Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Die dümmste Antwort kommt ausgerechnet von Steve Whitmire, der nach dem Tod von Jim Henson Kermit den Frosch und Ernie spielte. Auf die Frage, ob Ernie und Bert schwul seien, sagte er: „Es sind Puppen. Sie existieren nicht unterhalb der Hüfte.“ Als ob sexuelle Identität eine Frage des Unterleibs wäre.
Früher war es die fundamentalistische Rechte, wie der amerikanische Pfarer Joseph Chambers, der in den beiden „Sesamstraßen“-Figuren subversive Propaganda für homosexuelle Lebensgemeinschaften sah. Aktuell ist es die Linke, die fordert, dass Ernie und Bert endlich ihr Coming Out haben und heiraten müssten. Die Antwort der Macher ist seit Jahren dieselbe: Ernie und Bert existierten bloß, um Vorschülern zu verdeutlichen, dass auch sehr unterschiedliche Charaktere Freunde sein könnten. Muppets hätten keine Sexualität.
Dabei gibt es durchaus vereinzelte, offen heterosexuelle Muppet-Paare: Oskar und Graf Zahl zum Beispiel haben — selten gesehene — Freundinnen. (Und in einem legendären „Sesamstraßen“-Special verspeist das Krümelmonster eine höchst aufreizende Julie Andrews — oder jedenfalls ihren Schmuck und ihre Schuhe.) Die Frage ist nicht ganz abwegig, ob die „Sesamstraßen“-Welt wirklich eine Welt ohne Sexualität ist — oder nicht doch eine nur ohne Homosexualität. Ist das Verhältnis von Ernie und Bert womöglich Ausdruck der „Don’t Ask Don’t Tell“-Ideologie — dass Schwulsein okay ist, solange man nicht darüber redet? Und würden zwei männliche (oder weibliche) Puppen, die einfach ganz selbstverständlich ein Paar sind, nicht Normalität reflektieren und demonstrieren?
Es geht eigentlich um zwei verschiedene Fragen: Dürfen Ernie und Bert schwul sein? Und: Müssen Ernie und Bert schwul sein? Die liberale amerikanische Journalistin Alyssa Rosenberg argumentiert zu recht, dass der Gedanke, dass ein Mann, der mit einem Mann zusammenlebt oder eine enge Freundschaft führt, schwul sein müsse, weder für schwule noch für heterosexuelle Männer hilfreich ist.
In der zweiten Folge der „Muppet Show“ vom 28. Februar 1976 gibt es übrigens einen großen romantischen Auftritt von Bert mit der Schauspielerin Connie Stevens, mit der er „Some Enchanted Evening“ in einer Weise singt, die alle Zweifel an seiner Heterosexualität beseitigen sollte. Das nette schwule „Sesamstraßen“-Paar müssten also dann doch andere sein als die Gay Icons Ernie und Bert.
So viele rhetorische Fragen. Ich würde mich gern an einer aufhalten wollen, und sie über das Niveau purer Rhetorik hinausheben: “ Müssen Ernie und Bert schwul sein?“. Nö. Ich finde die Haltung ganz vernünftig, dass man nicht aus einer potentiell konstruierbaren homosexuellen Beziehung auch eine macht. Mir erscheinen die Linken in der USA da fast so verkrampft wie die Rechten – nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Meine Meinung mag im Übrigen auch mit dem unsäglichen Format „Freitag Nacht News“ und den (mM nach wiederum ulkigen) Figuren Bernie und Ert zusammenhängen, die den Muppets diese Entwicklung abgenommen haben.
Ich glaube, der Text enthält keine einzige rhetorische Frage.
Bei:
Und würden zwei männliche (oder weibliche) Puppen, die einfach ganz selbstverständlich ein Paar sind, nicht Normalität reflektieren und demonstrieren?
wäre ich persönlich mir da nicht ganz so sicher. Aber es ist ihr Text, insofern zählt ihr Glaube mehr.
Aber die hier in #1 zur Rede stehende Frage verstehe ich auch nicht als eine rethorische.
Mich würde übrigens (nicht rethorisch) interessieren: Muss die sexuelle Orientierung von Ernie und Bert festgelegt werden?