Das sind doch sympathische Leute: Erst lauthals kundtun, was sie zu wissen meinen, dann aber scheinheilig pfeifend im Getümmel verschwinden, wenn rauskommt, was sie für einen Blödsinn geredet haben. Wie das geht, kann man nun im „Spiegel“ nachlesen, der Details zum Absturz der Germanwings-Maschine veröffentlicht hat. Oder, besser: Details, was den Piloten vor einem halben Jahr dazu trieb, ein Flugzeug mit 149 Menschen an Bord zum Absturz zu bringen.
In der Ermittlungsakte, aus der der „Spiegel“ zitiert, steht, dass der Pilot unter Depressionen und Ängsten litt; dass er seit Jahren haderte und kämpfte, mit und gegen sich; und dass er offenbar kein Narzisst war, dessen ausuferndes Ego die Maschine vor einen Berg lenkte, wie kurz nach der Tat auch spekuliert wurde. Oder wie es der „Spiegel“ im aktuellen Heft formuliert:
Nach der Tat vermuteten viele übersteigerten Narzissmus. In der Ermittlungsakte von [L.] findet sich keine Spur von krankhafter Selbstliebe.
„Viele“ vermuteten das?
Stimmt. Dass aber ausgerechnet der „Spiegel“ das so ausdrückt, ist eben jener scheinheilige Versuch, pfeifend im Getümmel zu verschwinden. Vor einem halben Jahr, gerade mal vier Tage nach dem Absturz, noch völlig im Unklaren, war es der „Spiegel“, der mit am lautesten hyperventilierte. Das klang dann so:
[L.] nutzte die Mittel der Attentäter des 11. September 2001, aber anders als sie hatte er offenbar keine Botschaft. Er ähnelt noch mehr dem norwegischen Irren Anders Breivik, aber anders als dieser hat er, soweit bislang bekannt, keine wirren Pamphlete hinterlassen. Er tötete, per Knopfdruck, vielleicht nur, weil er es in seiner Position und in diesen Minuten nach 10.30 Uhr am Dienstag, dem 24. März 2015, im Luftraum über Frankreich einfach konnte; ein größenwahnsinniger Narzisst und Nihilist.
Mag sein, dass die „Spiegel“-Redakteure damals verzweifelt versuchten, das Unerklärliche irgendwie zu erklären. Aber hätte man nicht wenigstens im aktuellen Text schreiben können, dass damals leider auch der „Spiegel“ zu jenen gehörte, die lauthals kundtaten, was sie zu wissen meinten? Wenigstens das?
Was mich im aktuellen Spiegel auch extrem angekotzt hat, war der durchweg voreingenommene und polemische Artikel über Jörg Kachelmanns Kampf gegen die Boulevard-Medien. Anstatt Kachelmann als mutigen und obendrein im Recht befindlichen Widerstandskämpfer gegen die Machenschaften des Boulevard darzustellen, wird er stattdessen Kachelmann als aufmersamkeitsheischendes Rumpelstilzchen dargestellt und über die Boulevardmedien kaum ein kritisches Wort verloren. Eventuell können die Herren Niggemeier oder Rosenkranz sich dem ja mal annehmen.
Das tiefer liegende Problem scheint mir zu sein, dass man beim SPIEGEL sich nicht mehr auf die Substanz seiner Geschichten verlassen mag, sondern sich dabei gefällt, es beim Aufspringen auf aktuelle Debatten zu belassen, sich somit als Stimmungs- denn als Nachrichtenblatt zu profilieren. Dass der SPIEGEL unmittelbar nach dem Unglück selbiges zur Titelgeschichte machte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nichts substantielles zur Aufklärung beitragen konnte, sondern sich nur irgendwelche Spekulationen aus den Fingern saugen konnte, wie man sie zuhauf auch kiloweise im Internet fand, hat nicht unwesentlich mein Bild der noch amtsjungen Chefredaktion geprägt und dazu beigetragen, meinen Status als mehrwissenwollender Deshalbnichtspiegelleser bis auf weiteres fortzuschreiben.
@1 da wäre ich auch für. Kachelmann hat es verdient!
Grausig!
Die Redakteure gehen vermutlich davon aus, dass sie die gleichen Vorzüge geniessen wie irrende Wissenschaftler (und wohl auch Politiker) : Für falsche Behauptungen oder Irrwege wird sich weder Entschuldigt, noch werden Fehler im Zusammenhang berichtigt. Man nimmt einfach das nächstbeste Neue und weiter gehts. Zurückgelassene Lügen werden bevorzugt unkommentiert sich selbst überlassen…
„Mag sein, dass die „Spiegel“-Redakteure damals verzweifelt versuchten, das Unerklärliche irgendwie zu erklären.“
Nein, der Text war damals schon indiskutabel. Wer so einen Mist veröffentlicht, ob als Autor oder Redakteur, disqualifiert sich nachhaltig als seriöser Berichterstatter.
Fairerweise kann man dem SPIEGEL aber schon zugestehen, tatsächlich nur einer von vielen gewesen zu sein.
Sucht man nach „Germanwings Absturz Narzisst“, dann findet man einschlägige Artikel von der FAZ (schon die Überschrift: „Der kalte Hass des Narzissten“), BILD, SPIEGEL, Mopo, Focus, Welt, …
Die Formulierung geht also schon in Ordnung, auch wenn sie kein Beispiel für Selbsterkenntnis ist. Dass der SPIEGEL selber zu den „vielen“ gehörte, erkennt man schließlich schon daran, dass er sich nicht selbst als positives Gegenbeispiel lobt.
Warum wie Breivik? Der war NUR ein Irrer, ohne politische Agenda?
Klar, das es SO dem Spiegel lieber ist.
Man hat den Eindruck, dass damals der Blome bloß einem großen T(D)reck von Springer zum Spiegel gefolgt ist…
Ist das dieses „Was interessiert mich mein Gelaber von sonst wann?“?
Ich mag den Spiegel nicht. Früher hielt ich ihn immer für ein ganz seriöses Ding, das Erwachsene lesen. Dann geschahen Dinge (zum Beispiel, dass ich reinlas) und das änderte sich. Allein dieser ältere Ausschnitt … (und all die Dinge, die ich so sehe, während ich mich gerade durch das ganze Blog grabe …)
Jetzt frag ich mich aber: Heißt das, dass die davon ausgehen, dass sich eh keiner das Geschreibsel länger im Kopf behält als bis zur nächsten Ausgabe oder bis das nächste Heft erscheint — was von beidem eher eintritt? Ist das normal? Wäre nicht cooler, wenn man etwas Nachhaltiges hätte, das einem auch nach Monaten noch irgendwie etwas bringt? Erwarte ich zu viel? Ich kenn mich doch nicht aus.
Der selbe Spiegel, der damals in einer + + + EILMELDUNG + + + eine in Kürze zu erwartende + + + EILMELDUNG + + + ankündigte, aha…
Wieder ein Rosenkranz-Artikel und schon wieder frage ich mich, warum man für sowas überhaupt den Browser öffnen sollte. Okay: Ideal und korrekt wäre es gewesen, dazuzuschreiben, dass auch der Spiegel das Wort Narzisst benutzte.
Aber ist das relevant genug für einen Empörungs-Blogpost? Es ist ja nicht so, dass der Spiegel suggeriert, nie anders berichtet zu haben. Er sagt einfach: viele. Und das ist richtig.
Es gibt wesentlich schwerwiegendere Fälle journalistischen Fehlverhaltens. Vielleicht sollte man sich lieber um die kümmern.
Ich glaube man fährt besser, wenn man Spiegel und SpOn als seriöses Spekulationsmedium versteht … Und Grundsätzlich gilt: Nur die aktuellen Spekulationen zählen … was vorher stand ist aufgegangen in so eine Form der NachrichtenBadBank .. niemand ist für die Spekulationen der Vergangenheit verantwortlich … Im Zweifel haben wir alle Fehler gemacht … Sie erfüllen (wie andere Medien auch) ihren selbstgewählten Auftrag: Spekulation und Vorverurteilung geht immer … Ganz groß ist es, wenn sie das Ganze dann vor der Bild wissen und wenn nicht, kann man zumindest darauf verweisen das die Bild doch auch geschrieben hat …
Wer sagte nochmal: Der Spiegel ist die Bild für Abiturienten? … Ich glaube das kommt ganz gut hin .. Inzwischen …
„Narzisst“
Ist da nicht ein t zuviel?
Ansonsten: es gibt (im SPIEGEL und auch sonst) reichlich Aufregenderes als eine fehlende kleine Entschuldigung für einen vorschnellen Lapsus. Sonst wäre die Hälfte jeder Ausgabe voll mit solch‘ Richtigstellungen.
„Der Spiegel ist die Bild für Abiturienten“, nicht schlecht, aber kann ich nicht beurteilen; so lange es genug Alternativen gibt, muss ich ja Bild, Spiegel, Focus, Welt, etc. nicht lesen, ich gucke ja auch kein Privatfernsehen!
@13: Nay, Narcissus war die Sagengestalt, wegen ihm nennt man das Narzissmus. Nur, weil man den besitzt, wird man ja nicht zur Sagengestalt, deswegen Narzisst.
@Benno (#11): Schön gesehen. Es gibt tatsächlich wesentlich schwerwiegendere Fälle journalistischen Fehlverhaltens. Kümmer Dich doch drum.
Schön ist insgesamt die Annahme, die Ermittlungsakte sei vollständig. Und wenn dort kein Narzissmus erwähnt ist, dann ist auch nicht… Tote können nicht verurteilt werden, deshalb wird auch nicht gegen sie ermittelt. Es liegt nahe, das weniger über sie bekannt wird als bei Leuten, die man befragen, begutachten kann. Eine unvollständige Akte für irhendeteas heranzuziehen, sieht eher nach innerredaktioneller Retourkusche aus. So von außen…
Siese Qualitätsversclechterung ist die pure Verzweiflung angesichts des Leserrückgangs und des Anzeigenrückgangs.
Früher war fast jede 2. Seite im Spiegel ein Inserat. Jetzt nicht mehr.
Diese Effekthascherei angesichts des Leidens der Opfer war in vielen Medien widerlich. Als ob sie froh waren endlich ein interessierendes Thema zu haben.
Da hätte man aber schon damals drauf kommen können, dass jemand, der nicht nur andere, sondern auch sich selbst umbringt, vielleicht nicht nur von Selbstliebe getrieben ist. Kein Wunder also, dass man jetzt nichts mehr davon wissen will. Journalistisch allerdings fragwürdig…
Ich lese den Spiegel mittlerweile nur noch, um „im Bilde“ über den ganzen Rotz zu sein, der da ausgebreitet wird.
Meist wird meine Abneigung gegen dieses pseudointellektuelle Sensationsblättchen bestätigt.
Im Prinzip kann man auch den Stern lesen, da sind wenigstens noch T****n drin… der „Informationsgehalt“ dürfte in etwa gleich sein.