Auf der Suche nach dem verlorenen Online

Es wäre falsch, sich den Posten des Chefredakteurs von „Zeit Online“ als Traumjob vorzustellen, insbesondere wenn man damit den Anspruch verbände, dort mit Qualitätsjournalismus auf sich aufmerksam zu machen.

Das liegt zum einen an der „Zeit“. Anders als bei stärker zentralistisch und hierarchisch organisierten Unternehmen wie der Axel Springer AG lässt sich ein digitaler Aufbruch bei der „Zeit“ nicht so einfach von oben verordnen. Der Kulturwandel müsste von unten kommen. Aber die in vielen Zeitungen bei den Print-Redakteuren herrschende Skepsis gegenüber dem Internet im Allgemeinen und dem eigenen Online-Ableger im Besonderen scheint bei der „Zeit“ besonders ausgeprägt zu sein.

Doch es gibt ohnehin niemanden, der den digitalen Aufbruch von oben verordnen wollen würde: An der Spitze der „Zeit“ steht ein erklärter Internet-Skeptiker. Chefredakteur Giovanni di Lorenzo beschreibt in Interviews das neue Medium fast ausschließlich als Gefahr und nicht als Chance. Er warnt immer wieder davor, die Inhalte der gedruckten Zeitung online kostenlos zugänglich zu machen, und äußerte zuletzt im „Focus“ sogar Zweifel, „ob Online ein primär journalistisches Medium ist“.

Was der „Zeit“ und ihrem Chef an Internet-Euphorie fehlt, scheint ihr Eigentümer, die Verlagsgruppe Holtzbrinck, im Überfluss zu haben. Sie hat zig Millionen Euro ausgegeben, um das umstrittene Studentennetzwerk StudiVZ zu kaufen und beteiligt sich an einem Internet-Unternehmen nach dem nächsten. Doch das Interesse scheint sich vor allem auf das zu fokussieren, was mit dem Zauberwort „Web 2.0“ umschrieben wird: irgendwelche Formen von Communitys und User Generated Content. Aber teure publizistische Inhalte, nicht einmalige, sondern kontinuierlich hohe Investitionen, ohne Aussicht auf große Rendite und vor allem: ganz ohne Hype? Da ist man bei den Verlagsstrategen dann doch eher bei di Lorenzo: Wer weiß, ob sowas im Internet überhaupt funktioniert. Ob sich Qualität auszahlt.

Das sind vermutlich nicht die idealen Voraussetzungen, um ein erfolgreiches publizistisches Konzept für die „Zeit“ im Internet zu entwickeln und umzusetzen. Tatsache ist: Gero von Randow ist es nicht gelungen.

Dass er als „Zeit Online“-Chefredakteur geht, kann man als Rauswurf wegen Erfolglosigkeit interpretieren, als Niederlage im Kampf um Macht und die richtige Strategie, oder als entnervten Wurf der Flinte ins Korn durch Randow. Aber dass er mit seinem Konzept gescheitert ist, steht außer Frage.

Manche im Haus stellen den Konflikt auch als Richtungsstreit dar: Soll „Zeit Online“ möglichst breit als Nachrichtenportal aufgestellt werden und das klassische Themenspektrum der gedruckten „Zeit“ erweitern, wofür offenbar Randow stand? Oder muss es ganz spezifisch auf die Kernkompetenz der Wochenzeitung zugeschnitten sein, sich um Politik, Bildung, Kultur und Wissenschaft kümmern. Und wie könnte so eine Spezialisierung aussehen, womöglich gegen den Widerstand der Experten in der Print-Redaktion, die das ausgeruhte Analysieren im Wochenrhythmus gewöhnt sind?

Wirklich glücklich mit dem aktuellen Auftritt, der Kommentare und Analysen mit beliebigen Agenturmeldungen mischt, die vom „Tagesspiegel“ durchgereicht werden, scheint im Haus kaum jemand zu sein — die Frage ist nur, ob das einem falschen Konzept Randows geschuldet ist oder daran liegt, dass ihm die Unterstützung aus Redaktion und Verlag fehlten. Die Anziehungskraft auf Leser ist, trotz gestiegener Investitionen in das Angebot, begrenzt: Seit Monaten stagnieren die Zugriffszahlen, und das lässt sich nicht allein dadurch erklären, dass „Zeit Online“ weniger als andere durch Bildergalerien und ähnliche Gimmicks Klicks um jeden Preis (vor allem den des guten Rufs) zu generieren. Die Leserzahlen gehen sogar langsam zurück.

Dafür kommt neue, verlagsinterne Konkurrenz hinzu: Spätestens im nächsten Jahr will Holtzbrinck ein junges Nachrichtenportal mit dem Arbeitstitel „Humboldt“ starten, dessen Redaktion gerade mit der von tagesspiegel.de verschmolzen wurde.

Es wird nicht leicht werden für einen neuen Chefredakteur von „Zeit Online“, und es wird vermutlich schwer werden, überhaupt einen neuen Chefredakteur zu finden. Denn die Verfechter des gedruckten Wortes haben scheinbar gute Argumente auf ihrer Seite: Die Auflage der Zeitung steigt und steigt, und hinter diesen Zahlen stecken (zumindest überwiegend) Menschen, die sogar bereit sind, Geld für die Inhalte auszugeben. Wie sehr man bei der „Zeit“ noch in Kategorien Print gegen Online denkt, sieht man auch daran, wie sehr die Besonderheit betont wird, dass Randow in Zukunft sowohl für die gedruckte Zeitung als auch für zeit.de über Sicherheitspolitik schreiben wird. Was man für die natürlichste Sache der Welt halten könnte, wird offiziell als bemerkenswerter „neuer Weg“ verkauft.

In der Redaktion von „Zeit Online“ sieht man die Entmachtung des beliebten Gero von Randow mit Bedauern – aber auch als Chance, demnächst in neuen, professionalisierteren Strukturen arbeiten zu können.

Dass die Veränderungen nicht der Anfang vom Ende von „Zeit Online“ sind, dafür gibt es immerhin auch ein deutliches Signal: Von kommender Woche an wird Joschka Fischer jeden Montag für den Internet-Auftritt eine politische Kolumne schreiben. Eine Arbeit auch für das gedruckte Blatt schließt man bei der „Zeit“ nicht aus, aber der ehemalige Außenminister soll sich ausdrücklich gewünscht haben, im Internet zu publizieren.

33 Replies to “Auf der Suche nach dem verlorenen Online”

  1. Die Crux ist doch nach wie vor, wie man mit digitalisierbaren Produkten online Geld verdienen kann. Dieses Problem hat bisher weder Gero von Randow noch sonstwer lösen können…

  2. SPIEGEL Online schreibt seit einiger Zeit schwarze Zahlen, soweit ich weiß. Es scheint also möglich zu sein.

  3. Die Zeit ist… nun ja, für mich in erster Linie eine gedruckte Zeitung. Es ist zwar nett, das sie ihre Artikel ab und zu mal in’s Netz stellen, möglicherweise werden dadurch einige Leute auf deren hohe Qualität aufmerksam – doch, mal ehrlich, so richtig Online, am Bildschirm lesen will man die eigentlich nicht. Habe mich einmal durch einen Artikel geklickt, der, anders als bei der Konkurrenz, auf sieben Seiten tatsächlich Information geboten hat. Nur: Spass ist was anderes. Dann schon lieber der gleichen Artikel schön übersichtlich, schön aufgemacht, auf einer Zeitungsseite.

    Die sollen ruhig machen, was sie am besten können: eine großartige Wochenzeitung. Auf *noch* ein Internetangebot im Stile von SP-ON und sueddeutsche.de kann das Internet meiner Meinung nach ganz gut verzichten.

  4. Und dort klicken die Leute auf lange Reportagen über die Not nordkoreanischer Kolchosenarbeiter oder geben sich ausführliche Analysen der neuesten Wagner-Inszenierung? In genügenden Mengen, um den Wegfall der entsprechenden Printleser zu kompensieren? Oder ist es um solche Artikel vielleicht gar nicht schade?

  5. Dass SPON schwarze Zahlen schreibt, mag ja richtig sein. Die Frage ist aber, soll sich die ZEIT wirklich auf einen Wettbewerb mit SPON einlassen? Der Anspruch, den die Zeit vertrifft, unterscheidet sich nun mal fundamental von SPON und auch erheblich von DER SPIEGEL. Insofern, braucht die ZEIT überhaupt ein journalistisches Onlineangebot? Lässt sich der ZEIT-Journalismus im Internet umsetzten? Gibt es einen Onlinemarkt für ZEIT-Dossiers? zeit.de als n-tes Häppchenjournalismusangebot nach SPON, Focus Online, Welt Online, sueddeutsche.de et cetera als reine Pflichtveranstaltung? Wozu?

  6. Holtzbrinck investiert anscheinend lieber sehr viel Geld in Portale und möglichst wenig in Online-Redaktionen.

  7. @6/Günter
    Sie sprechen mir aus der Seele. Wobei ich nicht soweit gehen würde, zu fragen, ob sich sich der ZEIT-Journalismus überhaupt im Internet umsetzen lässt. Ganz sicher falsch wäre es – meiner Meinung nach – in eine Art Wettbewerb mit SpOn oder SPIEGEL zu treten. Das hat eigentlich die ZEIT nicht nötig.

    Erstaunlich ist, dass di Lorenzo offensichtlich so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau will: Ein bisschen online, viiiiel Qualitätsjournalismus, natürlich tagesaktuelle News (diese Kooperation mit dem „Tagesspiegel“ würde ich sofort aufgeben) inklusive Bohlenklatsch und ähnliches und natürlich Kommentarmöglichkeit. „Nebenbei“ haben einige ZEIT-Redakteure noch Blogs. Da ist viel zu vieles beliebig.

    Unsinn ist es, dass Qualitätsjournalismus per se auf das Medium Zeitung beschränkt sein soll. Da irrt di Lorenzo (und Schirrmacher auch). Fakt sein aber zu ein, dass, wenn ich in einen tagesaktuellen Wettbewerb einsteige, die Qualität (= Recherchen und alles, was dazu gehört) ganz schnell auf der Strecke bleiben könnte.

    Mein Vorschlag an zeit-online: Weniger ist mehr! Das Internetangebot könnte zur Vertiefung und Erweiterung von Beiträgen im Printmedium genutzt werden. Wer Nachrichten lesen will, soll zu tagesschau.de gehen. Wer Details und Hintergründe möchte, könnte dann zur ZEIT gehen.

  8. @Gregor Keuschnig die Idee hatte ich eben unabhängig auch. Die Stärke der Zeit ist die große Reportage. Die Recherche im Vorfeld im Blog zu dokumetieren, oder sie danach eine zeitlang weiterzuschreiben, die aktuellen Entwicklungen festzuhalten, wäre sicher ein interessanter Ansatz. Geht natürlich nicht mit allen Themen und meistens auch nicht bis in alle Ewigkeit.
    Aber wie oft wird ein Thema groß aufgearbeitet, auf die Agenda gesetzt und verschwindet nach einigen Wochen wieder komplett aus dem Blickfeld. Nur weil der Hype vorbei ist, ist die Geschichte ja nicht fertigerzählt.

  9. Bei all der sachlichen Diskussion und Berichterstattung sollte nicht verloren gehen, dass Giovanni di Lorenzo der bestaussehendste und charmanteste Mensch im deutschen Fernsehen ist, wenn auch nur alle paar Wochen spät abends im NDR.

  10. @13/Robert Z.
    Ja, und Amelie Fried, die alle vier Wochen mit ihm „III nach 9“ macht, ist immer so schön angezogen. Daher ist dann auch ihre Literatur bestimmt ganz toll.

  11. @7/
    „Holtzbrinck investiert anscheinend lieber sehr viel Geld in Portale und möglichst wenig in Online-Redaktionen.“

    was ist daran richtig? offenbar nichts. denn holtzbrinck unterhält mit der zeit.de-redaktion, den kollegen von handelsblatt.com/wiwo.de, tagesspiegel.de und dem neuen projekt humboldt gleich vier große redaktionelle internet-einheiten mit guten journalisten.

    ich kenne kein anderes medien-unternehmen, das ähnlich agiert.

  12. Vielleicht bin ich mit dieser Ansicht eine totale Außenseiterin, aber ich lese schon seit Jahren selbst lange ZEIT-Artikel mit großer Begeisterung online. Am Anfang war das ungewohnt. Aber inzwischen tun mir beim konzentrierten Lesen am (guten) Bildschirm die Augen nicht mehr weh – dafür aber die Arme, wenn ich versuche, die gedruckte Zeitung auf irgend eine Weise bequem vor mir auszubreiten. Mir wäre es persönlich am liebsten, wenn sich die ZEIT online auf das konzentrieren würde, was sie auch im Print besonders gut kann – gerne garniert mit zusätzlichen Navigations- und Suchmöglichkeiten und anderen sinnvollen Online-Funktionen. Auf Bildergalerien, Online-Spielchen, Videos, Agenturticker und andere Gimmicks kann ich dagegen bestens verzichten. Ist natürlich die Frage, ob sich mit guten Artikeln, online präsentiert ohne viel Schnickschnack, tatsächlich Geschäft machen lässt.

  13. @14/Gregor Keuschnig
    Machen Sie sich nicht lächerlich. Wenn Sie aus einem Satz wie „Giovanni di Lorenzo ist der bestaussehendste und charmanteste Mensch im deutschen Fernsehen“ Rückschlüsse darauf ziehen möchten, wie klug und unantastbar die Thesen dieses Mannes sind, möchte ich Ihnen nicht im Weg stehen. Aber bitte projizieren Sie das nicht auf mich. Ich habe die Diskussion um ihn nämlich vorsorglich ausgeklammert.
    Immer diese Feindlichkeiten, das ist doch furchtbar. :(

  14. hmm, eine inhaltliche umstellung ist sicherlich sinnvoll, nicht wahr? wie Niggemeier schon meint, war das Konzept ein seltsames Kuddeelmuddel. Die Seite der Zeit sollte eher so sein wie die der schweizer Weltwoche, garniert mit einigen social networking-funktionen.

  15. Zeit und Internet ? Schwere Symbiose …
    Wird die Qualität eines Artikels besser, nur weil er im Internet steht ?!

  16. jetzt wo du’s formulierst, merke ich, wie leid es mir tut, dass ich in letzter zeit so immer weniger bock auf zeit online habe. so besehen muss ich das aber gar nicht schade finden.

    .~.

  17. Die Skepsis im Hause Zeit halte ich für berechtigt. Wenn überhaupt, kann diese Online Geschichte doch nur dann was nützen, wenn man bei Qualität und Ausführlichkeit bleibt. Aber online ein Dossier zu lesen – da müsste man ja verrückt sein.

    Warum soll es sich eine Zeit nicht erlauben können, nicht auf einen Zug aufzuspringen, der bei vielen anderen auch nur mit Mühe in den Gleisen zu halten ist?

    Da fehlt eindeutig ein gutes Konzept. Und bis das nicht einer findet, kann sich die Zeit das auch sparen – finde ich.

  18. @19/Robert Z.
    Ich kann bei mir keine „Feindlichkeiten“ entdecken. Die äussere Erscheinung von Herrn di Lorenzo spielt allerdings m. E. in der Diskussion um seine Thesen gar keine Rolle. Das wird man vielleicht noch sagen dürfen, oder beschädige ich damit eine Ikone?

    @23/knorke
    Aber online ein Dossier zu lesen – da müsste man ja verrückt sein.
    Stimmt, aber man kann es ja ausdrucken…

  19. „Aber online ein Dossier zu lesen – da müsste man ja verrückt sein“

    Wirklich? Vielleicht liegt es daran, dass ich zu sehr ans Bildschirm-Arbeiten gewöhnt bin. Aber ich lese die ZEIT-Dossiers online mittlerweile locker runter. Und bin hinterher überrascht, was für ein langer Bleiriemen exakt derselbe Text in der gedruckten Ausgabe ist.

  20. So ganz verstehe ich’s nicht. Ich fand zeit.de den besten Internetauftritt einer deutschen Zeitung/Zeitschrift überhaupt.

    Hoffentlich geht der Kurswechsel nicht mit Qualitätsverlust einher.

  21. Gibt doch schon genug öde Seiten die „möglichst breit als Nachrichtenportal aufgestellt“ sind, wozu noch Zeit.de zu einem machen? Also ist es für mich eine gute Nachricht das Randow weg ist, wo Zeit draufsteht sollte auch Zeit drin sein – schliesslich habe ich mich bewusst für eine Wochenzeitung, die nicht hysterisch aus jeder Fliege einen Elefanten machen muss, entschieden. Das Online Angebot finde ich auch recht gelungen.

  22. Ich glaube, in der „Sonderausgabe“ der Taz zu „Zukunft der Zeitung“ die Aussage gelesen zu haben, dass die Aufgabe und das Geschäft von Verlegern und Journalisten nicht das Bedrucken von Papier sei. Da bin ich mir nicht sicher. Sicher hingegen weiß ich noch, wo ich diese Zeilen gelesen habe:

    »Nehmen wir mal an, Gutenberg hätte die Druckerpresse nicht erfunden und das Nachrichtengeschäft hätte sich gleich im Internet entwickelt«, holt er gut gelaunt aus. »Wenn heute jemand käme und sagte: ›Ich habe da eine großartige Idee. Lass uns alle Nachrichten auf Papier drucken. Wir werden Rotationspressen die Nacht über laufen lassen und die fertigen Zeitungen mit einer Lastwagenflotte im Land verteilen, damit die Leute am Morgen lesen können, was am Tag zuvor passiert ist.‹ Würden Sie in die Idee investieren?«

    http://www.zeit.de/2007/39/zukunft-der-zeitung

  23. Und noch ein bischen Pathos: Online ist nicht einfach nur eine Alternative zu Print. Das Netz wird unser Konzept „Text“ verändern und damit auch das Konzept „Journalismus“. Zum Beweis führe ich den ZDF-Theaterkanal an. Theater im Fernsehen. Film ist etwas völlig anderes als Theater im Fernsehen, auch wenn es daraus entstanden ist.

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