Search Results for: schertz

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“ (4)

Der Berliner Medienanwalt Christian Schertz kämpft weiter für und gegen seinen vermeintlich guten Ruf. Beim Landgericht Frankfurt hat er beantragt, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zur Zahlung eines „empfindliches Zwangsgeldes“ zu verurteilen, weil sie die von ihm gerichtlich durchgesetzte Gegendarstellung nicht wie vorgeschrieben abgedruckt habe.

Schertz‘ Anwältin bemängelt unter anderem, dass die Überschrift nicht gefettet und der Text über zwei Spalten verteilt gewesen sei, die Gegendarstellung nicht am Beginn einer neuen Spalte begonnen und anstelle von Absätzen lediglich „Zahlenumbrüche“ [sic] enthalten habe. Außerdem habe die FAZ die Gegendarstellung durch die längere Anmerkung der Redaktion entwertet. Dass das von der Redaktion so beabsichtigt gewesen sei und auch vom Leser so verstanden werde, könne man auch an meiner Kommentierung hier im Blog erkennen.

Schertz stößt sich auch daran, dass die FAZ die Einschätzung des Landgerichtes wiedergegeben habe, mit seinem Vorgehen „verkenne der Anwalt ‚Sinn und Zweck des Rechtsmittels der Berufung'“. Das sei erstens falsch, denn im Urteil sei nicht von dem „Anwalt“, sondern dem „Kläger“ die Rede. (Der Kläger ist der Anwalt.) Zweitens diene dieser Teil der redaktionellen Anmerkung nur dazu, ihn, Schertz, vorzuführen:

„ihn ins Lächerliche zu ziehen, d.h. als einen Anwalt darzustellen, der die Grundregeln der Berufung verkenne.“

Ich kann nicht beurteilen, wie groß Schertz‘ Chancen sind, die FAZ zu einem „empfindlichen Zwangsgeld“ oder zu einem erneuten Abdruck der Gegendarstellung zu verurteilen. Aber meiner Meinung nach müsste ihn, zu seinem eigenen Besten, jemand mal sachte beiseite nehmen und ihm erklären, dass der Kern des Problems mit der Lächerlichkeit vielleicht nicht die Veröffentlichungen über sein Handeln sind, sondern sein Handeln.

Ursprung des ganzen Verfahrens ist der vorläufig gescheiterte Versuch von Schertz, einen lästigen Kritiker dadurch mundtot zu machen, dass er ihn gerichtlich zum Stalker erklären und so u.a. aus dem Gerichtssaal verbannt lässt.

Die Vorgeschichte:

(Hinweis: Ich bin freier Mitarbeiter der FAZ. Dies hier ist meine persönliche Meinung.)

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“ (3)

Der prominente Berliner Prominenten-Anwalt Christian Schertz hat sich juristisch gegen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ durchgesetzt. Vor dem Landgericht Frankfurt erwirkte er eine einstweilige Verfügung, die die FAZ zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung verpflichtete. Die Zeitung ging in Berufung, aber das Oberlandesgericht Frankfurt machte in einem „Hinweisbeschluss“ klar, dass es ihr nicht stattgeben würde.

Und so erschien am Montag auf der Medienseite folgender Text:

Gegendarstellung. In der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. März 2010 schreiben Sie auf Seite 35 in einem Artikel mit der Überschrift "Kein Cyberstalking Niederlage für Berliner Anwalt" über mich: "Das Landgericht hielt die Berufung von Schertz für verspätet und damit unzulässig." Hierzu stelle ich fest: Das Landgericht hielt die Berufung nicht für verspätet, sondern stellte ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung fest, dass sie fristgerecht eingelegt wurde. Die Unzulässigkeit der Berufung beruht auf einem anderen Grund. Berlin, 18. März 2010 Rechtsanwalt Dr. Christian Schertz

Die Zeitung nutzte allerdings die Gelegenheit, im Detail die Hintergründe für die Niederlage von Schertz zu erklären, über die sie damals berichtet hatte:

Anmerkung der Redaktion: Herr Dr. Schertz hat recht. Das Landgericht (Az. 86 S 6/10) stellte in den Urteilsgründen Folgendes fest: Die Berufung sei unzulässig, weil sie den Erlass einer neuen einstweiligen Verfügung teils gleichen, teils weitergehenden Inhalts begehre. Damit verkenne der Anwalt "Sinn und Zweck des Rechtsmittels der Berufung". Zweitens sei der neue, in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangen und ändere daher an der Unzulässigkeit der Berufung nichts. Schließlich sei die Berufung auch deshalb unzulässig, weil die dem Kläger durch das angefochtene Urteil entstandene Beschwer inzwischen mit dem Ablauf der Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung entfallen sei.

So gesehen, war der Sieg von Schertz über die FAZ ein Pyrrhus-Sieg, denn in der ausführlichen Fassung wirkt sein juristisches Vorgehen (bzw. das seiner Kollegin, die ihn in der Verhandlung vertrat) noch peinlicher. Andererseits ist das natürlich möglicherweise ein Grund für ihn, erneut gegen die FAZ vorzugehen. Dass auf ein abgeschlossenes Verfahren gleich mehrere neue folgen, wäre nicht untypisch für das Vorgehen von Schertz in eigener Sache.

Ausgangspunkt mehrerer Verfahren war der Versuch von Schertz, mithilfe des „Stalker-Paragraphen“ gegen den kritischen Gerichtsreporter Rolf Schälike vorzugehen und ihn so mundtot zu machen. Nachdem er damit (nach zwischenzeitlichen Erfolgen) gescheitert war, ging er wie geschildert gegen die Berichterstattung der „FAZ“ über die für ihn ungünstige Entscheidung vor. Ein Jahr zuvor war er auch erneut gegen Schälike vorgegangen, weil der den Termin einer entscheidenden Verhandlung sowie ihr Ergebnis auf seiner Internetseite öffentlich gemacht hatte:

Das ist nach Ansicht von Schertz bzw. seinem Anwalt unzulässig. Schälike rufe damit „natürlich zum Besuch der mündlichen Verhandlung öffentlich auf“ — obwohl die Angelegenheit nur die höchstpersönlichen Rechte von Schertz und nicht seine Arbeit als Medienanwalt betreffe. Außerdem könne das Publikum eh nicht verstehen, was mit den „kryptischen Kurzdarstellungen“ auf der Homepage gemeint sei, deshalb könne sich Schälike auch nicht auf ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit berufen.

Noch einmal zum Mitdenken: Schertz versucht erst (zwischenzeitlich sogar mit Erfolg), Schälike zu untersagen, sich ihm auf weniger als 50 Meter zu nähern — wodurch sich der Kritiker nicht mehr im Gerichtssaal hätte aufhalten dürfen, wenn Schertz anwesend war. Und als Schertz damit scheitert, versucht er, ihm schon den bloßen Hinweis auf die Verhandlung sowie ihr Ergebnis zu verbieten — unter anderem, weil der Inhalt der (öffentlichen) Verhandlung seine Privatsache sei.

In dem Verfahren geht es indirekt auch um meinen Blogeintrag zu dem Thema. Meine Einschätzung, dass Schertz Schälike zum „Stalker“ erklären lassen wollte, um einer kritischen Berichterstattung den Riegel vorzuschieben, sei „schlicht falsch“, erklärt Schertz‘ Anwalt in einem Schriftsatz. Es gehe darum, dass Schälike ihn bis in sein Privatleben verfolgt habe:

Der Kläger [Schertz] kann bestens damit leben, wenn über seine berufliche Tätigkeit kritisch berichtet wird. Dies geschieht auch deshäufigeren, ohne dass der Kläger juristische Schritte anstreben muss oder dies ggf. auch nicht kann, weil ein Vorgehen keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Wenn ich das richtig lese, bedeutet das, dass Schertz dann mit kritischen Berichten über seine Arbeit leben kann, wenn er es muss. Die Argumentation wird dann auf eine fast schon amüsante Art zirkulär:

Der Kläger [Schertz] käme doch im Traum nicht darauf, gegen einen Berichterstatter, der über ein oder mehrere gerichtliche Verfahren, die der Kläger (…) geführt hat, Schritte nach dem Gewaltschutzgesetz einzuleiten.

Mit anderen Worten: Schertz‘ Rückgriff auf den „Stalker-Paragraphen“ kann schon deshalb kein Missbrauch sein, weil das ja ein Missbrauch wäre.

Eigentlich hätte das Landgericht Berlin Anfang Juni über Schertz‘ Klage entscheiden sollen. Nachdem sich offenbar abzeichnete, dass er verlieren würde, stellte Schertz aber einen Befangenheitsantrag gegen die Richter — was man nach ungezählten Entscheidungen dieser Richter in seinem Sinne als Akt der Verzweiflung werten könnte.

In welchem Maße der Medienanwalt Schertz die Meinungsfreiheit ablehnt, wenn sie seinen Interessen zuwiderläuft, zeigt auch sein Versuch, eine andere Veröffentlichung von Schälike zu unterbinden. Im März hatte Schälike eine „Mitteilung“ auf seiner Seite veröffentlicht, in der er über mehrere juristische Niederlagen von Schertz unter der Überschrift berichtete:

Fünf Klatschen in einer Woche gegen den Berliner Querulator.

Wichtiger Sieg für die Meinungs- und Äußerungsfreiheit von Bloggern und Journalisten.

Schertz versuchte dagegen eine einstweilige Verfügung zu erwirken, diesmal zur Abwechslung beim Landgericht Köln. Es handele sich um Schmähkritik; Schälike gehe es nicht um „Berichterstattung“ über gerichtliche Verfahren, sondern „um die Herabwürdigung und Bloßstellung“ von Schertz. Belegt werden sollte das unter anderem mit Kommentaren von Schälike hier im Blog, die angeblich beweisen, dass Schälike „keine Gelegenheit auslässt“, Schertz „herabzuwürdigen“.

Zudem könne die Berichterstattung über die „angeblichen ‚Klatschen'“ leicht dazu führen, potenzielle Mandanten abzuschrecken:

Wer über einen Rechtsanwalt zielgerichtet behauptet, dass dieser in Reihe Verfahren verlieren würde und dann auch noch auf anderen Internetseiten davon abrät, diesen Rechtsanwalt zu mandatieren, der greift in massiver Weise das Anwalt-Mandanten-Verhältnis an, auf das [Schertz] zur Ausübung seiner Berufsfreiheit angewiesen ist.

Die Reaktion des Gerichtes auf den Antrag kann man nun guten Gewissens als Klatsche für Schertz bezeichnen. Es lehnte die geforderte einstweilige Verfügung ab. Erstens fehle die notwendige Dringlichkeit. Zweitens sei sein Persönlichkeitsrecht nicht verletzt worden. „Klatsche“ sei in diesem Zusammenhang eine zulässige Meinungsäußerung, und die angegriffenen Tatsachenbehauptungen seien nicht unzulässig. Das Gericht wörtlich:

Warum ein wahrheitsgemäßer Bericht über den Verlauf von Gerichtsverfahren abträglich für die Ehre bzw. das Ansehen des Antragsstellers sein kann, ist nicht ersichtlich.

Das Gericht berief sich dabei ausdrücklich auch auf eine neue Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, das im Zusammenhang mit einer anderen Klage von Schertz die für ihn positiven Urteile der ersten Instanzen kassiert und betont hatte, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen:

seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist (…).

Schertz tut sich offenkundig äußerst schwer, das für sich zu akzeptieren.

Am morgigen Freitag nimmt er auf der Jahrestagung des „Netzwerkes Recherche“ an einer Diskussion über die Grenzen der „Boulevard-Recherche“ teil. Er wird sich sicher als Freund und Verteidiger der Pressefreiheit ausgeben.

Hinweis: Ich bin freier Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dieser Eintrag gibt nur meine persönliche Meinung wieder. Nachtrag, 9. Juli. Ich hatte in dem Absatz, der mit „Ausgangpunkt“ beginnt, die zeitliche Abfolge zunächst falsch dargestellt und jetzt korrigiert.

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“ (2)

[Vorbemerkung: Die Kanzlei von Christian Schertz hat mich in mehreren rechtlichen Auseinandersetzungen vertreten; er hat mich und BILDblog unterstützt. Ich habe mich jedoch vor einiger Zeit aus Gründen entschlossen, seine Dienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen. 2. Vorbemerkung: Ich bin freier Mitarbeiter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Dieser Eintrag gibt nur meine persönliche Meinung wieder.]

Es sieht nicht so aus, als ob der klagefreudige Medienanwalt Christian Schertz gegen meinen Blog-Eintrag über ihn und seine Niederlage vor dem Landgericht Berlin vorgehen würde. Er tut es aber gegen einen kurzen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum gleichen Thema. Der Kollege Joachim Jahn schrieb darin:

Kein „Cyberstalking“
Niederlage für Berliner Anwalt

Der Prominentenanwalt Christian Schertz ist mit dem Versuch gescheitert, einen Kritiker mit den Vorschriften des Gewaltschutzgesetzes außer Gefecht zu setzen. Das Landgericht Berlin lehnte eine Berufung von Schertz gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg ab, das eine von ihm beantragte Verfügung gegen den Internetpublizisten Rolf Schälike aufgehoben hatte. (…) Das Landgericht hielt die Berufung von Schertz für verspätet und damit unzulässig. Auch räumte die Mitarbeiterin, die er zur Verhandlung geschickt hatte, einen Fehler in ihrem Schriftsatz ein. Die Vorsitzende Richterin machte deutlich, dass Schertz sein Anliegen im Hauptsacheverfahren klären solle. Schälike bestreitet den Vorwurf, er sei ein „Cyberstalker“.

Schertz fordert nun von der FAZ und ihrem Online-Ableger FAZ.net Unterlassung, Widerruf und Gegendarstellung. Er stört sich im Grunde an einem einzigen Wort: der Formulierung, das Landgericht habe seine Berufung für „verspätet“ gehalten. Er stellt fest: Die Berufung sei fristgerecht eingelegt worden, und das Landgericht habe das in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich betont.

Das stimmt. Aber das, was die „FAZ“ schrieb, stimmt auch.

In Jahns Artikel ist nicht die Rede davon, ob die Berufung „fristgerecht eingelegt“ wurde. Verspätet war Schertz‘ Berufung nach Ansicht des Gerichtes insofern, als der Zeitraum längst abgelaufen ist, in dem die Einstweilige Verfügung gegen den vermeintlichen „Stalker“ gegolten hätte, die Schertz wieder in Kraft gesetzt sehen wollte. Die Richterin sagte es im Juristendeutsch: „Die Beschwer ist weggefallen, die Zeit ist abgelaufen.“ In diesem Sinne hielt das Gericht Schertz‘ Berufung zweifellos für verspätet. Es erklärte seiner Anwältin in der mündlichen Verhandlung (bei der ich Zuhörer war), er müsse, wenn er in dieser Sache weiter gegen Schälike vorgehen wolle, in der Hauptsache klagen.

(Auch von dem Internetdienst „Meedia“, der die Formulierung aus der FAZ übernommen hatte, fordert Schertz Unterlassung. Der entsprechende Artikel ist deshalb nicht mehr online. Nachtrag, 22. März: Jetzt ist er wieder online; nur die beanstandete Formulierung fehlt.)

Es geht also in der Auseinandersetzung scheinbar um komplizierte juristische Verfahrensdetails oder, wenn man mag, schlicht um Wortklauberei. Deshalb liegt die Frage nah, warum Schertz so viel daran liegt, dieses seiner Meinung nach falsche Detail zu korrigieren, und warum er dabei sofort mit einer gewaltigen Keule angerannt kommt.

Meine Frage an Schertz, warum ein solches juristischen Vorgehen notwendig ist, beantwortete er nicht. Andere Antworten von ihm auf meine Fragen darf ich nicht zitieren.

Aber angesichts der Häufigkeit und Heftigkeit, mit der Schertz immer wieder auch in eigener Sache vorgeht, liegt der Verdacht nahe, dass dahinter eine Abschreckungsstrategie steht. Die Botschaft an die Journalisten scheint zu lauten: Überlegt euch zweimal, ob ihr wirklich über mich und meine Fälle schreiben wollt. Denn auch wenn Schertz eine solche juristische Auseinandersetzung um ein Wort oder einen Satz am Ende nicht gewinnen sollte: Der Kampf ist für den betroffenen Journalisten ungemein zeitaufreibend.

Entsprechend verführerisch ist es, ihn dadurch zu vermeiden, dass man gar nicht erst etwas schreibt, was Herrn Dr. Schertz nicht gefallen könnte. Zum Glück gibt es auch den gegenteiligen journalistischen Reflex: sich gerade wegen dieser unterstellten Abschreckungsstrategie nicht einschüchtern zu lassen.

Die FAZ hat die von Schertz geforderte Unterlassungserklärung abgegeben. Schertz interpretiert das fälschlicherweise als Beweis dafür, dass die Meldung falsch war. In Wahrheit ist es wohl eher Folge der verhängnisvollen „Stolpe-Enscheidung“ des Bundesverfassungsgerichtes: Danach kann ein Unterlassungsanspruch schon dann begründet sein, wenn man eine Formulierung auf mehrere Arten deuten kann, von denen eine unzulässig ist.

Schertz‘ Forderung nach Gegendarstellung und Widerruf hat die FAZ hingegen noch nicht nachgegeben.

Anwalt Schertz verliert gegen „Stalker“

[Vorbemerkung: Die Kanzlei von Christian Schertz hat mich in mehreren rechtlichen Auseinandersetzungen vertreten; er hat mich und BILDblog unterstützt. Ich habe mich jedoch vor einiger Zeit entschlossen, seine Dienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen.]

Der prominente Berliner Medienanwalt Christian Schertz ist gestern vorläufig mit dem Versuch gescheitert, einen hartnäckigen kritischen Berichterstatter gerichtlich zum „Stalker“ erklären zu lassen und dadurch mundtot zu machen.

Es ist eine in vielfacher Hinsicht bizarre und beunruhigende Auseinandersetzung. Schertz fühlt sich von Rolf Schälike verfolgt, einem Mann, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Verhandlungen der Hamburger und Berliner Pressekammern zu dokumentieren, in deren Rechtsprechung er regelmäßig eine Einschränkung der Meinungsfreiheit sieht und die er „Zensurkammern“ nennt. Die Kanzlei Schertz Bergmann und andere nennt er entsprechend „Zensurkanzleien“, Schertz selbst einen „Zensurguru“.

Schertz hat Schälike, der im Gerichtssaal bei den Verhandlungen mitprotokolliert und meist schwer verständliche Texte auf seiner Seite „Buskeismus“ veröffentlicht, mit einer Flut von Klagen überzogen. Es geht dabei nicht nur um (angebliche oder tatsächliche) Beleidigungen, sondern auch um die Frage, ob es ein so einflussreicher Anwalt hinnehmen muss, dass sein Vorgehen vor Gericht dokumentiert und somit einer kritischen Bewertung durch die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Nachdem Schälike dann natürlich auch über die Prozesse berichtet hat, die diese Frage verhandeln, ist Schertz auch dagegen vorgegangen. Im Klartext: Er versucht Schälike nicht nur zu untersagen, über ihn zu berichten; er versucht auch, ihm zu untersagen, darüber zu berichten, dass er versucht, ihm zu untersagen, über ihn zu berichten.

Der 71-jährige Rolf Schälike ist ein anstrengender Mensch, der sich mit einem gewissen Wahn dem Thema widmet und dabei zweifellos häufiger über das Ziel hinaus schießt. Aber auch das Verhalten von Christian Schertz lässt sich rational kaum noch erklären. Er aber geht nicht nur gegen Schälike vor, sondern nach meiner Überzeugung auch gegen die Meinungsfreiheit. (Er hat sogar versucht, gegen einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ über Schälike vorzugehen, in dem er namentlich nicht einmal genannt wird, weil er meinte, dass Leser glauben könnten, er stecke hinter dem anonymen Zitat eines anderen Anwaltes.)

Anfang 2009 griff Schertz, offensichtlich beeindruckt von der Renitenz Schälikes, der sich auch durch horrende Rechtskosten nicht einschüchtern ließ, zu einem neuen, originellen und drastischen Mittel: das Gewaltschutzgesetz. Es ist erst vor wenigen Jahren verabschiedet worden, um Opfer von häuslicher Gewalt und Stalkern besser zu schützen. Der mächtige Anwalt Christian Schertz erklärte sich zum Stalking-Opfer des Bloggers Rolf Schälike und forderte den Schutz des Staates. Er berief sich dabei auf die Gesetzes-Formulierung, wonach ein Gericht ermächtigt ist, gegen jemanden vorzugehen, der „eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt“. Belästigt fühlte sich Schertz unter anderem durch eine E-Mail Schälikes und eine merkwürdige Weihnachtskarte.

Das Amtsgericht Charlottenburg lehnte die von Schertz beantragte einstweilige Verfügung gegen Schälike ab, das Landgericht Berlin gab sie ihm, allerdings mit einer Befristung auf sechs Monate. Es verbot Schälike unter anderem, in dieser Zeit „in irgend einer Form Kontakt zu dem Antragsteller aufzunehmen, etwa durch persönliche Ansprache, Telefonat, Fax, SMS, Email, Grußkarten oder Briefsendungen“ sowie sich Schertz „auf weniger als 50 m zu nähern; bei zufälligen Begegnungen ist der Abstand von 50 m durch den Antragsgegner unverzüglich wieder herzustellen“. Damit durfte sich Schälike auch nicht mehr im Gerichtssaal aufhalten, wenn Schertz anwesend war.

Diese Verfügung wurde sechs Wochen später, am 28. April 2009, nun wieder vom Amtsgericht Charlottenburg gekippt, wogegen Schertz Berufung einlegte.

Schertz Berufungsantrag wurde nun gestern vom Landgericht Berlin als unzulässig abgelehnt.

Es scheint, als wären Schertz dabei seine eigenen juristischen Kniffe zum Verhängnis geworden. Die Richterin machte deutlich, dass sie das Vorgehen seiner Kanzlei höchst zweifelhaft fand. Schertz forderte im Grunde, eine einstweilige Verfügung wieder in Kraft zu setzen, die aber ohnehin nicht mehr gelten würde, weil ihre sechsmonatige Befristung längst abgelaufen ist. Seine Rechtsvertreterin (Schertz war selbst nicht anwesend) verwickelte sich beim Versuch, ihren Berufungsantrag nachträglich so umzuformulieren, dass sie vom Gericht nicht sofort aus formalen Gründen abgewiesen wird, in heillose Widersprüche. Ursprünglich hatte sie gefordert, dass die Stalking-Vorgaben für Schälike unbefristet gelten sollen. Dann sprach sie davon, dass sechs Monate, wie sie das Landgericht vorgegeben hatte, ausreichten: In dieser Zeit der Zwangstrennung könne Schälike ja vielleicht vernünftig werden. Diese sechs Monate müssten aber natürlich ab jetzt erst gelten, nicht vom Zeitpunkt im vergangenen Jahr, zu dem die einstweilige Verfügung erlassen wurde.

Ihre Argumentation war außerordentlich perfide: Wie notwendig und positiv die einstweilige Verfügung sei, zeige sich daran, dass sie auf Schälike offenbar „starke Wirkung“ gehabt habe, sagte sie. — Als könnte die „starke Wirkung“, nämlich die gewaltige Empörung des Gegners, nicht auch damit zu tun haben, dass sich jemand, der sich bloß als radikaler Kämpfer für Transparenz und Meinungsfreiheit sieht, plötzlich vorwerfen lassen muss, er sei ein „Stalker“. Oder damit, dass Rolf Schälike mangels Meinungsfreiheit in der DDR zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und zehn Monate im Stasi-Gefängnis saß, und es einfach nicht fassen kann, dass ihm in der Bundesrepublik sein Recht auf freie Meinungsäußerung in solcher Form genommen werden soll.

Bemerkenswert ist auch, dass die ganze Sache nach weit über einem Jahr immer noch im einstweiligen Verfahren verhandelt wird, das eigentlich nur dafür da ist, Entscheidungen vorläufig und auf die Schnelle zu treffen. Eberhard Reinecke, der Anwalt von Rolf Schälike, sah darin den Versuch, eine „ordnungsgemäße Beweisaufnahme zu verhindern“. Zu einer solchen Verhandlung, in der zum Beispiel anhand von Zeugenaussagen geklärt würde, was an den Stalking-Vorwürfen von Schertz gegen Schälike dran ist, käme es erst in einer Hauptverhandlung. Dazu müsste Schertz in der Hauptsache klagen, was ihm auch das Gericht nahelegte. „Sie können nur gewinnen, wenn Sie überfallartig arbeiten“, warf Anwalt Reinecke der Vertreterin von Schertz vor, weil dessen Kanzlei nach Monaten der Funkstille einen Tag vor der Verhandlung plötzlich einen gewaltigen Schriftsatz produziert hatte.

Am Ende hätte sich Schertz‘ Kanzlei diese Papierverschwendung sparen können: Das Landgericht urteilte gar nicht in der Sache, ob das Verhalten von Schälike Schertz gegenüber als „Stalking“ im Sinne des Gesetzes gewertet werden kann (was die Vorinstanz für mich überzeugend verneint hat). Es lehnte die Berufung schon aus formalen Gründen ab. Im Gerichtssaal in Berlin-Mitte erschien das wie eine besonders peinliche Form der Niederlage für die vermeintlichen Rechtsprofis der Kanzlei Schertz Bergmann.

 

PS: Christian Schertz hat mir gegenüber gestern nicht nur angekündigt, jeden Satz in diesem Text auf sachliche Fehler zu prüfen und gegebenenfalls dagegen juristisch vorzugehen. Der bekannte Anwalt glaubt außerdem, dass sein Geschäftsgebaren nicht öffentlich erörtert werden dürfe. Er behielt sich ausdrücklich vor, gegen diesen Eintrag rechtlich vorzugehen, wenn ich ihn nicht anonymisiere.

Ich bin überzeugt, dass es legitim ist, seinen Namen zu nennen. Schertz tritt regelmäßig als Experte für Medienrecht öffentlich auf. Der Versuch, das Gewaltschutzgesetz zu nutzen, um gegen wiederholte Äußerungen von Kritikern vorzugehen, ist, neutral formuliert, innovativ — eine Tatsache, auf die Schertz selbst stolz ist. Und wenn Schertz sich mit seinem Vorgehen durchsetzt, wonach es zum Glück gerade nicht aussieht, stellt das eine ernste Bedrohung der Meinungsfreiheit dar.

Immerhin hat das Landgericht Berlin Anfang des Jahres in einer anderen Sache Schertz ./. Schälike geurteilt, dass der Anwalt kritische Berichterstattung akzeptieren müsse: Ein Gewerbetreibender habe eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen grundsätzlich hinzunehmen. Für Anwälte gelte nichts anderes.

Nachtrag, 14:20 Uhr. Janus hat ein schönes, altes Zitat von Schertz zum Thema ausgegraben. Im April 2005 berichtete die Nachrichtenagentur ddp:

Der Berliner Medienanwalt Christian Schertz hat den am Freitag von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) vorgestellten Entwurf für ein Stalking-Gesetz kritisiert. Das Gesetz sei handwerklich unsauber, sagte Schertz der „Berliner Zeitung“ (Samstagausgabe) laut Vorabbericht. Es enthalte Formulierungen, die zu wenig präzise seien.

„Im Strafrecht muss der Bürger genau wissen, wann er eine Straftat begeht“, sagte Schertz. Der Entwurf von Zypries sieht vor, für andauernde Belästigungen wie ständige Anrufe oder das Auflauern vor der Haustür eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu verhängen. Dafür müsse das Stalking-Opfer „schwerwiegend und unzumutbar“ in seiner Lebensgestaltung beeinträchtigt sein. „Wann beginnt da der Tatbestand?“ kritisierte Schertz die Formulierung.

Grenzt ein bisschen an Nestbeschmutzung

Nach zwei Wörtern habe ich geahnt, dass mich der „Zeit-Magazin“-Artikel über den Umgang von „Bild“ mit Prominenten enttäuschen würde.

Charlotte Roche

Ich verehre Charlotte Roche, und sie hat die „Bild“-Zeitung von ihrer verachtenswertesten Seite kennengelernt. Aber die Episode, wie ihr kurz nach einer Familientragödie von Leuten zugesetzt wurde, die sich als „Bild“-Mitarbeiter ausgaben, ist jetzt fast zehn Jahre her. Sie ist seitdem viele Male nacherzählt worden, unter anderem schon 2003 und 2005 im „Stern“ und 2004 im „Tagesspiegel“.

Natürlich kann man sie gar nicht oft genug erzählen, weil sie womöglich nicht nur krass ist, sondern auch typisch für die Art, wie die „Bild“-Zeitung sich Menschen gefügig zu machen versucht. Aber wenn ein Artikel im Jahr 2011 über den Umgang der „Bild“-Zeitung mit Prominenten mit einer zehn Jahre alten, vielfach erzählten Geschichte beginnt, spricht das nicht dafür, dass die Autoren etwas Neues herausgefunden haben. Es spricht leider sogar für die „Bild“-Zeitung, weil so der Eindruck entsteht, dass es nichts Neues gibt, das die Autoren hätten herausfinden können.

Leider bestätigen die über 4000 Wörter des Artikels das Gefühl, das die ersten zwei geweckt haben. Sein Personal besteht fast vollständig aus den Leuten, die seit mehr als einem halben Jahrzehnt in ungefähr jedem kritischen Artikel über die „Bild“-Zeitung vorkommen. Neben Charlotte Roche sind das vor allem der unvermeidliche Medienanwalt Christian Schertz und die Künstleragentin Heike-Melba Fendel („Barbarella Entertainment“).

Der „Zeit Magazin“-Artikel erwähnt natürlich auch die Geschichte von Sibel Kekilli. Der Versuch von „Bild“, sie zu vernichten, liegt nun auch schon sieben Jahre zurück. Aus dem „Zeit Magazin“ erfahre ich immerhin, was ich nicht wusste, dass es der Regisseur Dieter Wedel war, der ihr anlässlich der Dreharbeiten zu seinem Film „Gier“ geraten habe, wieder mit „Bild“ zusammenzuarbeiten. (Ausgerechnet von dem Mann, der damals als Unterhaltungschef für die widerliche Berichterstattung verantwortlich war, durfte oder musste sie sich dann in den Himmel hochschreiben lassen.)

Wenn man es nicht schafft, neue Beispiele für den bedenklichen Umgang der „Bild“-Zeitung mit Prominenten zu recherchieren, muss man vielleicht aufhören, Artikel über den bedenklichen Umgang der „Bild“-Zeitung mit Prominenten zu schreiben. Ich habe mich aus dem Geschäft der täglichen „Bild“-Beobachtung ein bisschen zurückgezogen, aber ich würde behaupten, es gibt diese Fälle, auch heute noch. Der Umgang von „Bild“ mit Judith Holofernes vor einigen Wochen war ein vergleichsweise harmloses, aber erhellendes Beispiel: Die Sängerin von „Wir sind Helden“ weigert sich, für „Bild“ zu werben, und „Bild“ nutzt ihre Absage, um für sich zu werben. Die sich als Medienjournalisten tarnenden Schaulustigen waren natürlich begeistert über den Schlagabtausch, aber wie bezeichnend ist das für die Unverfrorenheit von Kai Diekmann und seinen Leuten? Er respektiert nicht einmal den Willen eines Menschen, nicht als Werbefigur für sein Ekelblatt aufzutreten, und schmückt sich noch mit dem Dokument der Ablehnung.

Ich weiß nicht, warum sich deutsche Medien so schwer tun, sich mit handelsüblichen journalistischen Mitteln dem Phänomen der „Bild“-Zeitung zu widmen und — wie im Fall des „Spiegels“ vor einigen Wochen — in geradezu eigenrufschädigender Weise scheitern. Ich fürchte inzwischen, dass die meisten dieser Ausweise der Hilflosigkeit die „Bild“-Zeitung eher stärken als schwächen.

Die „Bild“-Geschichte ist Teil eines ganzen Themenheftes über Journalismus, und größere Teile davon sind nicht nur enttäuschend, sondern ärgerlich. Die Artikel wirken, als wollten sie beweisen, was im großen „Zeit“-Titelseiten-Teaser steht: „Im Kritisieren sind Medien gut — Selbstkritik fällt dagegen schwer.“

Unter der Überschrift „In eigener Sache“ berichten vier „Zeit“-Journalisten „aus unserer Praxis“. Es sollen wohl Bekenntnisse der eigenen Unzulänglichkeiten sein, des Scheiterns am großen Anspruch, die „Wahrheit“ zu berichten. Der Feuilleton-Redakteur Adam Soboczynski bekennt bei dieser Gelegenheit, dass er im Nachhinein Zweifel hat, ob sein Portrait über den Schriftsteller Gaston Salvatore wirklich perfekt war:

Das Porträt handelte also vom schwierigen Umgang der Deutschen mit einem Chilenen. Salvatore erzählte bei unserem Interview in Venedig, dass er bald einen Roman schreiben werde mit dem Titel „Der Lügner“. Er beabsichtige, den Roman auf Spanisch abzufassen, obgleich er lange Zeit beinahe ausschließlich auf Deutsch geschrieben hat. Mein Artikel Der Verdammte schloss also folgendermaßen: Salvatore habe jedenfalls die Absicht, bald einen Roman zu schreiben. Diesmal nicht auf Deutsch. Sondern auf Spanisch. Der Arbeitstitel laute: „Der Lügner“.

Das war keine Lüge. Und doch plagt mich eine leise innere Anklage. Am Ende des Artikels zu sagen, Salvatore schreibe nicht mehr auf Deutsch, legt nahe, dass er derart von den Deutschen enttäuscht sei, dass er darum auf Deutsch nicht mehr schreiben möchte. Das weiß ich, offen gesagt, gar nicht so genau. Ich weiß, dass es stimmt, dass er den Roman auf Spanisch und nicht auf Deutsch schreiben möchte. Aber vielleicht möchte er nur sozusagen zur Abwechslung mal auf Spanisch schreiben. Ich hatte das nicht erfragt. Ich gestehe.

Sind Sie noch wach?

Das ist es also, was „Zeit“-Redakteuren einfällt, wenn sie Selbstkritik üben sollen. Das wäre selbst uns Erbsenzählern zu piefig.

Sein Kollege Henning Sußebach berichtete, wie er eine Reportage über einen „Mann am Rande der Gesellschaft“ geschrieben hatte, einen „sogenannten Verlierer“. Es muss, glaubt man Sußebachs Beschreibung von Sußebachs Artikel, ein großartiger Artikel gewesen sein, einfühlsam, engagiert, mit ausführlichen Zitaten des Betroffenen. Das Problem mit dem Artikel war, bösartig zusammengefasst, dass er zu gut war.

[…] ich schrieb Sätze, die L. zwar nicht freisprachen von Schuld an seinem Schicksal, aber auch der Gesellschaft Verantwortung zurechneten. Schon um die Leser bei der Ehre zu packen. Bis heute bin ich der Meinung, dass das richtig war. Und doch habe ich L. damit keinen Gefallen getan.

Es klingt schrecklich arrogant: Aber für einen Menschen, für den sich jahrelang niemand interessiert hat, dessen bisheriges Leben geradezu aus Nichtbeachtung bestand, kann ein einziger Zeitungsartikel zu groß sein, zu gewaltig. (…)

Ich traf mich immer wieder mit L. und merkte: Aus allen solidarischen Sätzen meines Artikels hatte er sich eine Hängematte geknüpft, in die er sich fallen ließ. Keine Arbeit? Keine Wohnung? Kein Kontakt zu den Eltern? Nie war er verantwortlich, immer waren es die anderen. So hatte er meinen Artikel verstanden. (So verstand ich jetzt jedenfalls ihn.)

Als Sußebach seinem Berichtgegenstand L. später sagte, dass er selbst für sich verantwortlich sei, habe L. sich verraten gefühlt.

Da war er wieder, der Vorwurf: Erst heuchelt der Journalist Verständnis, und dann zeigt er sein wahres, zynisches Wesen. In diesem Fall stimmte das nicht. Genau das macht die Sache so tragisch.

Das ist das Tragische an der Geschichte? Dass ein armer „Zeit“-Journalist, der kein Zyniker ist, für einen Zyniker gehalten wird? So verdienstvoll es ist, wenn Journalisten sich Gedanken machen über die Folgen ihrer Arbeit: Das ist keine Selbstkritik, das ist Selbstmitleid.

Es durchzieht viele der kleinen Texte, auch die, in denen „Zeit“-Journalisten sich mit Leser-Kritik beschäftigen. Ressortleiter Jens Jessen erklärt in einer „kleinen Rede an die Verächter des Feuilletons“ (kein Dialog, wohlgemerkt, sondern eine „Rede an“), dass der Feuilletonist gar nicht anders sein kann als einen elitären Geschmack zu haben:

Die Kultur ist sein Gegenstand; und mit der Dauer der Beschäftigung wachsen die Ansprüche. Auch wer mit Edgar-Wallace-Krimis im deutschen Fernsehen begann, findet irgendwann Hitchcock besser.

Dieses Schicksal einer unwillkürlichen Erziehung des Geschmacks teilt der Feuilletonist aber mit seinem Publikum. Niemand, dessen Leidenschaft sich an der Literatur entzündet, bleibt bei Harry Potter stehen.

Wer „selten liest, ungern Musik hört und vom Kino nur den Schuh des Manitu erwartet“, dürfe aber „gerne umblättern“, gestattet Jessen großmütig.

Das ist eine Kunst: beim Reflektieren und Nachdenken so uneinsichtig und arrogant zu wirken. Und womöglich ist das alles sogar gut gemeint. Aber wenn diese „Zeit“-Redakteure über die Unzulänglichkeiten ihrer Arbeit und der Arbeit von Journalisten überhaupt reden, wirken sie wie ein Portraitmaler in der Fußgängerzone, der irgendwann zugibt, dass man, wenn ganz genau hinschaut, vielleicht doch kleinste Unterschiede zwischen seinen Strichzeichnungen und Fotos erkennen könnte.

Immerhin: Heike Faller hat für das Special in einem lesenswerten Artikel nachvollzogen, warum praktisch keine Zeitung vor der drohenden Finanzkrise warnte und, wichtiger noch: Warum die Mechanismen des Journalismus so sind, dass es auch beim nächsten Mal wieder so käme.

Aber das ist dann alles, was der „Zeit“ einfällt zum Thema „Was Journalisten anrichten“? Chefredakteur Giovanni di Lorenzo warnt im Video die „Zeit“-Leser, die vielleicht nicht wissen, dass außerhalb ihrer Wochenzeitung Medienjournalismus eine zwar ständig bedrohte, aber durchaus etablierte Disziplin des Journalismus ist, sogar davor, dass das, was man da gewagt habe, „ein bisschen an Nestbeschmutzung“ grenze.

Nein, das eigene „Zeit“-Nest hat man schön sauber gehalten. Die Redakteure haben sich nicht einmal den Hinweis verkniffen, dass in dem Roman „Ein makelloser Abstieg“, in dem Matthias Frings das Funktionieren der Boulevardpresse beschreibt, die „Zeit“ das Vorbild „für die seriöse Zeitung“ darstelle.

Als ein „recht selbstzufriedenes Blatt“ hat Oliver Gehrs das „Zeit Magazin“ im vergangenen Jahr — vergleichsweise milde — bezeichnet. Die übliche Gediegenheit der „Zeit“ wird beim Versuch, selbstkritisch zu sein, zu abstoßender Selbstgerechtigkeit. Vermutlich ist den Redakteuren wirklich beim besten Willen nichts eingefallen, was sie sich ernsthaft vorwerfen könnten.

Ich helfe fürs nächste „Journalismus-Special“ gerne mit zwei Thementipps aus. Vielleicht könnte die „Zeit“ ihren Lesern einmal die bizarre und höchst unjournalistische Rolle von Sabine Rückert erklären, die für die Zeitung über den Kachelmann-Prozess berichtet und dabei in einem Maße mit der Verteidigung verbandelt ist, die mindestens nach einer Offenlegung schreit, wenn sie sie nicht als Autorin in dieser Sache disqualifiziert.

Oder sie könnte die Gelegenheit nutzen, der interessierten Öffentlichkeit zu erklären, was es mit folgender Passage in einer Titelgeschichte nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg auf sich hatte:

In der CSU-Vorstandssitzung am Montagvormittag in München muss sich Guttenberg Sticheleien und zweideutige Sätze seiner Parteifreunde gefallen lassen. Vereinzelt verbreiten Journalisten bereits das Gerücht, es gebe einen Zusammenhang zwischen einer Textstelle in der Doktorarbeit und seiner sexuellen Neigung.

Das wäre doch mal ein Thema für das nächste Selbstkritik-Special der „Zeit“: Wie man als seriöse Wochenzeitung anderer Journalisten Gerüchte verbreitet, und zwar gerade vage genug, dass es richtig interessant klingt.

Aber mit etwas Pech fällt Adam Soboczynski bis dahin ein, dass man in einem seiner Portraits ein Komma falsch auslegen könnte, und das geht natürlich vor.

Über Abmahnungen

Ich warte auf den Tag, an dem mich jemand verklagt, weil ich ihn klagefreudig genannt habe.

· · ·

Der bekannte Berliner Medienanwalt Christian Schertz möchte nicht mit dem verstorbenen Münchner Rechtsanwalt Günter Werner Freiherr von Gravenreuth verglichen werden. Er meint, dass der Vergleich mit dem als Betrüger verurteilten und für seine umstrittenen Abmahnungen berüchtigten Gravenreuth abwegig ist — das finde ich auch. Und er meint, dass dieser Vergleich deshalb unzulässig ist — das finde ich nicht.

Woher kommt der Gedanke, dass man Dinge, die einem nicht gefallen, mit der Hilfe von Anwälten und Gerichten aus der Welt schaffen lassen kann? Wenn das nicht mit Meinungsfreiheit gemeint ist: dass Leute frei finden und sagen können, an wen ich sie erinnere, egal wie ungerecht mir das erscheinen oder wie unvorteilhaft das für mich sein mag — was denn dann?

Schertz, der sich gerne als Kämpfer für das Gute stilisiert und als Rechtsberater unter anderem die Freiheit der ARD verteidigt hat, einen plumpen Anti-Scientology-Film auszustrahlen, hat in eigener Sache eine besondere Vorstellung von den Grenzen der Meinungsfreiheit. Er hat seinen Dauerfeind, den Gerichtsreporter Rolf Schälike, wegen verschiedener Kommentare hier im Blog abmahnen lassen. Es geht dabei nicht nur um (möglicherweise falsche) Tatsachenbehauptungen. Schälike hatte u.a. kommentiert:

Beide Anwälte [Schertz und Gravenreuth]- der eine post mortal, der andere heute noch – haben einen nachvollziehbaren Grund von der Rechtsprechung enttäuscht zu sein.

Schertz‘ Anwalt forderte deshalb eine Unterlassungserklärung von Schälike:

In diesem Beitrag setzen Sie unseren Mandanten und sein rechtliches Vorgehen mit den Methoden und dem Vorgehen des verstorbenen Rechtsanwalts von Gravenreuth dar [sic]. Dies muss mein Mandant nicht hinnehmen.

Schälike hat mich aufgrund des rechtlichen Vorgehens von Schertz gegen ihn gebeten, alle seine Kommentare unter den entsprechenden Einträgen zu löschen. Doch das ist nicht nur eine Privatfehde. Schertz meint es auch von anderen nicht hinnehmen zu können oder zu müssen, mit Gravenreuth verglichen zu werden.

· · ·

Ich hatte in den vergangenen Wochen mehrfach wieder Kontakt zu dem Anwalt von Stephan Mayerbacher, einem Geschäftsmann aus der Call-TV-Branche, der bereits mehrfach juristisch gegen mich vorgegangen ist. Diesmal bekam ich keine Abmahnungen, sondern wurde „im Guten“ auf Kommentare in diesem Blog hingewiesen, die Herr Mayerbacher für unzulässig hält.

Unter anderem wurde ich aufgefordert, den von einem Kommentator geäußerten Verdacht zu löschen, „Herr Mayerbacher durchsuche Internetforen und -blogs nach abmahnfähigen Beiträgen“, denn das sei unwahr.

Man kann das für eine Form von Ironie halten, wenn jemand seinen Anwalt damit beauftragt, den Betreiber eines Blogs darauf hinzuweisen, dass die Behauptung, er durchsuche Blogs nach abmahnfähigen Beiträgen, abmahnfähig ist. Es ist nur nicht so witzig, so lange man davon ausgehen muss, dass das Hamburger Landgericht darüber nicht lachen kann, sondern im Zweifel einen Beweis dafür will, dass Herr Mayerbacher tatsächlich Blogs und Foren durchsucht und sie nicht vielleicht durchsuchen lässt oder, ganz ohne Suche, zufällig immer wieder auf diese abmahnfähigen Beiträge stößt. Weil ich tatsächlich nicht weiß, was Herr Mayerbacher so in seiner Freizeit macht (aktuell weiß ich nicht einmal, was er beruflich macht), habe ich den entsprechenden Kommentar gelöscht.

Der Anwalt hatte mich auch gebeten, einen Kommentar zu löschen, in dem jemand schreibt, dass Mayerbacher seinen Sitz im Verwaltungsrat des Schweizer Fernsehsenders Star TV „abgegeben hat bzw. abgeben durfte“. Die Formulierung suggeriere, Mayerbacher habe seine Verwaltungsratstätigkeit unfreiwillig aufgegeben, was unwahr sei. Das tut sie meiner Meinung nach nicht, weshalb ich den Kommentar nicht gelöscht habe. Wenn selbst eine solche Formulierung nicht erlaubt wäre, eine bloße Umschreibung des „keine Ahnung, warum der gegangen ist, ob’s freiwillig war?“ schon unzulässig wäre, könnten wir’s wirklich gleich lassen mit der Meinungsfreiheit.

· · ·

Mayerbachers Anwalt sieht in ein paar kryptischen Beiträgen tief in den Kommentarspalten dieses Blogs ein „Kesseltreiben“ gegen seinen Mandanten, das der sich nicht gefallen lassen müsse. Und er fügte den bemerkenswerten Satz hinzu: „Ich sehe auch nicht, worin der Wert für Ihren Blog liegen soll.“

Diese Leute — nicht nur dieser Anwalt oder sein Mandant, sondern viele andere — haben das elementare Prinzip der Meinungsfreiheit nicht verstanden. Sie haben nicht verstanden, dass sie ein Wert an sich ist. Dass sie auch Beiträge schützt, die nach irgendwelchen subjektiven oder objektiven Maßstäben wertlos sind. Artikel 5, Absatz 1, Satz 1 des Grundgesetzes lautet nicht: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten, solange es sich um ein wichtiges Thema handelt und ein Interesse der Öffentlichkeit an dieser Meinung besteht.“

Man kann diesen Leuten das Missverständnis nicht einmal verübeln, denn die Hamburger und Berliner Gerichte, vor die sie in einer langen Karawane ziehen, um ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Ansprüche durchzusetzen, sind dem gleichen Missverständnis erlegen. Seit einigen Wochen haben sie das sogar schwarz auf weiß, formuliert vom Bundesverfassungsgericht. Es erklärte den Berliner Richtern, dass das Persönlichkeitsrecht eines Menschen

seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm selbst genehm ist (…).

Das Bundesverfassungsgericht fürchtete,

dass die Gerichte den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG grundlegend verkannt haben. Zwar handelt es sich bei dem — hier als gering erachteten — öffentlichen Informationsinteresse um einen wesentlichen Abwägungsfaktor in Fällen einer Kollision der grundrechtlich geschützten Äußerungsinteressen einerseits und der Persönlichkeitsbelange des von der Äußerung Betroffenen andererseits. Dies bedeutet aber nicht, dass die Meinungsfreiheit nur unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt wäre und von dem Grundrechtsträger nur gleichsam treuhänderisch für das demokratisch verfasste Gemeinwesen ausgeübt würde.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte schließlich,

dass die Äußerung wahrer Tatsachen, zumal solcher aus dem Bereich der Sozialsphäre, regelmäßig hingenommen werden muss.

Adressat dieser Grundrechts-Nachhilfe waren formal die Berliner Gerichte, de facto aber auch Christian Schertz, der ursprünglich geklagt und zunächst gewonnen hatte. Auf der langen Liste von Dingen, die er glaubt, trotz Meinungsfreiheit nicht hinnehmen zu müssen, steht nämlich auch das wahrheitsgemäße Zitieren aus einer E-Mail, die er als Antwort auf eine bissige Presseanfrage geschrieben hatte und in der er — wie es seine Art ist — gleich wieder mit juristischen Konsequenzen drohte.

· · ·

Nun ist es eine schöne Sache, dass die obersten deutschen Gerichte der systematischen Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit durch die Hamburger und Berliner Pressekammern zunehmend widersprechen. Aber der Weg zu diesen obersten Gerichten ist weit und teuer.

Ende vergangenen Jahres hat Stephan Mayerbacher beim Hamburger Landgericht eine einstweilige Verfügung gegen mich erwirkt, die mir praktisch untersagt, eine Verbindung herzustellen zwischen ihm und Vorwürfen, die gegen bestimmte Firmen erhoben werden, für die er in verschiedenen Formen gearbeitet hat. Es bestand aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofes zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich diese Auseinandersetzung in letzter Instanz gewinnen könnte. Aber in der ersten und zweiten Instanz in Hamburg waren meine Aussichten gleich null, so dass ich auf den langen, teuren Rechtsstreit (mit natürlich ungewissem Ausgang) verzichtet, den Blogeintrag gelöscht, die einstweilige Verfügung akzeptiert und die Anwalts- und Gerichtskosten von deutlich über 2000 Euro gezahlt habe.

Am ärgerlichsten daran ist, dass das jeden Kommentar zu dem Thema in meinem Blog oder jede künftige Berichterstattung von mir über Mayerbachers Geschäfte äußerst heikel macht. Nicht ohne Grund hängt sein Anwalt an die Mails, die er mir „im Guten“ schickt, immer mal wieder das PDF mit der einstweiligen Verfügung.

· · ·

Nun gibt es sicherlich schwerwiegendere Fälle als die hier genannten, in denen irgendwelche mächtigen oder jedenfalls finanzkräftigen Gruppen oder Unternehmen versuchen, Berichterstattung über sich zu verhindern. Aber gerade die Alltäglichkeit, die Abmahnungen und einstweilige Verfügungen geworden sind, finde ich beunruhigend.

Für erstaunlich viele Menschen, Gruppen und Unternehmen scheint es ganz normaler Bestandteil des Repertoires einer Auseinandersetzung zu sein, anderen ihre Äußerungen zu verbieten. Das ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein gesellschaftliches und kulturelles.

Ein Beispiel.

Vor kurzem beklagte sich Alexander Görlach in seinem konservativen Online-Magazin „The European“, dass der neue Chefredakteur Michael Naumann das konservative Print-Magazin „Cicero“ nach links rücken wolle. Görlach war früher selbst bei „Cicero“ und schien sehr, sehr aufgeregt über das, was da bei seinem alten Blatt passierte, das offenbar — unbemerkt von der Öffentlichkeit — bislang eines der erfolgreichsten und wichtigsten Medien der Republik war. Die „Cicero“-Mitarbeiter flüchteten massenhaft vor Naumann und seinen linken Meinungsdiktaten, hyperventilierte Görlach: „Cicero ist erledigt.“ Außerdem habe Naumann einen Dienstwagen erwartet, aber keinen bekommen, was sicher irgendwas beweisen sollte.

Naumann antwortete, dass das „alles Quatsch“ sei, sponn, dass das ein „schlechtes Licht auf den Online-Journalismus“ werfe, und widersprach auch der Sache mit dem Dienstwagen. Aber er beließ es nicht dabei. Er schickte über seinen Anwalt auch eine teure Abmahnung. Der „Berliner Zeitung“ erklärte er: „Geht man gegen solche Artikel nicht juristisch vor, bleiben sie ewig an einem hängen.“

Was für ein Irrsinn. Der Artikel auf „The European“ ist zwar jetzt gelöscht. Aber die Zitate aus ihm in den Fachmedien wirken nun viel überzeugender als in ihrem ursprünglichen, von merkwürdiger persönlicher Gekränktheit durchweichten Gesamttext. Glaubt Naumann wirklich, dass die Menschen nun seiner Version der Dinge glauben, weil Görlach eine Unterlassungserklärung unterzeichnet hat? Hat Görlach das getan, weil er eingesehen hat, dass Fakten falsch waren, oder doch nur, weil er eine noch kostspieligere Auseinandersetzung vor Gericht vermeiden wollte?

Naumann glaubt womöglich, dass er den Anwalt einschalten musste, um zu beweisen, dass die Behauptungen wirklich falsch sind. Als würden Anwälte nicht gerade dann gerne eingeschaltet, wenn Behauptungen wahr sind.

Vielleicht wollte er aber auch nur das gute Gefühl haben, jemandem gezeigt zu haben, wo der Hammer hängt. Das ist als psychologisches Moment sicher nicht zu unterschätzen, diese Genugtuung, dass jemand einem schwarz auf weiß gibt, etwas nicht mehr behaupten zu wollen — und dafür sogar Geld zahlen muss.

Zu einer gerichtlichen Entscheidung kam es in diesem Fall gar nicht mehr, weil Görlach die geforderte Unterlassungserklärung abgab. Aber auch die hätte vermutlich keine Klarheit in der Sache gebracht. Natürlich lässt sich so eine einstweilige Verfügung gut verkaufen. Und womöglich gibt es sogar noch zwei, drei Ahnungslose, die glauben, einer solchen Entscheidung läge eine Art Beweisaufnahme zugrunde, in der die Richter gründlich prüfen, womöglich noch Zeugen anhören und dann quasi ein fundiertes, offizielles Urteil darüber abgeben, welche Version der Wahrheit die richtige ist. (So ist es nicht.)

Es ist traurig, das einem alternden Publizisten wie Naumann erklären zu müssen, aber es gibt etwas, das viel überzeugender ist als die (Fehl-)Urteile komischer Richter: Argumente.

Mir will nicht in den Kopf, warum ausgerechnet Journalisten und Medien, die selbst beste Möglichkeiten haben, ihre Widersprüche zur Darstellung anderer zu veröffentlichen, falsche Tatsachenbehauptungen gerade zu rücken und ungerechtfertigte Unterstellungen zu entkräften, glauben, sie müssten zu einem Gericht rennen. Selbst ein Henryk M. Broder, der ein gewaltiges Arsenal sprachlicher Waffen und Knallkörper zur Verfügung hat und auf sein Recht pocht, davon ohne Rücksicht auf Verluste Gebrauch zu machen, hat keine Hemmungen, anderen mit Hilfe von Anwälten und Richtern den Mund verbieten zu wollen.

· · ·

Angenommen, jemand schreibt, „der Niggemeier ist schlimmer als Hitler“. Bestimmt müsste ich das nicht hinnehmen. Aber warum sollte ich dagegen vorgehen? Spricht angesichts eines solchen Vergleichs nicht alles dafür, darauf zu vertrauen, dass auch andere Leute ihn für abwegig halten — und der Vergleich nicht mir schadet, sondern demjenigen, der ihn macht?

Wenn es völlig abwegig ist, die Anwälte Schertz und Gravenreuth miteinander zu vergleichen, muss Schertz nicht dagegen vorgehen. Dadurch, dass er es doch tut, demonstriert er paradoxerweise nicht nur seine Macht, sondern auch fehlendes Selbstbewusstsein. Er könnte den Vergleich sonst einfach aushalten. Oder glaubt er ernsthaft, dass er, sobald er erfolgreich jeden dieser Vergleiche aus dem Internet geklagt hat, von niemandem mehr für so ähnlich wie Gravenreuth gehalten wird? Dass sich Meinungen genauso verbieten lassen wie Meinungsäußerungen? (Ganz abgesehen natürlich von dem schönen Paradoxon, dass er mit jeder dieser Klagen dem Mann ähnlicher scheint, dem er nicht ähnlich sein will.)

Was genau hat sich jemand wie der DFB-Chef Theo Zwanziger davon erhofft, Jens Weinreich zu verklagen, weil der ihn in einem konkreten Zusammenhang als „Demagogen“ bezeichnet hat? Glaubt er, dass seine Kritiker ihn nicht mehr für einen „Demagogen“ halten würden, wenn er ihnen verbietet, ihn öffentlich so zu nennen?

Natürlich schadet es einer Debatte, wenn sie Grenzen überschreitet, wenn Beleidigungen oder Verleumdungen überhand nehmen. Aber im Moment sehe ich unser Diskussionskultur nicht von den Auswüchsen falsch verstandener Meinungsfreiheit bedroht, sondern von den Exzessen einer ausartenden Abmahnunkultur. Im Zweifel ist mir eine Welt lieber, in der zuviel herumkrakeelt wird, als eine, in der jeder damit rechnen muss, dass ihn jedes falsche Wort (und viele wahre) viel Geld kostet.

· · ·

Natürlich gibt es Fälle, in denen es legitim ist oder sogar notwendig sein kann, Veröffentlichungen verbieten zu lassen (und es haben nicht einmal alle dieser Fälle mit der „Bild“-Zeitung zu tun). Aber müsste das in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht das letzte Mittel sein? Eine drastische Maßnahme für besonders drastische Fälle — anstatt ein Routinewerkzeug in jeder Auseinandersetzung? Es ist völlig das Bewusstsein dafür abhanden gekommen, was für ein einschneidender Schritt das ist: jemandem zu verbieten, etwas zu sagen.

· · ·

Vielleicht ist das bei Leuten wie Christian Schertz auch eine berufliche Deformation. Der Anwalt käme gar nicht mehr auf den Gedanken, dass er einer falschen oder irreführenden Aussage einfach widersprechen und damit Menschen überzeugen könnte. Er lässt sie löschen. Sie muss verschwinden, als hätte es sie nie gegeben.

Es geht diesen Leuten nicht mehr darum, sich Gehör zu verschaffen. Es geht ihnen darum, die anderen zum Schweigen zu bringen.

Das ist eine nachvollziehbare Vorgehensweise bei dubiosen Geschäftemachern, deren Abzockmodelle von jeder öffentlichen Debatte über ihre Hintergründe und Funktionsweisen bedroht sind. Für alle anderen müsste sie sich verbieten.

· · ·

Durch den Gang zum Anwalt und zum Gericht wird aus einer Auseinandersetzung um Wahrheit zu einer, in der regelmäßig nicht derjenige gewinnt, der Recht hat, sondern der sich die Auseinandersetzung leisten kann. Der Mächtige gewinnt.

Mich hätte sehr interessiert, wie Springer oder die „Welt“ ihre Abmahnung gegen BILDblog neulich öffentlich begründet hätten. Der Kampf um die Wahrheit oder das Recht auf eine korrekte Darstellung kann es ja nicht sein, dafür hätte es ein Anruf oder eine E-Mail getan. Natürlich war das eine reine Machtdemonstration.

Und so wunderbar es ist, dass unsere Leser uns in einem solchen Maß unterstützt haben, dass uns auch vor weiteren Machtdemonstrationen erst einmal nicht bange sein muss, und so sehr ich mich freue, dass auch Stefan Aigner von regensburg-digital.de für seinen Kampf gegen das Bistum Regensburg viele Tausend Euro bekommen hat — das kann es doch auf Dauer nicht sein, dass die Blogger und ihre Fans und Leser diesen Wahn auch noch selbst finanzieren.

· · ·

Dieser Text hat keinen Schluss. Das liegt daran, dass er in den nächsten Tagen weiter geht.

Wenn der Abmahner zweimal klingelt

Claudia Pechstein vermutet, dass Jens Weinreich gedopt war, als er über sie schrieb, dass vieles dafür spricht, dass sie gedopt hat, aber das hier wird kein Text über Leute, die Dinge sportlich nehmen. Im Gegenteil.

Jens Weinreich (die Älteren werden sich noch an seine Auseinandersetzung mit DFB-Präsident Theo Zwanziger erinnern) ist einer von den Kollegen, nach denen auf irgendwelchen Podien über Qualität im Journalismus dauernd gerufen wird. Er ist einer der wenigen investigativen Sportjournalisten, kritisch und unabhängig, er recherchiert statt abzuschreiben, er verbeißt sich in Themen, auch wenn sie gerade keine Konjunktur haben. In seinem Blog zapft er das Wissen seiner Leser an und veröffentlicht Original-Dokumente, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann. Und wenn er etwas nicht weiß, schreibt er das ebenso auf, wie wenn er etwas falsch gemacht hat.

Er ist, mit anderen Worten, eine unfassbare journalistische Nervensäge, und es gibt sicher eine erhebliche Zahl von Leuten, die nur darauf warten, dass sie ihm an den Karren fahren können.

Am vergangenen Donnerstag berichtete er über die Blutdoping-Fernsehshow der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein und machte einen Fehler. Er schrieb zum Beispiel in der Online-Ausgabe der „Frankfurter Rundschau“:

Inhaltliche Schwer- und Reizpunkte setzten die beiden von der Verteidigung beauftragten und bezahlten Gutachter: Holger Kiesewetter aus Berlin und Rolf Kruse vom Referenz-Institut für Bio-Analytik in Bonn.

Weinreich selbst hatte in der Pressekonferenz nach der Bezahlung gefragt, aber die Antwort teilweise falsch verstanden. Kiesewetter bekam Geld für sein Gutachten, Kruse nicht.

Nun hätte es vermutlich ausgereicht, Weinreich eine kurze Mail mit der Bitte um Korrektur zu schreiben, und alles spricht dafür, dass er dieser Bitte auch dann sofort nachgekommen wäre. Aber Weinreich erhielt keine Bitte um Korrektur, sondern noch am selben Abend per Fax eine Abmahnung von Simon Bergmann, dem Anwalt von Claudia Pechstein. Er wurde aufgefordert, eine Unterlassungserklärung abzugeben.

So eine richtige Abmahnung hat gegenüber einer bloßen Aufforderung zur Richtigstellung einen schönen Nebeneffekt: Sie kostet den Abgemahnten Geld, sogar dann, wenn er der Forderung sofort nachkommt. Im konkreten Fall sind es Abmahngebühren in Höhe von 775,64 Euro inklusive Mehrwertsteuer für die Arbeitszeit des Anwalts.

Das kann man natürlich machen. Womöglich ist es im besten Interesse von Claudia Pechstein, wenn ihr Anwalt gleich mit großer Wucht gegen falsche Darstellungen ihrer Verteidigungsstrategie vorgeht, vielleicht war das auch ein Anliegen von Frau Pechstein selbst, die „Weinrich“ für den „naivsten Sportjournalisten“ hält, von dem sie „bislang je etwas lesen durfte“. Und natürlich muss ein Journalist für seine Fehler geradestehen — auch wenn er in diesem Fall einen unverhältnismäßig hohen Preis für ein offenkundiges Missverständnis zahlt.

So weit, so alltäglich.

Am nächsten Tag bekam Jens Weinreich eine weitere Abmahnung. Er sollte sich noch einmal verpflichten, den bereits einmal abgemahnten Satz nicht mehr zu wiederholen. Diesmal trat Simon Bergmann allerdings nicht als Anwalt, sondern als Klient auf. Absender des Schreibens war sein Sozius Christian Schertz.

Das ist ein lustiger Trick. Man behauptet, dass die falsche Aussage über Rolf Kruse und die „Verteidigung“ von Pechstein nicht nur die Rechte von Pechstein verletze, sondern auch die ihres Anwalts. Und verdoppelt so die Zahl der Abmahnungen. Und die Höhe der geforderten Abmahngebühren: auf schlappe 1551,28 Euro.

Hier ist Simon Bergmann nicht mehr für Claudia Pechstein im Einsatz. Hier handeln er und Christian Schertz quasi auf eigene Rechnung. Und womöglich hatten sie davon noch eine offen. Denn Weinreich und Schertz kennen sich persönlich — von der Auseinandersetzung zwischen dem Journalisten und Theo Zwanziger. Schertz vertrat dabei den DFB und seinen Präsidenten und musste eine Reihe peinlicher juristischer Niederlagen hinnehmen.

Die Frage, ob Schertz im Recht ist und Bergmann einen Anspruch gegenüber Jens Weinreich jenseits der (längst erfolgten) Korrektur des Fehlers hat, überlasse ich gerne Juristen. Aber was die Motivation des Vorgehens angeht, spekuliere ich gerne: Es könnte ein persönlicher Akt der Revanche sein. Oder der Versuch, einen kritischen, lästigen Journalisten einzuschüchtern. Es geht nicht um Gerechtigkeit (und um die Wahrheit schon gar nicht); es geht um Schadensmaximierung. Wer es wagt, kritisch über Pechstein und ihre Fernsehshow zu berichten, wer sich traut, kritisch über Simon Bergmann und seine PR- und Verteidigungsstrategie zu berichten, wer hartnäckig nervt, soll gewarnt sein: Schon ein blöder Fehler kann richtig teuer werden.

Christian Schertz hat uns bei BILDblog und mich bei den juristischen Auseinandersetzungen um dieses Blog sehr unterstützt. Aber ich habe mich (auch weil es schon früher Anlass für Zweifel gab) entschieden, mich in Zukunft nicht mehr von der Kanzlei Schertz-Bergmann vertreten zu lassen.

Ja, mir san mim Adel da

Die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ gewährte ihren Lesern am Freitag unfreiwillig einen kleinen Einblick in ihre Arbeitsweise, als sie folgende Gegendarstellung über den (online inzwischen gelöschten) ersten Artikel ihres neuen „Gesellschafts-Reporters“ Philipp v. Studnitz veröffentlichte:

Gegendarstellung

Auf der Titelseite der B.Z. vom 4. März 2009 schreiben Sie über mich: „Schöneberger heiratet adlig – Das erzählte sie bei einem Dinner in der Wohnung von Vicky Leandros dem neuen B.Z.-Gesellschafts-Reporter Philipp v. Studnitz“.

Hierzu stelle ich fest: Herr von Studnitz hat sich bei dem Gespräch in der Wohnung von Frau Leandros mir nicht als B.Z.-Gesellschafts-Reporter vorgestellt, sondern als persönlicher Freund der Familie meines Lebensgefährten.

Berlin, den 9. März 2009
Rechtsanwalt Dr. Christian Schertz für Barbara Schöneberger

Andererseits: Wer geht auch zum Essen zu Menschen, die „B.Z.“-Gesellschafts-Reporter unvorgestellt an den Tisch setzen und Vicky Leandros sind?

Neues vom DFB in Sachen Weinreich

(Alles zur Vorgeschichte der Auseinandersetzung zwischen DFB-Präsident Theo Zwanziger und dem freien Journalisten Jens Weinreich hier im Blog und bei Weinreich selbst; eine gute Zusammenfassung bietet der „Direkte Freistoß“.)

Am Montag dieser Woche habe ich Harald Stenger, dem Pressesprecher des Deutschen Fußball-Bundes, eine E-Mail mit Fragen zu der erstaunlichen Presseerklärung seines Verbandes geschickt, in der er Weinreich angriff. Heute hat mir DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch geantwortet. Ich veröffentliche seine Antworten, wie vom DFB gewünscht, ungekürzt. (Alle Links von mir.)

Herr Niersbach schreibt von einer grundlosen Diffamierung „in – mehr oder weniger anonymen – Internetblogs“. Können Sie mir ein Blog nennen, das Niersbach damit meint?

Koch: Natürlich soll damit nicht gesagt werden, dass Jens Weinreich anonym bloggen würde. Vielmehr ist damit abstrakt gemeint, dass in Internetblogs zahllose User und vielfach unter Pseudonymen sich an Debatten beteiligen, deren Verfasser nicht mehr direkt, sondern nur noch durch Teilnahme an der Blogdiskussion ansprechbar sind.

Sie schreiben, Weinreich habe „über seinen Anwalt am 11. November 2008 dem DFB eine Erklärung zukommen lassen“. Handelt es sich bei dieser Erklärung um das von Jens Weinreich in seinem Blog veröffentlichte Schreiben vom 14. November 2008?

Koch: Nein, es handelt sich nicht um eine Erklärung vom 14. November, sondern um eine Erklärung vom 12. November. Wir haben dies auch in unserem Schreiben zur gemeinsamen Presseerklärung von VDS und DFB [gemeint ist DJV] richtig gestellt (siehe auch nächste Antwort).

Sie schreiben, Weinreich habe am 6. November in einem Blogeintrag klargestellt, dass er den Begriff „Demagoge“ nicht im Sinne von „Volksverhetzer“ gemeint habe. Warum hat Herr Dr. Schertz dann noch vier Tage später, am 10. November, von Weinreich genau diese Klarstellung gefordert?

Koch: Der DFB war bemüht, die Auseinandersetzung in einer beide Seiten zufriedenstellenden Weise zu beenden. Das sollte aus Sicht des DFB aber nicht durch ergänzende oder klarstellende Blogeinträge, sondern durch ein persönliches Schreiben von Herrn Weinreich erfolgen. In der Sache selbst, die zwischenzeitlich leider fast vollständig in den Hintergrund gestellt wird, geht es nämlich weiterhin darum, dass Dr. Zwanziger mit der Bezeichnung „unglaublicher Demagoge“ persönlich verunglimpft worden ist. Als Dr. Theo Zwanziger von mir kurz vor Einreichen der auf Unterlassung und Widerruf abzielenden Klageschrift davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass Herr Weinreich erstmals am 12. November (also nicht am 11. November, wie irrtümlich in unserer Pressemitteilung angegeben) uns gegenüber schriftlich erklärt hatte, eine andere Deutung des Begriffs „unglaublicher Demagoge“ für sich in Anspruch zu nehmen und somit durch ein Schreiben seines Anwalts zum Ausdruck brachte, dass er Dr. Theo Zwanziger nicht in die Nähe nationalsozialistischer Propaganda rücken will, war aus Sicht des DFB der Kern des Streits erledigt und unser Anwalt wurde beauftragt, alles Weitere auf dieser Ebene abzuwickeln. Zuvor hatte Herr Weinreich diese Erklärung lediglich in seinem Internet-Blog abgegeben, was für uns allerdings nicht ausreichend war..

Sie schreiben, Weinreich habe diese Klarstellung am 6. November „nach dem Verfassen der Klageschrift“ veröffentlicht. Sie stellen Weinreichs Klarstellung als eine Reaktion auf die Androhung einer Klage dar. Wie kann Weinreich schon am 6. November auf eine Drohung vom 10. November reagieren?

Koch: Die juristische Auseinandersetzung zwischen Dr. Zwanziger und Herrn Weinreich lief bekanntlich bereits seit vielen Wochen und war nicht abgeschlossen. Nachdem das Amtsgericht und das Kammergericht Berlin Herrn Dr. Zwanziger einstweiligen Rechtsschutz verweigert hatten, war – wie bei solchen Verfahren üblich – durch Herrn Dr. Zwanziger und den DFB zu entscheiden, ob ein Hauptsacheverfahren durchgeführt werden soll oder nicht. Dies war Herrn Weinreich bestens bekannt und wir haben am Morgen des 6. November entschieden, vor Einreichen der Klage über die Anwälte nochmals Herrn Weinreich eine letzte Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Herr Weinreich hat in seinen Blog am 6. November um 11.53 Uhr, also nach unserer Entscheidung am Morgen, die Klage einzureichen, eine Erklärung gestellt, die wir als Basis für eine außergerichtliche Einigung gesehen haben. Dies wurde dann in einem Schreiben seines Anwalts vom 12. November erstmals uns gegenüber schriftlich zum Ausdruck gebracht.

Sie schreiben, Weinreich habe sich der Rufschädigung schuldig gemacht und zitieren Herrn Dr. Koch mit den Worten, Weinreich habe Herrn Zwanziger indirekt als Volksverhetzer bezeichnet. Ist Ihnen bekannt, dass zwei Berliner Gerichte Weinreichs Äußerung für zulässig erklärt haben und der Deutung von Herrn Dr. Koch widersprochen haben?

Koch: Die beiden Berliner Gerichte haben einstweiligen Rechtsschutz verweigert und keine Entscheidung in der Sache selbst, d.h. in der Hauptsache getroffen. Dies wäre erst im Rahmen einer mündlichen Verhandlung juristisch zu klären gewesen.

Sie zitieren Herrn Dr. Koch mit den Worten, Weinreich habe „nun erstmals in angemessener Form gegenüber Theo Zwanziger versichert, diese Deutung [des Wortes ‚Demagoge‘ als ‚Volksverhetzer‘] sei nicht von ihm beabsichtigt gewesen“. Warum waren die früheren öffentlichen Erklärungen von Weinreich, zum Beispiel am 22. Oktober in seinem Blog nicht ausreichend? Damals schrieb Weinreich über diese Deutung: „Ich weiß nicht, wie man darauf kommt, so etwas zu behaupten. Dass ich dem kolossal widerspreche, wiederhole ich gern noch einmal.“

Koch: Blogeinträge mögen für die Internetcommunity ausreichende Erklärungen sei. Für den DFB stellen sie keine zufriedenstellende Reaktion auf missverständliche, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens attackierende und verunglimpfende Äußerungen dar. Deshalb waren die Blog-Einträge von Herrn Weinreich am 22. Oktober und 6. November für uns nicht ausreichend.

Soweit die Antworten des DFB.

Mir ist bewusst, dass kaum ein Außenstehender mehr dieses Gewirr von Terminen und Erklärungen durchschauen und auch nur annähernd rekonstruieren kann, was Wahrheit und was Lüge ist. Und dass sich die Diskussion längst wegentwickelt hat von diesen Detailfragen, die mir noch am Montag relevant schienen.

Aber als ein Indiz dafür, wie heillos sich der DFB bei seinem Versuch, Weinreich zu diffamieren, in seinen eigenen Halb- und Unwahrheiten verstrickt hat, kann man die Widersprüche festhalten, was Blogs angeht: Wenn jemand in einem Blog etwas äußert, das Herr Zwanziger als ehrenrühig ansieht, handelt es sich also um eine öffentliche Stellungnahme, gegen die man mit aller Härte vorgehen muss. Wenn jemand in einem Blog mögliche Missverständnisse ausräumt, handelt es sich aber um nicht ernst zu nehmendes Zeug, das jenseits einer „Internetcommunity“ niemand zur Kenntnis nimmt?

(Der DFB hat mich zwar darum gebeten, seine Antworten komplett zu veröffentlichen. Ich habe aber davon abgesehen, hier auch die Änderungen eines teils deutlich abweichenden Entwurfes zu dokumentieren, die in dem Word-Dokument mit den Antworten noch sichtbar waren. Ich hoffe, der DFB ist mir nicht böse.)

Nachtrag, 19:15 Uhr. Auf sueddeutsche.de kann man Theo Zwanziger über viele Zeilen bei der Selbstdemontage zusehen.

DFB: Diffamieren statt Klagen

Der Deutsche Fußball-Bund hat seine Strategie geändert. Sein Präsident Theo Zwanziger verzichtet nun darauf, den freien Sportjournalisten Jens Weinreich zu verklagen. Stattdessen hat sich der DFB entschieden, den Kollegen vor einem illustren Publikum zu diffamieren.


Die Homepage des DFB zeigt lachende ältere Herren und formuliert treffend zweideutig: „Zwanziger-Diffamierung missbilligt“. Screenshot: dfb.de

DFB-Generalsekretär Wolfgang Niersbach hat heute Abend eine E-Mail verschickt, in der er erklärt, sein Verband könne es nicht hinnehmen, dass Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens „grundlos diffamiert werden“ — „auch nicht in – mehr oder weniger anonymen – Internetblogs“. Da sich der Fall, auf den sich Niersbach bezieht, vor allem im Blog „Direkter Freistoß“ von Oliver Fritsch und „Jens Weinreich“ von Jens Weinreich abspielte (unter unmaßgeblicher Beteiligung dieses Blogs, dessen Betreiber Sie oben in Weiß auf Grün sowie in der Adresszeile lesen können), meint Niersbach mit „mehr oder weniger anonym“ offenbar „nicht anonym“. Das nur als erstes Indiz für den Respekt vor der Wahrheit, den der Deutsche Fußball-Bund hier demonstriert.

Das Dokument, das der DFB in dieser Sache verbreitet und das Kürzel des DFB-Direktors Kommunikation & Öffentlichkeitsarbeit, Harald Stenger, trägt, strotzt vor weiteren Unwahrheiten. Zum Beispiel behauptet der DFB, Weinreich habe Zwanziger „ohne Anlass“ einen „unglaublichen Demagogen“ genannt. Man kann darüber streiten, ob Weinreich ihn so nennen durfte. Man kann nicht darüber streiten, ob er es „ohne Anlass“ getan hat. Der Anlass ist ein konkreter Auftritt Zwanzigers und ein konkrete inhaltliche Auseinandersetzung. Den „Sachbezug“ hat auch das Landgericht Berlin festgehalten, als es Zwanzigers Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen Weinreich ablehnte. Dass die Pressemitteilung des DFB nicht einmal erwähnt, dass zwei Gerichte der Argumentation Zwanzigers, seines Anwaltes und nun des DFB bereits widersprochen haben, zeigt, wie unredlich der DFB agiert.

Der DFB schreibt als Erklärung für die neue Strategie:

Unmittelbar vor der Erhebung einer auf Unterlassung und Widerruf abzielenden Klage Dr. Zwanzigers gegen Weinreich hat der Berliner Journalist jedoch nunmehr über seinen Anwalt am 11. November 2008 dem DFB eine Erklärung zukommen lassen, die Dr. Zwanziger als ausreichende Entschuldigung und Eingeständnis eines Fehlverhaltens von Weinreich akzeptiert.

Jens Weinreich bestreitet, dass er oder sein Anwalt dem DFB oder seinem Anwalt am 11. November 2008 überhaupt irgendeine Erklärung haben zukommen lassen. Weinreich hat in seinem Blog ein Schreiben von heute (14. November) veröffentlicht, in dem sein Anwalt erklärt, nichts Neues zu erklären zu haben. Sollten sich die Behauptungen des DFB auf diesen Brief beziehen, ist er von erstaunlicher Perfidie, es als ein Dokument zu bezeichnen, aus dem man eine „Entschuldigung“ und das „Eingeständnis eines Fehlverhaltens von Weinreich“ lesen kann.

Als Zeugen für die Ungeheuerlichkeit Weinreichs und Unantastbarkeit Zwanzigers (der nicht nur gegen Jens Weinreich, sondern auch gegen Nazis und Homophobie im Sport ist) führt der DFB neben seinem Generalsekretär noch den Ligaverbands-Präsidenten Dr. Reinhard Rauball sowie den für Rechtsfragen zuständige DFB-Vizepräsidenten Dr. Rainer Koch auf. Koch wird mit den Worten zitiert:

[…] als Demagoge wird ein Volksverhetzer bezeichnet, der sich einer strafbaren Handlung schuldig macht. Eine Volksverhetzung begeht, wer zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde dadurch angreift, dass er andere beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Koch suggeriert, es gäbe nur diese eine Definition für den „Demagogen“. Nicht nur ein Blick in den Duden, mit dem Theo Zwanziger argumentiert hat, zeigt, dass er damit unrecht hat. Und falls der DFB gerade keinen Duden zur Hand hat — die hier nicht ganz unmaßgebliche Meinung des Berliner Landgerichtes in der Sache müsste er doch vorliegen haben. Sie lautet:

Dass Diktatoren demagogisch agieren mögen, führt jedenfalls nicht dazu, dass derjenige, den man einen Demagogen nennt, mit einem Diktator gleichzusetzen wäre.

So steht es in dem Beschluss des Gerichtes in Sachen Zwanziger ./. Weinreich.

Der DFB hat die Pressemitteilung, in der er Jens Weinreich diffamiert, nicht nur auf seiner Homepage veröffentlicht, sondern direkt per E-Mail verschickt. Unter den Empfängern sind neben dem Integrationsbeauftragten des DFB, diversen Fußball-Verbänden, dem Schriftsteller Albert Ostermaier, dem Leiter der Ulmer Staatsanwaltschaft, Dr. Wolfgang Zieher und dem Büro von Grünen-Chefin Claudia Roth über ein Dutzend Bundestagsabgeordnete.

Vielleicht lässt es sich ja noch einrichten, morgen in den Bundesliga-Stadien eine Schweigeminute für die verlorene Ehre des Theo Zwanziger abzuhalten.

Jens Weinreich hat auch die neuesten Entwicklungen ausführlich dokumentiert.

(Noch einmal der dringende Hinweis, von Beschimpfungen und möglichen Beleidigungen der handelnden Personen in den Kommentaren sowie mehr oder weniger anonymen „Internetblogs“ abzusehen. Auch wenn der DFB offenbart meint, die „Grenzen der Meinungsfreiheit“ würden von ihm bestimmt und nicht von Gerichten, würde ich mich nicht darauf verlassen, dass er von rechtlichen Schritten gegen Kritiker absieht.)