Europameister im Live-Tickern

Die EU-Medienkommissarin Viviane Reding ist ein Fan des deutschen Internets. Sie sagt (in der „FAZ“) nicht nur:

Für mich ist das deutschsprachige Internet beispielhaft für Vielfalt und Qualität.

Sie behauptet auch:

Deutschland ist bei seinen Internet-Angeboten europaweit federführend.

Ich bin nicht ganz sicher, womit sie das belegt und was sie mit „federführend“ meint. Aber das ist ja schon toll: In Österreich läuft ein Fußballspiel, und obwohl schätzungsweise die Hälfte der Nation die deutsche Niederlage gegen Kroatien im Fernsehen verfolgt, gibt es ungezählte Live-Ticker im deutschsprachigen Internet.

Man könnte das glatt mit Vielfalt verwechseln. Man müsste dafür aber zum Beispiel übersehen, dass es in diesem Fall nicht einmal einen Unterschied zwischen dem Internetangebot der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Bild“-Zeitung gibt. Während es bei den Zeitungen doch wenig Überschneidungen in der Ansprache des Publikums gibt, haben sie online kein Problem damit, ihre Leser exakt wortgleich über den Fortgang des Spiels zu informieren. Denn der „FAZ.net-Ticker“ ist ebenso wie der „Bild.de-Ticker“ eigentlich ein dpa-Ticker.

„Vielfalt“ ist da nur ein anderes Wort für eine unterschiedliche Verpackung desselben Inhaltes:

„Bild“

„FAZ“

„Express“

„Frankfurter Rundschau“

„Kölner Stadtanzeiger“

„Hamburger Morgenpost“

N24

„Sächsische Zeitung“

„WAZ“

 

Aber es gibt Alternativen zum Live-Ticker von dpa. Zum Beispiel den Live-Ticker von liga-liveticker.de. Wortgleich zu finden bei:

ZDF

„Stern“

„Abendzeitung“

 

Einige Internet-Angebote, darunter die von „Spiegel“ (Live-Ticker von kicker.de), „Süddeutscher Zeitung“ und „Rheinischer Post“, scheinen tatsächlich selbst zu tickern. Und dass die anderen es nicht tun, sich das Geld sparen und nur ihr Logo auf ein dpa-Angebot bappen, ist kein Skandal.

Man sollte es nur wissen und nicht mit Angebotsvielfalt verwechseln.

24 Replies to “Europameister im Live-Tickern”

  1. Zum Glück gibt’s ja heute auch zwei Mal „Der letzte Zeuge“ auf arte.

  2. Der SPIEGEL-Online-Ticker ist eine Übernahme vom KICKER. Ich wäre überrascht wenn das Ding von der SZ aus eigenem Haus käme und nicht auch eingekauft wäre.

    Übrigens weiterer großer Verkäufer von solchen Tickern ist die IMG/sportal.de. U.a. welt.de

  3. Podolski: „Fußball ist wie Schach nur ohne Würfel.“ – und der ARD ist soeben verboten worden ihr Internetangebot über den Sendeinhalt hinausreichende Informationen journalistisch auszubauen, den die Kapitalistenverlage als irreguläre Konkurrenz ihrer wirtschaftlichen Interessen ansehen. Ein Skandal. Stefan, tu was! Irgendwas!

  4. Ich finde es gar nicht einmal schlimm, nicht in jeder Redaktion sich jemand die Gurkentruppe anschauen muss. Es gibt doch gar keine Notwendigkeit. Man könnte doch z. B. dpa-Ticker darüberschreiben, auf dpa verlinken. Oder es einfach lassen.

  5. Wenn Fußball-Ticker das einzige Gegenbeispiel für Redings These sind, könnte man auf den Gedanken kommen, sie hat Recht.

  6. Der sueddeutsche.de-EM-Ticker wird von Sport Media Service geliefert, ebenso wie der dortige Bundesliga-Liveticker. (Ist aber wirklich kein Skandal, nicht einmal im Ansatz.)

  7. Rührt das auch daher, dass die meisten „Live“-Ticker geschätzte 20 Minuten hinterher hingen? Einzig der Ticker der Tagesschau war aktuell (und soweit ich das erkennen kann auch selbst verfasst).

  8. Die Ticker von liga-liveticker.de hinken i.d.R. dem Fernsehbild knapp 5-10 Sekunden hinterher (und sind damit Zappers Freund. Reicht aus um zur Wiederholung umgeschaltet zu haben)

  9. Der tagesschau-Ticker kommt von sport.ard.de in Köln.

    @ dogfood: Weniger als fünf Sekunden hinter dem TV-Bild wäre allerdings schon äußerst sportlich: Der Ticker-Autor sitzt ja auch nur vorm TV und soll dann schauen, denken (fühlen?), schreiben und vor dem Return-Drücken noch den Text auf Rechreshfehler überprüfen. Sonst hätten wir hier die Diskussions über trashige Billig-Ticker.

  10. … und zum Thema welches Fernsehbild über welchen Übertragungsweg kommt am schnellsten hatte SpOn heute einen Text.

  11. dass das ZDF als insel der qualität keinen eigenen ticker anbietet, finde ich durchaus skandalös. allein schon, weil die ARD einen eigenen ticker hat, muss doch aus Mainz ein gegenschlag erfolgen! ich stelle mir da einen expertenticker mit allem pipapo vor, selbstverständlich direkt aus dem stadion. oder wird mit Rosamunde Pilcher gegengetickert? wäre ja sendungsbezogen, und in sieben tagen sind wir eh raus.

  12. Zweifellos ist die Unsitte etablierter Medien, Online-Journalismus mit dezentem Anpassen von dpa-Tickermedlungen zu verwechseln nach wie vor ein Übel, wenn auch nicht mehr so verbeitet wie noch vor 5-10 Jahren.
    Ein Spiel, daß sowieso von der Hälfte der Nation (und vermutlich einem gegen 100% tendierenden Anteil der fußballinteressierten Bevölkerung) in 5 verschiedenen „großen“ Tickern (liga-liveticker.de, dpa, sz, rp und kicker), sowie unzähligen kleineren und unabhängigen Tickern verfolgen zu können, finde ich durchaus ein Beispiel für Vielfalt.
    Aber da ich keine Lust habe, die Anzahl und Qualität französischer, englischer, spanischer oder rumänischer Fußballeuropmeisterschaftsliveticker zu untersuchen, kann ich genauso wenig wie Du eine Aussage dazu treffen, ob die gute Frau Reding Recht hat oder nicht.

  13. Also ich kann hier auch irgendwie keine Gleichschaltung der deutschen Medien erkennen.

    Die anderen Beispiele zum Thema waren da insgesamt besser. Bei Fußball-Livetickern ist es doch total Banane.

  14. @4 (unbek. verzogen):

    was ist da ard und cdf verboten worden, und wann? was habe ich da verpasst?

    .~.

    p.s.: „arbeitsentwurf“, „beschlussfassung“, „oktober“… da war doch was…

  15. @fs: die Redakteure des Ticker von liga-liveticker.de arbeiten mit Keyboard-Shortcuts. Wenn ein Tor fällt wird, wird mit 1-2 Tastendrücke das Ereignis zusammengeschrieben. Viele Einträge im Ticker bedienen sich zudem mitunter unpassenden Textbausteinen wie z.B. wenn nach einem 5:0 in der 89ten Minute „jetzt ist eine Vorentscheidung gefallen“. Es reichen zwei – drei Tasten aus (Spielernummer, Textbaustein). Der Rest kann oder wird automatisch generiert.

    Glaubs mir einfach. Ich benutze die Dinger seit zwei Jahren. Die Verzögerung ist enorm kurz und reicht aus um rechtzeitig zur Zeitlupe auf den Fernsehkanal umzuschalten.

    (Ähnliche Reaktionsgeschwindigkeiten gibt es auch bei den Tickern von Wettanbietern, die schnell reagieren müssen um entsprechende Live-Wetten zu blocken. Für die ist es eine Frage des Geldes dass die Zeitverzögerung so gut es geht auf Null geht)

  16. Die „dpa“-Ticker (eigentlich Ticker der dpa-Tochter dpa-infocom) bieten übrigens die Option, dass die Kundenredkationen die Texte selbst schreiben. Dies wird von einigen Kunden, die den Ticker zur Fußball-Bundesliga einsetzen, übrigens auch wahrgenommen. Dabei wird beispielsweise das Match der Mannschaft aus dem Vetriebsgebiet der Zeitung mit eigenen Redakteure „getickert“, von den anderen Spielplätzen aber der dpa-Feed bezogen. Der dpa-Ticker umfasst auch die Live-Statistik des Spezialanbieters opta sportsdata. Die Erfassung dieser Livedaten ist so aufwändig (5 Leute pro Spiel), dass sich eine Redaktion alleine diesen Service kaum leisten kann (bei 7 oder 8 Spielen eines BL-Nachmittags).

    Christoph Dernbach, Chefredakteur dpa-infocom

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