Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Wie die LED das Fernsehen verändert hat und es aufregender und einfallsloser machte.
Manchmal ist Größe doch alles. Wenn in Düsseldorf in der kommenden Woche ein pausbäckiger Finne mit seiner Gitarre auf einer Bühne steht und sein Lied von dem kleinen Paul singt, der hinausging, die Welt zu retten, funkelt hinter ihm ein gewaltiger Sternhimmel. Und dann: geht die Erde auf.
Das ist die mit Abstand naheliegendste Idee, einen solchen Schlager zu illustrieren, doch so hat man das noch nie gesehen. Die Dimensionen dieses blauen Planeten, der sich da langsam von unten ins Bild schiebt, sind ungeheuerlich. Die Leinwand, auf der er erscheint, ist zehnmal so hoch wie der Mann, der vor ihr steht, und breit wie ein Fußballfeld. Fast provozierend detailgetreu drehen sich Wolken, Meere und Kontinente. Es wirkt so erhaben und monumental, als hätte jemand einen Weltraumspaziergang bei perfekten Bedingungen in hochauflösender Qualität gedreht.
Eine Unzahl kleiner Leuchtdioden, die aneinandergesteckt in einem Gerüst von der Decke des Studios hängen, das eigentlich ein Fußballstadion ist, bilden diesen über tausend Quadratmeter großen temporären Bildschirm. Wenn in der kommenden Woche der Eurovision Song Contest ausgetragen wird, werden darauf mit den Moldauern bunte irre Zeichentrickmännchen tanzen, zum griechischen Beitrag surreal große Vorhänge ionische Säulen umwehen und hinter den Sängern aus Mazedonien scheinbar ganze Räume rotieren.
Florian Wieder ist ungefähr der Einzige, der sich nicht überwältigt zeigt von den Dimensionen dieser Spielfläche. „Die Arena ist groß, deshalb musste die LED-Wand auch so groß werden“, sagt er achselzuckend. Er hat es leicht, sich unbeeindruckt zu geben, denn er ist als Designer nicht nur für die Bühne beim Grand Prix verantwortlich, sondern hat schon ungezählte Materialschlachten geschlagen, um Fernsehshows imposant aussehen zu lassen. Dass er heute mit seiner Firma weltweit gefragt ist, hängt nicht zuletzt mit dieser Technik zusammen, die in den vergangenen zehn Jahren das Fernsehen erobert und verändert hat: der LED.
Ihren Siegeszug begann die Light Emitting Diode unauffällig: als Beleuchtung von Kanten und Bühnenrändern. Wer früher eine Lichtleiste setzen wollte, musste Glühlampen nehmen, die groß waren, heiß wurden und nur jeweils eine Farbe haben konnten. Leuchtdioden waren viel handlicher und flexibler. Die Revolution begann damit, die Lichtpunkte zu ganzen Bildern zusammenzusetzen. Über Computer, sogenannte Mediaserver, erfahren die Dioden, wann sie wie zu leuchten haben. Jede LED wird zu einem Pixel, und im richtigen Abstand wird aus den Pixeln ein Bild. Am Anfang, als er die Technik im Bühnenbild der RTL-2-Show einsetzte, erzählt Rainer Otto von der Firma OM Design, sei dieses Bild so grobkörnig gewesen, dass es nur ganz hinten oben im Publikum gut aussah. Inzwischen ist die Auflösung so hoch, dass die Bilder erstaunlich realistisch wirken. Wenn da schwarze Riesendiamanten durch den Raum fliegen, fliegen da schwarze Riesendiamanten durch den Raum.
Die LED-Technik, aber auch moderne Projektionen mit Beamern, sind die Erfüllung des Traums, ohne große Umbauarbeiten beliebige Kulissen herbeizaubern zu können – ein Traum, der in psychedelisch bunten Farben schon in den frühen siebziger Jahren geträumt wurde. Damals war die Technik der Blue-Box neu, bei der die Akteure vor einem einfarbigen Hintergrund stehen, der herausgestanzt und durch andere Aufnahmen ersetzt wird. Die Begeisterung darüber war so groß, dass einige Jahre lang alles getan wurde, was möglich war, egal, ob es sinnvoll war.
Manchmal scheint es, als befinde sich das Fernsehen gerade in Bezug auf LED-Wände in einer ähnlichen Phase. Einerseits sind die kreativen Möglichkeiten, die sie bieten, schier grenzenlos. Andererseits verführen sie dazu, schon das Aufstellen einer technisch eindrucksvollen Wand mit einer kreativen Idee zu verwechseln. Berüchtigt sind Standard-Animationen von Wolken, die sich günstig einkaufen lassen und immer passen, also nie. „Es gibt schon einen Hang dazu, viel Geld für die Technik auszugeben und dann am Grafiker zu sparen, der gute, maßgeschneiderte Inhalte erstellt“, kritisiert Rainer Otto.
Die RTL-Castingsoap „Deutschland sucht den Superstar“ zeigt gut Chancen und Fluch des LED-Einsatzes. Das Studio ist voll von LED-Wänden, -Tonnen,
-Bändern, -Stegen und -Bühnen. Florian Wieder, der es gestaltet hat, machte sich damit international einen Namen – unter anderem mit der Idee, LEDs auch im Boden auszulegen und es aussehen zu lassen, als träten die Kandidaten auf ihren eigenen, animierten Konterfeis auf. Nichts an dieser Präsentation ist Understatement, „alles ist 150 Prozent, fast schon eine Parodie auf die Inszenierung von Weltstars“, räumt Wieder ein. Es ist eine faszinierende Flimmerwelt, die in Sekundenschnelle auf eine andere Stimmung umschalten kann, in der ununterbrochen Namen durchs Bild flackern und meterhohe Zeitlupenaufnahmen der Auftritte zu sehen sind; ein gewollter Overkill, eine Reizüberflutung für ein Publikum, dem man sicherheitshalber keine Sekunde zumuten möchte, nur einem vermeintlichen Nachwuchssänger zusehen zu müssen.
„Ich nutze dieses Zeug jetzt seit zehn Jahren“, sagt Florian Wieder, „und je länger ich das mache, umso weniger tue ich es eigentlich. LEDs sind ja nur ein Mittel zum Zweck. Die Idee besteht eher darin, über Video Inszenierungen zu kreieren. Wenn man das clever einsetzt, kann es sehr cool sein.“ Er gerät ins Schwärmen, vom aufregenden Spiel mit der Perspektive oder dem Auftritt von Taylor Swift bei den Video Music Awards von MTV im vergangenen Jahr, die sehr klein und sehr groß in einem riesigen schwarzen Raum stand, in dem Wörter auftauchten und wieder zerbröselten. Die Flächen sind faszinierende Leinwände für Videokünstler wie Falk Rosenthal, der für den Inhalt der LED-Wand beim Eurovision Song Contest verantwortlich ist.
Aber die Gefahr ist, dass die Technik mit all der Opulenz, die sie ermöglicht, nicht mehr der Inszenierung des Künstlers dient, sondern der Künstler nur noch Bestandteil einer Bühnen-Inszenierung ist. (Angesichts einiger Kandidaten beim Grand-Prix ist das natürlich nicht immer das Schlimmste, das passieren kann.)
Angesichts der Allgegenwart der mit „Content“ bespielten Flächen fällt es schwer, sich zu vergegenwärtigen, wie jung diese Technik ist. Beim Eurovision Song Contest 1983 in München steckte der künstlerische Ehrgeiz in Blumengestecken, die die Nationalflaggen nachbildeten; das Bühnenbild war ein Geflecht aus einer Art Heizdraht, das im Rhythmus der Musik aufglimmte. Erst seit 2000 erobert die LED-Wand den Bildschirm, dann aber mit Macht. Die Serben bauten aus Leuchtdioden die Mündung der Save in die Donau als Bühnenbild nach, die Russen verbauten vor zwei Jahren den größten Teil aller damals überhaupt verfügbaren LED-Flächen und ließen sie teilweise über der Bühne rotieren.
Mehr geht kaum, besser vermutlich schon. Auf der Düsseldorfer Eurovisions-Bühne kontrastieren Florian Wieder und der Licht-Designer Jerry Appelt die Videos auf der LED-Wand auffallend oft mit wärmer und greifbarer wirkenden Scheinwerferstrahlen, die durch feinen Dauernebel in der Halle sichtbar gemacht werden. Wenn es nach den Veranstaltern gegangen wäre, hätten auch mehr Länder mit realen Gegenständen auf der Bühne gestanden, um einen Kontrast zur Virtualität hinter ihnen zu bilden. Aber die meisten Delegationen wollten das nicht. Einige müssen ohnehin mit der Enttäuschung fertig werden, dass die Riesenleinwand, von der sie so viel gehört hatten, bei ihnen gar nicht genutzt wird – um eine Abwechslung in der Dramaturgie zu erzeugen.
Florian Wieder steht oben in den Rängen, schaut hinunter in die Arena, die vollgepackt ist mit Tausenden beweglichen Scheinwerfern aller Art, in der sich bespielbare LED-Flächen unter der Decke ausbreiten und am Boden von der Bühne bis weit in den Zuschauerraum, und erzählt, dass man eigentlich noch sehr viel mehr „Spielzeuge“ hätte gebrauchen können, um die 43 Titel abwechslungsreich in Szene zu setzen.
Und dann gab es noch die Idee, die Zuschauer in der Halle alle mit einem LED-Element auszustatten, jeder Mensch ein Pixel, und daraus lebende Bilder zu malen. Das war aber zu aufwendig. Für dieses Mal.