Ich habe Angst vor den Augenbrauen von Ijoma Mangold. Das ist, zugegeben, nicht die fundierteste Kritik an der neuen ZDF-Büchersendung und ihrem Moderator, aber es ist wahr. Ijoma Mangolds Augenbrauen können Dinge, die Augenbrauen nicht können sollten. Sie können hoch oben auf der Stirn einen kleinen Tisch mit exakten rechten Winkeln bilden und sich nur einen Moment später in Form von F-Löchern einer Geige ganz dicht über den Augen kringeln. Sie können zwei strenge Dreiecke bilden und asymmetrische Muster, und manchmal korrespondiert das mit den Händen, die unentwegt schrauben und wischen, winken und fächern — einmal pumpen sie sogar abwechselnd, als würden sie eine Heiße-Luft-Matratze aufblasen.
Es schien, als hätten Mimik und Gestik beschlossen, auf eigene Faust den Versuch zu unternehmen, die Blutleere in Mangolds Sprache zu kompensieren. Er hatte, vermutlich aus der Redaktion der „Zeit“, wo er arbeitet, das Wort „Assoziationsechoraum“ mit ins Fernsehen gebracht. Er sprach von einem Mann aus „prekären Lebensverhältnissen, der am Rande dieser Bürgerlichkeitswelt situiert ist“, freute sich, das alte Dresden „in seinem Glanz illuminiert“ zu sehen, und erklärte: „‚Cool‘ ist eine Eigenschaft, die auch ästhetische Valeurs haben kann.“
Mangold hat in der Sendung den Part, neben der eher gefühligen Amelie Fried den Intellektuellen zu geben. Das ist eine ohnehin undankbare Aufgabe, die nicht leichter dadurch wird, dass sein Verhältnis zur Literatur ein ausschließlich akademisches zu sein scheint. Er freute sich, wenn ein Buch „tolle Rollenmodelle gegenüberstellt“ oder „von der Komposition erstaunlich“ war, und als der Gast Walter Sittler gerade so etwas wie Leidenschaft für Erich Kästner und sein Werk „Als ich ein kleiner Junge war“ versprüht hatte, warf Mangold ein, dass ihn so begeistert hätte, in dem Buch Motive wie die „enge Sohn-Mutter-Beziehung“ aus „Emil und die Detektive“ wieder gefunden zu haben, und die Magie war dahin.
Natürlich darf so eine Bücherwerbesendung, wie sie „Die Vorleser“ sein will, auch ohne die Kaufaufforderungsrhetorik einer Elke Heidenreich auskommen. Aber die erste Sendung wirkte tatsächlich wie vorgelesen und aufgesagt. Sie vermittelte das Gefühl, dass Bücherlesen doch etwas für sehr spezielle Leute ist, die sich für merkwürdige Dinge begeistern und zu selten aus ihren Assoziationsechoräumen rauskommen.
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Potzblitz! Eine Kästnergeschichte mit engem Sohn-Mutter-Verhältnis. Nicht auszudenken, wenn der Quotenintellektuelle eine *noch* geistreichere Bemerkung hätte fallen lassen.
Zwei Personen sind eben nur ein halbes Quartett und es war auch nur halb so gut. Für meinen Geschmack waren es zu viele Bücher in der kurzen Zeit. Dann auch noch die Hatz mit drei Büchern in drei Minuten. Und sich einen Gast einzuladen, der dann nur fünf Minuten auf Sendung ist, finde ich auch ziemlich unsinnig. Die Einspielfilme waren – wie in jeder Literatursendung – eigentlich überflüssig wie ein Kropf. Reich-Ranicki hatte völiig recht, als er sich für das Quartett jede Art von Einspieler, Teaser etc. verbat.
Aber das Fernsehen erträgt es wohl einfach nicht, wenn mal länger als zehn Minuten über Literatur geredet wird. Da MUSS einfach mal so ein Gimmick wie diese unsäglichen Einspielfilme dazwischengeknallt werden.
Denis Scheck finde ich eigentlich nicht schlecht. Der liebt die Literatur auch nicht auf eine rein intellektuelle Art wie Mangold. Nur ist die effekthascherische Machart seiner Sendung einfach lächerlich. Diese hektischen Schnitte und unruhigen Kamerafahrten um den ziemlich moppeligen Scheck wirken unfreiwillig komisch.
Das ja ’n Ding. Da bin ich jetzt gerade via Turi drauf gekommen. Und hier hat seit Sonntag erst einer kommentiert. Sommerloch wohl, aber ohne Sommersonne. Krass.
Jede Wette, das war mal eine durchgehende Augenbraue (Unabrow).
Dieser Formalkram unter dem Eingabefeld ist ein bisschen behämmert und beeinträchtigt das minimalistische Design hier. Du musst doch nicht päpstlicher als der Papst sein.
Zur Ehrenrettung von Ijoma M. will ich jetzt aber noch was anmerken: Der hat in der SZ des öfteren wirklich exzellente Buchkritiken geschrieben, weitaus klarer und durchdachter als das durchschnittliche Rezensionsfeuilleton. In seinen Artikeln war fast nie so Gespreiztes wie in den Zitaten dort oben. Also, wenn er beim ersten Mal tatsächlich eine schlechte Figur abgegeben hat, dann wird er sich noch deutlich verbessern können.
Erinnere mich auch, wie er vor einem Jahr anlässlich der Obama-Rede vor der Berliner Siegessäule einen gar nicht uninteressanten Beitrag im SZ-Feuilleton schrieb. Wie es so als Afrodeutscher ist. Mir war da angenehm aufgefallen, wie er in der ersten Person sprach, wenn er eigene Erfahrungen schilderte. Anstatt also furchtbare Ersatzformulierungen mit „man“ oder „wir“ vorzuschieben, wenn er wirklich nur „ich“ meinte. Das ist nicht selbstverständlich.
(Ich habe in der Hinsicht übrigens im vergangenen Jahr völlig meine Meinung geändert. Ich hatte Dir gegenüber ja mal Vorbehalte über das journalistische Schreiben in der ersten Person geäußert. Sehe es mittlerweile genau andersrum, das hatte ich Dir schon vor langem mal sagen wollen. In der Hinsicht haben mich Blogs schon beeinflusst. Die Überlegung, dass es aufdringlich und unbescheiden wirken könnte, „ich“ zu sagen, finde ich jetzt nicht mehr so wichtig wie die Klarheit darüber, für wen der Autor verdammt nochmal eigentlich spricht. Mittlerweile kann ich es nicht ausstehen, wenn einer „man“ sagt, aber „ich“ meint. Jedenfalls, wie ich darauf kam: der Ijoma M. ist eigentlich einer, der so eine Gespreiztheit abgelehnt hat. Wollte das der Fairness halber schon noch sagen.)
Und in Klagenfurt war er noch der Unterhaltsamste.
Ich finde seine Augenbrauen gar nicht so beängstigend. Mich irritiert, wie er spricht. Vorgelesen reicht da noch gar nicht, finde ich. Vielleicht ferngesteuert, aber auch nicht ganz. Ich würde ihn gerne mal durch so eine „They live!“-Brille sehen.
Nachdem ich die Sendung per Mediathek nachgeholt habe, kann ich nur sagen: Zum Glück gibt es Dennis Scheck!
Spitze Zungen, zumal ARD-GeScheckte, interpretieren das Feuilleton als Füll-die-Tonn, somit das rechte Medium für den … ja, was? ungebremsten Drang, Deutungsformeln abzusondern? Zu dieser Übung sollten Kritiker auch das Talent für die wegwerfenden Bewegungen haben – und die Chuzpe, sich dazu aufs selbstgezimmerte Podest zu stellen, um von höherer Warte aus den Eimer zu treffen. Solches gilt nicht nur für die dünkelhaften Erstgeborenen in der Sippe der Literaturkritiker, sondern auch für den kleinen Nachkömmling im Sandkasten, welcher da, bisweilen als Bastard gescholten, TV-Verriß heißt – dort freut sich doch jeder Zwerg, mal einem größeren Bruder ins Förmchen zu pinkeln.
Bingo! Die Beschreibung von Mimik und Gestik des akademischen Debütanten im ZDF-Buchvorkäuer-Stadel ist exzellent punktgenau: Hier hat der stadelmaiernde Rezensent messerscharf aufgepaßt und millimeterscharf Fazialgeometrie getrieben. Aber dann! Dann nämlich wird er trivialinternistisch („Blutleere“), und schlimmer noch: er entwickelt Beziehungsideen, „Angst“ essen Seelchen auf. Zugleich befällt ihn das Anbiedermeier an den Mainstream zwangsneurotischer Bildungsvermeidung – was sofort zur billigen Denunziation fachsprachlicher Ausdrücke führt, ganz im Stile des „Vereins für deutsche Sprache“. Mangold ist nicht ein merkwürdiges Gemüse mit viel Vitamin K (für Kultur?). M. ist Intellektueller, er gibt nicht den Part der „Heiße-Luft-Matratze“ und des „Quotenintellektuellen“, ist also authentisch – was will das Fernsehen mehr? Einen speziellen Typ, der sich selbst verkörpert – einschließlich der Präzision seines Metiers. Muß es denn eine laute Type sein wie die zum Steinerweichen R-rollende Trompete von Jericho, auf daß kein Stein mehr auf dem anderen stehe?
Einem Bücherleser seine Profession vorzuwerfen, ist mehr als nur Juliets Spott für ihren Romeo „You kiss by th‘ book“ – da scheint Feindschaft aufzuleuchten zwischen den Familien Capulet und Montague, zwischen den Glotzenbirnen und den Holzmedienköpfen. Der TV-Scharfrichter kennt keine Gnade: Hinrichten (alles, was Giulia heißt) – oder herrichten (alles, was unvermeidlich wiederzukehren droht) – und leutselig ins Publikum der Bücherwurmverächter winken. Der Beifall ist ihm gewiß bei denen, die über einen Proust-Kenner nur prusten und „Eine Liebe von Swann“ für schwanzgesteuerte Amouren halten.
Ach ja, und die Assoziationsechoräume. Die deutsche Sprache hat die wunderschöne Eigenart zu Neubildungen, deren Assoziationen wie ein Echo in einem hallenden Raum hin und her schwingen. Wie gut, daß es Mangold gibt.
Der Mann mit der Tilde als Mund hat Angst vor dem Mann mit den F-Löchern als Augenbrauen. Das macht mir Angst.
@kampfstrampler
Bildung ist schon was Tolles, hmm? Und macht so überlegen. Und edel. Und hilfreich. Und gut. Wenn der Rest der Welt dann auch noch folgen könnte, wäre sie sogar sinnvoll eingesetzt…
Man kann diese Kritik mit einer gewissen boshaften Süffisanz dahingehend interpretieren, daß die Kritik an Herrn Mangold die einzig sinnvolle und lohnenswerte sei, das Frau Fried einer solchen nicht würdig sei. Und dem mag ich beinahe zustimmen, denn für jemanden, der seit Jahren in den Medien moderierend tätig ist, wirkte ihr auswendig gelerntes Laientheater vor allem verstörend. Daß ein Zeitungskritiker sich erst einmal in das neue und vermutlich weitgehend neue Metier eingewöhnen muß – solch eine Sendung ist auch ncht der Bachmanpreis – gestehe ich ihm zu. Grundsätzlich war die Sendung für mich enttäuschend, auch wenn ich eine Verbesserug zu Frau Heidenreich feststellen zu können glaubte. Die Fehler aber liegen in beiden Fällen in der Konzeption – zu wenig Zeit, zu viele Bücher, unnötige Filmchen, die wohl eher das ZDF zu verantworten hat.
@14 linus: Der Rest der Welt könnte sich ein klitzekleines Stück mehr anstrengen und nicht alles, was ihm über den derzeitigen Horizont geht, mokant über den Deister der eigenen Beschränktheit schicken. Bildung ist immer Fortbildung – und jeder Zwerg hat mal klein angefangen.
@kampfstrampler
oh mann
Ich wollte gerade schreiben, dass ich die ausgesuchten Zitate gar nicht zwangsläufig so fürchterlich leidenschaftslos und blutleer fand, bis ich mir dann die Sendung ansah. Dann musste ich weinen.
Schlimm ist das dies die Gemeinschaft zahlen muss.
ich habe die sendung erst vor ein paar monaten entdeckt. schaue sie mir hier in paris immer im nachhinein an. ich finde alle beide echt gut, und habe hinterher meistens lust, ALLE besprochenen bücher zu lesen (kaufen). weiterso ! mit oder ohne augenbrauenspiel.
[…] Mann in Deutschland. Diese Woche hat er ein ganzseitiges Interview im Zeit-Feuilleton mit Ijoma Mangold (“Die Vorleser”). Auf dem Foto sieht er etwas fertig aus (wieder eine Parallele zu […]