Ein Gespräch im Deutschlandfunk macht Furore auf rechten Internetseiten. In der Sendung „Informationen am Mittag“ hat der konservative Politiker Tobias Teuscher am Sonntag offen ausgesprochen, was deren Leser immer schon zu wissen glaubten: Die Grünen im Europäischen Parlament wollten bewusst pädophile Umtriebe fördern. Und eine Mehrheit von Linken, Grünen und Liberalen arbeite daran, Homosexualität als „Leitkultur“ in der europäischen Union festzuschreiben.
Steile Thesen.
Interessanter noch als die Aussagen Teuschers aber sind die Reaktionen des Deutschlandfunk-Moderators, der ihn am Telefon hatte: Schweigen und Zustimmung.
Er unterbrach ihn nicht und forderte ihn nicht heraus. Er moderierte das Gespräch ab, als seien das unbestreitbare Tatsachen, die sein Interviewpartner gerade formuliert hatte.
Der Moderator der Sendung heißt Jürgen Liminski und ist einschlägig bekannt. Er schreibt für die rechtskonservative Zeitung „Junge Freiheit“, engagiert sich in christlich-konservativen Interessensverbänden, ist Opus-Dei-Mitglied. Und nutzt offenbar auch die Sendungen im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk, die er moderiert, als Plattform für seine politischen Überzeugungen.
Wenn Tobias Teuscher in den zustimmenden Berichten über seine Interview-Aussagen nun als „EU-Experte“ statt als Politiker bezeichnet wird, ist das auch ein Verdienst von Liminski, der seinen Gesprächspartner entsprechend vorgestellt hat:
„Er ist Sekretär der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe Familienpolitik und Kinderrecht im europäischen Parlament und kandidiert im Norden Frankreichs für einen Sitz im Parlament.“
Das klingt, als komme Teuscher hier als unabhängiger überparteilicher Fachmann zu Wort. Nun sind die fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppen keine Organe des Parlamentes, keine offiziellen Ausschüsse, sondern bloß informelle Gruppen, in denen sich verschiedene Abgeordnete mit bestimmten thematischen Interessen zusammenfinden. Im Fall der Arbeitsgruppe Familienpolitik ist zudem das Wort „fraktionsübergreifend“ zwar zutreffend, aber irreführend, weil sie von der christdemokratisch orientierten Fraktion der Europäischen Volkspartei dominiert wird. Es gibt fast kein nicht-konservatives Mitglied in diesem Zusammenschluss.
Moderator Liminski erwähnt das nicht. Er nennt auch nicht die Liste, für die Teuscher in Frankreich kandidiert. Vermutlich hätte es den Eindruck, er spreche mit einem unabhängigen Experten zu sehr konterkariert: Es ist die Liste „Force Vie“ von Christine Boutin, die sich als lautstarke Gegnerin der Homo-Ehe einen Namen gemacht hat. Ende der neunziger Jahre predigte sie mit der Bibel in der Hand stundenlang in der französischen Nationalversammlung gegen eingetragene Partnerschaften: „Alle Zivilisationen, welche die Homosexualität als normale Lebensweise anerkannt und gerechtfertigt haben, sind dekadent untergegangen“, warnte sie.
Das ist die politische Heimat des Kandidaten für das Europaparlament, Tobias Teuscher. Es ist auch die politische Heimat des Moderators, Jürgen Liminski. Zwei Gleichgesinnte spielen sich die Bälle zu. Und Liminski erklärt nicht einmal den politischen Hintergrund seines Gastes, sondern tut so, als spräche er hier mit Teuscher in einer überparteilichen offiziellen Funktion des Europaparlamentes.
Und als sei es eine ganz übliche, womöglich geradezu zwingende Erkenntnis eines unabhängigen Beobachters, dass dunkle Mächte in Europa den Boden für Pädophilie und Homosexualität als „Leitkultur“ bereiten.
Ausschnitte aus dem Deutschlandfunk:
Liminski: In sozialen Fragen ist von Seiten der europäischen Institutionen eine zunehmende Zentralisierungsdynamk zu beobachten, die auch zu Streit mit einzelnen Ländern führt, jüngstes Beispiel war die Einmischung der Kommission in die Sozialpraxis Deutschlands, Stichwort Hartz IV für Ausländer. Aber auch in der Famlienpolitik sind diese Bestrebungen zu beobachten. Sie führten im Europaparlament im Oktober und November zu heftigen Debatten. Nur mit knapper Mehrheit konnte eine Resolution verhindert werden, die Abtreibung als ein Recht und in Kindergärten und Schulen sexuelle Vielfalt als Ziel der Erziehung forderte.
Dabei sind die meisten Staaten gerade in diesem Bereich aufmerksam darauf bedacht, das Prinzip der Subsidiarität zu praktizieren, also Regelungen auf nationaler oder regionaler Ebene zu treffen und sie nicht von der supranationalen Ebene auferlegt zu bekommen.
Mit dieser Begründung ist auch der sogenannte Estrela-Bericht abgeschmettert worden, der eben das Recht auf Abtreibung als Grundrecht sowie Frühsexualisierung und sexuelle Vielfalt ohne Zustimmung der Eltern forderte. Nun steht das Parlament erneut vor einer ähnlichen Diskussion und in der Gefahr, das Prinzip der Subsidiarität zu brechen. Darüber wollen wir sprechen mit Tobias Teuscher. (…)
Herr Teuscher, der Estrela-Bericht wurde abgeschmettert mit der Begründung, für seine Problematik sei das Europa-Parlament nicht zuständig. Wie kann es sein, dass nun diese Forderungen erneut ins Parlament getragen werden? Sind die Parlamentarier nicht lernfähig?
Kurze Zwischenfrage. Wenn im Deutschlandfunk ein vermeintlicher politischer Experte nach dem Estrela-Bericht und dem Umgang damit gefragt wird, hätte es Sie als Hörer interessiert, dass der Gesprächspartner „Kontaktmann für Europa“ einer Bürgerinitiative ist, die maßgeblich die Proteste gegen eben diesen Estrela-Bericht angeführt hat? Deutschlandfunk-Moderator Liminski fand dieses Detail über seinen Gesprächspartner und politischen Mitstreiter nicht erwähnenswert.
Das weitere Interview läuft dann so, dass Anti-Diskriminierungspolitik-Gegner Liminski fragt, ob die europäische Anti-Diskriminierungspolitik nicht diskriminierend ist, und Anti-Diskriminierungspolitik-Gegner Teuscher bestätigt, dass dies so sei:
Liminski: Wird die Anti-Diskriminierung (…) nicht zur Diskriminierungswaffe der Minderheiten gegenüber Mehrheiten, sozusagen zum Mittel der Gleichschaltung? Denn bei Richtlinien geht es ja nicht mehr um Toleranz, sondern um Verpflichtung.
Teuscher: (…) Das heißt, dass heute Minderheiten die Mehrheit dominieren. Und fehlende Information und auch eine gewisse Schweigespirale dazu führt, dass das Prinzip der Allgemeingültigkeit der Grundrechte zugunsten von Minderheitenrechten auf den Kopf gestellt werden. Das gilt vor allen Dingen bei diesen ganz sensiblen ethischen Fragen wie zum Beispiel der Lebensrechtsschutz oder auch die Definition von Ehe und Familie. Und gerade in diesem Bereich ist das Element von Geschlechtergleichstellung in Verbindung mit der sexuellen Orientierung — oder sexuellen Identität, wie es neuerdings heißt –, geeignet, damit Homosexualität als Leitkultur in der europäischen Union errichtet wird. Und dazu erwartet uns im Grunde genommen auch im Febrauar auch ein neuer Bericht, der Bericht von Frau Lunacek, der genau das vorsieht.
Liminski: Sieht man denn im Parlament nicht, dass solches Denken das Recht auf Meinungs- und Gewissensfreiheit aushebelt?
Teuscher: Das sieht man, aber man schließt die Augen. (…)
Es geht hier nicht darum, dass wir Chancengleichheit oder Antidiskriminierung verbieten wollen. Aber es geht um ein gesundes Gleichgewicht zwischen den Rechten der einen und den Rechten der anderen. (…)
Wir hatten das ganze schon mal durchexerziert im Rahmen des Estrela-Berichtes, da ging es um die Frühsexualisierung von Kindern. Und wir haben festgestellt, dass die Legitimitätsgrundlage von einem Papier ausgeht, dass die Weltgesundheitsorganisation gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Aufklärung einen Leitfaden zur sexuellen Erziehung geschrieben hat. Und da steht ganz ausdrücklich drin, dass die frühkindliche Masturbation ausdrücklich gefördert werden soll im Kindergarten.
Nun ja, die Sache ist deutlicher komplexer, gegen diese Zuspitzung ließe sich einiges sagen, was der Moderator aber nicht tut.
Teuscher: Und jetzt sagen Sie mir selber, Herr Liminski, was soll denn bitte sein, wenn man im Kindergarten frühkindliche Masturbation fördert? Das ist für mich und für viele andere Politiker auch die Legitimierung von Pädophilie mit dem Gütesiegel der europäischen oder internationalen Institutionen. Und die Grünen machen das ganz bewusst und treiben diese Agenda ganz bewusst voran.
Teuscher suggeriert geschickt ein Bild von grünen pädophilen Kindergärtnern, die an den Genitalien der Kinder herumspielen wollen und sich das mithilfe irgendwelcher Wissenschaftler und dem Europaparlament legitimieren lassen.
Es kommt dazu keine Nachfrage mehr vom Moderator, keine Reaktion auf die gewagten und perfiden Sprünge in diesen Sätzen, nur noch die Abmoderation:
Liminski: Die Gefahr der Gleichschaltung in sozialen Fragen durch EU-Richtlinien-Resolutionen wird konkreter. Das war aus Brüssel der Sekretär der fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe Familienpolitik im Europaparlament, Tobias Teuscher. Besten Dank für das Gespräch, Herr Teuscher.
Und der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk hat kein Problem mit einem solchen Agit-Prop-Gespräch unter Gesinnungsgenossen?
PS: Das christlich-konservative „Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie“, das Liminski leitet, nennt auf seiner Internetseite als Unterstützer auch Willi Steul. Steul ist Intendant des Deutschlandradios, zu dem der Deutschlandfunk gehört.
Nachtrag, 11:50 Uhr. Rainer Hörmann war im vergangenen Jahr auch schon über Liminskis besondere Art der Moderation im Deutschlandfunk gestolpert.
Nachtrag, 13:25 Uhr. Die Chefredakteurin des Deutschlandfunks nimmt in den Kommentaren Stellung und kritisiert die Gesprächsführung des Moderators.