Süddeutsche Zeitung
Der Große mit dem warmen Bruder.
Deutschland lacht – Bastian Pastewka, ein stiller Star in einem lauten Gewerbe. Heute startet „Brisko’s Jahrhundert-Show“.
Wenn einer, so lange er denken kann, das Fernsehen als besten Freund hatte, weil es „immer das Beste war, was es gab“, er mittwochs nicht schlafen konnte aus Sorge, donnerstags Sindbad der Seefahrer zu verpassen, er heimlich bei der Oma Aktenzeichen XY guckte und sich an die ARD-Kindersendung Spaß am Montag erinnert, wenn einer vier Videorekorder hat, um das Nachtprogramm zu konservieren, dann ist es für einen erst 27-Jährigen ein großer Tag – wenn Wetten dass . . .? anruft!
Zum Glück passierte das bei Bastian Pastewka erst kurz vor der Sendung, so dass er nicht viel Zeit hatte, Freunde und Kollegen vor Aufregung in den Wahnsinn zu treiben. Aber da für Leute wie ihn eine Unterhaltungssendung nicht nur eine wichtige, sondern auch eine ernste Sache ist, hüpfte Pastewka, längst mehr als ein Nachwuchs-Komiker aus der Sat 1-Wochenshow, natürlich nicht einfach aufgeregt neben Gottschalk aufs Sofa. Es sollte unterhaltsam und überraschend und passend sein. Eine eigene Wette vom Wettpaten, das hatte es noch nie gegeben. Gemeinsam mit der Redaktion überlegte er, wie man das so machen könnte, dass es nicht aussehen würde wie ein Fake.
Er wettet also, dass er 40 Titel der Kinderkrimis Die drei ??? auswendig kann – und gewinnt. Nicht nur die Wette. Gottschalk fragt eingangs: „Hat der junge Mann schon Wetten-dass-Größe?“ Später titelt die B.Z: „Wenn Gottschalk ehrlich ist, dann hat ihm dieser junge Mann die Show gestohlen“. Das findet Pastewka nicht korrekt, weil es eine unzulässige Zuspitzung sei, um Aufmerksamkeit auf einen Artikel zu lenken. Ein Gefühl für Gerechtigkeit hat er auch noch.
Die Leute von Wetten dass . . .? wollten, dass er den Brisko Schneider gibt, seine populärste Figur. Das hat er abgelehnt. Weil ein Auftritt als Kunstfigur „rätselhaft“ sei. Weil Brisko als Zugabe lustiger sei. Und weil Brisko neben realen Menschen verpuffe. Pastewka ist einer, der ganz viel reflektiert. Die Fernsehbranche handelt ihn als eines der größten Talente der letzten Jahre. Oberflächlich besteht dieses Talent aus einem unerschöpflichen Repertoire unglaublich dämlicher Gesichtsausdrücke. Weniger oberflächlich aus der Fähigkeit, verschiedensten Figuren in der Wochenshow in drei Minuten gleichzeitig Tiefe, Glaubwürdigkeit und Witz zu geben. Es ist keine Parodie; es ist, wie Pastewka sagt, „eher der Mensch, den man erkennt, ohne ihn zu kennen“. Ein Stereotyp, dem er das Gefühl nimmt, es schon zu oft gesehen zu haben. Wie Ottmar Zittlau, ein unangenehmer, aber harmloser Typ im Trainingsanzug, scheinbar einem Daily Talk entsprungen, mit sonnigem Gemüt. Oder Brisko Schneider. Brisko ist nicht seine beste Rolle. Aber was wäre Pastewka ohne ihn? Noch nicht der neben Anke Engelke beliebteste TV-Komiker.
Eigentlich gibt es Brisko nur wegen Ingolf Lücks großen Füßen. Der wollte eine Lilo-Wanders-Parodie machen, was daran scheiterte, dass es keine Stöckelschuhe in 47 gibt. Das ist Lücks Erklärung, die Pastewka diplomatisch, wie es seine Art ist, die „inoffizielle Version“ nennt. Tatsächlich sei bei den Wanders-Proben deutlich geworden, dass die Rolle anders besetzt werden müsse. Und weil die Wochenshow gerade auf eine Stunde verlängert worden war, habe man entschieden, stattdessen eine ganze Erotik-Sendung-Parodie namens Sex-TV einzuführen. Moderiert wird sie von einem Mann mit festgegelter Playmobil-Männchen-Frisur in zu enger Kleidung, die seine Arme wie Strohhalme erscheinen lassen, die an den Gelenken nur im 90-Grad-Winkel abknicken können und deshalb ausladend herumwirbeln. Brisko kann eine einzige Silbe über drei Oktaven ziehen. Eine siedende Mischung aus Verklemmtheit und Erotik.
Und ein Phänomen. Er sagt „Hallo, liebe Liebenden“, und das Volk tobt. Brisko ist eine Variante des uralten Tunten-Klischees aus Warmbadetag- und Mikrofon-Ständer-Witzen, erweitert um innovative Elemente wie große Tollpatschigkeit und röchelndes „Hähähä“-Lachen. Das führt erstaunlicherweise dazu, dass die Massen nicht nur über ihn lachen, sondern sogar mit ihm. Pastewka sagt nüchtern: „Briskos kindliche Naivität und seine Lust am Ausprobieren, mit der er scheitert, sind ein System, das viele Figuren sympathisch macht.“
Jetzt bekommt er auf Sat 1 eine Serie. Brisko’s Jahrhundert-Show, ab heute Abend sechsmal. Pastewka dementiert schon im Voraus den Verdacht, der Sender könnte ihn zum Einsatz seiner Kultfigur zwangsverpflichtet haben: „Mich hat niemand überredet.“ Und nein, er habe Brisko nicht über. Und grundsätzlich: „Es zieht mich keiner in eine Richtung, in die ich nicht will.“ Sat 1 fragte: Was machen wir mit Pastewka? Antwort: die Parodie eines Jahrhundertrückblicks. Pastewka sagte: Das ist was für Brisko. Weil noch so schöne Elemente nicht funktionieren ohne einen dramaturgischen Rahmen. Um den zu spannen, sei Brisko die optimale Figur. Soweit der Theoretiker. In der Praxis ist es eine große Last für eine Figur, die Pastewka zwar atemberaubend perfekt verkörpert, deren Tiefe aber bislang aus kaum mehr als einem Schwulenwitz bestand und nur für Fünf-Minuten-Sketche reichen musste.
Singend treibt Pastewka diesen Brisko in der Jahrhundert-Show dennoch zu neuen Höhen, mit einer Version von Queens „Bohemian Rhapsody“ etwa. In Filmen verwandelt er sich in Christo, Peter Alexander und Freud, parodiert Dalli Dalli und den Internationalen Frühschoppen. Opulent, mit Liebe fürs Detail. Nur die Drehbücher, die sind mau. Ein hungriger Hitler, der Deutschländerwürstchen braucht? Puh!
Die Serie ist Pastewkas Chance zu zeigen, was er kann. Auf den Titel der Hörzu hat sie ihn schon gebracht. Der ersten Zeitschrift, die er in seinem Leben gelesen hat! Er ist da, wo er immer hin wollte: „Ich sage nicht: Was für ein Zufall, dass es mich getroffen hat. Ich habe dieses Ziel viel zu kompromisslos verfolgt!“ Seine ersten Komik-Versuche unternahm er mit Bonner Freunden. Sie spielten vor 20 Leuten; der Sprit war teurer als die Gage. Er studierte Geschichte und Pädagogik, mit der vagen Aussicht, Museumspädagoge zu werden – aber damit lege man sich ja mehr fest als mit drei Jahren Brisko. Er war Komiker in der WDR-Jugendsendung Lollo Rosso, was seine Bewerbung für die Wochenshow wurde. Heute hat er im Ensemble die bequemste Position: Weder von Boulevard-Hysterie überrollt wie Anke Engelke. Noch ungnädig übersehen wie Ingolf Lück und Markus Maria Profitlich.
Einer wie Pastewka ist in solchen Zeiten zufrieden, aber nicht euphorisch. Auch nicht, wenn er erfährt, dass er eine eigene Show bekommt: „Ich bin keiner, der sofort ausrastet. Ich bin ein ewiger Skeptiker. Bevor die Kiste nicht durch ist, glaub ich nicht, dass sie läuft.“ Kollegen erzählen, dass sich Pastewka manchmal lange, lange in sein Büro zurückzieht, kaum ansprechbar. Er ist 1,90 Meter groß, aber er wirkt nicht so. Nicht dass er sich duckt. Aber selbst als Mittelpunkt steht er da wie eine Nebenperson. Sympathisch, aber distanziert, vorsichtig. Im Gespräch kein kritischer Halbsatz über Sat 1, seinen Arbeitgeber Brainpool oder die Last mit Brisko.
Parallel zur Wochenshow hat Pastewka die neue Reihe entwickelt, gedreht und promotet. Das schlaucht, das ist nicht das entspannte Leben eines Promis, das man sich so vorstellt. „Stimmt“, sagt Pastewka: „Aber ich bin jemand, der es schön findet, jeden Tag mit geregelten Arbeitszeiten irgendwo hin fahren zu müssen.“ Die große Samstagabend-Show, für die er eingeflogen wird, sei nicht sein Traum: „Ich wünsche mir lieber ein schönes kleines Projekt, das lange währt, an dem man basteln kann. Ich bin Ausbesserer, Sachbearbeiter.“
Das mit dem „Promi“ will ihm nicht in den Kopf. Rückblickend findet er keinen Moment, an dem ihm klar wurde, dass mit Wochenshow plötzlich die Post abging: „Es gab nie einen Punkt, wo man sagen konnte: Jetzt bist du berühmt. Das möchte ich mir auch so lange wie möglich erhalten. Weil ich in erster Linie für eine Sendung arbeiten und nicht ein öffentliches Interesse wecken oder befriedigen will.“ Sagt er, und fügt statt des üblichen „ein Stück weit“, das seine Sätze sonst immer relativiert, ein „ganz ehrlich“ hinzu.
[…] Stefan Niggemeier über Bastian Pastewka in der „Süddeutschen Zeitung”, Dezembe… […]