Laien pflastern ihren Weg. Filme mit Anspruch und Trash für die Massen: Die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Produzentin Gisela Marx.
Am Mittwoch stand eine Ärztin vor Gericht, weil sie einem Patienten Medikamente verschrieben hatte, deren Kombination lebensgefährlich ist. Im Gericht fiel dem Opfer auf, daß es die Ärztin von einer früheren Affäre kannte. Sie gestand, daß sie von ihm schwanger wurde und seit der Abtreibung unfruchtbar sei. Dann ergab sich, daß die Apothekerin die Kombination bewußt aushändigte, obwohl ihr die Gefahr klar war, weil sie in dem Patienten den Anwalt erkannte, der ihren Bruder in den Knast gebracht hatte (oder so, die Sache war kompliziert). Als die Beweisaufnahme abgeschlossen war, rief der Mann der angeklagten Ärztin, der eigentlich nicht aussagen wollte, „Halt, halt!“ und gab zu, daß er das Rezept gefälscht hatte. Aus Rache, weil er wußte, daß der Patient für die Unfruchtbarkeit seiner Frau verantwortlich war. An dieser Stelle fragte der Staatsanwalt: „Bin ich im Irrenhaus gelandet?“
Nein, hätte die Antwort gelautet, bei Richterin Barbara Salesch, aber, zugegeben, die Grenzen sind fließend. Es war eine typische Verhandlung dieser Serie: Im Getriebe des Plots knirscht es an jeder Stelle, und es wird nicht besser dadurch, daß keiner der Darsteller überhaupt weiß, wo die Kupplung ist, wenn sie laut Drehbuch einen neuen Gang einlegen sollen.
Es ist eine ganz und gar erstaunliche Erfolgsgeschichte. Die Rekordquoten von Barbara Salesch. Die Welle an Nachahmern. Die plötzliche Allgegenwart von Laiendarstellern im Nachmittagsprogramm. Das Interesse im Ausland an diesem in Deutschland erfundenen Genre. Aber das vielleicht erstaunlichste ist die Frau, die hinter diesem Erfolg steht und nun auf dem Weg zur größten unabhängigen Fernsehproduzentin Deutschlands ist: Gisela Marx.
Sie ist die ersten Jahrzehnte ihres Berufslebens als Prototyp der öffentlich-rechtlichen Medienfrau durchgegangen: WDR-Journalistin, tough, kritisch, im Zweifelsfall links. Sie hat den nordrhein-westfälischen Landesorden „für ihr politisches und gesellschaftliches Engagement“ und ihr „hohes Maß an Courage“ bekommen. Wenn sie Gäste in der legendären SFB-Talkshow „Leute“ befragte, lehnte sie sich zurück, schaute ihr Gegenüber etwas abschätzig von unten an und lockte ihn mit heiserer Stimme entspannt aus der Reserve. 1974 gründete sie die Firma Filmpool und produzierte unter anderem den „WWF-Club“ und Wolfgang Menges Serie „Motzki“.
Dann kamen die Laiendarsteller.
1997 stellte Filmpool für Sat.1 „Jetzt reicht’s“ mit Vera Int-Veen her. Ein Magazin, in dem sich Bürger, die sich von Nachbarn, Unternehmen oder Behörden „verarscht“ fühlten, mit ihren Kontrahenten zofften. In den Proben ersetzten Doubles die Kontrahenten – mit verblüffendem Effekt: „Wir fanden häufig, daß die Laiendarsteller besser waren als die eigentlichen Protagonisten“, erzählt Gisela Marx. „Die Generalproben liefen göttlich, und hinterher hakte es, weil die echten Protagonisten nicht so wollten, wie wir wollten.“
Und so wurden die Laiendarsteller, die sie ohne Ironie „wunderbare, gloriose Laiendarsteller“ nennt, zu ihrem Allzweckmittel gegen sinkende Quoten und taumelnde Konzepte. Richterin Salesch hatte anfangs über echte Menschen geurteilt, aber das konnten nach deutschem Recht nur Fälle eines Schiedsgerichts sein, entsprechend eintönig wurde die Angelegenheit. Bei der Psychologin Angelika Kallwass funktionierte der gleiche Trick, als sich herausstellte, daß die Idee, zwei Menschen bei ihren Beziehungskrisen zu beraten, nicht funktionierte, weil die Gäste und ihre Probleme geeignet waren, den Zuschauer depressiv zu machen. Mit Laiendarstellern dagegen ließen sich Themen variieren und Reaktionen dosieren, und nun wurde „Zwei bei Kallwass“ ein ähnlicher Erfolg wie Salesch und andere Filmpool-Serien: „Die Jugendrichterin“, „Das Strafgericht“ und die pseudo-dokumentarische Krimivariante „Niedrig & Kuhnt“.
Inzwischen hat Filmpool eine Datei mit 50 000 „Schauspielwilligen“. 9000 verbrauchen die Produktionen jährlich, die besten werden immer wieder eingesetzt. Das Geheimnis der guten Laiendarsteller sei es, sagt Marx, ihr eigenes Temperament, ihren Dialekt, ihre Klischees in die Geschichten zu bringen, die nur grob skizziert sind, ohne genaue Dialoge. So wie diese Leute sprechen, das könne kein Autor schreiben. Unschlagbar billig macht der Verzicht auf Profis die Sache natürlich auch.
Man kann diese Programme als „Trash“ bezeichnen oder als „Schmierentheater“. Man kann nüchtern konstatieren, daß Professionalität im klassischen Sinne und Plausibilität in jedem Sinne offenbar keine Kriterien sind, nach denen die vielen Zuschauer diese Sendungen beurteilen. Man kann sogar positiv feststellen, daß es ganz schön ist, daß die Abgründe der menschlichen Seele nun nachmittags im Privatfernsehen nicht mehr so oft am echten, lebenden Objekt gezeigt werden, das danach mit der Selbstentblößung in der Talkshow weiterleben muß. In jedem Fall ist alles weit davon entfernt, wie Gisela Marx diese Shows beschreibt: „Ich bekomme großartige Geschichten erzählt, voller Dramatik und voller Überraschungen. Das ist auf einem sehr kleinen, massenunterhaltsamen Niveau ein Fernsehspiel. Tja: Schöner kann man es nicht machen am Nachmittag.“
Sie sagt das nicht wie jemand, der resigniert, daß die Etats am Nachmittag so klein sind, daß man Fernsehen, auf das man stolz sein könnte, nicht machen kann. Sie sagt das wie jemand, der voll und ganz hinter dem steht, was er da macht. Sie mißt eine Sendung zwar an der Quote, an der Quote und an der Quote, aber wenn man sie fragt, warum sie Fernsehen macht und warum gerade diese Gerichtsshows, hat sie gute Antworten. Inhaltliche. Zum Beispiel die, daß Filmpool regelmäßig Schulklassen einlädt, Gericht nachspielen und Salesch mit ihnen über Recht und Gesetz diskutieren läßt. Oder auch diese: „Ich gucke mir äußerst gutgelaunt an, daß ich es geschafft habe, Frauen über fünfzig auf den Bildschirm am Nachmittag zu bringen. Und alle diese anderen Jugendwahnleute abzulösen. Ich sehe mich als subversive Kämpferin für die Gleichberechtigung von älteren Frauen.“
Das klingt nun wieder nach der WDR-Journalistin Marx, und ob diese Mission sie wirklich antreibt oder ob sie sich so nur ihre merkwürdigen Sendungen schönredet, weiß keiner außer ihr. Aber Filmpool produziert ja noch andere Sendungen. Nicht nur solche wie „Kämpf um deine Frau“, in der wir ab September täglich Männern in einem Camp dabei zusehen können, wie sie lernen, bessere Menschen und Partner zu werden. Sondern auch Fernsehspiele wie „Ich habe NEIN gesagt“ und „Angst“ über Gewalt in der Ehe, Filme, „die etwas wollen“, wie Marx sagt, demnächst auch die Verfilmung des Bestsellers von Wibke Bruhns‘ „Meines Vaters Land“.
Ist ihr das wichtig, neben dem nachmittäglichen Laienschauspiel auch solche Hochglanzproduktionen zu machen? „Erstens bin ich 62, zweitens war ich 30, 35 Jahre lang eine außerordentlich erfolgreiche Journalistin. Da muß ich mich nicht mehr daran messen, was andere Leute sagen.“ Okay, und wie wichtig ist es für die Firma Filmpool? „Die Prioritäten einer Produktionsfirma werden natürlich von der Chefin gesetzt, insofern ist schon wichtig, was für mich wichtig ist. So. Für mich ist wichtig, auch andere Sachen zu machen.“
So. Gisela Marx ist Filmpool. Sie hat ihre Wohnung ein paar Stockwerke über der Firmenzentrale, vielleicht ist aber auch nur die Firmenzentrale unten bei ihr im Haus. 400 Leute arbeiten für sie und erwirtschaften 50 Millionen Euro Umsatz im Jahr, aber wenn Gisela Marx erzählt, kommt keiner von ihnen namentlich vor. Sie sagt „ich“, kaum einmal „wir“. „Ich sage häufig Nein. Ich mache nicht alles, was ich machen könnte.“
Manche Leute sagen, daß sie sich verändert habe im Laufe der vergangenen Jahre. Aus dem angenehmen Fehlen jeder falschen Bescheidenheit sei eine anstrengende Selbstherrlichkeit geworden. Andererseits imponiert sie, wenn sie auftritt. So wie ihre Firma und deren Bilanz imponieren. Sendermitarbeiter schwärmen davon, wie außerordentlich professionell, verläßlich und schnell die Zusammenarbeit mit Filmpool sei. Aber es ist auch von Mitarbeitern der Firma zu hören, die über ein schlechtes Arbeitsklima, extreme Quotenangst und großen Druck klagen.
Vor ein paar Jahren hatte sie noch Pläne, sich quasi zur Ruhe zu setzen. Das ist Vergangenheit. Der Ehrgeiz von Gisela Marx ist noch lange nicht gestillt: „Wir wollen Marktführer auf dem Segment unabhängiger Produzenten werden“, sagt sie. Man soll, man wird an ihr nicht mehr vorbeigehen können. Vielleicht ist das gut, denn sie spricht davon, daß Programme eine Seele brauchen. Daß Filmpool-Sendungen „immer hochklassig“ seien und daß sie nie etwas Sexistisches machen würde und die Produktion der RTL-Steinzeit-Kuppelshow „The Bachelor“ genau darum abgelehnt habe. „Ich liebe Menschen“, sagt sie, „ich möchte, daß die Programme, die wir machen, etwas von dieser Zugewandtheit dem Menschen gegenüber widerspiegeln.“
Gestern um 17 Uhr bei „Niedrig & Kuhnt“: „Todeskampf in der Sauna! Eingesperrt auf engstem Raum sterben sechs blutjunge (halbnackte) Schülerinnen einen qualvollen Hitzetod. Die Kommissare ermitteln und stoßen auf heiße Geheimnisse und erhitzte Gemüter.“
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
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