Dirk Kurbjuweit, der Leiter des Hauptstadtbüros des „Spiegels“, wirft Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, dass sie sich bei ihrer Politik in extremem Maß von Stimmungen in der Bevölkerung leiten lässt. Dabei wäre es seiner Meinung nach für Politiker möglich, die ununterbrochen veröffentlichten Umfragen einfach zu ignorieren. Die spiegelten ohnehin nicht wirklich den Volkswillen, weil die Leute oft lögen oder Tagesstimmungen folgten. Er erwarte von Politikern, dass sie zwischen den Wahlen, unbeeindruckt von Stimmungen, das tun, was sie für richtig halten. Wegen der ganzen Umfragen würden die Poliker stattdessen zaudern.
Johann Schilling und Julia Schwarz, die Kurbjuweit interviewt haben ((für das Buch „Die Casting-Gesellschaft“, das in diesem Monat erscheint)), wiesen den Journalisten an dieser Stelle des Gesprächs auf ein kleines Detail hin:
Der Spiegel macht aber auch selbst Umfragen, mit der Popularitätstreppe sogar eine besonders oberflächliche, die Politiker nach ihrer Beliebtheit bewertet.
Das sind nicht meine Lieblingsseiten im Spiegel.
Aber Sie sind Leiter des Hauptstadtbüros.
Und dafür nicht zuständig.
Wenn es nach Ihnen ginge, würden Sie diese Seiten also abschaffen?
Nein, denn ich finde nicht die Umfragen schlecht, sondern die Politiker feige, die sich danach richten. Auf die Popularitätstreppe schauen viele Menschen, um sich zu informieren, wer ist gerade in, wer ist out. Aber von den Politikern erwarte ich die Souveränität zu sagen: „Das ist mir jetzt egal, ich mache es trotzdem so weiter.“
Kurbjuweits Antwort ist bemerkenswert. Nicht nur, weil sie so windelweich ist, dass jeder „Spiegel“-Journalist sie jedem Politiker um die Ohren gehauen hätte. Sondern vor allem, weil sie einen typischen Journalistendefekt zeigt: Wir leugnen, dass unsere Arbeit Folgen hat. Wir tun so, als wäre das, über das wir berichten, unbeeinflusst davon, dass wir darüber berichten. Und wir lehnen eine Verantwortung für die Folgen unserer Berichterstattung ab.
Kurbjuweit sagt, dass Umfragen die Politik schlechter machen. Aber Schuld daran seien nur die Politiker, die auf sie hören. Nicht die Medien, die sie in Auftrag geben und durch ihre Berichterstattung darüber es Politikern fast unmöglich machen, nicht auf sie zu hören.
Kurbjuweit sagt: „Eine Umfrage ist keine Wahl. Man kann sie getrost ignorieren.“ Das „man“ im zweiten Satz bezieht sich aber offenbar ausschließlich auf die Politik, nicht auf die Medien. Dabei sind sie es — und weit vorne natürlich das dauerhyperventilierende Leitmedium „Spiegel Online“ –, die sich auf jedes vorübergehende Ausreißerergebnis stürzen und es zur Nachricht machen, Konsequenzen daraus fordern oder ihr Ausbleiben skandalisieren, und mit Formulierungen wie „Schwarz-gelb verliert Mehrheit“ Umfragen als Wahlergebnisse behandeln.
Diese Umfragen und die Art der Berichterstattung verändern Politik. Es hat Folgen, dass die Medien Popularitätswettbewerbe für wichtig halten und dass zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg — offenbar losgelöst von irgendeinem fundierten Urteil über seine Amtsführung als Verteidigungsminister — in diesen Popularitätswettbewerben weit vorne liegt. Es beeinflusst seine Wahrnehmung, seine Möglichkeiten, und es beeinflusst natürlich auch zukünftige Meinungsumfragen.
Ich nehme nicht an, dass Dirk Kurbjuweit unter mangelndem Selbstbewusstsein leidet oder seine Artikel für wirkungslos hält. Gerade der überaus selbstbewusst auftretende Journalismus macht sich an entscheidender Stelle unsichtbar, lehnt Verantwortung für die Folgen von Berichterstattung ab und tut so, als sei man nur ein nicht-teilnehmender Beobachter.
Manchmal ist die Lächerlichkeit dieser Illusion offenkundig (das heißt: für jeden Beobachter offenkundig; für die verantwortlichen Journalisten anscheinend nicht). Das prominenteste Beispiel der jüngsten Zeit ist sicher die Doppelrolle des „Spiegel“, sich Thilo Sarrazin als redaktionelle Werbeplattform zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig (oder genauer: ein bis zwei Wochen später) seine Fehler und die negativen Folgen der Veröffentlichung zu kritisieren.
So ein Spagat gelingt nicht ohne Schmerzen, und in diesem Fall tat schon die Titel-Schlagzeile weh: „Warum so viele Deutsche einem Provokateur verfallen.“ Menschen „verfallen“ eigentlich keinem „Provokateur“. Sie verfallen einem Demagogen oder Rattenfänger. Das sind aber Begriffe, die der „Spiegel“ schon deshalb nicht benutzen konnte, weil er damit gesagt hätte, einem solchen willenlos eine publizistische Plattform geboten zu haben.
Der „Spiegel“ selbst ist dem Mann natürlich nicht „verfallen“, dazu sind „Spiegel“-Redakteure viel zu klug. Sie haben dem Mann ja nur eine Woche lang eine Bühne geboten, unwidersprochen seine Thesen auszubreiten. Deshalb nennt das Magazin Sarrazin auch nur „Volksheld“ und nicht „‚Spiegel‘-Held“, was mindestens so treffend gewesen wäre. Nein, die Rolle des „Spiegels“ selbst in der Sarrazin-Affaire kam im „Spiegel“ der vergangenen Woche nicht vor. Man selbst ist, wie üblich, als Akteur unsichtbar. Irgendwie, auf obskuren Wegen, scheinen Sarrazins Thesen an die breite Öffentlichkeit geraten zu sein, man weiß es nicht genau. Und die hätte sie ja nicht wichtig nehmen müssen, ähnlich wie die Politiker die Umfragen.
Ich bin überzeugt, dass dieses journalistische Selbstverständnis keine Zukunft hat. Dass auch ein Medium wie der „Spiegel“ irgendwann anfangen muss, seine Leser ernst zu nehmen, und das heißt: mit ihnen zu kommunizieren, Abwägungen, die zu redaktionellen Entscheidungen geführt haben, transparent zu machen, Widersprüche offenzulegen, nicht mehr so zu tun, als wäre man kein politischer Akteur, endlich anzufangen, die eigene Rolle und Verantwortung öffentlich zu reflektieren.
Aber der „Spiegel“ ist mit seiner Heuchelei nur ein besonders krasser Fall. Medien verschweigen systematisch ihre eigene Rolle beim Herstellen der Nachrichten, über die sie dann berichten. Angeblich ist die Aufregung um Sarrazins die größte jemals um so ein Buch. Ich würde das grundsätzlich bezweifeln, aber selbst wenn: Zu welchem Teil liegt das an der Reaktion in der Bevölkerung? Und zu welchem an der Erregung der Medien? Schreiben die Medien so viel, weil das Volk so stark reagiert, oder umgekehrt? Ich weiß die Antwort nicht, aber müsste nicht gerade das Bewusstsein um die eigene Möglichkeit, solche Debatten groß zu machen, die Medien vor solchen Superlativen zurückschrecken lassen?
Das ZDF ermittelte in seinem aktuellen „Politbarometer“, dass 57 Prozent der Befragten meinen, das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern funktioniere nicht gut. Ich selbst hätte (trotz oder wegen Berlin-Kreuzberg als Arbeitsort) Schwierigkeiten, eine Antwort auf eine solch pauschale Frage geben, und ich bezweifle, dass viele andere Menschen eine gute Grundlage haben, sie zu beantworten. Das Ergebnis ist sicher nachhaltig geprägt durch die Sarrazin-Diskussion der vergangenen Wochen. Immer wieder hieß es, dass man über die Form und die rassistischen Argumentationsmuster streiten könne. Aber dass die Integrationspolitik in Deutschland gescheitert sei, das sei natürlich eine Tatsache. Heribert Prantl war einer von wenigen, die diesen Befund, der irgendwie gegeben schien, in Frage stellten.
Die Art, wie über Integration in Deutschland in den Medien berichtet wurde, hat den Eindruck geweckt oder bestärkt, dass es große Probleme gibt — und das weitgehend ohne dass dafür Fakten vorgelegt werden mussten. Dass die deutschen Medien von dpa bis „Spiegel Online“ in erschreckender Breite und bis heute unkorrigiert die Falschmeldung verbreiten, eine Sarrazin-Partei käme auf 18 Prozent der Stimmen, tut ein übriges: Ich vermute, dass angesichts solcher Zahlen noch mehr Menschen eine solche obskure fiktive Partei für wählbar halten.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht nicht darum, nicht mehr zu berichten. Es geht darum, sich bewusst zu werden, dass das, was Journalisten zu Nachrichten machen, Folgen hat, und dass das, was Journalisten zu Nachrichten machen, oft die Folge von Berichterstattung ist. Medien sind nicht nur Chronisten, die festhalten, was passiert, ohne es zu beeinflussen. Ihre Entscheidungen, was sie zur Nachricht machen und wie, haben Konsequenzen.
Das ist so banal und scheint doch im Alltag so oft keine Rolle zu spielen. Ein harmloses Beispiel dafür sind die „Spiegel Online“-Artikel, die irgendwelchen unbekannten „Prominenten“ Aufmerksamkeit verschaffen, indem sie sich darüber lustig machen, wie irgendwelche unbekannten „Prominenten“ um Aufmerksamkeit kämpfen. Ein klassisches Beispiel sind die Berichte über Amokläufe und Suizide, bei denen viele Medien in Kauf nehmen, dass sie die Zahl der Amokläufe und Suizide erhöhen.
Und dann ist da auch der Fall des amerikanischen Pfarrers Terry Jones mit seiner Ankündigung, am 11. September 200 Ausgaben des Koran vor dem Gemeindehaus in Gainesville, Florida, verbrennen zu wollen, was prompt von islamischen Fanatikern zum Anlass für blutige Ausschreitungen genommen wurde. Mal abgesehen davon, dass eine solche Reaktion durch nichts zu rechtfertigen ist: Ist der Auslöser dafür die Ankündigung des Pastors? Oder die Berichterstattung darüber durch die Medien?
Anders gefragt: Warum ist die Provokation irgendeines obskuren amerikanischen Extremisten eine weltweite Nachricht? Die Antwort ist so einfach wie paradox: Weil sie, wenn sie weltweit verbreitet wird, das Potential hat, blutige Ausschreitungen von islamischen Extremisten auszulösen. Die Meldung fungiert als self-fulfilling prophecy. Und auch wenn es den bekloppten Pfarrer in den USA sowie die menschenverachtenden Islamisten in Afghanistan in keiner Weise aus ihrer Verantwortung nimmt, sind die Medien in diesem gefährlichen Spiel mindestens ein Katalysator.
Bevor jetzt alle „Selbstzensur!“ rufen und meinen, dass man damit vor den Gegnern von Meinungs- und Bücherverbrennungsfreiheit kapituliere: Journalisten treffen jeden Tag die Entscheidung, welche Dinge, die auf der Welt passieren, sie zu Nachrichten machen und welche nicht. Das ist ein entscheidender Teil ihres Berufs. Es gibt wenige Argumente dafür, Terry Jones jenseits der Lokalberichterstattung in seinem Ort zur Kenntnis zu nehmen und ihm den Gefallen zu tun, die anmaßende Ankündigung vom „International Burn A Koran Day“ auf dieser Weise fast noch wahr klingen zu lassen.
Terry Jones war eine weltweite Nachricht, weil er in knappster Form die zunehmende Feindschaft vieler Amerikaner zum Islam symbolisierte. Aber er war es auch wegen des Nervenkitzels, dass die Berichterstattung dramatische Folgen haben könnte. Und aus dem schlichten Grund, dass andere Medien darüber berichtet haben. Journalisten halten für eine Nachricht, was andere Journalisten für eine Nachricht halten.
Natürlich ist es, wie Medienblogger Roy Greenslade beim „Guardian“ dokumentiert, ein komplexes Zusammenspiel, in dem auch Politiker und das Internet Rollen haben. Aber wir sollten nicht so tun, als sei die Unterscheidung, was eine Nachricht ist und was nicht, ein objektives, einer Sache schon innewohnendes Kriterium und nicht eine Folge von subjektiven Entscheidungen.
Dies ist kein Plädoyer für irgendeine Form von Selbstzensur. Dies ist ein Plädoyer dafür, sich der Folgen einer Berichterstattung bewusst zu werden und die eigene Rolle zu thematisieren.
Übrigens: 2008 hat ein Pastor der durch ihren Slogan „God Hates Fags“ und ihre Demonstrationen bei Beerdigungen von Soldaten und schwulen Gewaltopfern berüchtitgten Westboro Baptist Church, an einer Straßenecke einen Koran angezündet und das gefilmt. Es hat damals kaum jemand darüber berichtet. Es war keine Nachricht. War das falsch?
Auch wenn ich vielem zustimme, was da oben steht: Selbstzensur!
Im Ernst: Im Ergebnis sehe ich das sehr ähnlich, aber die Bezugnahme auf die Konsequenzen bei der Herleitung gefällt mir nicht so gut.
Ich finde, das Journalisten über die Themen berichten sollten, die ihrer Meinung nach ihre Kunden interessieren, und dann sollten sie möglichst noch versuchen, wahrhaftig zu berichten. Von den Konsequenzen, die ihre Berichterstattung dann ihrer Meinung nach auslösen könnte, sollten sie sich in der Regel nicht bremsen lassen.
@1: sie sollten aber auch nicht so tun, als haette das alles nichts mit ihnen zu tun, sondern sich damit ausseinandersetzen.
Ein anderes sillustraitves aber nicht so drastisches Beispiel sind die regelmaessingen Aeusserungen des Ryanair CEOs, der einmal alle halbe Jahr eine Pressemitteilung raushaut in der er etwas drastisches fordert.
Juengstes Beispiel: die Forferung nach Abschaffung von Copiloten, die dann in der Welt zu einer Meldung gefuehrt hat, die damit endete, dass Luftfahrtexperten die Foderung fuer einen Publicity-Stunt halten, um in die Medien zu kommen.
Wenn die Koranverbrennung der Westboro Baptist Idiots nicht auch am 11. September stattfand und einiges an Ankündigungsvorlauf hatte, hatte sie natürlich ungleich weniger, äh, potentiellen Nachrichtenwert. Aber stimmt natürlich, wann etwas in den Medien auftaucht und sich selbsterfüllend aufgeblasen wird und wann nicht, das wird nicht zuletzt durch Zufallsmuster bestimmt.
Auflage. Lage auf Lage auf Lage auf Lage auf Lage auf Lage auf Lage.
Windeln haben mittlerweile bis zu sieben Lagen, damit die Scheiße nicht raus kommt.
#1:
Trifft das auch auf Selbstmorde zu, die von Berichten über Selbstmorde inspiriert werden?
Hier von Selbstzensur zu reden, wenn ein Journalist darauf verzichtet, über Leute wie Terry Jones zu berichten halte ich für Quatsch. Das würde voraussetzen, dass jener Journalist auch ansonsten über alles berichtet, was eine Nachricht wert wäre.
So oder so findet auch jetzt in jeder Redaktion weltweit eine Selektion statt, welche Nachrichten gebracht werden und welche nicht.
Dabei spielt der Gedanke an die Folgen, die die Verbreitung einer Meldung haben kann eine zu geringe Rolle.
Wichtiger sind Auflage, Klickzahlen, Dramatisierungs-, Skandalisierungs- und Polarisierungspotenzial. Schlichte Sucht nach Aufmerksamkeit.
Ja. Äh, jein. Zu Kurbjuweit: Natürlich macht er es sich einfach mit seinen „Ich habe damit nüscht zu tun“-Ausflüchten. Aber gleichzeitig denke ich (als Journalist), dass sich Journalisten nicht wichtiger nehmen sollten als sie sind: Es ist nur Papier, in das am nächsten Tag der Fisch eingewickelt wird. Und da darf ich auch sagen, dass in diesem Papier einiges steht, das ich nicht so toll finde.
Und weiter: Ich finde unsäglich, dass der Spiegel Sarrazin ein Forum bot. Aber der Spiegel ist ein Mainstream-Medium, und Sarrazin ist, leider, Meinungsmainstream, mit dem man sich auseinendersetzen muss, will sagen, man muss ihn auseinandernehmen. Unsere Umgebung ist nicht schwarzweiß, unsere Umgebung hat auch ein paar richtig eklige Verfärbungen, und wenn man sich so im Mainstream bewegt wie der Spiegel, dann erwarte ich auch, dass diese Umgebung inklusive aller Ekligkeiten abgebildet wird. Solange die Autoren des Spiegels noch sagen dürfen, was sie davon halten, finde ich das nicht schlimm, und dass sie das dürfen, beweist der Titel „Warum so viele Deutsche einem Provokateur verfallen“.
Selbstzensur findet natürlich allein dadurch statt, dass Leute entscheiden, was wichtig ist und was nicht.
Ein schönes Beispiel, worüber ich immernoch den Kopf schüttle, ist dieser Artikel über ein Kreuzworträtsel bei 9Live, das einem Hakenkreuz ähnelte. Hier war die Form (Hakenkreuz) wichtiger als der Inhalt, nämlich die alltägliche skandalöse Abzocke durch unlösbare Begriffe und Worte.
Finde ich absolut richtig. Die Entscheidung, vielleicht zu Ungunsten von Auflage oder einer rein quantitativen Relevanz am Markt, etwas oder jemandem keine Plattform zu bieten, ist für mich eigentlich eine der wichtigsten Funktionen der Medien. Einerseits wegen des Effektes auf der Seite der Rezeption.
Aber vor allem auch wegen des Effektes, die eine Nichtbeachtung auf die Menschen und Ideen hat, die mit allen Mitteln versuchen eine Öffentlichkeit für sich herzustellen. Gewissermaßen ist das ein Henne/Ei-Problem, gab es erst untalentierte Vollidioten mit Geltungsdrang oder zuerst Castingshows, aber ich denke die verstärkenden Effekte sind ganz klar auf der Sender-Seite anzusiedeln.
Dieser Tage wird das Stichwort „Gatekeeper“ aus den medienwissenschaftlichen Lehrbüchern in die Mitte einer Debatte geholt, die oft vergisst, dass ein Torwächter vor allem auch von seinem Recht der Abweisung Gebrauch machen sollte.
Zu Kurbjuweit: Der Mann hat völlig recht – sowohl mit der Kritik, daß Politiker zu oft das tun, von dem sie glauben, daß die Leute wollen, daß es getan werde, und nicht das, von dem sie selbst glauben, daß es richtig sei, als auch mit der Aussage, daß es Angela Merkel in dieser Disziplin zur Perfektion gebracht habe.
Wenn der Spiegel selbst Umfragen veröffentlicht, steht das dazu auch nicht im Widerspruch. Nur wäre die richtige Schlussfolgerung einer laut Umfrage anderen Stimmungslage im Volk eben nicht, etwas gegen die Überzeugung zu tun, sondern die Anstrengungen zu erhöhen, daß Volk von dem, was man für richtig hält, zu überzeugen.
Zu Terry Jones: Ich denke, daß es ständig in den Redaktionen die von SN geforderten Entscheidungen gegen eine Veröffentlichung vergleichbarer Meldungen gibt. Dann und wann aber versagt bei irgendeiner Redaktion dieser Mechanismus und dann ist das der Freibrief für die anderen, das auch zu bringen.
Man muss aber auch den Medien zugute halten, daß die Entscheidung oft schwieriger ist als in dem ziemlich eindeutigen Fall der Koranverbrennung von ein paar durchgenallten Amis. Sollten Medien etwa auch darauf verzichten, von Terroranschlägen zu berichten? Sinn und Zweck des Terrors ist doch in aller Regel, Angst, Schrecken und Verunsicherung zu verbreiten. Verbreitet wird dies aber immer durch Medien. Nun wird nicht darum umhin kommen, von den Anschlägen vom 11. Sept. zu berichten. Wie aber steht es mit den vielen Anschlägen der ETA, bei denne nur Sachschäden zu beklagen waren. Ab wieviel Toten sollte man berichten? Bis wieviel Tote von einer Berichterstattung absehen?
(Andreas Eschenbach hat zu diesem Themenkomplex die nette Kurzgeschichte „Osama TM (für Trademark)“ veröffentlicht, falls es jemanden interessiert. Mit einer Nacherzählung werde ich nicht langeweilen…)
Das Spiegel-Abo wird gekündigt. Als ich heute mitansehen musste, mit welch gequältem Gesichtsausdruck der langansässige türkische Zeitschriftenhändler bei uns an der Ecke den Spiegel verkaufte, dachte ich mir: es reicht. Ich will dieses Hetzer-Blatt, was kaum noch von der Bild-Zeitung unterscheidet, nicht auch noch finanzieren.
Erinnert sich eigentlich noch jemand an die Zeit Anfang der 1990er? Rostock, Hoyerswerda, Mölln, Solingen – alles schon vergessen? Diese Taten geschahen ja nicht aus dem Nichts heraus.
Weit weg?
Ich will hier nicht doppelt posten. Lesen Sie meinen Eintrag #132 im Thread zu Henryk M. Broder. Die Saat, die einige Medienleute fahrlässig verstreuen, scheint wieder aufzugehen.
Wenn man selber damit Geld verdient Kühe durchs Dorf zu treiben kommt man auch eben nicht auf die Idee am Kuhtrieb irgendwas flasch zu finden. Also treibt man weiter Kühe durchs Dorf … bis man irgendwann feststellt, dass die Leute weiterziehen und man davon nicht mehr Leben kann. Aber bevor man sich das eingesteht und seine Rolle in der Gesellschaft neu definiert, treibt man lieber noch ein bisschen die „böse neue Medien“-Kuh durchs Dorf. In der Hoffnung das die letzten Zuckungen der Kuh doch nicht nur entweichendes Darmgas sind, sondern Zeichen von Leben. Dem ein oder anderen wird es vieleicht dämmern wenn es einfach nur noch stinkt, aber dann ist es schon lange zu spät und man kann nur noch den Kadaver des Berufsstandes zu Grabe tragen.
Glück auf Journalisten! So wird das nix.
Die anschließende Frage: wenn „die Medien“ als Gatekeeper solche Nonsensiaden wie Terry Jones‘ Grillspektakel aussparen – werden sie dann nicht durch die neuen Mediankanäle wie Twitter, Facebook oder auch PI hochgespült?
Hilfe, er hat „Sarrazin“ geschrieben.
So langsam entwickle ich eine Theophobie.
Ich mag nicht mehr über derartiges provoziert werden.
@Torsten: Gute Frage. Ja, natürlich. Aber auch dass ein Thema groß bei Twitter oder PI diskutiert wird, entlässt jeden einzelnen Journalisten nicht aus der Verantwortung einer eigenen Entscheidung.
nun ja, der Spiegel bietet Sarrazin eine Bühne, das ZDF der Jungen Freiheit… ich schliesse mich da mal theo nr. 12 an: mal sehen, wer als erstes das Feuerzeug zum zündeln findet, ein irrer Rechter oder ein irrer Islamist…aufgehetzt von ein und derselben Bande. Wenigstens die Schuldfrage stellt sich dann nicht.
Stefan:
Ich bin ein Fan journalistischer Standards. Aber es tut weh, wie sehr Verletzungen dieser Standards vom Publikum belohnt werden.
Stimme vollkommen zu. Gern wird dann auch auf die Mechanismen des „Sommerlochs“ verwiesen. Das heißt dann soviel, wie „Ich war es nicht“. Journalisten, die Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen, das wäre doch mal was!
@ peter wolf 11
Die Frage ist eben auch immer, wie berichte ich über diese Dinge. Wenn man durch die Berichte eher dazu angeregt wird, darüber nachzudenken, wie die Terroristen oder der Amokläufter es technisch anstellen hätten müssen, um vielleicht noch ein paar Leute mehr zu töten oder darüber, welche Art von Stahl einem Schwelbrand wohl ein paar Minuten länger standgehalten hätte, dann hat die Berichterstattung meiner Meinung nach ihren Sinn verfehlt.
Was ist denn, wenn die Auswirkungen der Berichterstattungen gar nicht nur verantwortungslos in Kauf genommen werden, sondern ganz gezielt gesteuert sind? Und wenn ja, von wem?
Thema 1:
Eine Frage eines Laien an die versammelte Fachkompetenz:
Gab es in der jüngeren Vergangenheit ein Ereignis, bei dem sich die „traditionellen“ Medien konzertiert angeekelt oder schamerfüllt abgewendet haben?
Wann gab es das überhaupt in der Geschichte?
Die Diskussion, ob man dies oder das publizieren sollte oder nicht, wird sich mit der Beantwortung dieser Frage geklärt haben. Sie wird rein theoretisch sein, denn alles wird immer kommuniziert. Egal wie dick der Medien-Herpes danach wird.
Thema 2:
Die „klassischen“ Medien waren bis vor wenigen Jahren die einzigen Akteure unserer Gesellschaft, die auf breiter Front etwas bewegen konnten. Das werden diese Medien und deren Akteure nicht ablegen wollen und können. Ich behaupte, jeder der in dem System arbeitet, sitzt da mit einer Botschaft. Individuell oder als ganzes System.
Jetzt müssen diese Medien dieses Monopol mit Zigtausenden teilen, die sich schwarmartig für Meinungen digital vereinen. Und plötzlich können die klassischen Medien nur noch über Meinungen berichten, die andere schon längst formuliert und verbreitet haben. Das muss ein Schock sein.
Da entstehen dann solche Sätze, wie die von Herrn Kurbjuweit, der behauptet, man schreibe und veröffentliche Themen, die aber nicht beachtet werden sollten. Das ist Unsicherheit pur! Diesen Satz hätte es in der vordigitalen Zeit nicht gegeben.
Jörg Kremer:
Ich glaube, Kurbjuweit ist weit davon entfernt, „unsicher“ zu sein.
Mir erscheint das alles eher wie „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“.
Die Spiegel-Hierarchen sind vor allem zynisch. Es macht ihnen Spass, die öffentliche Debatte zu prägen. Dabei ist es ihnen relativ egal, um welche Position es gerade geht. Man ist da, siehe Sarrazin, flexibel. Es geht um Auflage, um Meinungsmacht und um, auch das, Click-Strecken.
An der Spitze zwei relativ junge Chefredakteure, bei denen ich keinerlei wirkliche publizistische Verantwortung mehr zu erkennen vermag.
Ich wäre nicht überrascht, wenn sie demnächst „scripted dokus“ bringen würden, sollten sie darin einen Nutzen sehen (das Immigrations-Stück gestern bei „Spiegel TV“ schien mir nicht weit weg davon, jedenfalls war die Distanz zur Realität größer). Der Widerstand im eigenen Haus gegen diese Heftpolitik ist nicht ganz verschwunden, aber er scheint sehr schwach.
@Schoschie
Was ist, wenn du zu ihnen gehört und geschickt wurdest um durch verrückte Verschwörungstheorien von Verschwörungstheorien abzulenken?
Aber wer ist es genau der dich bezahlt? Und hat es etwas mit der Mondlandungsverschwörung zu tun?
Jedenfalls habe ich dich hiermit enttarnt.
Ein ganz schwaches Bild, was das qualitätsjournalistische Leitmedium „Der Spiegel“ und insbesondere Dirk Kurbjuweit da von sich geben. Ich bin es nicht gewesen. Und das soll reichen? Er hätte einfach Kudos zeigen können und etwas in der Art wie „Finde ich falsch, wir arbeiten daran“ sagen können. Aber nein, es ist zwar eigentlich falsch, aber dennoch total richtig es zu veröffentlichen, weil die anderen brauchen, nein, dürfen sich ja offensichtlich nicht danach richten. Heuchelei.
@2. Dem kann ich zustimmen.
@5. Die kurze Antwort wäre ja, emphatisch und eindeutig.
Aber natürlich ist das Thema eigentlich zu komplex für kurze Antworten. Ich sehe schon ein, dass es Unterschiede zwischen den Fragen gibt, ob man etwas dürfen sollte, und ob man es tatsächlich auch tun sollte, und dass es vielleicht in manchen Fällen zu einfach ist, die Verantwortung für den Umgang mit Informationen ausschließlich beim Empfänger zu suchen.
11. September 2010 müsste es glaub ich heißen ;)
Kann man den Kommentar über mir löschen?
Wer lesen kann … nunja! Wer ist eigentlich Sarrazin?
„Angeblich ist die Aufregung um Sarrazins die größte jemals um so ein Buch. Ich würde das grundsätzlich bezweifeln, aber selbst wenn: Zu welchem Teil liegt das an der Reaktion in der Bevölkerung? Und zu welchem an der Erregung der Medien? Schreiben die Medien so viel, weil das Volk so stark reagiert, oder umgekehrt? Ich weiß die Antwort nicht, “
Lieber Stefan,
ich glaube das war Dein Wichtigster Beitrag zur Diskussion um die Rolle der Medien in der Gesellschaft bisher!
Ja, ich glaube die Antwort auf Deine Frage zu wissen:
Die Medien puschen die Themen und ein Teil der Bevölkerung reitet auf dieser Welle mit, weil sie durch die Berichterstattung angefixt wurden.
Eine Bemerkung auf Seite 3 oder irgendwo in sang- und klanglos verschwindenden Online-Headlines regt niemanden auf*. Aber auf sich selbst beziehende Medien machen aus allem einen Aufhänger, und sei es ein Eisbärbaby.
* Ausser es wäre wirklich wichtig, aber so eine Reaktion braucht mehrere Tage oder Wochen Inkubationszeit.
Die von Dir gennate Medien sind aber schon nach Minuten oder Stunden am Drücker, bevor die Rezipienten überhaupt das Thema kennen.
Fraglich ist eher, ob Jourunalisten noch ein Verantwortungsbewußtsein oder ethische Richtlinien besitzen, oder ob das eher verlegergesteuerte Abnicker sind.
Mur scheint die Diskussion um die Verantwortung der Medien extremer geworden zu sein, denn die „4. Gewalt“ hat sich zu einem Kraken entwickelt, der genausowenig demokratisch legitimiert ist, wie die anderen 3 Gewalten:
Wer am Anfang der Befehlskette einer dieser Institutionen sitzt, bestimmt deren Verhalten. Und sei es nur auf Zeit.
Mal was anderes.
Ich habe da heute irgendwann eine Werbesendung von einem Onlineschushop gesehen – zaladingdsa.
Dabei gab es eine grottige extrem unterbelichtete 68er Persiflage.
Haben die Steinhöfel wieder aus der Anstalt entlassen?
wo wir gerade davon sprechen: http://www.bild.de/BILD/politik/2010/09/13/australischer-anwalt-verhoehnt-christen-und-muslime/er-dreht-sich-einen-joint-aus-koran-und-bibel.html
Ist es nicht generell des Menschen Problem? Die Annahme, die eigene Einmischung habe keine Auswirkungen auf was auch immer? Bzw. auch die (oft zu) späte Erkenntnis dieser Auswirkungen?
Endlich mal wieder ein Statement von Herrn Niggemeier, dass eines Medienjournalisten würdig ist. Chapeau. Gelegentlich tut ein wenig Selbstreflexion wirklich gut ;-)
@Stefan N.:
Danke. Schöner Text!
Stefan ist aber immer noch nicht ganz oben. Da stehen noch einige Kollegen vor ihm, zum Beispiel hier:
http://www.fr-online.de/politik/meinung/lobbyisten-an-der-macht/-/1472602/4636128/-/index.html
Die NY Times ist da schon weiter:
Coverage of Koran Case Stirs Questions on Media Role
@10
„Zu Kurbjuweit: Der Mann hat völlig recht – sowohl mit der Kritik, daß Politiker zu oft das tun, von dem sie glauben, daß die Leute wollen, daß es getan werde, und nicht das, von dem sie selbst glauben, daß es richtig sei“
Da möchte ich ja mal Beispiele sehen. Dass sie etwas tun, was die Mehrheit will. Also wirklich tun, nicht darüber reden, es zu wollen.
„als auch mit der Aussage, daß es Angela Merkel in dieser Disziplin zur Perfektion gebracht habe.“
Ja, solche Themen aufnehmen. Hat mit dem was dann passiert abwer nix zu tun.
[…] Die Medien trifft keine Schuld « Stefan Niggemeier – "Warum ist die Provokation irgendeines obskuren amerikanischen Extremisten eine weltweite Nachricht? Die Antwort ist so einfach wie paradox: Weil sie, wenn sie weltweit verbreitet wird, das Potential hat, blutige Ausschreitungen von islamischen Extremisten auszulösen. Die Meldung fungiert als self-fulfilling prophecy." (Tags: Journalismus ) […]
Sehr schöner Text, aber:
„Dies ist kein Plädoyer für irgendeine Form von Selbstzensur. Dies ist ein Plädoyer dafür, sich der Folgen einer Berichterstattung bewusst zu werden und die eigene Rolle zu thematisieren.“
Hier zeigt sich, wie vergeblich deine Mühen sind. Zum einen wird hier lediglich die Wertebene tangiert, wo du tendenziell eher wenig Konsenschancen haben dürftest. Und wenn doch, heißt das noch lange nicht, dass sich in den Rollen und Programmen der Massenmedien irgendwas ändert.
Jetzt bin ich kein regelmäßiger Spiegelleser, aber es würde mich in der Tat wundern, wenn niemand aus der Widerlegung der Sarrazin’schen Propaganda publizistische Aufmerksamkeit ziehen würde.
Das wird ein weltweites Blutbad geben, wenn über die Ankündigung eines mesoamerikanischen Geistlichen mit mexikanischem Migrationshintergrund berichtet wird, am 13. August nächsten Jahres 200 Bibeln verbrennen zu wollen.
Richtig, nix passiert. Die Folgen der Meldung über den durchgeknallten Ami-Pfarrer sind Folgen der Art der Berichterstattung. Hätte man auch in der Spalte IN/Out unterbringen können, oder auf Seite drei, oder nirgends.
Weiß den die Mehrheit was sie will?
Mir kommt die Mehrheit vor, wie ein Wackelpudding.
Mal schwabbelt sie in die eine Richtung, mal in die andere.
Da finde ich es schon eher richtig, wenn alle 4 Jahre die grobe Form bestimmt wird, nachdem die Speise angerichtet wird.
Das wäre mir auf alle Fälle lieber, als wenn irgendwelche Medienfuzziis ständig mit dem Löffel auf den Pudding hauen, um die Spritzer zu vermarkten.
Bundesbank-Vorstand Sarrazin hat ein Buch geschrieben. Sein Verlag hat dieses Buch „BILD“ und „SPIEGEL“ zum Vorabdruck angeboten. „BILD“ und „SPIEGEL“ haben angenommen. Das sind die Fakten.
Wie sind diese Fakten zu bewerten? Wer ist zu beschuldigen?
Der Verlag, der das Buch verlegt hat? Sarrazin, der das Buch geschrieben hat? Die Zeitungen, die das Buch vorabgedruckt haben? Die Leute, die alles glauben, was in der Zeitung steht? Alle ein bisschen?
Richtig ist jedenfalls, dass Politiker zu sehr nach Umfragen schielen. Hier ist jeder Spitzenpolitiker gefragt, das zu tun, was er für richtig hält.
Schwarz-Gelb bspw. verlängert die AKW-Laufzeiten, obwohl die Mehrheit dagegen ist, obwohl es Zustimmung kostet. Die SPD-Führung will Sarrazin ausschließen, obwohl die Mehrheit dagegen ist, obwohl es vermutlich Zustimmung kostet. Sollte man auch mal betrachten.
(Ich bin SPD-Mitglied.)
@ 42
Sollte Sarrazin nicht zur Vernunft kommen und die SPD ihn nicht ausschließen, wird das die SPD auch Zustimmung kosten.
Da kann sich ja die SPD überlegen, ob sie die Beine noch breiter machen will oder Grundwerte hat, die auf Arbeiterbidlungsvereine, Empathie und Fairness aufbauen.
Ich stimme mit vielem überein, aber nicht mit einem: Ich glaube nicht, dass Sarrazin ein Großthema wurde, weil der Spiegel was daraus abgedruckt hat. Es wurde ein Großthema, erstens, weil Sarrazin schon seit Jahren als Schlagzeilenlieferant eine sichere Nummer ist, zweitens, weil das Thema Integration tatsächlich viele Leute bewegt und es objektive Probleme gibt, und drittens, weil der erschreckende Biologismus, den Sarrazin seinem Buch beimengt, den nötigen Schock- und Skandaleffekt erzielten, damit auch wirklich alle darüber reden mussten. Das Buch wäre so oder so wie eine Bombe hochgegangen, und da ist es zu viel der Ehre, den Spiegel dafür ursächlich mitverantwortlich zu machen.
Eine Selbstreflexion der Medien halte ich definitiv für sinnvoll. Problematisch ist es jedoch, wie diese Unterscheidung zwischen dokumentierungswürdiger Information und seinem Gegenteil zu treffen sein soll. Die Konsequenzen der Dokumentierung sind heutzutage einfach nicht mehr abzusehen. Ob man einen Resonanzpunkt trifft mit der Information, ist höchstens intuitiv einzuschätzen, keineswegs zu berechnen oder zu kontrollieren.
Was also soll das Ergebnis einer Reflexion sein? Welche Rolle man als Journalist in Aufschaukelungsprozess einer Nachricht gespielt hat? Sollen Kriterien für eine verantwortungsvolle Nachrichtenverbreitung entstehen?
Ich denke, es hat wesentlich mehr mit der individuell persönlichen Entwicklung von Entscheidungsträgern zu tun. Da liegt scheinbar einiges im Argen (siehe Kurbjuweit).
Ich stimme Herrn Niggemeier vollumfänglich zu. Es ist völlig eindeutig, dass Medien Themen setzen – das ist doch ihre Aufgabe. Dass Medien sich als stille neutrale Beobachter stilisieren, die nur „berichten“, ist eine journalistische Lebenslüge. Dass Journalisten (und ich bin ja leider selber einer) das für eine Meldung halten, was die Kollegen für eine Medlung halten, könnte täglich in den Redaktionen wissenschaftlich-empirisch nachgewiesen werden. Sensationslust und der Anspruch, einen Scoop zu landen, der politische Konsequenzen haben könnte, sind die eigentlichen, tief sitzenden psychologische Anlässe für „Aufmacher“. Und doch wohl nicht, weil „die Leser das lesen möchten“: Das ist doch nur das argumentative Feigenblatt, hinter dem sich die redaktionelle Verantwortung für alles und jedes schön verstecken lässt. Medien schaffen sich ihre Wirklichkeit selbst – das müsste doch mittlerweile Konsens sein. Komisch, dass es noch bezweifelt wird…
@46: Gut!
Ganz ehrlich? Ich will alles wissen. Dieser Wunsch muss (glücklicherweise?) unerfüllt bleiben. Dennoch verspricht das Netz die Erfüllung: Grenzenlose, preisgünstige Information und Kommunikation. Das ist wohl einer der Gründe, weswegen ich das Internet so sehr mag.
Dennoch macht mich dieser Text nachdenklich. Ich halte mich für so reif – daran hatte übrigens das bildblog.de sicherlich seinen Anteil -, dass mir fanatische Aufwiegler und deren billige Hetzblätter nichts anhaben können. Aber damit gehöre ich wahrscheinlich einer Minderheit an.
Die leider langfristige, aber am erfolgsversprechensten erscheinende Lösung lautet: Hohes Bildungsniveau für alle! Aber bitte keine Business-Roboter heranzüchten, wie es heute immer mehr an den Unis praktiziert wird. Eine breite Bildung macht Menschen immun gegen dümmliche Propaganda.
Aber wie setzt man diese Form der Bildung gegen mächtige Eliten durch, die kluge Menschen fürchten müssten?
Ein sehr interessanter Artikel und ein tolle Grundlage für medienethische Grundsatzdiskussionen.
Ich persönlich glaube, dass Journalisten als Berufsgruppe ähnlich wie Politiker auch nur Segler sind, die Ihr Schiff nach dem Wind der „öffentlichen Meinung“ ausrichten. Wenn also ein Thema relevant wird, wird es von dem jeweiligen Akteur aufgegriffen. Welchen Anteil die Akteure aus der Politik und der Medien für diese schwer zu fassende Konstrukt der „relevanten öffentlichen Meinung“ haben ist sicherlich schwer zu sagen. Empirisch gilt als einigermaßen gesichert, dass es einen Agenda Setting Effekt gibt, also dass die Medien/Politiker nicht beeinflussen WIE die Rezipienten denken sondern vielmehr WORÜBER sie nachdenken.
Jedoch ist für mich fraglich, ob durch das Internet der Journalismus als Ganzes überhaupt noch im großen Maße Themen setzen kann oder ob sich die Themen ohnehin, wenn Sie nicht in den „großen“ Medien stattfinden, im Internet Ihre Nischen suchen (man beachte beispielweise mal die Leserkommentare zu einige Artikeln zum Thema Sarrazin auf faz.net).
Daher sollte sich jeder einzelne Journalist nicht so sehr damit beschäftigen, welche Folgen die Themenselektion seiner Berichterstattung hat, denn Themen werden aufgrund der vielseitigen Medienlandschaft ohnehin schwer zurückzuhalten sein, es kommt vielmehr darauf an, wie man beispielsweise so ein Thema wie Sarrazin angeht (Stichwort: Gatewatching statt Gatekeeping). Man muss sich doch nur mal anschauen wie viel Prozent der Berichterstattung sich nüchtern und thematisch mit dem Thema Integrationspolitik auseinandergesetzt haben und bei wie vielen Artikeln es um Konflikt, Personalfragen, Konsequenzen für den Bevölkerungszuspruch von Parteien oder das „Juden-Gen“ ging. Guter Journalismus ist für mich ein Wettstreit der Argumente. Wenn also solch ein Thema relevant wird (wie auch immer) dann geht es darum die Argumente die in der Debatte angeführt werden zu präsentieren, zu überprüfen und natürlich auch zu werten. Es sollte hierbei als um vielmehr gehen als: „Ich bin dafür oder dagegen“ (wofür oder dagegen eigentlich?) oder „man darf dies oder jenes nicht sagen“.
Mir wäre also eine Berichterstattung die umfassend, nüchtern und vor allem vielleicht auch, bei so einem komplexen Thema, ein Stück weit widersprüchlich ist am liebsten. Aber leider muss man wohl, bei der aktuellen Diskussion um Sarrazin, Jon Stewart recht geben der kürzlich sagte: „there is no BUT in journalism…“
@sebastianh Ja, sachliche Berichterstattung über die Erfolge und die möglich noch vorhandenen Defizite bspw. großstädtischer Integrationsbemühungen (man könnte auch Integrationspolitik sagen), führen bei Journalisten doch häufig nur zu einem müden Lächeln. Aussage eines Lokalredakteurs hier in Frankfurt (Zitat aus dem Kopf): „Ich mache doch keine Friede-Freude-Eierkuchen-Berichte…“. Die „Suppe“ ist uninteressant, das Haar darin der alles überlagernde Aufreger. Noch Fragen….?
machen Medien Politik?
Wovon wir der Kaffee süß – vom Zucker oder vom umrühren?
Interessant finde ich den Begriff „Öffentliche Meinung“. Ich habe seit geraumer Zeit den Eindruck, dass Journalisten allen Ernstes das meinen, was sie selbst in Zeitungen und Medien von sich geben. Das Ergebnis ist eine selbstreferentielle Endlosschleife, weil in Bezug auf die eigenen Ergüsse diskutiert, gefragt wird, was diese „Öffentliche Meinung“ für eine Bedeutung hat.
Als Leser und Zuschauer kann man da nur staunend zusehen, was einem als Teil der Öffentlichen Meinung so alles in den Mund gelegt wird, und was einen so angeblich alles bewegen soll.
Schöner Kommentar – was ist Qualitätsjournalismus, was ist eine Nachricht. Über den Hype nicht zu berichten wäre sicherlich Selbstzensur – „wer ist denn dieser Terri Jones, von dem alle schreiben?“ – aber ein so reflektierter Artikel über die Gier, bei alle Debatten dabeizusein, das selbe zu schreiben wie alle anderen sollte für Qualitätsjournalismus zum Alltag gehören. Stattdessen wird die notwendige Reflektion über das Medienschaffen einmal im Monat (wenn man Glück hat) auf der Medienseite versenkt. Ich würde mir von SZ, FAZ und Konsorten weniger Sensationsgier und mehr Einordnung wünschen – warum diese Umfrage, was sagt sie über die Frager aus, was verspricht sich die BILD von dieser Schlagzeile, warum wird gerade diese Sau durchs Dorf getrieben. Aber für die Entmystifizierung brauchen wir wohl auf lange Sicht weiterhin die Blogs!
Zu den Umfragen:
Ich habe mal auf aehnlich dumme Fragen antworten duerfen, bei einer Telefonumfrage.
Nach dem Motto: „Glauben Sie, dass Erneuerbare in absehbarer Zukunft den gesamten deutschen Energiebedarf decken koennen?“
Da haette ich mir wirklich die abschliessende Frage gewuenscht „Wie unbeantwortbar und suggestiv fanden Sie die bisher gestellten Fragen auf einer Skala von 1 bis 10?“
Kann man nicht sowas verpflichtend an alle Meinungsmacheumfragen hintenanhaengen? Dann unten einblenden wie bei Tabakwerbung?
Wenn hier schon von „den Medien“ geschrieben wird, die Nachfrage welche Medien in dieser Debatte denn positiv in Hinsicht auf Qualitätsjournalismus aufgefallen sind?
In meinen Augen hat „Die ZEIT“ mit einer Position der kritisch-reflektierten Distanz eine gute Figur gemacht und zumindest bei mir wieder an Reputation gewonnen.
Gibt es noch weitere positive Beispiele?
ich bin ja nur froh, dass journalisten offensichtlich immer noch selbst entscheiden, ob sie meinungsumfragen, texte eines provokateurs oder nachrichten über geplante verbrennungen religiöser texte veröffentlichen.
wenn ich das richtig verstehe, zielt niggemeiers argumentation darauf ab, dass journalisten sich gedanken machen sollten, ob das was sie veröffentlichen, reaktionen hervorruft. oder anders ausgedrückt: wenn ich als journalist eine nachricht interessant finde, muss ich mir vorher also immer gedanken machen, wer sie in welcher form aufnimmt und welche reaktion ich damit provozieren könnte.
meine antwort: nein! das werde ich auch in zukunft nicht tun. denn die leute, die dann mit terror oder anderem fehlverhalten aufwarten, machen sich die anlässe für ihren wahn sowieso selbst. da brauchen die mich gar nicht für.
im gegenzug würde mir ihr unzivilisiertes verhalten aufzwingen, meine meinungsfreiheit einzuschränken. ich bin nicht bereit, davon auch nur einen millimeter aufzugeben.
herrn sarazzin hätte ich allerdings keine plattform geboten. und zwar nicht, weil ich mir gedanken über die reaktionen der bevölkerung mache, sondern weil ich per se versuche schwachsinn auszufiltern.
und zum thema koranverbrennung: ich bin der meinung, dass man bücher lesen sollte, statt sie zu verbrennen. aber wenn irgendein fanatischer christ irgendwo bedrucktes papier in brennwert verwandelt, dann sollte das zivilisierten menschen am allerwertesten vorbei gehen. die aktion ist allenfalls ein kopfschütteln wert. die reaktionen auf die bloße ankündigung der aktion zeigen, dass in manchen islamischen ländern die verhältnismäßigkeit gehörig aus den fugen geraten ist.
Den Text von Herrn Niggemeier sollte jeder Journalist täglich vor der Arbeit gegenüber seinem Spiegelbild aufsagen.
Der Text steht für Ethik im Journalismus im 21. Jahrhundert.
Sehr guter Text!
at54
zum Thema Meinungsumfreagen:
http://www.phdcomics.com/comics.php?f=1271
Ich stimme dem Artikel insoweit zu, als wir tatsächlich eine Medienethik brauchen und das Verantwortungsbewusstsein der Medien hier zu wünschen übrig lässt.
Aber einige Aussagen und Kommentare hier finde ich doch recht merkwürdig: gibt die große Resonanz in der Diskussion den Medien bzw. Sarrazin nicht insofern Recht, als hier anscheinend tatsächlich ein wunder Punkt getroffen wurde? Sollen die Medien nicht/ nicht so über etwas berichten, was offensichtlich viele Menschen interessiert? Den Vorwurf, hier werde jemandem zu Unrecht „ein Forum“ geboten halte ich hier für unangebracht. Überall wird diskutiert, ob und wie man auf Sarrazin reagieren soll, aber hier wird anscheinend schon befürwortet ihn gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen.
Entspricht es nicht auch einer gewissen „Gerechtigkeit“ wenn nach altbekannten Meldungen über islamische Fanatiker mal über einen christlichen „Extremisten“ berichtet wird, durchaus auch verbunden mit der Meldung, dass namhafte Muslimführer zur maßvollen Reaktion aufrufen?
Mein Bild von den Medien sieht schon vor, dass sie kontroverse Themen thematisieren und das rezipierende Volk selbst entscheidet, ob es etwas für eine Nachricht oder ein typisches Sommerlochthema hält. So viel darf man dem Medienkonsument schon zumuten, Gatekeeperfunktion hin oder her.
Ist es außerdem nicht lobenswert, wenn zu einem kontroversen Thema jeder zu Wort kommen darf und das Thema von unterschiedlichen Standpunkten aus beleuchtet wird? Dient das nicht gerade dem Leser, sich ein eigenes Bild zu machen? Ich erwarte genau dies von den Medien, und nicht, dass sie nur „pro“ oder „contra“ (oder wegen ihrer eigenen Wertung gar nicht) berichten. Mit Heuchelei hat das nichts zu tun.
[…] Lesenswerter Beitrag von Medienjournalist Stefan Niggemeier über die unreflektierte Rolle, die Medien oft in ihrer Berichterstattung einnehmen: http://www.stefan-niggemeier.de/blog/die-medien-trifft-keine-schuld/ […]
Schade, dass dieser Artikel nicht das Vorwort von „Die Casting-Gesellschaft“ und vielen anderen Büchern ist.
Guten Tag!
Guter Beitrag Herr Niggemeier – wie so oft.
Mein kleines heddesheimblog thematisiert immer wie das Thema „Journalismus“, Subjektivität und Objektivität, die Rolle der verschiedenen Akteure, was Wahrheit ist, was Informationen bedeuten können.
Von rund 1.500 hier erschienenen Artikel erhalte ich 75 Treffer mit dem Suchwort Journalismus.
Immer wieder werde ich angefeindet, dass, was im heddesheimblog stehe, sei doch nur meine Meinung, während der Mannheimer Morgen…ja was, die Meinung des Mannheimer Morgen berichtet?
Die mangelnde Medienkompetenz ist der mangelnden Leistung eines Journalismus zu verdanken, der zwar häufig Transparenz fordert, diese aber eigentlich nie fördert. Schon gar nicht in bezug auf sich selbst.
http://heddesheimblog.de/?s=journalismus
Beste Grüße
Hardy Prothmann
P.S. Das heddesheimblog hat übrigens auch eine „Korrektur-Kategorie“ – darin gibt es bis heute 7 Artikel, die die Redaktion aus eigener Initiative als „korrigiert“ eingestuft hat.
Wunderbar geschriebener Artikel.
Wie Jon Stewart gestern zu sagen pflegte: „Squirrel!“ :)
http://www.thedailyshow.com/watch/mon-september-13-2010/islamophobiapalooza
Lieber Herr Prothmann,
dem Stefan Niggemeier auf die Schulter klopfen, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen, ist auch ne Idee.
;-)
@59, „Überall wird diskutiert, ob und wie man auf Sarrazin reagieren soll“
Das ja nun eben nicht. Hier geht es darum, dass das „wie“ bei nicht wenigen Journalisten gerne ausgeblendet wird.
Danke, sehr gut geschriebener Artikel.
@ olfinger
… wenn ich als journalist eine nachricht interessant finde, muss ich mir vorher also immer gedanken machen, wer sie in welcher form aufnimmt und welche reaktion ich damit provozieren könnte…
Genau, das ist Ihrer Aufgabe, die am Anfang Ihrer Arbeit stehen müsste. Wie finden Sie sonst die richtigen Worte; oder plappern Sie einfach immer drauf los? Das fände ich aber sehr unprofessionell. Mich würde mal interessieren, warum Sie nur davon ausgehen, dass alle Personen bei denen Reaktionen hervorgerufen werden sich ansonsten über irgend etwas anderes aufregen würden. Das sind nicht automatisch alles Irre. Menschen sind nun mal verletzlich und zu erzürnen. Sind Sie schon so weit weg von ihren Lesern/Zuschauern, dass Sie einfach diese nicht mehr für ernst nehmen? Oder sehen Sie ihre Arbeit als so unbedeutend an, dass sie eine Reflexion über diese für nicht nötig halten? Natürlich sagt man, dass Journalismus ein gefahrengeneigter Beruf ist. Das sollt jedoch nicht zu einer leck-mich am-Arsch führen, sondern vielmehr Sie dazu anspornen, ihren Bedenken auch Raum zu geben. Schon allein der Sorgfalt zuliebe.
Persönlich hoffe ich ja, dass es sich etabliert, dass Journalisten öffentliche Diskussion, die sie entfachen, auch persönlich bis zum Ende begleiten und moderieren müssen. Leserpost, Blogbeiträge, Telefonanrufe – mal alles einfach selber machen. Hierdurch wird nicht nur ein besseres Verhältnis zum Leser/Zuschauer aufgebaut, man bekommt so auch ein klareres Bild von den Auswirkungen des eigenen Handelns auf andere.
http://www.imdb.de/title/tt0379484/
hilft
…vielleicht.
Nach langer Zeit hierhergeklickt und eh nur mit flauschigen Tieren gerechnet und dann aber: Dieser Artikel! Der exastestens beschreibt, was an dieser Sarrazin- „Debatte“ so übel ist, dass man keinen einzigen Empörungsartikel darüber lesen will. Außer diesen halt.
[…] – Stefan Niggemeier beleuchtet die Rolle des Spiegels im Diskurs um Sarrazin und zeigt dabei die Weigerung vieler Medien, anzuerkennen, dass sie nicht unsichtbarer Beobachter sind, sondern dass ihre Berichterstattung den Diskurs formt – oder im Fall Sarrazin sogar erst ermöglicht. Ein absolut lesenswerter Artikel: Die Medien trifft keine Schuld […]
Wer anfängt Nachrichten danach zu selektieren, welche Konsequenzen sie haben und ob sie ihm erwünscht sind, der begeht Zensur. Er ist parteiisch und sollte sich fragen ob Journalist wirklich der richtige Beruf für ihn ist. Denn auch das bewusste Weglassen von Fakten & Wahrheiten ist ein Lüge zum Zwecke der Manipulation. Sicher muss gefiltert werden. Das darf aber nach idealistischen Maßstäben nur nach der Signifikanz einer Nachricht gehen.
Die Diskussion ist aber ohnehin ohne Wert, da dank Internets eine Steuerung durch Journalisten, die glauben sie wären klüger als ihre Leser Gott sei Dank nicht mehr oder doch recht eingeschränkt möglich ist.
Und ohnehin suchen sich die Leser „ihre“ Nachrichten. Der Mensch will sein Weltbild bestätigt sehen und so greift ein Linker eher zur taz oder Zeit als zur FAZ. Oder liest Niggemeier statt Broder. So ist das und wird es immer bleiben.
Zur Koranverbrennung: Es ist lächerlich die Berichterstattung zu kritisieren wenn man doch ein Teil davon ist. Das erinnert mich an den deutschen Zeitungs-Artikel nach dem Tod von Diana. Die Zeitung klagte über die britische Presse, die Nahaufnahmen vom Unfallort veröffentlichte und bildete sie selbst ab indem sie ein Foto von einer englischen Tageszeitung daneben setzte.
@Jens: Was ist die „Signifikanz“ der Nachricht, dass irgendein durchgeknallter Pastor in irgendeiner amerikanischen Stadt den Koran verbrennen will?
@Stefan Niggemeier
Er könnte einen neuen Trend in der Empörungsindustrie setzen. Auch Bibel und Koran Produzenten wollen informiert werden.
Zu der Frage ob diese konkrete Nachricht von Bedeutung ist habe ich mich überhaupt nicht geäussert. Meine Ausführungen waren allgemeiner Natur. Bevor man über die Berichterstattung über die Koranverbrennung kritisiert, sollte man vielleicht analysieren wie sie sich entwickelt hat. Manchmal ist es nicht zu verhindern, dass sich eine Nachricht von eher lokalem Charakter wie ein Flächenbrand ausbreitet.
Übrigens war das Ergebnis dieser Berichterstattung, dass sich der Präsident einschaltete und so das Ereignis verhindert wurde. Ist das jetzt so schändlich?
@72
„Übrigens war das Ergebnis dieser Berichterstattung, dass sich der Präsident einschaltete und so das Ereignis verhindert wurde. Ist das jetzt so schändlich?“
q.e.d.! Danke für die Selbstentlarvung…
Ich sprach vom Ergebnis aus der ex post und nicht aus der ex ante Betrachtung. Was sie dabei herauslesen (möchten), ist ihr Problem.
Übrigens sollten sie sich an ihre eigenen Grundsätze halten, lieber „preußischer Beamter“ (Selbstentlarvung).
@#72: das ist doch die Ironie an der Sache. Wenn die überregionalen Medien nicht darüber berichtet hätten, hätte sich niemand dafür interessiert, und zu einem Eingreifen des Präsidenten wäre es gar nicht gekommen. Vielleicht hätten die 50 Leute aus der Kirchengemeinde an dem Tag den Koran trotzdem verbrannt, aber wirklich mitbekommen hätte es keiner.
Wobei natürlich in diesem Fall erschwerend dazu kommt, dass die ganze Aktion offensichtlich als Provokation gedacht war, und der Herr Pfarrer die Öffentlichkeit bewusst gesucht hat.
Trotzdem stimmt es schon, die Medien schaffen sich ihre Realität selbst. Und das, worüber sie nicht berichten, existiert auch (fast) nicht. Das gilt zumindest für die großen Agenturen und die Leitmedien.
Bei der von Stefan in #70 angesprochenen Signifikanz sehe ich das Problem. Jede Redaktion hat ihre eigenen Kriterien, jedes Medium seine spezifische Zielgruppe. Schlussendlich wird sich immer jemand finden, der über ein bestimmtes Thema schreibt, oder einen Beitrag produziert, auch wenn sich 99,99% der restlichen Weltbevölkerung dafür nicht interessieren.
Und wenn es nur das örtliche Käseblatt, oder ein regionaler Blog ist.
Die Frage ist halt irgendwann, hievt ein überregionales Medium die Sache nach oben ? Und ich denke, da machen sich die Verantwortlichen keine Illusionen. Es ist immer eine bewusste Entscheidung, welches Thema man groß raus bringt, und welches nicht.
Ab dann greifen die Mechanismen der Branche. Wenn die Story erst mal groß raus gebracht ist, müssen die anderen Medien nachziehen. Geht ja nicht, dass man da nicht dabei ist. Quote und so.
Mein Fazit: ich denke, die Verantwortlichen sind sich der möglichen Folgen durchaus bewusst. Aber Journalismus ist eben auch ein Geschäft, und da geht’s um Marktanteile, um Werbebudgets, ums Geldverdienen. Dass Journalistem unter diesen Umständen in ihren Entscheidungen nicht immer ganz frei sind, sollte wirklich niemanden mehr wundern.
Alles andere sind Schutzbehauptungen, würde ich sagen.
Am auffälligsten ist das Leugnen der eigenen Macht im Sportteil. Dort geht es ja nicht ganz so ernsthaft zu wie im Politikteil und da ist man mit dem Hochjubeln und Runterschreiben noch viel schneller. Und wenn der Trainer dann erstmal weg ist, bejammert die Presse den „öffentlichen“ Druck. Zu dem man aber selber jede Menge beigetragen hat.
Leider ist das Problem nicht lösbar. Der Hypemechanismus bringt Leser und am Ende leben ganze Industrien davon, aus jedem Mist etwas Supertolles oder ein Drama zu machen (nicht nur die Journalisten, sondern auch Sport, Musik, Mode …).
Übrigens haben die Journalisten in bestimmten Bereich durchaus Respekt vor ihrer Macht. Wenn es z.B. einen Bankrun gibt, wird fast nue darüber berichtet. Zu groß ist die Gefahr, dass danach erst recht alle zur Bank rennen und die Bank in wenigen Stunden illiquide wird und zusammenbricht. Es kann jetzt aber auch gut sein, dass der Journalist auch einfach nur Angst vor der (wohl existenzvernichtenden) Schadensersatzklage hat …
„…Schreiben die Medien so viel, weil das Volk so stark reagiert, oder umgekehrt?…“
Umgekehrt. Eindeutig.
Früher wurde berichtet, wenn etwas passiert war. Heute wird berichtet, bis etwas passiert.
@78:
ZU pauschal. Deshalb nur ein jain! Aber es trifft sicher zu oft zu!
Guten Tag!
@64 Nehmens Sie es als Schulterklopfen. Wir nehmen unsere LeserInnen ernst und lieben den Job.
Was hier debattiert wird, ist bei uns Haltung im journalistischen Alltag. Die hat die „Konkurrenz“ (nicht nur) in unserem Raum weitgehend verloren.
Ich fand es übrigens gut, dass Sarrazin sein Buch veröffentlich hat. Wer wissen will, warum, liest das hier:
http://prothmann.posterous.com/27342072
Beste Grüße
Hardy Prothmann
Könnte es daran liegen, dass der Spiegel, wenn auch nur indirekt, zu Bertelsmann gehört und Sarrazins Buch bei der DVA erschien, welche die FAZIT-Stiftung vor ein paar Jahren an Bertelsmann verkaufte? Auch Herr Schirrmacher läßt seine Bücher bei Betrelsmann verlegen. Letztlich wird es sich kein Journalist mit den Bertelsmännern verscherzen wollen, schon weil einer der Chefs mit deren Chefs „befreundet“ sein könnte. Gedruckt wird doch schon lange nur noch, was nützt.
@Fred Katz
Gedruckt wird doch schon lange nur noch, was nützt.
Ich würde da mal die Verschwörungstheorie im Dorf lassen. Gedruckt wird das, was sich verkauft. Und ein bißchen Theoriefindung mit Skandalpotential, gepaart mit dumpfen Vorurteilen und einer Prise latentem Rassismus verkauft sich. Und das gilt nicht nur fürs Buch an sich, sondern für die Berichterstattung darüber. Da muss man kein Marketingexperte sein.
Oh man Stefan, du sprichst mir aus der Seele.
Diese „Doppelrolle“ von SPON ist übrigens so eine Sache die häufiger vorkommt. Erinnert sich noch jemand an die hysterische Berichterstattung zur Schweinegrippe, wo jeden Tag vor dem Ende der Welt gewarnt wurde – und geraume Zeit später arbeitete man das ganze dann noch mal „kritisch“ auf bzw. sich an der WHO ab. Schließlich war die Schuld und nicht die eigene klickheischende Berichterstattung.
@Linus
Und wer schafft die Nachfrage?
Und bei der Gelegenheit: Wie kommte es, dass die Forenbeiträge hier eher gemäßigt bis humurvoll/lustig sind, bei FAZ.net dagegen in richtung einer Zeitung gehen, die fälschlicherweise immer für links gehalten wird? Auch Forenbeiträge schaffen Nachfrage!
Stimme dem vollkommen zu. Hinzufügen möchte ich, dass mit der Technik des Webs auch die Leser Verantwortung trifft.
Jedes mal, wenn wir einen Artikel über einen völlig irrelevanten Pastor anklicken, jedes mal, wenn wir darauf verlinken, einen Forums-Kommentar (und sei es ein brillanter) dazu abgeben, erhalten Medien wie SpOn damit ihre Klicks – und sind motiviert, weitere unnötige Verhetzungs- und Verdummungsartikel online zu stellen. Diese jedoch unwidersprochen stehen zu lassen, ist auch nicht leicht.
Schwer, dieser radikalen Ökonomisierung des Affekts zu entkommen; wir stecken eindeutig in der Populismusfalle.
@85, Herr B:
Populismusfalle. Toll. Früher hatten Fallen Zacken und schlugen sich ins Bein. Oder sie hängten einen kopfüber auf. Da finde ich eine Populismusfalle vergleichsweise kuschelig. Ich suche jetzt mal eine und löse sie mal aus. Oder ist das hier schon eine Falle…? Die Welt ist schlecht.
Grundsätzlich: Ich nehme übrigens kein Medium richtig ernst, das mich ständig durch Galerien klicken lässt. Für Bilder und sogar für Texte. Da fühle ich mich genervt und als Werbetreibender würde ich mir mit dieser Klicktreiberei übervorteilt vorkommen.
Der SPIEGEL aka „BILD am Montag“ ist ein Boulveardmedium. Was will man von einem Boulevardmedium anderes erwarten als Heuchelei? Und was will man von den Redakteuren eines Boulevardmediums anderes erwarten als selbstgerechte Borniertheit?
88. Christian:
Und was kann man von solchen „vernagelten“ Kommentaren erwarten? Nichts!
@ JO, 65
das könnte ihnen so passen, dass es meine aufgabe sei, mir ständig über befindlichkeiten eventueller rezipienten gedanken zu machen. automatisch flöge also jedes kontroverse thema aus dem programm. es könnte sich ja irgendjemand auf den schlipps getreten fühlen. und natürlich dürfen journalisten niemandem auf den schlipps treten. wo kämen wir denn da hin.
seltsamer weise findet sich aber für jede noch so krude these, für jeden schwachsinn irgendein befürworter. selbst dafür, dass die erde eine scheibe ist. nun könnte ich in vorauseilendem gehorsam natürlich darauf verzichten, zu erwähnen, dass die erde ein annähernd runder planet ist. man will ja keinem bibeltreuen chreationisten zu nahe treten und womöglich seine gefühle verletzen. nachher läuft der noch amok. und ich bin dann schuld.
selbstverständlich sollte ich mir auch einen kommentar über den neuen haushalt der regierung merkel verkneifen. es gibt ja jede menge cdu-wähler, denen das unangenehm sein könnte. oder auch spd-wähler, die meinen, der kommentator fände nicht den richtigen ton.
die überschwägnlichen kommentare hier jedenfalls lassen mir die hutschnur hochgehen. herr niggemeier mahnt alle journalisten dieser welt, doch bitteschön nur das zu berichten, was hinterher keine wirkung erzielt.
dazu eins meiner lieblingszitate kurt tucholskys:
„Im übrigen gilt ja hier derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“
wenn es ihnen denn so wenig passt, was die medien berichten, dann wählen sie doch den für sie einfachsten weg:
nicht mehr lesen, nicht mehr hören, nicht mehr gucken.
am berichten werden wir uns jedenfalls nicht hindern lassen.
ach und bevors auf die formale, statt auf die inhaltliche ebene geht: die hutschnur würde mir doch eher platzen, als hochgehen.
@ 83 cmi:
ein paradebeispiel dafür, dass der mensch vor allem das wahrnimmt, was er gerne wahrnehmen möchte. und genau da liegt stefan niggemeier dann entweder daneben, oder aber er wird hier von vielen missverstanden.
spon hat regelmäßig über die schweinegrippe berichtet und sich dabei auf experten berufen. aber spon hat auch schon frühzeitig zweifelnde stimmen zu wort kommen lassen. so zum beispiel im april 2009:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,621905,00.html
nach ihrer interpretation von niggemeiers text haben hier wahrscheinlich auch die beiden leitmedien bild und spiegel dafür gesorgt, dass unmengen von impfdosen gekauft wurden. die hysterie wurde nach ihrer these durch diese beiden medien verursacht – und daraufhin hat die politik panisch gekauft.
ich denke, dass die kollegen bei spiegel und bild sich freuen würden, wenn sie solch eine macht hätten. tatsächlich werden sie über diese dikussion kräftig schmunzeln.
denn die eigentlichen verursacher der hysterie sitzen ganz woanders. und das kann ich aus eigener erfahrung sagen, denn ich habe mich innerhalb meiner berichterstattung für das öffentlichrechtliche fernsehen sehr darum bemüht, ernstzunehmende kritiker zu recherchieren. aber finden sie die mal, wenn das robert-koch-institut (meiner ansicht nach neben der pharmalobby der hauptschuldige) nicht müde wird, zu postulieren, dass mindestens die hälfte der bundesbürger geimpft werden muss, weil wir sonst alle ausgerottet werden.
wieso blieb das robert-koch-institut auch nach sehr milden krankheitsverläufen bei seiner einschätzung der gefahr? wieso haben die gesundheitsämter aller bundeländer dringendst zur impfung geraten?
alles verursacht durch bild und spiegel.
ich habe damals einen film über zwei erkrankte und deren verlauf gemacht. beide sagten, dass sie die hysterie nicht verstünden. drei tage ein bisschen fieber und halsschmerzen. das wars.
und das war frühzeitig abzusehen.
trotzdem blieb das robert-koch-institut bei seiner darstellung. da, und fast nur da lag die grundlage der politischen entscheidung.
aber bleiben sie ruhig bei ihrer verschwörungstheorie, dass journalisten die politik bestimmen.
mann, mann, mann. kindergarten hier!
@olfinger: Persönliche Zwischenfrage: Machen Sie die Erfahrung, dass Menschen gerne mit Ihnen diskutieren?
mal so, mal so.
aber manche kommentare hier verleiten mich dazu, mich zu echaufieren. das hängt wohl damit zusammen, dass ihre regelmäßige leserschaft mir mehr und mehr wie eine jüngerschaft vorkommt. meist sind ihre vorlagen ja durchdachter, als das, was die kommentatoren draus machen.
@olfinger:
ich will mich jetzt nicht soweit aus dem fenster lehnen und sagen: sie haben unrecht. denn ja, mir geht SPON auf den zeiger und das mag seinen teil dazu beitragen, dass ich eben das wahrnehme, was ich gern wahrnehmen möchte.
ich nehme SPON seit geraumer zeit (genau eingrenzen kann ich es nicht, irgendwo zwischen 2 und 3 jahren) nur noch als hyperventilierendes aufregerproduzierendes boulevardmagazin wahr, welches ich noch dazu nutze, die startseite zu überfliegen und bei dem ich hin und wieder den fehler mache, einen artikel zu lesen. manchmal geht das gut, manchmal ärgere ich mich hinterher wieder darüber und ich ärgere mich, das ich mich darüber ärgere ;)
mag auch sein, dass sich zwischen den „aufregern“ auch hin und wieder gute berichte verbergen, ich nehme sie aber eben nur begrenzt wahr.
zum thema schweinegrippe: ich bin voll mit ihnen einer meinung, dass die aufregung nicht nur von SPON angeheizt wurde. wenn sie das aus meinem kommentar herauslesen: sorry, aber da sollten sie sich tatsächlich etwas abregen. wer nun aber die ursache dafür war, darüber lässt sich trefflich streiten – und zwar ohne ergebnis. massenmedien (vor allem) wie SPON wirken als katalysatoren, das sollte nichts neues sein. ihnen hier jede macht abzusprechen, würde ich nicht unterschreiben. wieviel „kleinere“ medien nehmen denn bild oder spiegel als quellen für ihre artikel? was SPON schreibt, darüber müssen wir auch schreiben. und das rad dreht sich weiter.
das SPON auch kritische berichte brachte bestreite ich nicht, aber auch hier gilt: es ist ein thema was wochenlang aufgekocht wird und einfach fad schmeckt, da es im endeffekt nur um klicks, klicks, klicks geht. das lässt sich auch gut bei der hysterie um neue appleprodukte nachvollziehen. da kommen auch kritische berichte (mal über steve jobs, mal über apple als firma, mal über nachteile vom neuen produkt x) – aber die dienen quasi nur als „streckmittel“. das ist zumindest meine wahrnehmung.
wie gesagt: mich stört dieses hyperventilieren, diese permanente aufregung (über irgendwas), dieses „nie zur ruhe kommen“. und das ist eine abneigung, die ich durchaus auch ohne die arbeit von stefan niggemeier (oder auch anderen medienjournalisten) haben empfinden kann bzw. darf.
@76 Dass „die Medien“ mit der Berichterstattung beabsichtigt haben, dass das Ereignis nicht stattfindet ist eine Unterstellung, die ich so pauschal bezweifle. Ich behaupte sogar, daß es unter den Berichterstattern jede Menge Menschen gegeben haben wird, die nur allzu gerne die Verbrennung in unsere Wohnzimmer übertragen hätten.
Übrigens – und da sind uns die USA in Sachen Meinungsfreiheit meilenweit voraus – hat niemend einen Rücktritt des Pastors gefordert, sondern es wurde nur um die Sache als solche gestritten. Soweit sind wir in Deutschland noch lange nicht, wie man am Fall Sarrazin sieht.
Was mich an diesem Artikel stört ist die Tatsache, daß er die bedenkliche Entwicklung Kommentar und Berichterstattung zu vermengen in seiner Funktion unterstützt. Das Medium soll nach Niggemeier nicht mehr Meinungen transportieren, sondern eine eigene Meinung machen – und verabschiedet sich so vom Begriff des Mediums. Das ist mittlerweile sowieso Realität. Das Widersprüchliche daran ist jedoch, dass sobald ein Medium eine Meinung macht, die Herrn Niggemeier nicht paßt, er diese Vermengung als Polemik, Hetze oder einseitige Berichterstattung diffamiert. Das ist aber verlogen. Wenn ich am Ende nur noch Meinungsmache akzeptiere, die in mein Weltbild paßt, dann habe ich mich vom Grundsatz der Meinungsfreiheit verabschiedet. Man muss sich für ein „entweder oder“ entscheiden. Aber ein „ich darf das und andere nicht“ oder ein „das Prinzip ist nur ok, wenn es meinen Zielen dient“ ist inakzeptabel.
@Jens: Das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.
@ Stefan Niggemeier:Hier ist so vieles falsch. Ich pendel immer zwischen Entsetzen und Neugier. Wende mich ab und muss dann doch wieder mal hier klicken und sogar kommentieren. Dieses Verbissene, dieses Absolutistische, dieses ideologisch überhöhte Ablehnen oder Zustimmen, das in der Sache oftmals „nur ideologisch“, im Stil zu oft schlecht Vorgetragene, würde mich, stünde mein Name über dem Blog, rasend machen. Es sind immer die selben Akteure, die unbeweglich bis zur Leichenstarre, die identischen Positionen zu allen von Ihnen angebotenen Themen vortragen. Ich darf das jetzt auch nicht öfter schreiben, sonst bin ich schneller in dem System, als es mir lieb ist.
@96: hm, soweit ich den Artikel verstanden habe, ging es Stefan lediglich darum, die Medien darauf hin zu weisen, dass ihre Berichterstattung Folgen hat, und dass sie sich von diesen Folgen ihrer Berichterstattung nicht einfach so distanzieren können, nach dem Motto, „wir haben ja bloss berichtet, für die Folgen können wir nix“.
Und im vorliegenden Fall ist es doch offensichtlich, dass die Medien eine Geschichte, die sonst allenfalls auf lokaler Ebene bekannt geworden wäre, bewusst auf die nationale und internationale Bühne gehoben haben. Ist in dem weiter oben verlinkten Artikel der NY Times gut beschrieben.
Die Medien haben eine Rolle in diesem Spiel, und daher auch eine Verantwortung.
Ich bin „gespannt“, was als nächstes kommt.
Leute wie Herr Jones begnügen sich ja in der Regel nicht mit ihren 15 Minuten Ruhm.
Und die Medien wissen jetzt, dass Herr Jones gut für Auflage und Einschaltquote ist.
Mal raten:
– er bekommt eine eigene Sendung bei Fox.
– er sprengt sich auf dem Bauplatz der Moschee in der Nähe von Ground Zero in die Luft.
– er konvertiert, wird Muslim und salafistischer Prediger.
Ich fürchte meine Fantaise reicht nicht aus, um mir vorzustellen, was in einem Geist wie Herr Jones so rumspuckt.
Aber eines halte ich für sehr wahrscheinlich – wir werden noch einiges von Herrn Jones über die Medien mitgeteilt bekommen.
@ 98: wahre worte.
@ Jörg Kremer: Wenn Sie im Alleinbesitz der Wahrheit sind und Ihnen die Kommentare hier nicht passen, ja mei, dann gehen Sie halt woanders hin. BILD, SPIEGEL, FOCUS, GALA – irgendwas halt, das Ihnen besser entspricht.
@christian: Sie raten mir, was ich selbst schon schrieb. Sie dürfen jetzt nicht mit großer Dankbarkeit rechnen.
@98 Nun ja, die einzelnen Kommentatoren sind nun mal so wie sie sind, eben wie normale Menschen; mit all ihrem kleinen oder grpßen Wissen und Erfahrungen und natürlich auch ihren Meinungen. Einige Ausreißer gibt’s dann auch mal, Herr Niggemeier weiß sich aber gut dagegen zu wehren, siehe z.B. @ 93 und @ 97.
Sollen die Kommentatoren bei jedem Niggemeier-Eintrag ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihre Meinung wechseln, damit Sie zufrieden sind? Doch wohl kaum.
Hab gerade mal auf Ihrer Website nachgeschaut. Ah ja. Der pöse Don würde Sie „Reklamefuzzi“ nennen.
@102:
Herr Kremer hat ja nicht ganz Unrecht. Und ich meine das sogar mit einem Anflug von Selbstkritik.
@105: Dieses „mal inne halten“, mal den Standpunkt prüfen und nicht nur darum zu kämpfen, das meine ich. Argumente mal abzuwiegen und zu wägen, nicht den Verlust eines Wortkampfes als Niederlage, sondern als Erweiterung zu empfinden. Das hat was. Danke Theo.
@jeeves: Reklamefuzzi zu sein ist ein Traumberuf! Daran ändert Ihre Bezeichnung nichts.
@jeeves: Es gehört auch zu einer guten Diskussion, dass man sich vorstellt. Denn der Background hinter Worten und Argumenten ist nicht immer ganz unwichtig. Für das Verständnis und die Einordnung. Diese Chance habe ich Ihnen gegeben. Fuzzis sind so!
Auch wenn ich das konkrete Beispiel nicht mittrage (es ist natürlich von Interesse, wie beliebt ein Politiker oder eine Partei in der Bevölkerung ist und ich bin mir auch sicher, dass die Nutzer zwischen Beliebtheit und politischer Arbeit unterscheiden können), so zeigt dieser Beitrag nur das in Ansätzen, was in den USA schon durchgezogen ist:
Die Meinungsmacher lassen eine Umfrage erstellen, fragen dann einen Politiker, warum er so schwer an Beliebtheit eingebüsst hat und danach fragen sie dann nochmal die Nutzer, wie sich das Interview auf die Beliebtheit des Politikers auswirkt.
Und die Leute mögen das, lesen gerne die Zeitung oder gucken den Kanal, der ihre eigene Meinung vermeintlich mit Fakten hinterlegt. Gegenläufiges gibt es nicht, denn kommt ja nicht vor.
Was hat das Ganze jetzt mit der Frage „Berichten oder nicht berichten?“ zu tun? Wer Medien nach diesem Gut-Böse-Muster konsumiert und betreibt, dem kann man doch gar nichts besseres als Bücherverbrennungen und einseitige Umfragen schenken. Das Pro-Lager faselt „Wir haben es ja immer schon gewusst, nur auf uns hört ja keiner.“ und „Musste es erst soweit kommen?“, das Contra-Lager schreit „Skandal!“ und „Eure Zahlen sind aus der Luft gegriffen und wir können es auch beweisen.“, solange, bis eine fettere Sau gefunden wird.
Der Nutzer muss zunehmend den Job übernehmen, Fakten zu analysieren und Nachrichten auf ihren Wahrheitsgehalt und Aussagekraft hin zu prüfen. Oder aber er lässt sich auf eine Seite ziehen und genießt den Widerhall. Wofür sich die meisten entscheiden, kann man ganz schön an den Zuschauerzahlen für MSNBC, Fox News und CNN ablesen.
Vielleicht sehe ich das zu einfach, aber wenn ich mitten auf der Kölner Domplatte auf einen mir unbekannten Mann zeige und „Das ist ein Kinderschänder!“ schreie, bin ich mit verantwortlich, wenn dieser arme Kerl von ein paar Hirnamputierten verprügelt wird. Mit „aber es muss doch niemand ernst nehmen, was irgendeine Frau ruft“ käme ich wohl kaum davon.
Und das selbe macht ein Journalist. Nur dass er auf Grund des Mediums und seines Berufes als noch viel seriöser gilt (!) als ich Normalo.
Aber wir können das ja gerne mal austesten: wer wirklich meint, Journalisten hätten überhaupt keine Verantwortung, kommt einfach mal mit mir auf die Domplatte… ^^
Ich glaube aber tatsächlich auch noch daran, dass viele Journalisten sich ihrer Verantwortung bewusst sind und einen guten Job machen wollen.
Nachtrag: müssten Journalisten, die die Folgen ihrer Arbeit leugnen oder abschwächen, dann nicht auch auf den Pulitzer-Preis verzichten, wenn er ihnen angeboten würde? Wo doch ihre Arbeit keine Folgen habe…
Aber ich wette, da würde man schnell umdenken.
[…] Die Medien trifft keine Schuld – Stefan Niggemeier über die gestörte Selbstwahrnehmung vieler Medienmacher […]
Genau dieselben Gedanken hatte ich vor etwa zwei Monaten nach dem Unglück bei der Loveparade. Die Medien haben (zurecht) jeden angeprangert, der sich weggeduckt hat, aber ihre eigene Rolle im Vorfeld vergessen. Schließlich waren sie es, die durch Häme gegen Bochum die Verantwortlichen in der Stadt unter Druck gesetzt haben. Wie hätten sie wohl reagiert, wenn die Loveparade auch in Duisburg aus Sicherheitsgründen abgesagt worden wäre?
Welche Wirkung Medien haben, hängt sehr davon ab, wie der Höhrer sie wahrnimmt. Wenn die Medien Einfluss haben auf unser Bild von dem was in der Welt passiert, dann hat das nix mit Gedankenkontrolle zu tun. Sondern WIR sind Diejenigen, die sich entscheiden, was wir glauben wollen und was nicht. Hysterische Berichterstattung hat nur Wirkung, wenn es Leute gibt, die diese Hysterie konsumieren.
Das ist wie mit dem Geld in unseren Taschen, das Papier wäre nix mehr wert, wenn wir nicht glauben würden, es hätte einen Wert.
In Deutschland wird immer gerne so getan, als sei man Opfer der Situation und hätte gar keine andere Wahl. Wir werden offenbar nur noch gelebt, wir leben gar nicht mehr selber! Genauso ist das mit den Medien: Wir entscheiden, was wir sehen & hören wollen und was wir davon glauben. Und wenn wir sagen, wir schauen uns diese Hysterie nicht länger an, dann machen die Medien vielleicht auch mal wieder vernünftige Nachrichten…
Das ist wie am freien Markt, die Nachfrage bestimmt das Angebot. Ich sehe das glaube ich ganz ähnlich wie >>VonFernSeher<<, der hier irgendwo geantwortet hatte :)
Zum Schluss noch ein Zitat, wo es mir gerade einfällt:
"Die Wahrheit ist nicht, was A sagt, sondern was B versteht."
Paul Watzlawick
(Psychotherapeut, Philosoph, Autor)
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