Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Und wieder gehen Prominente in den Dschungel und lassen sich vorführen, verspotten und filmen. Aber warum?
Natürlich würde man sich wünschen, daß Nadja Abd el Farrag Freunde hätte. Daß es da jemanden gäbe, der sie in einer ruhigen Minute, vielleicht zwischen der Eröffnung von zwei Schlecker-Filialen, beiseite nähme und ihr sagte: Du, Naddel. Du hattest jetzt die Sache mit Dieter Bohlen. Du hattest die Affäre mit Ralph Siegel,der sich öffentlich Kinder von dir wünschte, bevor du mit ihm per SMS Schluß gemacht hast.
Du hast eine kostenpflichtige Naddel-SMS-Hotline gestartet. Du hast „peep!“ moderiert. Du hast im Fernsehen deine Brust wiegen lassen. Komm, Naddel, jetzt machen wir ’nen Sekt auf, gucken uns noch mal die Witze an, die über dich gerissen wurden, und überlegen, ob es wirklich so eine gute Idee ist, all dem jetzt noch folgende Bilder hinzuzufügen: Naddel schweißnaß unter einem Berg Brennholz. Naddel im Schlamm. Naddel mit Kakerlaken. Naddel mit Carsten Spengemann. Naddel?
Es gibt, andererseits, eine Denkschule, die sagt: Wer nichts zu verlieren hat, hat nichts zu verlieren. Irgendwie muß sie ja Geld verdienen, und in die RTL-Show „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ zu gehen, ist immer noch besser, als eine Bank zu überfallen — na ja, wenigstens ist es legal. Für zwei Wochen gibt es 20.000 bis 60.000 Euro, eine Business-Class-Reise für zwei Personen nach Australien, Unterkunft (vor und nach dem Camp) im besten Hotel. Die Frage, ob der „Trash“-Faktor ihrem Image schaden könnte, stellt sich nicht. Im Gegenteil: Es könnte der krönende Abschluß einer Karriere sein, die auf dem Nichts aufgebaut ist. Die Vollendung. Man könnte auch sagen: Der Todesstoß.
Warum machen Menschen da mit? Lassen sich auf fiese Krabbeltiere und demütigende Psychospiele ein, treten unausgeschlafen, ungeschminkt, ungewaschen vor die Kameras, während ein paar Hundert Meter weiter zwei Moderatoren im trockenen Witze auf ihre Kosten machen? Die zehn mehr oder weniger prominenten Menschen, die an diesem Dienstag nach Australien fliegen, um an der RTL-Dschungelshow teilzunehmen, können nicht sagen, sie wüßten nicht, worauf sie sich einlassen.
Beim ersten Schwung war das anders. Hochspringer Carlo Thränhardt zum Beispiel, der sagt, er mache gerne Dinge, „von denen man vorher nicht genau weiß, worauf man sich einläßt“. Er hatte sich eher eine Art Survival-Training vorgestellt. Er bekam dann ein Video vom britischen Original, sah diverse Kakerlakenspiele und sagte: „Das ist aber nicht so schön.“ — „Keine Sorge, es wird sportlich orientierter, weil das in Deutschland nicht so gerne gesehen wird“, lautete die Antwort.
„Ich war enttäuscht, daß es nichts mit Leistung zu tun hatte“, sagt Thränhardt. „Es war einfach langweilig und ging nur um Überwindung von Ekel.“ Er habe Brennholz geschleppt ohne Ende — was aber natürlich im Fernsehen nie gezeigt wurde. Nein, er bereue nicht, da mitgemacht zu haben haben. Obwohl er, der als Referent über „Eigenmotivation zur Spitzenleistung“ gebucht werden kann, anfangs weniger Anfragen für Seminare bekam, was schade sei, weil er doch trotz allem dort auch viele interessante Erfahrungen gemacht hat.
Für die Kabarettistin Lisa Fitz hatte die Show die sichtbarsten Folgen: Der Saarländische Rundfunk (SR) entzog ihr eine kleine Sendung, was unbedeutend wäre, wenn damit nicht die symbolische Aberkennung des Prädikats „seriöse Kabarettistin“ verbunden gewesen wäre: „Das Entreißen der Krone vom SR hat mir mehr geschadet als der Dschungel selbst“, erzählt Fitz. Die gesamten Öffentlich-Rechtlichen hätten sich verbündet und bei allen Talkshows blockiert — und statt dessen fröhlich Küblböck, Böhm, Cordalis eingeladen. Persönlich und privat würde sie wieder in den Dschungel gehen, in den sie einfach die „Abenteuerlust“ getrieben habe, „aber beruflich darf ich es leider nicht mehr. Kabarett- und andere Fans reagieren sehr mimosenhaft.“
Die Teilnahme hat ihr die Titelrolle in einer RTL-Serie eingebracht, vor allem aber Erfahrungen: „Ich habe die Niedertracht von Menschen erleben dürfen, die Häme von eitlen Kollegen und die maßlose Selbstgerechtigkeit und Schadenfreude von ‚Daheimgebliebenen‘, den sinnlos aufgequirlten Medienhype um das geballte Nichts — und die Liebe von vielen Millionen Menschen, die mich, greislig, wie wir da drin ausgesehen haben, auf den zweiten Platz wählten. Das ist doch nett. Und ich weiß jetzt, daß ich im Wald überleben kann. Das wollte ich wissen.“ Eine Forsa-Umfrage habe ihr einen großen Zuwachs an Bekanntheit und Beliebtheit vor allem bei 14- bis 29jährigen bestätigt. Ihr entspanntes Fazit: „Die Guten werden durch den Dschungel nicht schlecht, und die Schlechten werden qualitativ nicht besser. Man verliert als Kabarettistin in zwölf Tagen Dschungel weder Substanz noch Verstand.“
Bei Caroline Beil waren es die Veranstalter von Events, die sich zunächst mit Anfragen zurückhielten, ob die Moderatorin nicht diese oder jene Gala moderieren möge, nachdem sie vor Millionen Zuschauern in fiese Schlammbäder gestiegen war, sich von Emus hatte zerpicken lassen und über ihre Mitstreiterin Susan Stahnke gelästert hatte. Inzwischen aber, sagt ihre Managerin Nicole Mattig-Fabian, hätten sich die Vorbehalte „komplett gelegt“.
Beil ist vermutlich diejenige Teilnehmerin, die die genaueste Vorstellung davon hatte, was die Show ihr bringen könnte. Mattig-Fabian bestreitet zwar, daß die ganze Inszenierung als Lästerkönigin (Lisa Fitz spricht von „strategischem Mobbing“) verabredet gewesen sei. Aber Beil wußte zweifellos, was zu tun war, um aus der Gruppe herauszuragen. Und sie wußte, daß sie hinterher nicht mehr, wie über vier Jahre zuvor, jeden Abend ein Boulevardmagazin moderieren wollte — immer präsent und unsichtbar.
„Wenn sie nicht in den Dschungel gegangen wäre“, sagt Mattig-Fabian, „wäre sie in den Augen der Öffentlichkeit eine sympathische, schöne Moderationspuppe geblieben. Durch ihren Auftritt in der Show polarisiert sie — sie ist eine schillernde Persönlichkeit geworden. Sie hat jetzt einen populären Namen, und es ist nun an ihr, den mit Inhalten zu füllen.“
Mattig-Fabian hat keine Zweifel, daß sich für „Hacke-Beil“ („Bild“-Zeitung) die Teilnahme gelohnt hat: „Es ist optimal gelaufen. Hochangesehene Journalisten, die sie vorher nicht mit dem Hintern angeguckt haben, haben dann lange Interviews mit Caroline Beil geführt.“ Sie moderiert seitdem Kabel-1-Reihen, sitzt im Panel von „Kenn ich — die witzige Serienshow“, hatte einen Auftritt beim „Red Nose Day“, war Beraterin bei „Hire or Fire“ und spielte in „Beauty Queen“. Viele weitere Projekte seien in Arbeit; zehn Moderationsangebote habe Beil im Lauf des Jahres abgelehnt, weil ihr die Sendungen zu trashig waren.
Na, da haben sich die blauen Flecken doch gelohnt. Oder? Gaby Allendorf, die Künstler wie Stefan Raab und Wigald Boning vertritt, ist anderer Meinung. „Caroline Beil hat sich mit der Teilnahme an der Show keinen Gefallen getan“, sagt die PR-Expertin. Den Job bei „Hire or Fire“, das grandios gefloppt ist, habe Beil erst bekommen, nachdem die Barbara Eligmanns dieser Welt alle abgesagt hätten. Allendorf glaubt nicht, daß öffentliche Aufmerksamkeit der Art, wie sie die Dschungelshow schafft, auf Dauer zu gutbezahlten Jobs führt.
„Man kommt mit so einer Sache vielleicht ein Jahr über die Runden“, sagt sie. Für Schlagerstars wie Costa Cordalis zahle sich das aus: „Wenn man in dieser Branche einen Hit hat, kann man bei Auftritten die drei- oder vierfachen Gagen nehmen. Und Fernsehpräsenz ist wie ein Hit in den Charts.“ Allendorf würde trotzdem keinem ihrer Kunden empfehlen, an der RTL-Show teilzunehmen; es sei aber auch keiner ihrer Künstler von der Produktion angefragt worden: „Ich kenne niemanden, der ein Image zu verlieren hätte, der gefragt worden ist. Das ist wie ein Ausverkauf: Ich mache mich als Künstler billig und hänge mir noch ein Schild um: ‚Sonderangebot‘.“
Die Geschichte hat eine fast tragische psychologische Komponente. „Es gibt Leute, die werden nervös, wenn sie eine Woche lang nicht in den Medien auftauchen“, sagt Allendorf. Tatsächlich sind regelmäßige Partyberichte oder Privatgeschichten für viele Sternchen die einzige Chance, im Gespräch und im Geschäft zu bleiben — nur: die Hoffnung, durch diese Art von Präsenz morgen, spätestens nächstes Jahr ein richtig tolles Angebot zu bekommen, trügt halt meist.
Ein erfolgreicher PR-Mann erzählt von einer regelrechten Sucht nach dem Blitzlichtgewitter der Fotografen, das die eigene Bedeutung bestätigt — ganz egal, ob die entstandenen Fotos je eine Redaktion oder gar einen Leser erreichen. Für manche Promis scheint „Leben“ nur das zu sein, was von einem Publikum wahrgenommen wird. Wer beim Leben rund um die Uhr von Dutzenden Kameras beobachtet wird, glauben sie, muß doch prominent sein. Das Gegenteil ist eher der Fall.