Einsatz für einen Satz: Wofür die Fernsehsender im Krieg Reporter brauchen.
Es ist immer gut, in unübersichtlichen Situationen jemanden vor Ort zu haben, den man persönlich kennt und im Zweifel noch mal fragen kann. Astrid Frohloff, Nachrichtenmoderatorin bei Sat.1, hat Tatjana Ohm vor Ort in Islamabad: „Die Informationen über Opfer und Zerstörungen direkt aus Afghanistan fließen ja nur spärlich, Tatjana, und sie sind zensiert von den Taliban. Was erfahren Sie im Nachbarland Pakistan über die Folgen der Angriffe?“ Tatjana antwortet: „Nun, wir werden hier in der Regel täglich um Punkt vierzehn Uhr vom Botschafter Afghanistans darüber informiert, was ihrer Meinung nach in Afghanistan passiert und geschehen ist. Es gibt für uns keine Möglichkeit, diese Angaben zu überprüfen. Jedes Bild, jede Wortmeldung, die aus dem von den Taliban beherrschten Afghanistan herauskommen, müssen wir einfach so hinnehmen. Und wir haben keine Möglichkeit, den Wahrheitsgehalt zu verifizieren.“ Astrid Frohloff sagt: „Vielen Dank, Tatjana Ohm, nach Pakistan“.
Gut, daß wir nachgefragt haben.
Zwischen 1500 und 2000 Mark kostet, je nach Standort in der Region, allein die Leitung für diese Durchsage, hinzu kommen Reisekosten, Schmiergeld, Technik, Versicherung. Und all das gibt Sat.1 aus, uns darüber zu informieren, daß man auch nicht mehr weiß als CNN und die Agenturen, nicht mehr, als die Kriegsparteien verlautbaren? Natürlich nicht. All das gibt Sat.1 aus, uns zu zeigen, daß man nicht irgendein kleiner deutscher Privatsender ist, sondern ein Global Player, bei dem man sich darauf verlassen kann, daß, wo immer einer eine Pressekonferenz gibt, auch das Senderlogo aus dem Strauß bunter Mikrofonhüllen ragt.
Man muß, um das grundsätzliche Mißverständnis aufzulösen, einen alten Reporter wie Dagobert Lindlau fragen, ob es nicht bessere Möglichkeiten für die Sender gäbe, als Reporter an die pakistanisch-afghanische Grenze zu schicken, um Informationen zu bekommen. „Was bringt Sie zu der Annahme“, fragt er dann, „daß die Sender daran interessiert sind, mehr Informationen zu wollen, und nicht mehr Quote?“
Das ist natürlich nicht das, was einem die Verantwortlichen der Fernsehsender in diesen Tagen sagen. Sie alle geben ein Vermögen aus für die Berichterstattung über den Krieg, wo ihnen schon die Einnahmen in nie dagewesener Weise wegbrechen. Und alle sagen, das müsse man jetzt tun, weil man es tun müsse. Informationspflicht verpflichtet. Das klingt gut.
Auf jeweils einen einstelligen Millionenbetrag schätzen RTL, ARD aktuell und Pro Sieben/Sat.1 die Mehrkosten, die ihnen seit dem 11. September entstanden sind: Die halbe Medienwelt bezieht heute Honorare für Bereitschaftsdienste. Die Mitarbeiter der Morgenmagazine von ARD und ZDF arbeiten am Wochenende, für alle Fälle. Das ZDF hat rund um die Uhr eine Standleitung nach Washington. Bei RTL sitzen die ganze Nacht ein Redakteur und ein Moderator im Studio.
Ein Glück nur, daß die hohen Kosten für die Extraprogramme immer noch unter denen für die meisten Unterhaltungsprogramme liegen, die sie verdrängen. So sparen die Sender letztlich doch ein wenig – was dem allgemeinen atemlosen „Wir müssen uns das jetzt leisten“ ein wenig die Brisanz nimmt und die Bedeutung von Information im Fernsehen zurechtrückt.
Aber alle schicken sie ihre Reporter in die Region: Pro Sieben/Sat.1 und RTL je einen nach Nordafghanistan und Pakistan; der MDR für die ARD drei; das ZDF gleich sechs — nach Nordafghanistan, Usbekistan, Islamabad, Peshawar und einen nach Amman, weil er kein Visum für den Iran bekam. Im Übereifer geht schon mal was schief: Eine Kollegin auf dem Land in Pakistan traute sich wegen der Unruhen gar nicht erst aus dem Hotel.
Die Mutigen stehen dann vor karger Bergkulisse, nur ein paar hundert Kilometer entfernt vom Krieg, und haben vieles, nur keinen „Überblick“, den die Kollegen im Studio in Deutschland so gern von ihnen bekämen. RTL-Korrespondentin Antonia Rados antwortet live aus einer Steinwüste bei Peshawar auf die Frage, ob sie wisse, ob US-Bodentruppen unterwegs seien: Ja — jedenfalls stünde das so in den pakistanischen Medien. In „Tagesthemen“ und „Heute Journal“ bitten die Moderatoren um eine Einschätzung der Lage, und wenn die Reporter gut sind, wie Dirk Sager, antworten sie, daß sie sie nicht geben können: „Wir sind gar nicht in der Lage, mehr zu übersehen als den kleinen Frontabschnitt, an dem wir uns befinden.“ Was die Moderatorin nicht davon abhält nachzufragen: „Die Nord-Allianz soll strategisch wichtige Gebiete erobert haben. Können Sie dazu irgend etwas sagen?“ Sager geduldig: „Aus eben genannten Gründen kann ich leider nichts dazu sagen.“
Die Minischaltung zu „unserem Mann vor Ort“, schon in Friedenszeiten eine Last, wird im Krieg zur Pest. Der Mangel an unabhängigen Informationen wird dadurch noch unerträglicher, daß die Fernsehsender mit diesem Ritual den Eindruck erwecken, es gäbe sie. Nach Angaben von Informationsdirektor Hans Mahr schaltet RTL täglich zehn- bis zwölfmal nach Nordafghanistan, zwanzigmal nach Washington, zwanzigmal nach Peshawar. „Das macht die hohen Kosten aus“, sagt er. „Die Personalkosten fallen dagegen nicht so sehr ins Gewicht.“
Natürlich würde Mahr nie sagen, daß sie es wegen der Quote tun, im Gegenteil: „Bei uns, anders als bei den Öffentlich-Rechtlichen, sind Schaltungen kein Selbstzweck.“ Seine Reporterin sei ein halbes dutzendmal in Afghanistan gewesen. Und sie habe die Redaktion bereits am Samstag informiert, daß der Krieg in der Nacht von Sonntag auf Montag beginne. „Deshalb hatten wir am Sonntag das volle Team im Studio.“ Im übrigen: „Wenn die Invasion beginnt, muß man jemanden dort haben, der mitgeht. Wir müssen mit vorne dabeisein, wenn es losgeht – man kann nicht dann erst jemanden einfliegen lassen.“
Dabeisein? Ist alles.
Wenn die bekannte Reporterin nach einem aus vielen unbekannten Quellen gebastelten Beitrag auftaucht, verleiht sie ihm als Kronzeugin eine Glaubwürdigkeit, die er oft nicht verdient hat. Würden die Sender ihre Reporter ernst nehmen, sie würden sie nicht als stündliche Anwesenheitsbelege einsetzen. Nach Filmbeiträgen aus oft unzähligen unbekannten Quellen können sie bestenfalls noch als Korrektiv zu den mächtigen Bildern wirken. Uwe Kröger, bis zum 13. September für das ZDF in Afghanistan und seitdem in Islamabad, sieht seine Aufgabe auch darin: etwa gebetsmühlenartig zu wiederholen, daß Pakistans Präsident nicht in akuter Gefahr ist, trotz der flammenden Proteste, die der Zuschauer gerade gesehen hat.
Zum guten Reporter vor Ort gibt es keine Alternative. „Je näher, desto besser — kein Zweifel“, sagt Kröger. „Nichts ersetzt den Korrespondenten so nahe wie möglich am Geschehen, gerade im Fernsehen. Der Reporter an der pakistanisch-afghanischen Grenze hat den unschätzbaren Vorteil, dicht an den Menschen zu sein, Bilder, Gerüche, Stimmungen, Emotionen aufzunehmen: im besten Falle ein Mikrokosmos, in dem sich der größere Zusammenhang spiegelt.“
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