Grand-Prix: Dschinghis Khan lebt!

Oh, Nein!

Es ist …

… Kader Loth?!

Die Schweden haben es tatsächlich geschafft, jemanden zum Eurovision Song Contest zu schicken, der so nahbar, nett und natürlich aussieht wie Michael Jackson. Und wenn ich Pech habe, träume ich heute Nacht von diesem, äh, Gesicht.

Wenn ich Glück habe, ist es allerdings ein tonloser Traum und ich werde dazu nicht das Lied von Sängerin Charlotte Perrelli hören, das fast so plastikhaft ist wie sie selbst. Es ist angeblich einer der Favoriten — und hat sich vor ein paar Stunden immerhin schon mal fürs Finale qualifiziert.

Aber jenseits des Fachinteresses von Chirurgen und Plastinatoren haben ihr an diesem Abend andere die Show die Show gestohlen, im Guten wie im Schlechten. Da war der litauische Teilnehmer, der im Finale schmerzlich vermisst werden wird, weil an ihm einfach alles so ausnahmslos furchtbar und misslungen war: die Frisur, die Musik, die Lederhose, die Töne, die Atemluft, die Gürtelschnalle, alles. Sogar das Saalpublikum war so sehr damit beschäftigt, fassungslos den Mund offen zu haben, dass es sich nach Ende des Liedes nicht zu klatschen imstande sah. Erst als Sänger Jeronimas Milius dezent von der Bühne darauf hinwies, dass er fertig sei, löste sich die allgemeine Schockstarre ein wenig.

Die einzigen, die es an Unfassbarkeit mit Litauen aufnehmen konnten, war die tschechischen Frauengruppe, die, wie befürchtet, seit dem Vorentscheid weder ihre Hosen finden, noch eine Einigung über eine gemeinsame Tonart erzielen konnten.

Überhaupt war es ein Abend der schiefen Töne und der aberwitzigen Hintergrundakrobatik — und im Fall der Schweiz einer unglücklichen Kombination aus beidem. Aber man musste bei der eigentlich sehr anhörbaren Italopophymne schon Ohren und Augen zumachen, um auf einen Einzug ins Finale zu hoffen. Und zumindest der Choreograph, der die Idee hatte, die Backgroundsänger mit silberbemalten Händen Dehnungsübungen machen zu lassen, hätte dafür lebenslanges Arbeitsverbot verdient.

Keine Frage: Die Entwicklung der letzten Jahre vom Liederwettstreit zum Entertainmentwettbewerb hat sich fortgesetzt. Es geht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, darum, die größtmögliche Show zu machen, ein Drei-Minuten-Mini-Musical mit einem Gesamtpaket aus Akrobatik, Effekten und Gimmicks. Sie brachten Taschenlampen mit, Flaschen, Einpackpapier, Tücher, Wechselgarderobe, Messer, gelegentlich sogar Instrumente. Nichts ist zu albern, alles geht. Sie turnten, tanzten und posierten, was die Gelenke hergaben.


Aber es scheint nicht zu reichen, irgendeinen größtmöglichen Mumpitz zu veranstalten, wie die Bulgaren feststellen mussten, die sogar ihr DJ-Pult in Brand steckten — und trotzdem ausschieden.

Durchgesetzt haben sich überlebensgroße Inszenierungen wie die der Ukrainerin, die ihrer eher durchschnittlichen Kylie-Nummer eine sensationell schwüle Verpackung gab: Sie schubberte sich an einer Spiegelwand und holte offenbar paarungswillige Tänzer aus vier mannshohen Kisten, die sie später noch bestieg (die Kisten, nicht die Männer). Es war, wie so vieles, bizarr, hatte aber eine Energie, der man sich schwer entziehen konnte.

Auch das georgische Kalkül, mit einer blinden Sängerin ein plumpes Antikriegslied nach dem Motto „viel hilft viel“ zu inszenieren, ging auf.

Und sogar das portugiesische Über-Pathos kam an (wobei sich herausstellte, dass die Sängerin tatsächlich das Seitenverhältnis hat, das ich bislang auf eine falsche Komprimierung ihres Videos geschoben hatte).

Mein Favorit des Abends aber waren mit großem Abstand die kroatischen Straßenmusiker mit dem rappenden Opa, dem ältesten Grand-Prix-Teilnehmer aller Zeiten, einer ungewöhnlichen Nummer mit einem originellen aktionsreichen Auftritt auf der Bühne, der immer dann, wenn er fast peinlich werden konnte, doch zauberhaft blieb.

Geschafft haben es außerdem die Rocker aus der Türkei, die junge Schnulzensängerin aus Albanien und der 90er-Jahre-Eurotrash aus Island. Und als schwacher Trost für alle, die Dustin, dem irischen Truthahn, hinterhertrauern, qualifizierten sich unglaublicherweise die lettischen Piraten mit ihrer Cover-Version eines alten Klaus-und-Klaus-Hits fürs Finale. Sie hatten sich, wie viele andere, offenbar alte Bänder mit Aufnahmen von Dschinghis Khan zur Inspiration kommen lassen. Und die Oberpiratensängerin war (und das ist der andere Alptraum, der mich in Zukunft begleiten wird) mit einem so unfassbaren Riesenbusen bewaffnet, dass es nicht ganz abwegig schien, in ihrem Bikini zwei Atolle zu vermuten. (Entschuldigung.)

Wir aber verabschieden uns mit der Antwort von Ehrengast Lys Assia auf die Frage, wie es ihr vor Ort denn gefalle — Ja, das sei wunderbar hier in Serbien und Bulgarien, oder wie die Stadt noch heißt — und geben zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

Finale: Samstag, 21 Uhr, Das Erste
Alle Sendungen auch live und on demand auf eurovision.tv

Der große Grand-Prix-Führer 2008

33 Replies to “Grand-Prix: Dschinghis Khan lebt!”

  1. Wie geil!

    Aber wenigstens habe ich was dieses Halbfinale angeht fast richtig getippt, ganz im Gegensatz zu meinem Disaster im ersten. Das lässt hoffen, dass meine Wetteinsätze doch noch nicht ganz verloren sind.

  2. 1. 2:53 gepostet, haste dir etwa die Wiederholung auf NDR angesehen, obwohl es auf eurovision um 21:00 Uhr live übertragen wurde.
    2. War die Dschingis Khan Parodie nich eher Malta mit ihrem Alkoholikerlied?

  3. Ging es nur mir so oder war das Publikum im Saal wirklich so mies? Mini-Applaus bei fast jeden Auftritt, immer wenn die Gastgeber versucht haben etwas Stimmung zu machen wurde es sogar noch weniger.

    Musikalisch freut mich ja das Weiterkommen der Türkei, Kroatiens (das ist gar nicht so ungewöhnlich wenn man etwas jugoslawische Musik kennt) und Albaniens. Georgien und Portugal lass ich auch noch wohlwollend durchgehen, auch wenn letzterer Song doch arg an Army of Lovers „Crucify“ erinnert.

  4. Stefan, wie schaffst du es nur, dir diesen Irrsinn immerwieder reinzuquälen?! Bitte tu mir den Gefallen und mach nach dem (un-)musikalischen Budenzauber ein Kur im Schwarzwald oder sonstwo wo es ruhig und einsam ist (bitte nicht in der inneren Mongolei – davon würde es noch schlimmer werden). Ich glaube nur so bist du für den Rest des Jahres arbeitsfähig.

  5. Ich hab es mir live auf eurovision.tv angesehen. Und war sehr erstaunt darüber wie gut die Qualität des Streams war…

    Ansonsten war gestern viel Mittelmaß dabei, was immerhin die Bekanntgabe der Finalisten sehr spannend machte (Dienstag habe ich immerhin 9 von 10 Finalisten nach den AUftritten richtig getippt)

    So richtig schlimm fand ich gestern nichts, da waren frühere Halbfinals schonmal deutlich schwächer (am Dienstag fand ich auch nur die Litauer richtig schlecht)

    @knorke: Wenn man es sportlich sieht, fällt es viel leichter es zu schauen.

    Ich schaue zB jeden Samstag Sportschau, auch wenn da mal 2-3 langweilige 0:0 dabei sind.
    Dafür ist beim ESC auch immer wieder das ein oder andere gute Lied dabei, dass man sonst nie bemerken würde, da es nicht im Radio kommt.

  6. … wie die Bulgaren feststellen mussten, die sogar ihr DJ-Pult in Brand steckten …

    Deren beste Idee – hätten sie bereits vor’m Auftritt erledigen sollen …

  7. Was den Live-Stream angeht, da musste man sich ein spezielle Software herunterladen und den Windows Media Player benutzen. Anscheinend gibt es nicht viel Mac-User, die Eurovision live sehen wollen.

    Was Dschinghis Khan angeht, so waren da die Piraten am nächsten dran, auch von Melodie und Harmonien. Bloß weil Malta auch ein doofes Lied war, es mit einem anderen doofen Lied zu vergleichen – klappt nicht.

  8. Trash macht süchtig – jetzt hab ich mir doch eins der Videos mal angesehen. Und ich göne den Kroaten den Sieg, ohne irgendeines der anderen Lieder gehört zu haben. Allein schon der Mut, in der eigenen Sprache ein eigenständiges, eindeutig durch kroatische Musiktradition beeinflusstes Lied zu präsentieren, verdient jeden Respekt.

    Das ist so viel besser als irgendeine auf Schulenglish gesungene, vielleicht gut produzierte, aber immer herzlose Pop-Nummer.

  9. Der Sänger der türkischen Band ist zucker! Aber auch das Lied gefällt mir und der Text macht auch Sinn.
    Den Rest habe ich mir noch nicht angehört, weil ich so erbärmlich oberflächlich mich erstmal an dem Sänger ergötzen musste…..
    Jetzt schau ich mir mal die anderen Finalisten an und vielleicht wette ich mit! In jedem Fall wünsche ich allen, die nicht anders können und sich ESC ansehen, viel Freude dabei.

  10. Warum wurde eigentlich erwähnt das die portugisische Sängerin übergewichtig ist? Das hat doch nichts mit ihrer Gesangsqualität zu tun.

  11. Mir kams gestern (bzw. eher heute morgen) so vor, als wenn die Wraith aus Stargate Atlantis in Schweden eingefallen sind…

  12. Watt heisst gibt es? Gab es gestern nicht. Für die Live-Übertragung wird man auf eurovision.tv geleitet. Ausserdem ist das Halbfinale vorbei.

  13. @16: Einen latenten Lookism gibt’s bei Stefan trotz aller journalistischen Qualität leider doch hin und wieder dazu.

  14. uebrigens: die Schwedin sieht angeblich von Natur aus so aus, wie sie, ähm…ja…, nunmal aussieht.

  15. Oh Mann, die „Pirates of the Latvian“ hatten beim Texten wohl zu viel Grog intus… Textlich auf einer Höhe mit dem bekannten Lied der Sieben Zwerge („Hei Ho, Hei Ho, wir sind vergnügt und froh“) lässt dieser Möchtegern-Disko-Shanty uns endlich erahnen, was Jack Sparrow in seinem tiefsten Grograusch so von sich gibt.

  16. 23. Ja sicher, und die Erde ist ein Kugel! Wo lebst du denn? Vor ihrem Tod im Jahre 1884 sah sie vielleicht von Natur aus. Dann hat sie dummerweise ein Vampir gebissen (und dann er sie), später ein Auto überfahren und erst in den späten Neunzigern die Feuerwehr verständigt.

  17. Mir hat der Schweizer Sänger, der Song und auch der Gesang – im Rahmen des ESC – gut gefallen. Leider ist er ausgeschieden. Die Türken haben mich positiv überrascht.

    @ kreske #23: Genau, das war Dr. med. Vlado Freiherr von Natur, Chefarzt der Unfallchirurgie in Bratislava.

    @ Alberto #25: Mein Metigel steht schon im Kühlschrank, hab auch noch Panna Cotta gemacht, frische Erdbeeren und lecker Käse am Stück („Dolomittenkönig“).

  18. Mmmh. Dolomiten! ich bin dabei. Habe für Grillgut (großartiges Wort!) gesorgt. Es macht dem Hausherrn doch bestimmt nichts aus, wenn wir in seiner Wohnung einen Holzkohlegrill benutzen, oder?

  19. Dafür hab‘ ich Schwachmat den Dolomiten ein t mehr spendiert – damit das Gleichgewicht auf der Erde erhalten bleibt? Hach, ich freu‘ mich!

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