Süddeutsche Zeitung
Der Zeichner Walter Moers hat mit ‚Käpt’n Blaubär‘ einen Volltreffer gelandet, doch sein Held geht nun eigene Wege.
Walter Moers hat einen Alptraum: Irgendwann wird er als alter Mann im Rollstuhl von einer dicken blauen Comic-Figur verfolgt werden. Käpt’n Blaubär grinst ihm dann von Kaffeetassen und Postern entgegen, das Fernsehen wiederholt alte Käpt’n-Blaubär-Klassiker, Journalisten rufen ihn an und fragen zum xten Mal nach Käpt’n Blaubärs Entstehung. Und Moers wird mit Grausen zurückdenken an 1993 — das Jahr, in dem sich seine Figur, entfesselt von Verlagen und Marketingexperten, verselbständigte.
Vor vier Jahren hatte der 36jährige Zeichner seine Schöpfung noch fest im Griff. Für das Sandmännchen erfand er 13 Geschichten über den Seebären, der seinen drei Enkeln Lügengeschichten von seinen Weltreisen erzählt. Die Kreuzung aus Münch- und Entenhausen ergänzte er mit dem unglaublich doofen Leichtmatrosen Hein Blöd und Elementen des bösartigen Moersschen Humors, der auch den Comic-Helden „Das kleine Arschloch“ hervorbrachte.
Die Mischung kam an: Der WDR bestellte auf einen Schlag 104 Folgen, Käpt’n Blaubär zog aus einer schäbigen Sozialwohnung in eine ansehnliche Schiffskulisse und mit seinem Seemannsgarn in die „Sendung mit der Maus“. Nachdem nicht nur Kinder und komplette WDR-Redaktionen, sondern immer mehr erwachsene Zuschauer auf den Geschmack kamen und die fünfminütigen Trickfilme als Geheimtips entdeckten, durfte der füllige Märchenopa auch im Frühstücksfernsehen der ARD auftreten.
Jetzt macht der Blaubär weiter Karriere. Seit zwei Monaten öffnet er jeden Samstag um kurz nach neun in der ARD seinen ‚Club‘, eine eigene Show mit Kinderfilmen und Musikeinlagen und dem Puppenkollegen Hein Blöd sowie Lindenstraßen-Tanja-Schildknecht Sibylle Waury als Ko-Moderatoren. Parallel dazu läuft eine multimediale Marketing-Kampagne, die bislang einzigartig ist für eine Figur, die nicht in Hollywood, sondern in Mönchengladbach erfunden wurde. Zum Serienstart brachte Ravensburger auf einen Schlag sechs Rätsel- und Witzhefte mit Käpt’n Blaubär heraus, es wird große Comic- und kleine Bilderbücher, Videos und Hörspiele geben. Rund 20 Firmen in aller Welt stellen für die Merchandising- Tochter des Verlags mehr als hundert verschiedene Produkte her. Käpt’n Blaubär als Pyjama und Plüschtier, auf Tassen und Seifenblasen. Nur: Mit seinem schrägen Helden, schimpft Walter Moers, wird all das nichts mehr zu tun haben.
Seinem Helden? „Käpt’n Blaubär ist eine Ravensburger-Figur, die Walter Moers einmal erfunden hat“, stellt Verlagssprecherin Ulrike Hauswaldt die Rechtslage klar. Seit den Folgen in der „Maus“ hat der Zeichner alle Blaubär-Rechte an die Produzenten abgetreten — ein finanziell lukrativer Vertrag, den Moers heute bereut. Bei seiner anderen Kultfigur kann er mit seinem Veto verhindern, daß aus dem „Kleinen Arschloch“ einmal Kaffee getrunken wird. Die Entscheidung, ob man Käpt’n Blaubär und Hein Blöd als Wärmflaschenbezug kaufen kann, liegt allein beim Ravensburger Merchandising-Leiter Alwin Jeck. Und man kann.
Moers beschreibt sich selbst als „relativ skrupellos“, was die Vermarktung seiner Figuren in Form von diversem Schnickschnack angeht, „wenn es gut gemacht ist“. Viele Blaubär-Produkte stießen dagegen in den Bereich der „Kundenverarschung“ vor. Doch was Moers als „massiven Mist“ bezeichnet, ist für Alwin Jeck wirtschaftliche Notwendigkeit. Durch den Verkauf der Serie ins Ausland allein können die Kosten nach seinen Worten nicht gedeckt werden. „Merchandising“ ist gefragt. Immerhin soll der „Käpt’n-Blaubär-Club“ wegweisend für das öffentlich-rechtliche Kinderprogramm der Zukunft im Kampf gegen die Billigware der privaten Konkurrenz sein. Und dazu ist er bereits auf dem besten Weg. Der Käpt’n-Blaubär-Fanclub wächst und wächst; dem Bär, der das Blaue vom Himmel herunterlügt, huldigen am frühen Samstagmorgen im Schnitt eine halbe Million Zuschauer. Ein Hit auch unter Erwachsenen: Von den 10 000 Briefen, die pro Woche beim WDR eingehen, stammen etwa 750 von Volljährigen.
Schon für den Großauftrag vom WDR für die „Sendung mit der Maus“ mußte Walter Moers auf die Hilfe anderer Autoren zurückgreifen, um in einem knappen halben Jahr Blaubär-Folgen in einer Gesamtlänge von rund fünf abendfüllenden Spielfilmen produzieren zu können. Abnützungserscheinungen und „höllische Schwierigkeiten“ seien die Folge gewesen. Zufällig eine der schlechteren Blaubär- Folgen morgens im Fernsehen gesehen zu haben, sagt Moers, könne ihm immer noch den ganzen Tag versauen.
Mit dem heutigen Blaubär-Boom hat er nichts mehr zu tun — er verdient nur noch daran. „Schmerzensgeld“ nennt er seine Prozente von den Gewinnen. Dafür muß er alten Fans erklären, daß nur, wo Moers draufsteht, auch wirklich Moers drin ist. Und er muß mitansehen, wie seine Figur in immer neuen Mutationen erscheint. Je nachdem, welcher Zeichner auf der Welt für ein Produkt versucht hat, den Moersschen Stil zu kopieren, ist der Bär mal hell- und mal dunkelblau, mal leicht untersetzt oder mal richtig fett.
Es bleibt nicht bei äußerlichen Veränderungen. Nach den Worten von Uwe-Michael Gutzschhahn, dem zuständigen Redaktionsleiter bei Ravensburger, macht der Charakter einer Figur mit dem Erfolg zwangsläufig eine „marktkonforme Entwicklung“ durch. Und wenn ein Produkt in die „Maschinerie des Merchandising“ gerate, würden automatisch viele Formen ausgekostet, die nicht im Sinne des Erfinders seien. Vor allem die billigen Angebote, kleine Bücher, die als Mitbringsel dienen sollen, griffen nur ein Klischee der Figur auf. Der Blaubär, wie ihn Moers erfand, sagt Gutzschhahn, hatte einen viel weiteren Horizont.
Ein Bär wird zur Kultfigur. Ein Kult allerdings, der ohne Risiken und Nebenwirkungen anarchistisch angehauchten Humors auch konservative Eltern ansprechen soll. Wenn Walter Moers Pech hat — mit großem Erfolg.