Das große Schweigen. Warum der Deutsche Fernsehpreis so wenig Bedeutung hat.
Ein gutes halbes Jahr lang haben wir so getan, als sei der Deutsche Fernsehpreis wichtig. Wir haben uns, jeder für sich, durch immer neue Postpakete mit Videokassetten und DVDs gearbeitet. Haben uns an die Geschäftsordnung gehalten, die es Jurymitgliedern untersagt, sich bei Abstimmungen zu enthalten, selbst dann, wenn sie wirklich, wirklich nicht entscheiden wollen, ob nun „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder „Unter uns“ es verdient hätte, als „beste tägliche Sendung“ nominiert zu werden. Haben ausführlich und mit großer Ernsthaftigkeit darüber diskutiert, ob es überhaupt vorstellbar ist, „Speer und Er“ nur für die „Beste Ausstattung“ zu nominieren, und was die Konsequenzen wären. Haben neue Kategorien erfunden, alte abgeschafft, Probeabstimmungen veranstaltet, durchgezählt, welche Sender nun auf wie viele Nominierungen kommen, erneut abgestimmt und uns ununterbrochen gefragt, wie unsere jeweiligen Signale von der Branche interpretiert werden würden. Die ehrliche Antwort hätte wohl gelautet: gar nicht.
Eine Diskussion fand nicht statt. Nicht über die Frage, ob es richtig war, das vermeintliche Fernsehereignis des Jahres, „Speer und Er“, bis auf einen Preis für Sebastian Koch durchrasseln zu lassen. Nicht darüber, wie sinnvoll es war, quasi eine eigene Telenovela-Kategorie zu schaffen – grundsätzlich und insbesondere, wenn es zum Stichtag überhaupt nur zwei Telenovelas gibt. Nicht über unsere Entscheidung, für die „Königskategorie“ des besten Fernsehfilms auch eine leichte Sat.1-Familienkomödie („Das Gespenst von Canterville“) zu nominieren – und dabei hatten wir das öffentliche Raunen über diese scheinbar mutige Entscheidung fast schon im Ohr, den Beifall, die Empörung. Statt dessen: Schweigen.
Der Deutsche Fernsehpreis ist offenbar nicht halb so wichtig, wie er glaubt. Und wie er sein müßte als einer von nur zwei echten Fernsehpreisen in Deutschland und einziger, der sich ausdrücklich als nichtelitärer Branchenpreis versteht. Daß das so ist, liegt an den Medien, am Fernsehen – und am Fernsehpreis selbst.
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat in diesem Jahr über den Deutschen Fernsehpreis weniger berichtet als über den Comedypreis und fand nicht einmal Platz, die wichtigsten Preisträger zu nennen. Aber auch die meisten anderen Kollegen beschränkten sich darauf, das Showritual zu kritisieren und als gesellschaftliches Ereignis zu würdigen. Eine Medienkritik, die den Preis zum Anlaß nähme, auf das Fernsehjahr zurückzuschauen, Glanzlichter und Fehlentwicklungen auszumachen, darüber zu streiten, was preiswürdig wäre und was nicht, gibt es offenkundig nicht. Aber was sonst – abgesehen von der persönlichen Freude der Ausgezeichneten – wäre der Sinn eines solchen Preises? In der Selbstbeschreibung heißt es, sein Ziel sei es, „die Qualität des deutschen Fernsehprogrammes zu fördern“. Das kann nur gelingen, wenn der Preis öffentliche, zumindest brancheninterne Debatten darüber anstößt, wie „Qualität“ zu definieren ist. Wenn er nicht ausschließlich als Anlaß genommen wird, über die trostlose Gewerbegebietslage des Veranstaltungsortes, die ermüdende Länge der Zeremonie und die Qualität des Buffets zu schreiben.
Bei den berichtenden Journalisten scheint der Preis trotz seines jungen Alters von sieben Jahren nur Langeweile auszulösen. In den wenigen Zeilen, die sich inhaltlich mit den Entscheidungen auseinandersetzen, kann man gelegentlich ein Flehen herauslesen: Überrascht uns! Das ist nicht leicht, denn auch nach vielen pflichtbewußten Abenden vor dem Videorecorder entdeckt man wenig Überraschendes, Neues, Frisches, Gewagtes, Unentdecktes im deutschen Fernsehen. Man sieht viele herausragende Krimis, eine Reihe bewegender Fernsehspiele, eine Handvoll vorbildlicher Dokumentationen. Doch im Alltagsgeschäft des Fernsehens, bei Serien, Comedy, Show, Reality, Magazin, gibt es kaum etwas zu entdecken. Diese Genres sind im Fernsehpreis eigentlich ohnehin unterrepräsentiert – und trotzdem lassen sich in manchen Kategorien kaum überhaupt genügend nominierungswürdige Programme finden. Zählen Sie mal mehr als drei gute Sitcoms auf. Oder Serien. Oder Shows. Wie viele junge Moderations- oder Comedy-Talente fallen Ihnen ein, die dringend einen Fernsehpreis bräuchten, der ihnen einen kleinen, verdienten Karriereschub verleiht?
Und doch ist letztlich vor allem der Fernsehpreis selbst schuld daran, daß er so bedeutungslos ist. Paradoxerweise auch deshalb, weil er sich so wichtig nimmt. Man muß das erlebt haben, wie in den vielen Jurysitzungen jede mögliche Entscheidung darauf hin abgeklopft wird, ob man sie irgendwie mißverstehen könnte. Wie groß die Sorge ist, daß am Ende zu viele Preise an einen Sender gehen könnten. Die schlimme, aber logische Konsequenz daraus ist, daß die Jury so sehr unter dem Verdacht steht, durch Proporzdenken geleitet zu sein, daß auch gut begründbare und begründete Entscheidungen (wie etwa die gegen „Stromberg“ und für „Nikola“ als beste Sitcom) oft nur noch als Zugeständnisse an diesen Proporz interpretiert werden.
Nach welchen Gesetzen der Fernsehpreis funktioniert, läßt sich vielleicht am Beispiel des Mainzer Trainers Jürgen Klopp erzählen, der als ungewöhnlich angenehmer Fußball-Experte im ZDF ins Gespräch kam. Eine Nominierung konnte daraus nur im Paket mit dem Moderator, dem Kommentator und sämtlichen Experten einer Fußball-Übertragung werden – und so wurde ausgerechnet auch der gewöhnlich unangenehme Franz Beckenbauer für den Deutschen Fernsehpreis vorgeschlagen. Und abgesehen davon: Wem ist mit einer solchen Sammelnominierung gedient? Was würdigt man damit? War der Kommentator so gut, weil ihn die Experten mitgerissen haben? Oder umgekehrt? Nicht im Ernst.
Der deutsche Fernsehpreis leidet unter seinen vielen Kategorien, die man selbst als Juror kaum unterscheiden kann. Anke Engelke sprach von einer Kategorie „Beste Impro-Comedy“, dabei handelte es sich nur um die ganz normale Rubrik „Comedy“, die allerdings zugegebenermaßen schwer von „Sitcom“ und „Unterhaltungssendung“ abzugrenzen waren. Wer erklärt dem Zuschauer (und den Juroren), wie sich die „beste Reportage“ von der „besten Dokumentation“ unterscheidet? Die Sitcom von der Serie? Was von dem Gemischtwarenladen „beste tägliche Sendung“ zu halten ist, in dem schon Qualitätssendungen wie „Lenßen & Partner“ und „Barbara Salesch“ nominiert waren und aus dem in diesem Jahr die „beste tägliche Serie“ wurde, damit – welche Überraschung! – „Verliebt in Berlin“ ausgezeichnet werden konnte, ohne mit „richtigen“ Serien konkurrieren zu müssen.
Wenn der Deutsche Fernsehpreis wirklich relevant sein will, muß er aufhören zu versuchen, die vermeintlichen Erwartungen an ihn zu erfüllen. Vielleicht fangen dann die Leute an, wieder welche zu haben.
Der Autor war in diesem Jahr erstmals Mitglied der Jury des Deutschen Fernsehpreises, der Preis wurde am vergangenen Samstag in Köln verliehen (F.A.Z. vom 17. Oktober).
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
[…] war ich übrigens selbst mal in der Jury. Ich war da nicht sehr glücklich, wie man meinem FAZ-Artikel von damals entnehmen kann, und habe sie danach […]
[…] Ich war 2005 in der Jury des Deutschen Fernsehpreises und habe danach meinen Platz in dem Gremium […]
[…] All diese Reaktionen zeigen wie Recht Elke Heidenreich hat. Dafür braucht es noch nicht einmal die Unterstützung weiterer Autoren. Die Diskussion ist lange überfällig und auch senderübergreifend zu führen. Allerdings ist zwischen Privatsendern und ARD&ZDF zu trennen. Während die einen nur dem wirtschaftlichen Erfolg unterworfen sind, haben die öffentlich-rechtlichen einen Auftrag. Dieser besteht nicht darin, schlechte Fernsehpreise mit RTL und Sat1 zu veranstalten. […]