Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Die große Stärke von Richterin Barbara Salesch ist ihre Fähigkeit, nicht zu urteilen. Vor ihr spielen sich die erschütterndsten Szenen ab: Arme werden in die Luft geworfen, Hände gerungen, Stimmen gepresst und überschlagen, Gesichter verzogen, Augen aufgerissen und gerollt. Doch all diese Gewalttaten, begangen im Auftrag eines Fernsehsenders von Menschen, die große Gefühle und dramatische Überraschungen ausdrücken sollen und dafür ungefähr so viel Talent haben wie eine Autobahnbrücke, bleiben ungesühnt. Barbara Salesch schafft es, im Angesichts dieses Grauens mit keiner Wimper zu zucken. Sie prustet nicht laut los, kichert nicht in sich hinein und bricht nicht weinend über dem Richtertisch zusammen. Sie spricht nicht einmal, was das Mindeste wäre, ein lebenslanges Fernsehauftrittsverbot aus. Nur ganz gelegentlich ruft sie die Zeugen und Angeklagten, Verwandten, Geliebten und Prostituierten, in einer Heftigkeit zur Ordnung, dass nicht ganz klar ist, ob das nur der Rolle gilt oder auch ihrem Darsteller.
Mit der Umstellung der täglichen Sat.1-Show „Richterin Barbara Salesch“ von echten kleinen Fällen vor einem Schiedsgericht zu gespielten Verhandlungen über Mord- und Totschlag-im-Swingerclub-Dramen begann vor elf Jahren der Siegeszug der Darstellerlaien im deutschen Fernsehen. Viele spielen sich in ihren Rollen geradezu in einen Rausch (wobei genauso wahrscheinlich ist, dass sie den schon zu den Dreharbeiten mitgebracht haben), schaffen es aber trotz allem Bemühen regelmäßig nicht, auch nur annähernd so geistesgestört zu wirken wie Drehbücher.
Fürs Fernsehen entdeckt wurde Salesch, die richtige Richterin in Hamburg ist, ursprünglich, weil sie so munter, volkstümlich und extrovertiert ist. Inzwischen fällt sie eher dadurch auf, wie gleichmütig und unbeeindruckt sie das Beklopptheitengetöse in ihrem falschen Gerichtssaal hinnimmt. Leise fragt sie zum millionstenmal den Beruf eine Befragten ab und weist ihn darauf hin, dass er vor Gericht die Wahrheit sagen muss. Wenn sie selbst Fragen stellt (was sonst meist die Staatsanwälte und Verteidiger übernehmen, die echte Staatsanwälte und Verteidiger sind, die Laiendarsteller spielen, die Staatsanwälte und Verteidiger spielen), tut sie das mit einer Behutsamkeit und in einem Tonfall, als ob sie mit Drei- oder Hundertdreijährigen spricht.
Ähnlich routiniert beantwortet sie inzwischen Journalistenfragen. Ein zehn Jahre altes Zitat des ehemaligen Präsidenten des Bundesgerichtshofes muss immer noch als Beleg dafür dienen, dass ihre Justizparodie auch gut sein könnte für die Justiz. Noch länger bezeichnet sie sich als „Deutschlands bestbeobachtete Richterin“ und schließt daraus, dass die Urteile über den Quatsch seriös sein müssten.
Nun hat sie bekanntgegeben, dass sie zum Ende des Jahres aufhören will. Sie will sich mehr der Malerei widmen. Ich hätte angenommen, dass sich das auch während der Show machen ließ, hinter dem Richtertisch, zwischen zwei Nichtvereidigungen von Zeugen. Irgendwas hat sie da immer schon vor sich hingekritzelt. Aktennotizen werden es ja nicht gewesen sein.
Ich werde sie nicht vermissen. Ich empfange über meine DVB-T-Antenne kein Analphabetenfernsehen. Und auf das andere verzichte ich auch meist.
„Singerclub“ klingt schön. Ist das, wenn chorale Stimulation vor Gericht führt?
Ich finde es ja immer wieder faszinierend, daß gerade bei Fernsehtehmen jede Menge Kommentare mit dem Tenor „ich sehe eh nicht fern“ zusammenkommen.
Das ist ja prima, aber – wen interessiert das? Und warum meint ihr dann euch zu solchen Themen äussern zu müssen?
Oder ist Nicht-Fernsehen so prima, daß man meint es jederman mitteilen zu müssen wenn man es (nicht() tut?
Was ist denn hier so besonders neu? Ich habe die Spannung bei Salesh, Holdt und wie sie alle heißen immer unter folgendem Gesichtspunkt betrachtet: Ist das jetzt ein schlechter Schauspieler? Oder ist das jetzt ein guter Schauspieler, der einen lügenden Zeugen spielen soll?
@danielj
Yepp, Nichtfernsehen ist super.
Hab ich auch jahrelang gemacht, bis die Schweine Sendungen im Netz haben abrufbar gemacht.
Barbara Salesch z.B. gibbet unter anderem hier:
http://www.myvideo.de/channel/barbara-salesch
Schade, ich werde sie vermissen.
Hm. Ich kenne Schauspieler die da aufgetreten sind. Also so richtig Leute die als Beruf „Schauspieler“ angeben. Die auf der Schauspielschule waren. Schauspieler halt.
Von daher… nur „Laienschauspieler“ würde ich die Leute die da auftreten nicht nennen.
Die drei, vier, fünf Folgen, die ich gesehen habe, bestätigen all das Gesagte. Vortrefflich analysiert.
Kann sein, dass in den letzten Jahren mit zunehmenden Einspielfilmchen auch halbprofessionelle Schauspieler mitgemacht haben. Aber am Anfang waren da nur Laien am Werk. Einige aus meinem Bekanntenkreis waren da aus Jux und Tollerei beim Casting in Köln mit dabei. Ich übrigens auch. War auch lustig. Erste Aufgabe war ganz laut zu schreien. Dann gab es ein kurzes Skript mit einer Szenenbeschreibung. 15 Minuten Zeit sich das Skript durchzulesen und dann wurde probehalber eine Szene gedreht. Es hieß, auch bei den echten Drehs wären nur 15 Minuten Zeit angesetzt, um sich das Skript durchzulesen. Dialoge sollte man sich selbst ausdenken. Anschließend noch eine Einzelaufnahme, in der einmal eine traurige, verzweifelte und dann eine glücklich euphorische Stimmung gespielt werden musste. 3 Wochen später sollte ich dann tatsächlich eine Rolle übernehmen. Fischhändler, der Fische in denen Drogen versteckt waren, verkauft. So weit wollte ich es dann doch nicht kommen lassen und habe abgelehnt. Aber so ein Casting mit ein paar Freunden ist lustig.
Wenigstens gab Salesch Stoff für diese erzellente Parodie von Oliver Kalkofe http://www.clipfish.de/video/2908137
exzellent natürlich…
Schaut mal zum Vergleich „Judge Judy“, wenn ihr das nicht kennt. :)
Ich habe einst von teilnehmenden Gerichtsshow-Darstellerinnen (Sat1+RTL) gehört, dass sie von der Produktion geradezu ins widernatürlich Theatralische gedrängt wurden.
@Sebastian
Und ich kenne auch Leute, die, von der Schaupielschule kommend, meinen, dass sei irgendwie förderlich für sie oder ihre Karriere, wenn sie bei Salesch einen geistesgestörten Psychopathen geben dürfen. Dass kein halbwegs seriöses Theater die mit der Kneifzange anfasst, begreifen sie dann erst später.
‚Gerichtsshows mit Laiendarstellern‘ müsste das erste Mal gewesen sei, dass RTL ein Konzept von Sat.1 abgekupfert hat und nicht umgekehrt. Ich erinnere mich noch an Mitte letzten Jahrzehnts, als sie sich flächendeckend im Nachmittagsprogramm ausgebreitet hatten wie in den Neunzigern die Talkshows. Und trotzdem irgendwie noch erträglicher als die ‚Scripted Reality‘-Shows von heute. Da fragt man sich immer: Was bitte kann da noch kommen?
Was würde ich dafür geben nach einer Aufzeichnung mal bei Salesch, Römer und Co. Mäuschen zu spielen.
Ob sie ihren Familien verboten haben das anzusehen, weil sie sonst zu Hause ausgelacht werden? Oder ob man diese Laienschauspieler-Tragödien nur mit Drogen ertragen kann…?
@Sebastian
Ja, kenne ich auch. Wobei: Die Leute waren damals noch auf der Schauspielschule und zwar auf einer privaten, die sie selber finanzieren mußten. Deshalb sind die dahin. Also zu Salesch. Und in die Talkshows. Zu den Maybritts und den Illners. Das waren noch Zeiten! Sie waren jung und brauchten das Geld.
Und während die sich da ihre Karriere versaut haben, haben mir ihre Katzen (die ich zur Pflege bekam) die Wohnung vollgekotzt.
So war das. Damals.
Ach, ich wollte eigentlich noch einen Kommentar schreiben,
darüber dass bei der Salesch doch immer mindestens eine Zeugin vorgeladen war, die im breiten Gürtel oder tief ausgeschnitten den Gerichtssaal betrat und natürlich hatte ausgerechnet diese Zeugin ordentlich Holz vor der Hütte (ich glaube, das nennt man so bei den Casting-…, bei Gisela Marx.) Und dann durfte sich diese Gisela Marx in den Kölner Treff zu Boettinger setzen und sagen, dass sie nie, bei allem was sie so gemacht hat, sexistisch gearbeitet hätte, was von Frau Boetinger natürlich sofort kritisch hinterfragt wurde ;-)
Aber ich lass das mal heute …
„Arme werden in die Luft geworfen“…
–> Das ist ungerecht: Warum nicht auch Reiche? ;-)
@18 Was haben Barbara Salesch, Gisela Marx, die Zeugin und Bettina Boettinger gemeinsam?
Ach, ich lass das jetzt mal…
Positiv ist doch, dass die genannten Personen erkannt haben, wo ihre Stärken liegen und wo nicht! Es gibt genügend „echte“ Richter, Anwälte, Ärzte usw., die entweder überfordert oder nur gelangweilt sind und ihre Rolle auch nur „spielen“. Wie viele andere wird Frau Salesch nur noch für ihre reine Anwesenheit bezahlt, aber sie schadet auch niemandem.
@20: Ne, sach‘ mal, ich steh auf’m Schlauch.
Wenn´s so richtig wichtig wurde, hat Sie immer so leise genuschelt, daß man nichts mehr verstand.
also barbara salesch und richter hold, das wäre mal ein dreamteam gewesen. warum hat man dieses crossover nicht gewagt? in krimiserien klappt das ja auch. jetzt zieht sie sich zurück und malt ein bischen. naja …
dass sie nach all den jahren abstumpft und keine großen reaktionen oder emotionen mehr zeigen kann, ist nur mehr als verständlich. zumal der eigentliche reibungspunkt der sendung, also die trashigen darbietungen der delinquenten, ohne not zugunsten halbprofessioneller schauspieler ausgetauscht wurde. dabei hatten die irrwitzigen darbietungen und konstellationen den reiz des formates ausgemacht. das ist eben das problem all dieser vergnüglichen formate, die auf den charme des laienhaften und bekloppten setzen. wenn man anfängt, das zu professionalisieren und zu zementieren, sind irgendwann die geschichten auserzählt und die glaubwürdigkeit dahin.
[…] Barbara Salesch, 3. Juli 2011, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung AllgemeinKachelmann-Prozess, Ralf Witte, Rechtspraxis ← Scheidungsindustrie: Das Geschäft mit der Familienzerstörung […]
Barbara Salesch hört nicht auf, weil sie sich ihrer Malerei widmen will – Die olle rote Pappmappe, aus der sie ihre Urteilsbegründungen vorliest, ist endgültig auseinandergefallen und lässt sich auch mit Tesafilm nicht mehr flicken.
Das, was Frau Salesch da hinter ihrem Schreibtisch bzw. dem Richterpult so vor sich hinnotiert, sind die Abläufe der „Drehbücher“. Staatsanwälte und Verteidger haben allesamt die Drehbücher auf dem Tisch – getarnt als Akten zum Fall. Sollte jetzt einer der Laiendarsteller wichtige Fakten vergessen, die auch den anderen Laiendarstellern als Anschluss dienen (z.B. ein „rotes Auto“ was unbedingt erwähnt werden muss), dann schauen die Richter und Anwälte und Staatsanwälte in den Ablauf (bzw. das „Drehbuch“) und werfen ein: „Ja, aber bei der Polizei haben Sie doch damals auch noch ein rotes Auto erwähnt, was ist denn damit nun genau?“
So spart man wertvolle Aufnahmezeit, denn die ABSOLUT Einzigen, die die Aufzeichnung unterbrechen, sind die Götter aus dem „Off“, die Redakteure bzw. die Realisatoren (Regisseure gibts bei solchen Formaten nicht). Ich durfte ein paar Mal mit auf der Bühne sitzen und mich zum Laienaffen machen: Gerne wieder, so manch lustige Erfahrung mehr in meinem Poesiealbum des medialen Grauens…
:)
@von Haberstein
Oh, zukucken bei der Produktion waere sicher sehr unterhaltsam, aber meine Nase dafuer in eine Kamera halten waere ein zu hoher Preis…
Leider hört richterin Barbara Salesch auf. Ich werde Ihre
rauhe aber herzliche Art vermissen. Auch einmal Staatsan
walt und verteidigt in Ihrer eigenen und liebenswerten Art
zurecht weist.
Ich wünsche ihr für die Zukunft alles gute.
Ich finde es schade, das Frau Salesch aufhört, hoffentlich übernimmt ein neuer Richter die Sendung. Ich wünsche Barbara Salesch für die Zukunft alles gute