Beim Schlager-Grand-Prix treffen sich Nationalstolz und Popkultur, und einer der Kandidaten heißt Moshammer.
Bumm-bomm bumm-bomm . . . Die Pauken aus Also sprach Zarathustra künden von einem großen, billigen Höhepunkt. Ein Dutzend Kamerateams drängeln sich um ein Rechteck im Teppichboden, livrierte Bedienstete versuchen, sie vom eingelassenen Metallrahmen weg zu bewegen, eine Rotte von 80 Journalisten späht durch ihre Beine. Es ist die Pressekonferenz, auf der die ARD bekannt gibt, wer an der deutschen Vorausscheidung zum europäischen Song Contest teilnehmen wird. Jürgen Meier-Beer, offiziell Unterhaltungschef des NDR, tatsächlich deutscher Schlager-Grand-Prix-Ober-Verwaltungschef, hat gerade dieNamen vorgelesen, darunter Zlatko Trpkowski, bekannt durch 39 Tage Aufenthalt im Fernsehcontainer, und Rudolf Moshammer, bekannt durch jahrelange Darstellung des Rudolf Moshammer. Sänger waren auch unter den Nominierten, und einige standen sogar hinter Meier-Beer auf der Bühne. Doch dahin schaut niemand mehr, seit er noch eine „kleine Überraschung“ angekündigt hat, die aus dem Fahrstuhl in der Mitte des Raumes aufsteigen soll.
Eine kleine Überraschung? Zlatko, das Fett verteilend, das er sichgerade öffentlich hat absaugen lassen? Moshammer als König Ludwig – oder Königin Elisabeth? Oder, bestimmt, Stefan Raab, der gleich, höhö, in einer absurden Verkleidung mit der Hebebühne mitten in die Runde platzt?
Das letzte Taa-Daaa-Daaaa! Dann ein trauriges metallisches Klonk. Dann nichts. Stille in den Kopfhörern, Bewegungslosigkeit auf den Monitoren. Die Medienöffentlichkeit hält den Atem an. Jetzt bewegt sich was. Die Bühne fährt hoch. Noch ein Klonk, dann ist es da. Es ist: das Buffet! Die Journalisten lassen ihre Schreibblöcke und Kameras sinken, aber enttäuscht sieht keiner aus.Das ist das Schöne an Phänomenen wie Zlatko und Moshammer: Die pompöse Leere und dramatischen Anti-Höhepunkte, die sie uns bescheren, kriegt man notfalls locker ohne sie hin.
Sladdi und Mosi also. Gott ja. Nachdem der Schlager-Grand-Prix schon wegen Guildo Horn und Stefan Raab partout nicht untergehen wollte, geschweige denn das Abendland, hält sich die Aufregung in Grenzen. Beruhigend auch zu erfahren, dass es nicht das erste Mal ist, dass Moshammer als Sänger auftritt: In der Goldenen-Eins-Hitparade hat er es schon einmal getan, er errang den letzten Platz. Selbst Mark Pittelkau, Unterhaltungsreporter bei Bild und Erster Frontberichterstatter in Sachen Grand Prix, hat die Reise zur Endausscheidung in Kopenhagen noch nicht gebucht. Er glaubt nicht, dass sich mit den Kandidaten genügend Aufregung produzieren lässt. Und dass es für Zlatko ein Jahr nach seinem Auszug bei Big Brother noch ein Durchmarsch werden wird, glaubt er auch nicht.
Meier-Beer formuliert das so: „Wer glaubt, hier eine billige PR-Nummer machen zu können, wird sich wundern.“ Für ihn ist das Kandidatenfeld ein Glücksfall. Zlatko und Moshammer sorgen für die nötigen Schlagzeilen (und Quote). Wolf Maahns Teilnahme bringt alte Deutschrocker zum Weinen. Joy Fleming bildet mit zwei anderen Sängerinnen ein Team, das sich aber nicht Mütter Mannheims nennt, sondern White Chocolate. Schlagersängerin Michelleist nach Angaben von Menschen, die sich mit sowas auskennen, in entsprechenden Kreisen außerordentlich populär.
Seit Meier-Beer dafür gesorgt hat, dass die großen Plattenfirmen selbst entscheiden, wen sie ins Rennen schicken, stehen den peinlichen traditionellen Beiträgen auch peinliche moderne gegenüber, etwa der Hamburger DJ Balloon. Wer noch? „Was wäre der Grand Prix ohne Ralph Siegel?“, fragt Meier-Beer freundlich und fügt, etwas weniger freundlich, hinzu: „Und was wäre Ralph Siegel ohne den Grand Prix?“ Für gleich zwei Beiträge schrieb er die Musik.
Nun darf man aber nicht den Fehler machen, aus Meier-Beers breitem Grinsen zu schließen, dass es um nichts geht: Für Moshammer zum Beispiel geht es um viel Geld. Für Zlatko um viel PR. Für die Nachwuchsbands um eine Karriere. Und für Deutschland um alles. „Wir wollen siegen“, hat das Erste die Vorentscheidung in diesem Jahr genannt, was sich ausdrücklich nicht nur auf diese Runde bezieht, sondern auch aufs Finale. Moderator Axel Bulthaupt soll die Zuschauer ermahnen, den zu wählen, von dem sie glauben, dass mit ihm oder ihr „Deutschland“ die größten Chancen hat.
Wenn Meier-Beer die Bedeutung der Veranstaltung erklärt, kommt er gerade so um das Wort „Leitkultur“ herum: „Das deutsche Volk entscheidet, was Ausdruck unseres Nationalstolzes ist.“ Dann philosophiert er, dass der Song Contest die einzige Gelegenheit sei, bei der Nationalstolz und Popkultur aufeinander treffen; das Ergebnis sei „oft eine Skurrilität, aber oft auch eine ernst zu nehmende Leistung“. Soviel Pathos ist neu, liegt aber im Trend. Und genau um den geht es ja: „In den vergangenen Jahren gab es offenbar ein Bedürfnis der Deutschen, dem Ausland zu zeigen: Wir haben Humor. Wir werden sehen, ob das Bedürfnis auch in diesem Jahr noch so groß ist.“
Wir lernen: Der Grand Prix ist groß, wichtig, unterhaltsam – und beruhigend noch dazu. Wer glaubt ernsthaft, dass die Deutschen diesmal der Welt zeigen wollen: Wir haben Moshammer?
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