Chronologie einer Falschmeldung II

Drei Tage hat die Nachrichtenagentur dpa gebraucht, ihre Falschmeldung zu korrigieren, dass ein Redner auf der Anti-G8-Kundgebung in Rostock am 2. Juni die Gewalttäter mit dem Satz angestachelt habe, man müsse den „Krieg in diese Demonstration“ bringen. Aber nach drei Tagen hat sie sich umfassend korrigiert und entschuldigt.

Und die Medien, die diese Falschmeldung weitertrugen, obwohl sie es besser hätten wissen können, und teilweise mit eigenen Details noch ausschmückten?

„Frankenpost“, „Neue Presse“ Coburg und „Südthüringer Zeitung“ brachten am Mittwoch in ihrem gemeinsamen Mantelteil immerhin folgende Meldung:

Kein Aufruf zum „Krieg“

ROSTOCK – Einen Aufruf zum „Krieg“ bei den Demonstrationen von Rostock am Samstag hat es nicht gegeben. Das hat eine Überprüfung des Redetextes gezeigt, den der Redner Walden Bello bei einer Kundgebung in Rostock vorgetragen hat. Die Deutsche Presse-Agentur dpa bedauert jetzt die fehlerhafte Berichterstattung und hat sich entschuldigt. In einem Bericht zu den Ausschreitungen während der Demonstrationen am 2. Juni hatte dpa Bello irrtümlich mit der Aufforderung zitiert, „den Krieg in die Demonstration reinzutragen“.

Und die „Stuttgarter Nachrichten“ scheinen sich zwar selbst nichts vorzuwerfen zu haben, informierten ihre Leser aber:

Panne beim Zitieren

Hamburg – In einem Korrespondentenbericht zu den Krawallen während der Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel am 2. Juni hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) einen Redner mit den Worten zitiert: „‘Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. …“ Diese Formulierung ist – wie aus einem TV-Mitschnitt von „Phoenix“ ersichtlich ist – weder in der englischen Originalrede noch in der deutschen Übersetzung des Beitrags so gefallen. Die Agentur teilt mit: „Die sinnentstellte Fassung in den Meldungen der dpa ist auf einen Übermittlungsfehler zurückzuführen, für den dpa allein die Verantwortung trägt.“

Das ist bemerkenswert, weil die „Stuttgarter Nachrichten“ ihren Bericht gar nicht als dpa-Bericht gekennzeichnet hatten. Wenn alles glatt geht, lassen sie ihre Leser glauben, ihre Zeitung hätte sie so gut informiert; wenn Fehler passieren, trägt dafür allein die Agentur die Verantwortung. Nun ja.

Und sonst? Sonst bleibt es ein trauriges Lehrstück darüber, wie klein das Interesse deutscher Medien ist, ihre Leser wahrheitsgetreu zu informieren.

Der „Tagesspiegel“ verbreitete die Falschmeldung prominent auf seiner Seite 3:

Von einer Bühne herab ruft ein Redner: „Wir müssen den Krieg in diese Demonstration reintragen. Mit friedlichen Mitteln erreichen wir nichts.“ Dann ist der Frieden nicht mehr zu retten.

Die falschen Zitate stehen unverändert online; ich habe weder unter tagesspiegel.de noch im gedruckten „Tagesspiegel“ eine Korrektur gefunden. Der Artikel beginnt übrigens mit dem schönen Satz:

Es geht bei einem solchen Spektakel auch darum, die Hoheit darüber zu gewinnen, was im Gedächtnis bleibt.

Auch die „Neue Zürcher Zeitung“, die gerne Adjektive wie „seriös“ oder „renommiert“ verliehen bekommt, sah sich bislang nicht veranlasst, ihren Online-Artikel mit dem falschen Zitat zu ändern. Genauso sieht es bei den „Braunschweiger Nachrichten“, der „Kölnischen Rundschau“ und Bild.de aus.

Eine interessante Erfahrung machte der Blogger Pantoffelpunk, als er am Dienstagvormittag n-tv.de auf das falsche Zitat hinwies. Der zuständige Redakteur der Firma, die für n-tv den Onlineauftritt redaktionell betreut und sich (vermutlich selbstironisch) „Nachrichtenmanufaktur“ nennt, antwortete kryptisch:

Im Gegensatz zu SPOn korrigieren wir keine „Korrekturen“ von anderen berichterstattenden Zuhörern, die sich verhört haben. Wir bleiben einfach bei den Fakten.

Auf eine Nachfrage kam eine noch pampigere Antwort mit dem schönen Schluss:

Ich hoffe Sie haben jetzt verstanden, dass die Meldung für uns nicht diskutabel ist.

Als dpa endlich offiziell den Fehler einräumte, verschwand die zweifellos indiskutable Bildunterschrift bei n-tv.de ohne Spur und Erklärung.

(Die Unsitte, Artikel als fortlaufenden Text über vielteilige Bilderserien zu verteilen, wäre übrigens noch einmal ein eigenes Thema. Sie führt immer wieder zu frappierenden Text-Bild-Scheren, so auch in diesem Fall, denn der gezeigte maskierte Mensch hatte, anders als es n-tv.de nahelegt, natürlich schon mal gar nichts mit dem Zitat zu tun.)

Bei der Nachrichtenmanufaktur scheint man inzwischen unglücklich über die Kommunikation mit dem Blogger, arbeitet aber immer noch an einer zitierfähigen Stellungnahme. Nach wie vor unkorrigiert ist in der Bilderserie, um die es geht, übrigens die Behauptung, 60 Polizisten hätten nach den Krawallen in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Das hat nicht einmal die Polizei behauptet, die von 30 schwerverletzten Polizisten sprach, und selbst das ist längst widerlegt.

Ein interessanter Fall ist schließlich noch die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, die sich die dpa-Ente in einer eigenen Reportage zu eigen machte. Eine Korrektur scheint es nicht gegeben zu haben; eine Anfrage von mir bei Ulrich Reitz, dem Chefredakteur der „WAZ“, blieb unbeantwortet.

Die WAZ hat Anfang Mai im Rahmen eines bizarren Festaktes in der Essener Philharmonie öffentlichkeitswirksam einen „Verhaltenskodex“ unterzeichnet, in dessen Präambel es heißt:

Regionalzeitungen genießen im Vergleich mit anderen Medien ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Dieses Vertrauenskapital darf nicht gefährdet werden. Der Verhaltenskodex der WAZMediengruppe legt fest, welche Regeln strikt einzuhalten sind.

In dem gesamten, über fünfseitigen Schriftwerk (pdf) steht kein Wort darüber, dass zur „Glaubwürdigkeit“ auch der Versuch gehören könnte, möglichst wahrheitsgetreu zu berichten, und die Verpflichtung, Fehler in irgendeiner Form richtigzustellen.

Ich fürchte, bei der „WAZ“ sähe man, im Gegenteil, das eigene „Vertrauenskapital“ gefährdet, wenn man offensiv und transparent mit Fehlern umginge, Verantwortung übernähme und sich zu allererst einer korrekten Information der Leser verpflichtet fühlte. Sie ist damit in Deutschlands Medienwelt in guter Gesellschaft.

31 Replies to “Chronologie einer Falschmeldung II”

  1. bemerkenswert finde ich auch, dass die ZEIT in ihrer Ausgabe von dieser Woche auf Seite 2 folgendes schreibt: „Auf der Bühne aber steht noch immer Walden
    Bello. Er sagt jetzt einen Satz, der am nächsten
    Tag in den Zeitungen stehen wird. Viele machen
    ihn deshalb für die Ausschreitungen mitverantwortlich:
    »Wir müssen den Krieg in die Demonstration
    tragen.« Die Veranstalter werden den Satz
    zu korrigieren versuchen – ein Missverständnis,
    ein Übersetzungsfehler. Bello habe den Irakkrieg
    gemeint, habe gefordert, dieses Thema während
    der Proteste stärker zu betonen.“

    das klingt ja nun wieder ganz anders…

  2. @ lenz:

    Das ist nun wirklich eine seltsame Form der Meinungsmache… tja, leider werden die wenigsten Menschen überhaupt etwas von den Entschuldigungen mitbekommen haben. Und werden deshalb weiter dem Gegeifer ihrer Morgenlektüre glauben…

  3. Ich war selbst im Camp vor Heiligendamm und dort wurden solche Zeitungsmeldungen natürlich mit großem Interesse verfolgt. Am „genialsten“ war aber wie immer die Bild, die so viel Unfug schrieb, dass einem schon fast das Lachen verging. Aber das war ja nicht anders zu erwarten.

  4. Du musst allmählich aufpassen, Stefan, dass deine Journalistenkollegen dich nicht als ’nen ‚Schmuddel‘ betrachten, der seine Nase immer in anderer Leute dreckige Wäsche steckt und damit ihre vorgeblichen ‚Qualitäten‘ gefährdet. Kritik und Kontrolle sind die nicht gewohnt …

  5. Hallo Herr Niggemeier,

    kleine Frage, auch wenn es nicht direkt in die Diskussion passt: Wie gelingt es Ihnen, so schnell derart umfassend über die Medienberichterstattung informiert zu sein? Lesen Sie wirklich so viel oder erhalten Sie so viele Hinweise? Oder suchen Sie Ihre Suchbegriffe bei Pressemonitor?

    Sorry, wenn ich die Diskussion zum eigentlichen Thema störe.

    Gruß,

    Christian

  6. @Christian: Naja, dieses Stück war ja nun wirklich nicht „schnell“… Ich habe Zugriff auf ein, zwei Archive, vieles lässt sich online nachvollziehen, und in diesem Fall hat dpa selbst ein bisschen mitgeholfen. Pressemonitor nutze ich nicht.

  7. Wer eine Falschmeldung verbreitet, muss sie korrigieren, wenn er davon erfährt. Basta!
    Die Korrektur muss der Bedeutung der Falschmeldung entsprechen.
    Auf die tatsächlichen Ereignisse handgreiflicher Art hatte weder die Falschmeldung noch hätte die richtige Meldung einen Einfluss gehabt.
    Die Gewalt würde nicht dadurch schlimmer, wenn dazu aufgerufen worden wäre, noch war sie weniger schlimm, wenn es einen solchen Aufruf nicht gegeben hat.
    Trotzdem ist die mangelnde Richtigstellung durch die Falschmelder ein Armutszeugnis.

  8. Wenigstens hat unsere Lokalzeitung, von uns liebevoll Frankenpest genannt, richtig reagiert. Wundert mich irgendwie, da die Qualität sonst in meinen Augen nicht immer gut ist. :o)

  9. Man kann annehmen, die verantwortlichen Redakteure bei WAZ, Tagesspiegel, Bild.de etc. antizipieren die politische Einstellung ihrer Leser antizipieren und unterlassen aus Kalkül die Richtigstellung – ein schönes Beispiel für fehlende journalistische Unabhängigkeit.

  10. Verstehe ich Jahr und Tach nicht, dass man solche Probleme aussitzt, anstatt sie mit ein zwei freundlichen Bemerkungen aus der Welt schafft, das hat viel mehr Gesicht und weckt Vertrauen anstatt es nachhaltig zu beseitigen. Und merken tuts ja doch irgendwann irgendwer.

  11. @ pantoffelpunk

    Irgendwann und irgendwer – ja klar, gemerkt wird’s. Aber doch von der Masse nicht – und diese Verrückten da, diese Blogger – wen interessieren die schon?

  12. Ich frage mich allerdings, warum du Artikel in der FAZ/FAS veröffentlichst? Was diese Woche über die Anti-G8-Proteste in der FAZ stand, hat meiner Meinung nach wenig mit Qualitätsjournalismus zu tun und hätte so auch in der Bild-Zeitung stehen können.
    Zum Beispiel am Freitag: „… denn dazu fühlen sich die Kritiker berufen: um diese Beschlüsse je nach dem Grad der Realitätsverweigerung und der ideologischen Verbohrtheit als unzureichend oder skandalös abzutun.“
    „Und siehe da: Es gibt sogar eine Einigung in der Klimapolitik; bis zum Jahr 2050 soll der Ausstoß der Treibhausgase halbiert werden.“
    Na das ist mal eine Sensationsmeldung, die wohl leider nur bei der FAZ so angekommen ist. Ganz toll finde ich auch den Bericht vom G8-Sicherheitsbeauftragten der FAZ, Peter Carstens, der eine Hundertschaft der Polizei begleitet.
    „Tatsächlich haben die Polizisten den ganzen Tag an einem verschwenderischem Katz-und-Maus-Spiel teilgenommen, dass ihnen Gewohnheitsdemonstranten unter Vorspielung politischer Motive aufzwingen.“ Gewohnheitsdemonstranten. Klasse Wort. Also zu den angeblich fehlenden politischen Motiven der Demonstranten, die ja sogar Frau Merkel erkannt haben will, fällt mir ein Satz aus dem lawblog vom Bundesverfassungsgericht ein: Der hoheitliche Eingriff in ein Grundrecht bedarf der Rechtfertigung, nicht aber benötigt die Ausübung des Grundrechts eine Rechtfertigung.
    Dann gibt es noch die Mitglieder der Clowns-Army, die „einen schönen Sommertag damit vergeuden wollen, die Polizei lächerlich zu machen“ sowie Sitzblockierer, „die in meist gespielter Verzweiflung los schreien und Sachen brüllen wie: „nicht an den Haaren reißen!“, obschon niemand die Absicht dazu erkennen ließ.“ Gibt noch mehr Beispiele, habe aber keine Lust mehr.

    Wieso erklärt die FAZ die Proteste zu unbegründeten Spaßveranstaltungen von Ignoranten, die einfach die Vorteile der Globalisierung nicht erkennen wollen und die Demonstranten zu Tagedieben, die ihre Zeit mit Protesten verschwenden, die Polizei bei der Erfüllung ihrer Aufgaben behindern und bei Kontakt mit diesen schauspielern? Ich glaube, die Antwort kenne ich.

  13. WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz antwortet Stefan Niggemeier in Sachen Falschmeldung zur G8-Demonstration in Rostock nicht…

    Sowohl Djure Meinen als auch Stefan Niggemeier berichteten darüber, dass die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) falsch über die G8-Proteste in Rostock berichteten.
    Es war eben nicht so, dass von der Bühne ein offizieller Redner zur Ge…

  14. Nachhall G8-Protest…

    Blogger bleiben am Ball: Der zweite Teil: Chronologie einer Falschmeldung II unter anderem mit einer Antwort aus der WAZ-Redaktion, siehe das auch das Pottblog Sehr interessant alles.
    Im Mark Seibert:Logbuch wird kontrovers über das Video diskutier…

  15. Es gibt keine „Braunschweiger Nachrichten“, sondern die „Braunschweiger Zeitung“ und die „Wolfsburger Nachrichten“, wenn auch beide aus einem Hause. Dort stammt das meiste von der dpa, sobald es über die Stadtgrenze hinaus geht. Korregieren tut man sich höchst selten.

  16. @Simon: Da es bei NTV um die Internetausgabe geht und dieser Redaktions“fauxpas“ über die blogosphäre hinaus – zumindest im Internet – „seine Runde“ gemacht hat (im übrigen auch in den NTV-Foren, kicher), denke ich schon, dass ein nicht unerheblicher Teil der Zielgruppe die Sache mitbekommen hat. Und es geht ja gar nicht darum, sich selbst auf der Startseite an den Pranger zu stellen, sondern lediglich darum, auf Stefans Nachfrage ein „zitierbares Statement“ zu streuen und so die Möglichkeit wahrzunehmen, in die Diskussion einzugreifen.

  17. @ Stefan (6)
    Die Recherchearbeit wirkt in einigen Beiträgen wirklich auffallend komplex und auf Stichhaltigkeit geprüft, dazu die Zielsicherheit beim Thema. Respekt, wenn Dir das allein bei relativ schmalen Zeitfenstern und den wenigen Werkzeugen so gelingt.

    Noch meine Meinung zu dieser G8-Geschichte: Pannen passieren und sind nicht verboten, das Thema ist sehr umfangreich und entwickelte sich extrem schnell. Ich finde, die deutschen Medien an sich haben sich gut und dem Geschehen gewachsen präsentiert. Die Berichterstattung war durchaus ausgewogen und auch für G8-Skeptiker (wie ich einer bin) einigermassen fair und informativ, Panikmache und kritikfreie Huddelei beschränkte sich auf Zeilen der üblichen Verdächtigen bei BILD und co.

    Das entschuldigt nicht den Unmut oder gar die Weigerung, Fehler wider besseren Wissens einzuräumen und sowieso nicht grundsätzliche Schwächen bei der eigenen journalistischen Sorgfaltspflicht. Das hat Stefan mal wieder gut erkannt.

  18. nicht zu vergessen christiansen, wo ein eingeladener polizist gestern immernoch auf dem stand waren dass es diese aufwiegelung von der bühne gegeben habe und diese meinung auch zum besten gab. in einem seiner gefährlichen halbsätze.

  19. Die ZEIT korrigiert den Fehler in der Spalte „Berichtigung“ der Ausgabe 25/2007 wie folgt: „Falsch wiedergegeben wurde außerdem ein Satz des Globalisierungskritikers Walden Bello in dem Artikel ‚Mit Stillem Zorn‘ (ZEIT Nr. 24/2007). Bello war auf einer Protestveranstaltung gegen den G8-Gipfel in Rostock aufgetreten und wurde von der Nachrichtenagentur dpa fälschlicherweise mit der Aufforderung »Wir müssen den Krieg in die Demonstration
    tragen« zitiert, die in dem Artikel übernommen wurde. Wir bedauern den Fehler.“

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