Monat: Dezember 2008

Böse Bescherung bei „Big Brother“

RTL 2 hat sich nach Informationen des Medienmagazins DWDL.de von seinem Programmdirektor Axel Kühn getrennt, und Schuld sein sollen nicht zuletzt die schlechten Quoten von „Big Brother“. Ein großes Rätselraten herrsche im Sender und bei der neuerdings von Ex-9Live-Chef Marcus Wolter geführten Produktionsfirma Endemol, woran das liegen mag, dass die jungen Menschen die tägliche Container-Show plötzlich verschmähen. Dabei sind die Kandidaten extra schon in Dezember für ein Dreivierteljahr in den Container gezogen. „Weihnachten und Silvester im Haus – fern ab von den lieben Verwandten und Bekannten“, hatte Kühn zuvor gesagt, „das ist einfach spannend.“

Nun. Dann schauen wir uns das doch mal an.

Heiligabend im „Big Brother“-Haus. Der Morgen beginnt für viele mit einem Kater. Besonders für Madeleine, die großes Interesse an Daniel hat, der sein Interesse für sie am Abend vorher aber in folgende Worte kleidete:

„Es ist so, dass ich die schönen Sachen an dir sehe. Aber es ist auch so, dass es halt einige Sachen gibt, die nicht mit dem übereinkommen, was ich in einer Partnerin finden möchte.“

Er meint wohl ihr Aussehen.

Die 29-jährige Desi taucht als neue Mitbewohnerin auf. „Schließlich muss ja nicht immer nur Weihnachten vor der Tür stehen“, sagt der Sprecher aus dem Off. Wir werden noch viel von ihm hören.

Alle stellen sich Desi vor. Bussi.

Desiree bekommt das Haus gezeigt, das erneut in einen reichen und einen armen Bereich geteilt ist, die sich diesmal aber „Himmel“ und „Hölle“ nennen, was natürlich ganz etwas anderes ist. Die Leute in der Hölle müssen zum Beispiel auch den Müll der Himmelsbewohner trennen und ihre Wäsche waschen.

Jana erklärt Desi, was blöd ist an der Hölle: das Duschen im Freien:

„Wenn es windig ist, ist blöd, dann stehste nicht mehr unter dem Strahl. Aber das draußen Schlafen ist obercool. Wir haben viel bessere Luft als die da oben.“

Die Frauen sind sich einig, dass das Schlimmste an der Hölle ist, dass man in einer Art Sträflings-Einheitskleidungherumlaufen muss. „Du kannst Dich gar nicht identifizieren“, sagt Madeleine. Desi stellt fest, dass es schwierig ist, ohne eigene Sachen, zu zeigen, ob man Tussi ist, Schickimicki oder eher so locker.

Noch ein neuer Bewohner zieht ein: Oliver. Alle stellen sich vor. Bussi.

Die anderen Himmelsbewohner müssen entscheiden, wer von den beiden Neuen in die Hölle muss. Weil es vier Männer und nur zwei Frauen sind, entscheiden sie sich für Desiree. Hey, nur deswegen, echt.

Oliver muss in die erste Etage gehen, sich dort ausziehen und gelangt durch eine Rutsche wieder ins Erdgeschoss – aber auf die Höllenseite.


Weihnachtsmann. Screenshot: RTL 2

„Besuch ist eingetroffen“, erzählt der Sprecher. „Ho-ho-hoher Besuch, denn kein geringerer als der Weihnachtsmann höchstpersönlich gibt sich die Ehre.“ Tatsache: Ein trauriger alter Mann mit Bart steht da. Er sagt unbewegt:

„Das Leben hält immer Überraschungen bereit. Und was eben noch dunkel und ausweglos erschien, dreht sich vielleicht im nächsten Moment. Heute feiert ihr den Heiligen Abend, wie ihr ihn noch nie gefeiert habt. Und nicht nur ihr feiert ihn anders, sondern eure Leute zuhause auch. Mit einer, einer Sicherheit könnt ihr natürlich hier bleiben: Sie denken an euch. Sie denken an euch.“

Seine Ansprache treibt mehreren Kandidaten die Tränen in die Augen, vielleicht aber nur aus Rührung.

Nur die Himmelsbewohner bekommen nun je ein Päckchen und persönliche Worte:

„Orhan, du bist impulsiv, hast sehr viel Energie, und manchmal weißt du gar nicht, wohin damit.“

„Sascha, ich weiß, dein Humor ist sehr speziell. Und du magst es manchmal, unbequem zu sein. Du bist du, konsequent und willensstark. Und das ist gut so.“

Bevor er geht, schlägt der Weihnachtsmann den leer ausgegangenen Höllenbewohnern vor, sich „mit dem kleinen Wörtchen Danke“ zu beschenken.

Endlich Bescherung. Zwei Wochen sind die Bewohner von zuhause weg, aber schon ein Bild der Liebsten reicht, dass sie völlig die Fassung verlieren. Einer nach dem anderen heult Schnotten und Rotz. Die anderen heulen aus Solidarität mit.

Sascha hat eine große Fahne bekommen:

„Super-Geschenk. Viele Leute haben unterschrieben. Hier haben viele Leute unterschrieben, die ich teilweise einmal im Jahr sehe oder bis jetzt auch nur einmal gesehen habe.“

Vermutlich hätte man ihm eine noch größere Freude gemacht, wenn noch Leute unterschrieben hätten, die er noch nie getroffen hat.


Cathy, aufgelöst, mit Geschenk. Screenshot: RTL 2

Cathy wird von „Big Brother“ vor die Wahl gestellt, ob sie ihre Geschenke von zuhause haben will oder stattdessen ihr Herzblatt Beni aus der Hölle zu sich holen. Cathy entscheidet sich für ihn. Beni sagt, sie darf das nicht tun. Cathy entscheidet sich für die Geschenke. Sie heult. Sie bekommt ein Foto von ihrer Schwester. „Sie was das wunderschönste Baby, das ich je gesehen habe“, erklärt Cathy den anderen fassungslos. „Ja, danke. Ich liebe euch. Und vermisse euch ganz doll. Frohe Weihnachten.“

Der Tisch ist festlich gedeckt für das Weihnachtsessen. Aber nur für die Bewohner des Himmels. Großer Aufruhr. Die Himmelsbewohner beschließen, wenn die anderen nichts kriegen, auch nichts zu essen. Das sind zwar eigentlich die Spielregeln, aber jetzt ist Weihnachten. Und Weihnachten ist, wie Madeleine sagt, „ein anderer Tag“.

Der Sprecher stabreimt etwas vom „Bankett-Boykott“ und „festlichem Fasten“:

„Mit den Herzen sind die Himmels-Bewohner ganz nah bei ihren höllischen Nachbarn; mit dem Magen… naja. (…) Lieber ein gutes Gewissen als ein festlicher Bissen. (…) Stullen-Nacht statt Stiller Nacht?“

Immerhin hat der Weihnachtsmann den Sascha glücklich gemacht.

„Die ersten Worte, wo alle gelacht haben, ob sie meinen Humor verstehen oder nicht: So bin ich, so bin ich auch draußen. Aber als er meinte, weisse was: Du bist dir treu. Was schöneres… klar: Brief wichtig, Fahne wichtig, aber dass du dir selber treu bist, das hat sonst keiner gehört. Weisse? Dieses Ding ist für mich das wichtigste, weisse?“

Es gibt dann noch ein paar Diskussionen, ob man sich nur normal küssen lassen muss, wenn man unter dem Mistelzweig durchgeht, oder auch mit Zunge, und dann ist Heiligabend vorbei im „Big Brother“-Haus. Am nächsten Tag wird „Big Brother“ die Grenzen zwischen den Bereichen aufheben, das gibt ein großes Hallo.

Komisch, dass das keiner sehen wollte.

Die Medien sind für mehr getötete Kinder

Gestern morgen gab die Nachrichtenagentur ddp eine alarmierend klingende Pressemitteilung heraus:

Kriminalistenverband: Deutlich mehr gewaltsam getötete Kinder

Berlin (ddp). Die Zahl der durch Gewalt und Vernachlässigung getöteten Babys und Kleinkinder ist polizeilichen Erhebungen zufolge in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt deutlich gestiegen. Wie der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) unter Berufung auf die Polizeistatistik berichtet, kamen im vergangenen Jahr 173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren gewaltsam ums Leben. In 20 Fällen gingen die Ermittler im Jahr 2007 von Mord aus, in 91 Fällen von Totschlag und in 62 von fahrlässiger Tötung, sagte der stellvertretende BDK-Bundesvorsitzende Bernd Carstensen der Nachrichtenagentur ddp in Berlin. Vor zehn Jahren waren Schätzungen des Kinderhilfswerks UNICEF von bundesweit rund 100 gewaltsam gestorbenen kleinen Kindern jährlich ausgegangen. (…)

Angesichts dieser Zahlen sprach sich der Kriminalistenverband für Veränderungen beim Datenschutz im Interesse des Kinderschutzes aus. (…)

Außer dem vagen Vergleich mit irgendwelchen älteren Unicef-Schätzungen findet sich in der ganzen Meldung kein Beleg dafür, dass die Zahl gewaltsam getöteter Kinder deutlich gestiegen sei. Die Behauptung widerspricht zudem den von Kriminologen seit Jahren geäußerten Hinweisen, dass die Zahl der Gewaltdelikte gegen Kinder in Deutschland — anders, als es die Berichterstattung der Medien glauben macht — nicht zu-, sondern abnimmt. Erst am Samstag hatte die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen gemeldet: „Trotz zahlreicher aufsehenerregender Fälle in diesem Jahr ist die Zahl der Kindstötungen in Deutschland nach Einschätzung von Forschern stabil.“

Gründe genug, gegenüber der Meldung skeptisch zu sein.

Sollte man denken.

„Zeit Online“ übernahm die Meldung wie gewohnt vom „Tagesspiegel“, der sie ebenso wie der „Kölner Stadtanzeiger“ unbesehen von ddp übernommen hatte. „RP-Online“ deklarierte die Meldung („Wöchentlich sterben drei Kinder gewaltsam“) wie üblich zum Eigenbericht um. Die „Welt“ machte aus der „deutlichen“ Zunahme gleich eine „dramatische“ (und fügte reflexartig hinzu, die Dunkelziffer sei vermutlich „noch viel höher“ — was auch sonst). Und das „Panorama“-Ressort von „Spiegel Online“ unterbrach sogar seine Krisenberichterstattung und meldete:

Zahl gewaltsam getöteter Kinder steigt

173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren kamen 2007 in Deutschland gewaltsam ums Leben. Experten warnen, dass die Zahl der Kinder, die durch Vernachlässigung und Gewalt sterben, stetig steige — und fordern Veränderungen beim Datenschutz. (…)

Sie alle sind der PR und dem politischen Kalkül des Bundes Deutscher Kriminalbeamter auf den Leim gegangen. Denn die Angaben, wie sie ahnungslos von ddp verbreitet werden, sind doppelt falsch. Der BDK gibt nicht die Zahl der getöteten Kinder an, sondern zählt auch die versuchten, aber vereitelten Fälle hinzu. Das tut er aber nur bei den Zahlen von 2007 — nicht denen von vor zehn Jahren. Kein Wunder, dass sich so eine Zunahme ergibt.

Man muss aber ohnehin nicht auf irgendwelche Schätzungen zurückgreifen, um die Entwicklung nachzuvollziehen. Die konkreten Zahlen werden jedes Jahr in der Polizeistatistik des Bundeskriminalamtes veröffentlicht. Sie stehen in Tabelle 91 [pdf], „Aufgliederung der Opfer nach Alter und Geschlecht“:

Ja, das wird den Berichterstatter von ddp verwundern, der in seine Meldung den Satz geschrieben hatte:

In der offiziellen Kriminalstatistik werden Kindstötungen nicht extra ausgewiesen.

Das Bundeskriminalamt bietet auf seiner Internetseite sogar eine Zeitreihe an, die die Entwicklung der Opferzahlen nach Delikt, Geschlecht und Alter sortiert über die Jahre dokumentiert [pdf] — da hätte man gar nicht den komischen Herrn Carstensen fragen müssen.

Und so sieht die angebliche deutliche Zunahme von Fällen gewaltsam getöteter Kinder in Wahrheit aus:

Es ist übrigens relativ egal, ob man die versuchten Tötungen mit in die Rechnung hineinnimmt oder die fahrlässigen Tötungen (die zum Beispiel auch Kinder mitzählen, die vom Balkon gestürzt sind, weil die Aufsicht fehlte) aus der Rechnung herausnimmt: Der Trend bleibt immer der gleiche. Es gibt keine Zunahme, schon gar keine dramatische.

Darauf wies gestern auch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen noch einmal hin (was es ja bereits in der vergangenen Woche getan hatte) und widersprach dem BDK deutlich. Mit Erfolg? Wie man’s nimmt. Diejenigen Berichte, die sich nicht auf die falschen Angaben von ddp und BDK verlassen, tragen Überschriften wie: „Kindstötungen: Experten sind uneins über Zahl der Todesfälle“ oder „Opferzahl bleibt ungewiss: Wie viele Kindstötungen gibt es wirklich? Forscher und Kriminalbeamte streiten“.

Auch die „Rheinische Post“ erwähnt die Zweifel an dem Anstieg der Kindstötungen in Deutschland. Ihr Artikel trägt die Überschrift: „Mehr Kindstötungen in Deutschland“.

Nachtrag, 18:20 Uhr. „Spiegel Online“ hat seinen Artikel geändert und eine Erklärung und Entschuldigung hinzugefügt. Von einer Zunahme der Fälle ist nun nicht mehr die Rede, aber nach wie vor heißt es: „173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren kamen 2007 in Deutschland gewaltsam ums Leben.“ Das ist, wie gesagt, falsch. Die Zahl 173, die der BDK und ddp verbreiten, beinhaltet neben den tatsächlichen auch die versuchten Tötungsdelikte. Das heißt, ein Teil dieser Kinder ist glücklicherweise nicht tot. Wie erkläre ich das so, dass „Spiegel Online“ es versteht?

Nachtrag, 2. Januar. „Spiegel Online“ hat noch einmal nachgearbeitet. Jetzt heißt es: „173 Jungen und Mädchen unter sechs Jahren wurden 2007 Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten.“

Nachtrag, 3. Januar. ddp hat gestern eine Art Korrektur veröffentlicht:

Nach der Veröffentlichung von Zahlen der durch Gewalt und Vernachlässigung getöteten Babys und Kleinkinder in Deutschland hat der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) seine Aussagen relativiert. „Tötungen, Misshandlungen und Vernachlässigungen finden aus unserer Sicht auf gleichbleibend hohem Niveau statt“, sagte BDK-Vize Bernd Carstensen am Freitag.

In der Folge darf Carstensen dann wortreich und offenkundig uneinsichtig die Tatsache verschwurbeln, dass seine Aussagen sowohl konkret als auch in der Tendenz schlicht falsch waren.

Schnee von gestern

Ein schepperndes Vibrieren geht durch den Hubschrauber. Nach kurzer Zeit stehen wir so über der Autobahn, dass sich eine Zentralperspektive im modellierenden Gegenlicht ergibt, die die dramatische Situation der versunkenen Autos in den Schneewellen deutlich macht. Ich belichte dieses Motiv alternativ noch eine Blende unter bevor wir endgültig abdrehen und weiß, dass ich die Szene der Schneekatastrophe im Kasten habe.

Im Ressort „Eines Tages“ auf „Spiegel Online“ erzählt der Fotograf Kai Greiser, wie er seine spektakulären Aufnahmen von der Schneekatastrophe in Norddeutschland vor 30 Jahren machte. Unterwegs war er damals im Auftrag von „Spiegel“ und „Geo“, aber auch der „Stern“ wollte hinterher seine exklusiven Fotos haben — das von der Autobahn sogar für seine Titelseite.

Das entsprechende „Stern“-Cover sieht bei „Spiegel Online“ so aus:

Aber das muss eine Fotomontage sein. In der Bildergalerie mit den Fotos von Greiser sieht dieselbe Autobahn-Szene nämlich so aus:

Es fehlen die beiden Menschen im Vordergrund. Die tauchen stattdessen auf einer anderen Aufnahme von Greiser auf:

Legt man beide Bilder übereinander, bleibt kein Zweifel, dass jemand die Menschen aus dem eingeschneiten Dorf ausgeschnitten und auf die Autobahn verfrachtet hat:

War dem „Stern“ damals das dramatische Autobahn-Bild nicht dramatisch genug? Brauchte die Illustrierte den gestikulierenden Mann im Vordergrund, um die menschliche Dimension zu zeigen? Hat man sich damals beim „Stern“ routinemäßig Fotos zur Effektmaximierung zusammengeklöppelt? Ging das damals, ohne Photoshop und die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung, so einfach? Oder hat Greiser selbst im Labor schon aus zwei Bildern eins gemacht? Und warum ist die Manipulation bei „Spiegel Online“ niemandem aufgefallen — obwohl sogar ein Leser schon darauf hingewiesen hat? Ist das womöglich gar nicht das Original-„Stern“-Titelbild, sondern eine nachträgliche Collage? Aber warum sollte jemand die anfertigen?

[mit Dank an Cédric Menge!]

Nachtrag, 30. Dezember. „Spiegel Online“ berichtet nun:

Der „Stern“ hat vor dreißig Jahren ein Titelbild getürkt – unbemerkt, bis einestages-Mitglied Dennis Winckler aufdeckte, dass die Illustrierte zwei Fotos der Schneekatastrophe von 1978/79 zu einem besonders dramatischen montiert hatte. Jetzt stürzen sich auch Medienblogs [sic] auf den Fall. (…)

„Ja, das ist so“, gibt der heutige „Stern“-Chefredakteur Thomas Osterkorn gegenüber einestages unumwunden zu, nachdem er zwei Negative aus dem Archiv auf den Schreibtisch bekommen übereinandergelegt hat. Und betont, dass beim „Stern“ nicht gekennzeichnete Bildmanipulationen heute „tabu“ seien – auch wenn das früher offenbar „etwas laxer gehandhabt“ worden sei. (…)

Chefredakteur Osterkorn schwört Stein und Bein, dass ein ähnlicher Schnitzer heute nicht möglich wäre. Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung sei man längst hochsensibilisiert für mögliche Manipulationen – schon, weil sie heute so viel einfacher herzustellen und so viel schwerer zu entdecken seien als damals, als mit Schere und Klebestift getrickst wurde. „Wann immer wir feststellen, dass in einem Foto rummontiert wurde, fliegt das Bild raus“, erklärt Osterkorn kategorisch.

Fotograf Greiser sieht den Fälschungsfall von vor dreißig Jahren entspannt. „Ich habe das damals erst beim zweiten Hingucken gemerkt“, sagt der heutige Yachtfotograf. Den Retoucheuren beim „Stern“ ist er jedenfalls nicht Gram: „Das war so minimal in der Dramaturgie, ich habe das einfach hingenommen.“

Was „Spiegel Online“ nicht weiß, aber Alexander Svensson: Die Szene, die es später manipuliert auf den „Stern“-Titel schaffte, war als Bewegtbild am 1. Januar 1978 sogar in der „Tagesschau“ zu sehen (bei 1:10 Min.).

„Horizont“-Journalismus

Vor zwei Wochen hätte „Horizont“, die Fachzeitschrift für Werbung und Medien, ja beinahe einen journalistischen Artikel mit unangenehmen Wahrheiten veröffentlicht, was durch eine größere Rückrufaktion gerade noch verhindert werden konnte. Inzwischen hat man sich in der Redaktion gefasst und produziert wieder Meldungen nach dem üblichen eigenen Qualitätsstandard.

Meldungen wie die, dass Anke Schäferkordt von „Horizont“ als „Medienfrau des Jahres 2008“ ausgezeichnet wird.

Das kann man natürlich machen. Man kann den von ihr geleiteten Sender RTL zum Beispiel dafür bewundern, wie er es geschafft hat, angesichts einer sich ganz von allein zerbröselnden Konkurrenz, einfach stillzuhalten und auf eigene Ideen, Impulse und Risiken zu verzichten. Man kann Frau Schäferkordt auch dafür feiern, dass sie nicht nur Rekordgewinne einfährt, sondern nach Angaben von ver.di auch fleißig weiter Stellen abbaut. Und bestimmt findet man in einem Jahr, in dem die Quoten für RTL fast durchweg schlechter waren als im Vorjahr, auch eine Ausnahme, die man hervorheben kann.

Und natürlich wird man die Gewinnerin des eigenen Preises auf ein hohes Podest stellen. Aber „Horizont“-Chefredakteur Jürgen Scharrer hat es nicht dabei belassen, Schäferkordt Kränze zu flechten. Er hat die fertigen Kränze aufgepumpt, vergoldet und mit einer dicken Schicht rosa Zuckerwatte gerahmt. Aber lesen Sie selbst:

Eine makellose Erfolgsbilanz hat zweifellos Anke Schäferkordt, Geschäftsführerin bei der Mediengruppe RTL und Medienfrau des Jahres, vorzuweisen. Im November erzielte das Senderflaggschiff RTL bei den 14- bis 49-Jährigen einen Marktanteil von famosen 17 Prozent, mit „Doctor’s Diary“ gelang zudem das Kunststück, endlich auch mal wieder mit einer deutschen Serie Erfolg zu haben. Gute Zahlen, starke Quoten, effiziente Strukturen: So schnell wie bei Schäferkordt war sich die Jury selten zuvor einig, wem die Auszeichnung gebührt.

In einem weiteren Text fügt „Horizont“ sicherheitshalber hinzu:

Die Bilanz Schäferkordts bei RTL kann man nur makellos nennen. Die RTL-Gruppe hat sich als überaus verlässliche Cashcow etabliert. Als gelernte Controllerin hat Schäferkordt das Unternehmen konsequent auf Effizienz getrimmt.

Solche Texte muss man als Journalist erst einmal schreiben wollen.

Wissen Sie übrigens, wer u.a. in der Jury war, die die Männer und Frauen für „Horizont“ gekürt hat? Doch, Sie kommen drauf.

Nachtrag, 11:40 Uhr. Nach Angaben von RTL hat Frau Schäferkordt an der eigenen Wahl selbstverständlich nicht teilgenommen.

David Copperfield ist nicht Uri Geller

Man muss das natürlich prinzipiell begrüßen, wenn ein Medium nicht einfach stumpf eine Agenturmeldung übernimmt, sondern sich eigene Gedanken dazu macht. Es ist nur nicht ohne Risiko.

Bei „Welt Online“ kam ein Mitarbeiter am vergangenen Freitag auf die Idee, aus zwei Meldungen eine zu machen. Leider hatten beide nur in seinem Kopf etwas miteinander zu tun.

GEFÄHRLICHE ZAUBER-SHOWS: TV-Verbot für Mentalisten in Ecuador / Ein Assistent des US-Magiers David Copperfield ist bei einer Vorstellung in Las Vegas in einen Ventilator geraten und schwer verletzt worden. Für die Gegner von Parapsychologie ein gefundenes Fressen: In Ecuador hat der Nationale Rundfunkrat bereits beschlossen, dass Zauberer oder Mentalisten nicht mehr im TV gezeigt werden dürfen.

Man kann beim Lesen des Vorspanns schon fast das Knirschen im Übergang hören.

Im Artikel selbst wird es nicht besser. „Welt Online“ beschreibt erst, wie ein Assistent Copperfields schwer verletzt wurde, weil er in einen Ventilator gesogen wurde, durch den der Zauberer scheinbar schreiten sollte. Und dann folgt der Satz: „Dass auch eine psychische Gefahr von solchen Shows ausgeht, hat jetzt den Nationalen Rundfunkrat in Ecuador dazu veranlasst, Parapsychologie aus dem Fernsehen zu verbannen.“

Die Entscheidung des Rundfunkrates in Ecuador hat sicher nichts mit dem Unfall in Las Vegas zu tun — vor allem aber hat David Copperfield nichts mit Parapsychologie zu tun. Der Mann ist Zauberer. Er nennt sich Illusionist, was ein sehr klarer und treffender Begriff für seine Kunst ist. Er behauptet nicht, mithilfe übersinnlicher Fähigkeiten durch Ventilatoren gehen, fliegen oder die Freiheitsstatue verschwinden lassen zu können. Er weiß nur, wie man es so aussehen lässt, als könne er durch Ventilatoren gehen, fliegen oder die Freiheitsstatue verschwinden lassen.

Ich vermute, die Entscheidung in Ecuador richtet sich eher gegen verschärfte Varianten von „Astro-TV“ mit Wunderheilungen, Ritualen und allem drum und dran. (Vielleicht kennt einer der Leser ja entsprechende Fernsehsendungen von dort?) Das ist ein riesiger Unterschied. Die einen können tolle Tricks und unterhalten uns. Die anderen sind Scharlatane und verkaufen uns für dumm.

Den dämlichen Schluss des Artikels hat „Welt Online“ sich nicht selbst ausgedacht, der stammt original aus der Agenturmeldung:

Auch im deutsche Fernsehen treten immer wieder so genannten Mentalisten auf, die behaupten, über übernatürliche Fähigkeiten zu verfügen. So strahlte der Sender Pro Sieben Anfang des Jahres eine Casting-Show mit Uri Geller aus, der für das Verbiegen von Löffeln per Gedankenübertragung bekannt ist.

Newsflash für AP und „Welt Online“: Niemand kann Löffel per Gedankenübertragung verbiegen. Uri Geller schon gar nicht.