Ich sehe was, was ihr nicht seht. Sandra Maischberger glaubt fest daran, daß ihre bislang eher erfolglose ARD-Talkshow noch in vielen Jahren läuft
Am einfachsten beschreibt man „Menschen bei Maischberger“ als eine endlose Serie von Niederlagen. Es sollte eine Talkshow werden, in der nicht die ewiggleichen Fernsehnasen sitzen, sondern immer mindestens ein Nicht-Prominenter mit einer spannenden Lebensgeschichte. Sandra Maischberger versprach vor einem Jahr einen „gewaltigen Anteil von nicht bekannten Gesichtern“ – am Ende verirrte sich höchstens einmal im Monat so jemand in die Sendung (die Mutter von Uwe Ochsenknecht mal nicht mitgerechnet).
Es sollte eine Talkshow werden, die all dem Abgesprochenen, dem Erwartbaren und Glatten anderer Sendungen die Möglichkeit des Unerwarteten entgegensetzt – heute muß Sandra Maischberger einräumen, daß alles, was dann tatsächlich ungeplant passierte, Kleinigkeiten waren, wie das eine Mal, als Fredi Bobic so sehr schwitzte und sie ihm den Schweiß von der Stirn tupfte.
Es sollte eine Talkshow mitten aus dem Leben werden, nicht aus einem sterilen Studio in einem Vorort von Köln oder Hamburg, weil „man in der künstlichen Atmosphäre Gespräche nicht lebendig machen kann“, wie Maischberger sagte, sondern aus dem Tränenpalast in Berlin-Mitte, einem Ort mit Geschichte, wo sich vor der Tür die Punks mit ihren Hunden treffen – doch was warm und lebendig wirken sollte, kam kalt und angestrengt herüber. Das Publikum saß unbeteiligt in der Gegend herum, und nachdem man es ganz aus dem Gebäude verdammt hatte, wurde die Atmosphäre zwar besser, der Ort aber machte gar keinen Sinn mehr – die neue Staffel wird aus einem WDR-Studio in Köln kommen.
Es sollte eine Talkshow werden, in der jeder Gast einzeln befragt wird, damit der Politiker nicht noch blöd herumsitzt, wenn der Volksmusiker kommt – dann merkte man, daß das Kommen und Gehen nicht funktioniert, und nun bildete sich auch hier im Lauf der Sendung eine aberwitzige Runde aus Menschen, die sich nichts zu sagen haben.
Ach, und überhaupt: Es sollte eine andere Talkshow werden, eine kluge, journalistische, unterhaltsame – und irgendwann saßen da die Sabine Wussows und Nino de Angelos und Sascha Hehns und Verona Feldbuschs dieser Welt und eben Uwe Ochsenknecht mit seiner Mutter, und man wußte nicht, warum die nun auch noch bei Frau Maischberger saßen, und Frau Maischberger wußte es allem Anschein nach auch nicht immer. Man mußte das nicht sehen, und die meisten Leute taten es auch nicht.
Andererseits: Es gibt sie noch, die Sendung. Die Quoten-Mindestvorgabe hieß zehn Prozent, und was hatte sie im Schnitt? „Zehn plus x“, sagt Maischberger und lacht. Übernächste Woche kommt „Menschen bei Maischberger“ aus der Sommerpause, vieles wird anders werden und alles gut. Sagt Sandra Maischberger.
Sie verbreitet bei diesem Gespräch vergangene Woche einen merkwürdigen Optimismus, der alles durchdringt und auf einem ebenso entspannten wie ausgeprägten Selbstbewußtsein zu beruhen scheint. Sie formuliert Sätze wie: „Ich glaube nicht, daß irgendein anderes Programm auf dem Sendeplatz mehr Zuschauer geholt hätte.“ Oder: „Es gibt jenseits des Erfolges wenig Loyalität im Fernsehen, dazu ist es eine zu teure Angelegenheit. Ich finde aber, daß ich gut zur ARD passe, und habe das Gefühl, daß die ARD das auch so sieht.“
Die Zuversicht sickert aus Nebensätzen, in denen sie fast beiläufig wie selbstverständlich davon ausgeht, daß ihre Sendung „ja ein Dauerbrenner wird“. Nicht, weil sie jetzt endlich den Stein der Weisen gefunden hat, sondern aus dem Glauben an eine schlichte Fernseh-Logik: Jede Sendung, die lange genug Zeit hat, sich zu finden, werde sich irgendwann finden und dann durchsetzen. Und dann habe der Zuschauer ein Grundvertrauen und schalte auch bei gewagte Sachen nicht gleich ab. Bei unbekannten Gästen zum Beispiel. „Nicht-Promis sind zunächst ein ,Quotenrisiko'“, sagt Maischberger. „Der Zuschauer bleibt beim Zappen dort hängen, wo er ein Gesicht erkennt. Noch ist die Sendung kein Klassiker wie meine Sendung bei n-tv. Irgendwann wird sie das sein, dann können Sie alles machen.“
Nun ja, bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und gelegentlich speist sich Maischbergers Optimismus auch nur aus einem tröstlichen Fatalismus: „Jetzt haben wir alle Fehler, die man so machen kann, gemacht.“ Daß „Menschen bei Maischberger“ sich noch nicht gefunden hat, steht auch für die Moderatorin außer Frage: „Im ersten Jahr haben wir natürlich sehr nach einer Linie gesucht.“ Vierzig Ausgaben gab es in dieser Zeit von „Menschen bei Maischberger“, nach vierzig Ausgaben ihrer täglichen Sendung auf n-tv waren gerade mal drei Monate rum, was im Vergleich die Evolution bei einer wöchentlichen Sendung natürlich sehr zäh wirken läßt. Viele Unstimmigkeiten hätten den Findungsprozeß außerdem verlangsamt und verhindert, daß die Sendung ein für den Zuschauer erkennbares Profil bekommen konnte, räumt Maischberger ein.
Zu den Unstimmigkeiten gehörten wohl nicht zuletzt Differenzen in der Redaktion. Michael Spreng, der frühere „Bild am Sonntag“-Chef und Stoiber-Trainer, verließ das Team bereits nach wenigen Monaten. Jetzt kommt schon der dritte Chef, aber der Neue ist ein Alter: Theo Lange, der bislang Redaktionsleiter von Maischbergers n-tv-Sendung war und den ARD-Sendeplatz am Dienstagabend von zwei Seiten kennt: Als Redakteur von „Friedman“ und von „Boulevard Bio“ – keine schlechte Voraussetzung eigentlich für den Spagat, den Maischberger immer noch machen will.
„Ich hatte schon bessere Jahre“, resümiert Sandra Maischberger und korrigiert sich: „Nein, das ist Jammern auf hohem Niveau. Ich dachte vielleicht, es würde leichter und vor allem schneller gehen, eine neue Marke zu setzen und zu etablieren. Das war manchmal ein bißchen mühsam, aber es gab auch Sendungen, die mir richtig gut gefallen haben.“
Natürlich habe das, womit Biolek über Jahre den Sendeplatz geprägt hat, bei den Zuschauern am besten funktioniert: der „gepflegte Boulevard“. „Aber auch Sendungen wie die mit Helmut Schmidt oder Gesine Schwan waren erfolgreich, vielleicht, weil diese Gespräche eben mit mir am besten funktionieren. Mein Ehrgeiz besteht schon darin, eine Sendung zu machen, die sowohl gut ist, als auch eine gute Quote hat. Anders geht es ohnehin nicht.“
Wo ihr Platz ist neben und zwischen Beckmann und Kerner mit ihren Sendungen und was ihre eigene Haltung sein kann, ist immer noch nicht ganz klar. Klar ist, daß es wenig Sinn hat, sich jemandem wie Verona Pooth, geborene Feldbusch, in der typischen Maischberger-Haltung gegenüberzusetzen: aufmerksam, lauernd, weit über den Tisch gebeugt. Für das neue Studio in Köln werden in der kommenden Woche deshalb zwei Sitzanordnungen ausprobiert: Neben dem jetzigen Riesen-Küchentisch-Ensemble eine Variante mit drei Sofas im Karree, eine Art helle Variante des legendären „Club 2“ im ORF. Zum Zurücklehnen. „Um 23 Uhr abends ist man allein schon der Tageszeit geschuldet viel mehr laid back. Penetrantes Insistieren ist da zu anstrengend.“
Überhaupt Verona Feldbusch: Maischberger betont, daß sie sich mit ihr nicht über das Brautkleid unterhalten habe, was vielleicht die Kollegen getan hätten, sondern darüber, wie das ist, wenn man einen etablierten Markennamen wie „Feldbusch“ aufgibt. Aber reicht das als Profil gegenüber Kollegen, deren Talks verläßlich zwischen locker-leichtem Boulevard und intensivem Seelenstriptease changieren? „Das Profil wird im Zweifelsfall meine Nase sein und meine Art, Menschen zu fragen“, sagt Maischberger. Sie beharrt darauf, daß sie für das ARD-Publikum ein unbeschriebenes Blatt gewesen sei. „Es ist in dieser Manege ja mein erster Auftritt. Man geht da hinein, zieht den Hut und sagt: Das bin ich, und stellt sich neu vor. Und das unter einem unglaublich starken Konkurrenzdruck, gegen den derzeitigen Marktführer.“ Sie meint Johannes B. Kerner. „Der sendet jeden Tag, fängt eine Viertelstunde früher an und ist ja einfach nett.“
Es ist leicht zu erklären, warum der neue Bundespräsident Kerner für seine Fernsehvorstellung gewählt hat. Aber das ändert nichts daran, daß es ein Problem für Maischberger ist, wenn er nicht zu ihr kommt. „Alle wollen die besten Gäste zuerst haben. Mal wird der gewinnen, mal der.“ Und wenn immer nur mal Beckmann gewinnt und mal Kerner? „Das ändert sich, keine Sorge. Wir sind die letzten, die in den Ring gestiegen sind, den Vorsprung der anderen mußten wir erst aufholen.“
Es wird also erst einmal noch weitergeschraubt an der Sendung. „Fernsehen ist nicht Konzept. Es ist learning by doing“, hat Maischberger gelernt. In Köln sind die Produktionskosten viel niedriger, das nimmt ein wenig den Druck. Jetzt wollen sie es vielleicht mit Sendungen probieren, in denen unterschiedliche Gäste – ähnlich wie bei „Bio“ – zu einem Thema ins Gespräch kommen, und sei das Thema noch so vage. Für die erste Sendung sind Hitler-Darsteller Bruno Ganz und Guido Westerwelle eingeladen.
An einer Stelle im Gespräch hat Sandra Maischberger den Satz gesagt: „Nicht jedes Experiment endet glücklich.“ Aber das ist nicht der Eindruck, der bleibt von dem Treffen mit ihr. Was bleibt, ist eine andere Stelle: „Ich habe keine Angst. Ich habe ein Bauchgefühl, und das sagt: venceremos.“ Venceremos heißt: Wir werden siegen.
Manchmal ist das Selbstbewußtsein von Sandra Maischberger ein bißchen beunruhigend.
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung