Womöglich hätte er es gemacht. Womöglich hätte sich Guido Westerwelle schnell noch, wie schon einmal 2002, zum „Kanzlerkandidaten“ seiner Partei küren lassen. Und womöglich hätten Grüne und Linke es geschafft, die Funktion ihrer „Spitzenkandidaten“ kurzfristig ebenfalls entsprechend umzuwidmen. Und die ARD hätte sich was einfallen lassen müssen.
Ulrich Deppendorf, der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, hatte den drei Oppositionsparteien im Bundestag nämlich am Dienstagabend in der ARD-Sendung „Klartext“ einen verführerisch einfachen Weg angeboten, wie sie doch noch am „Duell“ am 13. September zwischen der Kanzlerin und ihrem Stellvertreter teilnehmen könnten. „Herr Westerwelle“, sagte Deppendorf süffisant, „Sie hätten das schnell ändern können. Sie hätten sich bloß zum Spitzenkandidaten auch fürs Kanzleramt aufstellen lassen können. Dann wären Sie zu dritt dabei. Sie haben ja noch eine Woche Zeit.“ Deppendorf sah dabei nicht aus, als hätte er einen Witz gemacht. Westerwelle wirkte nicht, als fände er es lustig.
Aber es stellt sich heraus: Deppendorfs Wort gilt nicht. Es reicht nicht, sich „Kanzlerkandidat“ zu nennen – obwohl das eine irgendwie dem Wahlkampf und seiner Inszenierung im Fernsehen angemessen absurde Regel gewesen wäre und die interessante weitere Frage aufgeworfen hätte, ob dann nicht auch Helga Zepp-LaRouche mitdiskutieren dürfen müsste, die „Kanzlerkandidatin“ der durchgeknallten „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“.
ARD-Chefredakteur Thomas Baumann jedenfalls erklärt auf Nachfrage des Fernsehblogs, welche Voraussetzungen der Spitzenkandidat einer Partei, die nicht SPD oder CDU heißt, erfüllen müsste, um zum Fernseh-„Duell“ zugelassen zu werden:
„Wenn er eine echte, reale Chance hätte, nach der Wahl tatsächlich zum Bundeskanzler gewählt zu werden. In Deutschland werden traditionsgemäß bei Koalitionsregierungen jene Spitzenkandidaten zum Kanzler gewählt, deren Partei die meisten Mandate erzielt hat.“
Nun weiß man weder, wer diesen Test mit der „echten, realen Chance“, Bundeskanzler werden zu können, durchführt, noch warum Frank-Walter Steinmeier ihn offenbar bestanden hat. Aber ein „Duell“ mit einer einzigen Teilnehmerin wäre womöglich sogar den Fernsehleuten, die sonst gar kein Gefühl für die Absurdität ihres Tuns haben, merkwürdig vorgekommen. Und wer weiß, ob Angela Merkel zugesagt hätte, gegen sich selbst anzutreten.
Sie mag ja offenbar auch der Einladung des ZDF zu einem Gespräch aller Spitzen- und Kanzlerkandidaten nicht folgen. Chefredakteur Nikolaus Brender hat seinen Frust darüber jetzt öffentlich gemacht, dass die Kanzlerin immer etwas Besseres zu tun habe, als sich mit den ganzen anderen vor Fernsehkameras auseinanderzusetzen. „Mit Händen und Füßen, scharfem Timbre in der Stimme und auch gutem Zureden“ versuche man, alle zusammen zu bekommen – dabei fragt man sich, wo das Problem liegt. Wenn Frau Merkel nicht mag, findet die Veranstaltung eben ohne sie statt. Aber nicht so, dass sie einfach fehlt und es wirkt, als stünde sie über dem Zank der Parteipolitiker. Sondern mit einer Papp-Merkel an ihrem Platz, die schweigend in der Redezeit, die der Kanzlerin eigentlich zustünde, eingeblendet wird. Oder alternativ mit Kanzlerkandidatin Zepp-LeRouche an ihrer Stelle.
Mag sein, dass es naiv ist anzunehmen, dass ARD und ZDF (und im Zweifelsfall auch RTL und Sat.1) sich trauen würden, die CDU-Vorsitzende in dieser Weise vor den Kopf zu stoßen. Aber natürlich könnte man es tun. Man müsste es nur wollen. Und dann würde man schon sehen.
Jedenfalls war es ein bemerkenswerter Moment in der Diskussionsendung „Klartext“ mit Deppendorf und Sandra Maischberger am Dienstagabend, als die Vertreter der Oppositionsparteien die ersten Minuten der Sendung dazu nutzten, den Vorwurf des langweiligen Wahlkampfes an die Fernsehleute zurückzugeben. „Wie soll denn da Spannung aufkommen“, fragte Gregor Gysi angesichts des „Kanzlerduells“. „Wenn Sie wenigstens einen kleinen Oppositionspolitiker wie mich einlüden, damit da ein bisschen was los wäre.“ Westerwelle gab ihm Recht und sagte an die Adresse der Moderatoren: „Beklagen Sie sich nicht darüber, dass der Wahlkampf Ihnen nicht spannend genug ist, wenn Sie ihn im Wesentlichen auf eine Auseinandersetzung beschränken zwischen der Regierungschefin und ihrem Stellvertreter.“
Die Schuldfrage um die empfundene Langeweile des Wahlkampfes war nicht der einzige schwarze Peter, um den es an diesem Abend ging. Der andere heißt mit Nachnamen Ramsauer, ist Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag und hätte in der Runde eigentlich nichts zu suchen gehabt. Angekündigt war eine Diskussion der „Fraktionsspitzen“ im Deutschen Bundestag, und die CSU bildet bekanntlich eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU. Auf Nachfrage erklärt der für die Sendung verantwortliche WDR, dass im Untertitel genau deshalb die Rede nicht von „Fraktions-„, sondern von „Polit-Spitzen bei Maischberger und Deppendorf“ gewesen sei – die vage Formulierung umfasst natürlich nach Belieben auch weitere (semi)prominente Gäste, also auch Ramsauer.
Die Redaktion lässt verlauten, dass die CSU zwar keine Fraktion im Bundestag bilde, aber immerhin „in Fraktionsstärke“ vertreten sei. Außerdem hätte das Verwaltungsgericht schon bei den traditionellen Fernsehrunden der Parteivorsitzenden am Wahlabend entschieden, dass es rechtens sei, einen Vertreter der CSU einzuladen. Aber so absurd schon bei der „Berliner Runde“ nach Landtagswahlen außerhalb Bayerns die Präsenz eines CSU-Vertreters ist – dort sitzen wenigstens die Parteivorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien. Bei „Klartext“ saßen die Fraktionsvorsitzenden – und einen solchen kann die CSU nicht bieten.
Dass die Union doppelt vertreten war, sei eine redaktionelle Entscheidung, keine Vorgabe der Parteien gewesen, sagt der WDR. De facto konkurrierten die beiden Schwesterparteien in diesem Wahlkampf miteinander, und auch angesichts der Kabbeleien zwischen CSU und FDP habe man die Anwesenheit des Landesgruppenchefs für nötig gehalten: „Man kann es der CDU nicht überlassen, die CSU mit zu vertreten.“ Aha.
Deppendorf hätte vermutlich gesagt, „Sie können ja selber schnell noch den ein oder anderen Landesverband abspalten und wären auch doppelt mit dabei“, aber darauf hätte man sich natürlich auch wieder nicht verlassen können.
Und der MDR zeigt heute, zufällig drei Tage vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, eine viertelstündige Sondersendung „Wie weiter im Osten, Frau Merkel?“ mit der Bundeskanzlerin. Den Fragesteller spielt der CDUMDR-Chefredakteur Wolfgang Kenntemich. Kein Wunder, dass Frau Merkel da gerne zugesagt hat.
Und es wird keiner im Studio sein, der Kenntemich vor laufender Kamera die entscheidende Frage stellen könnte: Geht’s noch?
Nachtrag, 12.55 Uhr: Der MDR hat das Merkel-Interview abgesagt. Intendant Udo Reiter sagte, die Terminwahl sei unglücklich gewesen.