, und man legt sich nicht ungestraft mit „Bild“ an. Offen mit „Krieg“ habe die Zeitung gedroht, empört sich Jörg Grabosch, Chef der Firma Brainpool, die „TV Total“ produziert. Stefan Raab sagt: „Ich habe nichts gegen Boulevardjournalismus; ich sehe das sportlich. Aber Sportlichkeit ist nur so lange vertretbar, wie keiner foult oder unanständig wird, und das ist hier leider der Fall.“
Hinter der Eskalation steckt nicht nur Wut, sondern auch Kalkül: Daß Max trotz Quasi-Boykott durch „Bild“ zu einem Massenphänomen wurde, zeigt nach Ansicht der Brainpool-Leute, daß man das Blatt nicht mehr braucht, um junge Leute zu erreichen. Die Regel, daß sich ohne oder gar gegen die „Bild“-Zeitung der ganz große PR-Erfolg nicht erreichen läßt, sei widerlegt. Dafür spricht auch die hervorragende Quote, die der deutsche Grand-Prix-Vorentscheid in diesem Jahr bei jungen Zuschauern hatte, obwohl die „Bild“-Zentrale kurzfristig beschlossen hatte, keinen Reporter zu entsenden, und deshalb nicht wie sonst täglich öffentlichkeitswirksame Skandale hinter den Kulissen beschreiben konnte. Grand-Prix-Chef Jürgen Meier-Beer glaubt deshalb auch nicht, daß der Streit zwischen „Bild“ und Raab ihn um seine Quoten fürs Finale sorgen lassen müßte.
Anscheinend hatte sich die Zeitung vorübergehend sogar überlegt, niemanden nach Istanbul zu schicken, was angesichts des mangelnden Zugangs zu den deutschen Hauptakteuren konsequent, aber natürlich auch riskant gewesen wäre. Inzwischen heißt es aber, Europas größte Zeitung könne sich diesem Ereignis nicht entziehen. Weitere Auskünfte zu dem Thema Raab sind nicht zu bekommen; der „Bild“-Unterhaltungschef und stellvertretende Chefredakteur Martin Heidemanns will sich nicht zitieren lassen.
Jörg Grabosch wird um so deutlicher: „Es ist ,Bild‘ nicht gelungen, Stoiber zum Kanzler zu schreiben, und es wird ihr nicht gelingen, Max zum Zechpreller zu schreiben.“ Er könne gut auf die Berichterstattung einer Zeitung verzichten, die ohnehin nie über die Inhalte oder Produkte schreibe, sondern nur an privaten Skandalgeschichten interessiert sei.
Darin liegt ohnehin der eigentliche Konflikt zwischen Raab und „Bild“: So skrupellos der Entertainer in seiner Sendung mit Bildern anderer umgeht, so kompromißlos ist er beim Schutz der eigenen Privatsphäre. Radikaler als die meisten schirmt er seine Familie von der Öffentlichkeit ab, da versteht er keinen Spaß. Die „Bild“-Zeitung aber lebt davon, daß ihr Prominente wie Bohlen Zugang zu ihren intimsten Lebensbereichen verschaffen, und versteht ihrerseits keinen Spaß, wenn ihr der verweigert wird.
In der Branche weiß man Artikel entsprechend zu deuten. Etwa als vor einigen Wochen in „Bild“ ein Bericht über die sinkenden Zuschauerzahlen von „TV Total“ erschien. „Total ungewöhnlich, sogar mit Quotengrafik“, staunte man in der PR-Abteilung eines Fernsehsenders. „Wir haben uns das damit erklärt, daß Raab sich bestimmt gerade geweigert hatte, mit ,Bild‘ über sein neugeborenes Kind zu reden. Der Artikel war dann anscheinend die Strafe.“
Pop-Moderatorin Charlotte Roche beschreibt dieses Prinzip in der Musikzeitschrift „ulysses big“ so: „Die haben mich eisenhart erpreßt, als ich gerade meine drei Brüder verloren hatte. Bei vielen dieser Promi-Geschichten, die in der ,Bild‘-Zeitung stehen, kannst du davon ausgehen, daß die durch Erpressung oder aus Angst vor Erpressung entstanden sind. Die können sagen, wir möchten eine Geschichte mit dir machen, du arbeitest mit und gibst uns ein Interview, das wie freiwillig aussieht, oder du kriegst zehn negative Schlagzeilen. Und das heißt, du bist am Ende in Deutschland.“
Vielleicht ist das gar nicht mehr so, jedenfalls bei Stars aus der ersten Reihe. „Die Angst hört endlich auf“, sagt PR-Frau Gaby Allendorf. Medienanwalt Christian Schertz, der viele Stars vertritt, glaubt, daß bei bestimmten Prominenten seit einiger Zeit die Bereitschaft zunehme, sich von dem Blatt nicht einspannen und nicht alles gefallen zu lassen – auch um den Preis, ignoriert zu werden. Herbert Grönemeyer ist so ein Fall. Seine Kontakte zu „Bild“ beschränken sich heute fast ausschließlich auf Klagen; seiner Popularität und seinen Plattenverkäufen scheint das nicht zu schaden.
Für andere ist es schwieriger, auf Distanz zu dem großen Boulevardblatt zu gehen. Die Abneigung von Anke Engelke gegen „Bild“ ist bekannt, aber vor dem Start ihrer Late-Night-Show ausgerechnet auf Sat.1, an dem der Springer-Verlag beteiligt ist, wird sie zur Gratwanderung. Zumindest mit großen Interviews im Werktagsblatt (die „Bild am Sonntag“ ist ein anderer Fall) ist nicht zu rechnen – was man ihr in der Redaktion, wenn man will, schon als unfreundlichen Akt auslegen kann.
Aber was ist dran an dem Gefühl, das verschiedene Medienleute und PR-Experten artikulieren, daß „Bild“ bei jungen Leuten ohnehin kaum Themen setzt? An den Leserzahlen kann es nicht liegen: Laut Media-Analyse steigt die Zahl junger „Bild“-Leser seit einigen Jahren an. Fast 17 Prozent aller 14- bis 29jährigen werden aktuell von dem Blatt erreicht.
Es sei, sagt ein ehemaliger „Bild“-Redakteur, ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Zeitung sei unbestrittener Meister darin, frühzeitig zu erkennen, was das Volk bewege, was die Leute interessieren und aufregen könne. In den vergangenen Jahren sei die Themensetzung aber zunehmend nicht von diesen Leser-, sondern von anderen Interessen bestimmt. Das Ausblenden des Hypes um Max ist ein Beispiel dafür, aber auch das Werben für Sendungen von ProSieben-Sat.1: Die weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfindende Sat.1-Castingshow „Star Search 2“ wird von „Bild“ unermüdlich Ausgabe für Ausgabe angepriesen. Solche abweichenden Tagesordnungen, so der Kollege weiter, schadeten langfristig der Glaubwürdigkeit der Zeitung.
Dann kann „Bild“ zwar immer noch verstärkende Wirkung haben – Fernsehsender verzeichnen bei Sendungen wie „Wer wird Millionär“ nach einem „Bild“-Bericht steigende Quoten. Die Zeitung demonstriert aber auch regelmäßig ihre Ohnmacht. Trotz größter „Bild“-Schlagzeilen wollten die Menschen partout nicht „Star Search“ oder „Fear Factor“ einschalten – oder eben die „Bild“-Kandidaten zum Grand Prix wählen.
Ein Problem wird für die Zeitung dann daraus, wenn gerade die großen, etablierten Stars wie Raab, Engelke oder Grönemeyer (oder von ihnen geförderte Newcomer wie Max) „Bild“ die Zusammenarbeit verweigern. Dann bleiben ihr für ihre Titelgeschichten nämlich nur die Caroline Beils dieser Welt.
Und was macht die „Bild“-Zeitung nun zum Grand Prix? Beim Finale vor vier Jahren in Stockholm veröffentlichte sie ein Interview mit Raab, von dem der Moderator sagt, es sei frei erfunden gewesen.
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
[…] Rechnung trotz Mahnungen nicht bezahlt habe, erhebe „schwere Vorwürfe“ gegen Mutzke. Das war falsch. „Bild“ weigerte sich dennoch, eine Gegendarstellung zu drucken, und musste von einem […]