Folklore, die im Zusammenspiel entsteht

„Sagen Sie mal, warum sind Sie eigentlich so fett: Ist das was Genetisches oder fressen Sie einfach so viel?“

…wäre natürlich auch eine interessante Einstiegsfrage für Dietmar Bär gewesen. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat es dann in ihrem Interview mit dem Schauspieler aber doch ein bisschen anders formuliert:

SZ: Herr Bär, wäre es vermessen zu vermuten, dass Sie gerne essen?

Dietmar Bär: Nee, das ist ziemlich richtig. Mit zunehmendem Alter, wenn man seine Erfahrungschichten übereinanderlegt, wird man ja Nahrungsspezialist.

SZ: Dann sitzen wir nicht grundlos in einem Café dieser Straße.

Bär: Wieso?

SZ: In dieser Straße gibt es ein indisches, ein chinesisches, ein französisches Restaurant, eine Weinhandlung, einen österreichischen Spezialitätenladen, ein Reformhaus, einen Öko-Bäcker und einen deutschen Metzger. Sie wohnen hier.

Sagen Sie jetzt nicht, das sei ja ein merkwürdiges Interview. Also, sagen Sie es nicht, bevor Sie nicht Bärs Erwiderung kennen:

Bär: Nee. Das hier ist Charlottenburg. Ich wohne inzwischen in Wilmersdorf (…).

Oookay. Für mich wäre dies der Punkt im Gespräch gewesen, an dem ich im Stillen zu mir gesagt hätte: Gut, dass du für eine Zeitung arbeitest, da kannst du den peinlichen Anfang einfach streichen.

Man kann sich aber natürlich auch dafür entscheiden, so eine Art Zeitungs-Live-Interview zu führen, in dem man auch den größten Unsinn, der sich ergibt (insbesondere wenn der Interviewer wild entschlossen ist, kein normales Interview zu führen, sondern ein genial irrlichterndes, auf dem Grat zum Wahnsinn jonglierendes Gespräch), einfach eins zu eins dokumentiert.

Und wenn ich „Unsinn“ schreibe und „eins zu eins“, dann meine ich das nicht nur so als Floskel.

Bär: Sie haben sich Tee bestellt?

SZ: Ja.

Bär: Sind Sie auch Teetrinker?

SZ: Ja.

Bär: (Schaut auf die Uhr)

SZ: Mit Ihrer Agentin waren zwei Stunden vereinbart.

Bär: Ich gucke auf den Tee, wie lange er noch ziehen muss.

SZ: Oh.

Hat das was von Pinter?

Bei der folgenden Frage, gegen Ende des Gesprächs, weiß ich nicht einmal, ob ich in der Literaturwissenschaft oder der Psychologie nach Erklärungen suchen müsste, wie der zweite Satz zwischen die anderen gerutscht ist:

SZ: Sie haben einen Kölner Jubiläums-Tatort gedreht mit Ihrem Kollegen Klaus J. Behrendt. Deshalb trinken wir jetzt Tee. In diesem Film singt am Ende die Schauspielerin Anna Loos. Singt sie?

Ja, sie singt, schon seit vielen Jahren, aber reden wir doch lieber über Interessanteres.

Bär: Ich nehme noch einen Earl Grey.

SZ: Was ich überhaupt fragen wollte: Schauen Sie sich Kochsendungen an?

Bär: Klar. Besonders gerne Kerner.

SZ: Sicher wegen Johannes B. Kerner.

Bär: Wegen der vielen Köche, wegen der Folklore, die da im Zusammenspiel entsteht. Den Lafer habe ich sehr schätzen gelernt, und über allen steht Schubeck.

Hier endet das Gespräch.

33 Replies to “Folklore, die im Zusammenspiel entsteht”

  1. Mindestens einer von beiden hat „Vanish Oxi Action Teppich-Fleckentferner“ getrunken – so zumindest klingt das. Und das war wirklich – in einer Zeitung?

    Auf einer Dada-Ausstellung hätte es mich nicht überrascht…

  2. Hehe, ich hatte das auch gelesen und mich auch gefragt, was das wohl für ein Interviewer ist, und ob die paar Aussagen die da stehen wirklich alles sind was da in 2 Stunden bei rumgekommen ist. Das ganze ist ja sowas von wischi-waschi und schwammig – da fällt einem die Einordnung schon schwer. Und der Schluß hat was von Pathos „,,, über allen steht Schuhbeck“. Ich weiß nicht hätte man mir das so zu Lesen gegeben, hätte ich vielleicht gesagt: unreal – aber schön spinnert, hat da ein Praktikant ein imaginäres Interview als Hausaufgabe geschrieben?

  3. Stefan, Sie sind doch Medienjournalist und haben Verbindungen, kennnen Leute, können Türen öffnen.

    Es ist so: Ab und an kommt mein Nachbar auf einen Kaffee rüber, und dann unterhalten wir uns so über dies und das. Ich fände es gut, wenn unsere Unterhaltungen mal in einer (möglichst überregionalen) Zeitung veröffentlicht werden könnten. Gerne auch als Serie. Mein Nachbar hätte bestimmt nichts dagegen.

    Könnten Sie da nicht was deichseln?

  4. Interviews sind ja immer ein Deal, ein Geben und Nehmen. PR für den/die/das Film/Platte/Buch usw. und Entertainment im Tausch dafür. Meiner Meinung nach nimmt das langsam überhand, der Interviewahn, Interviewmagazine wie Galore. Deswegen ist es doch schön, wenn mal ein Interview aus dem Ruder läuft (Moritz von Uslar: 100 Fragen) oder sich selbst als total belanglos herausstellt, wie hier.
    Ein schönes Beispiel von solch einem Ausnahmefall war auch das Video von Charlott Roche mit Craig Nichols, dem Sänger von The Vines aus dem Jahr 2004:

    Interview/a>

  5. ich finde nicht nur die fragen hilflos, sondern auch herrn bär sehr sparsam. er hatte sichtlich keine lust, wenigstens mit seinen antworten dem „gespräch“ ein wenig fahrt zu geben. was mich wundert ist, dass niemand den abdruck verhindert hat!
    positiv finde ich, dass herr bär weiß, dass tee ziehen muß ;-)

  6. Guten Tag. Ich fands ganz nett. Das Gespräch. Mal anders. Und auch ein wenig lustig. Jedem das seine…

  7. Mein Highlight ist das hier:

    SZ: Sie interessieren sich für Kunst?

    Bär: Ich war da gestern eine Stunde. Ich war in meinem Leben vorher nur einmal auf der Art Cologne. Man steht diesen Sachen gegenüber und denkt: Was ist das hier alles? Bin ich bescheuert, oder ist das Scheiße? Das ist so ein Erlebnis, das hatte ich in Köln, und das will ich jetzt nochmal haben.

    SZ: Moderne Kunst.

    Bär: Zeitgenössisch.

    SZ: Sie sammeln?

    Jemand sagt, er war einmal auf einer Kunstmesse (und gestern mal eine Stunde) und Herrn Keil (der Mensch darf doch genannt werden, oder?) fällt nichts anderes ein, zu fragen, ob er sammelt.

    Entsprechend fällt Bärs Antwort aus:

    Bär: Immer muss man gleich sammeln. Kaum hatte ich die Art Cologne betreten im Frühjahr, stand schon ein RTL-Team vor mir und fragte: „Sammeln Sie?“ Nee, nur schauen.

    Und dann – wo hat der Mann dieses gnadenlose Nachfragen gelernt? beim „Tatort“? – folgt sogleich der investigative Teil dieses Interviews:

    SZ: Sammeln Sie?

    Später verfestigt sich bei mir der Gedanke, dass sich im Tee von Herrn Bär noch eine andere, vermutlich alkoholische Flüssigkeit, befunden haben muss:

    SZ: Ist es künstlerisch sehr gefährlich, zehn Jahre lang dieselbe Rolle einer Reihe zu spielen? Man stellt sich so eine Aufgabe als Tatort-Kommissar einerseits wie eine Lebensversicherung vor, andererseits macht sie vielleicht bequem, auf jeden Fall legt sie einen fachlich fest.

    Bär: Das ist jetzt ziemlich komplex gefragt.

    Obwohl – eine Sekunde glaube ich an Sarkasmus, aber dann gibt es Entwarnung:

    …Aber es ist komplex.

  8. Interviews mit Schauspielern (und nicht nur mit denen) sind fast immer belanglos. Dieses Interview lebt davon, dass es die zweite, die alltägliche Ebene eben nicht wegstreicht, wie Du es gemacht hättest, dadurch erkennt man wenigstens noch einen Rest von den Menschen, die da zusammensaßen.

    Die meisten Interviews mit Schauspielern sind pure Unterhaltung, es sollen keine Tatsachen ermittelt werden, es sollen keine Hintergründe aufgeklärt werden, es soll ein Mensch porträtiert werden. Das ist hier gelungen, genau durch das Verschränken der Interview-Situation (Tee-Trinken, der Ort des Interviews) mit ein paar belanglosen Informationen über die Filme, in denen der Mann mitspielt.

    Hier gibt es sozusagen eine Rahmenhandlung und ein (gespieltes) Interview. Alle Interviews mit Schauspielern sind gespielt, hier wird das zum Stilmittel. Das Interview endet übrigens mit dem „Wow“, das danach gehört zur Rahmenhandlung, oder vielleicht zu beidem.

    In der FAZ wäre ein solcher Text vielleicht wirklich nicht möglich gewesen (ich bin FAZ-Leser). Vielleicht sollte ich die Zeitung wechseln, zumal rein äußerlich der Unterschied zur SZ seit Freitag ja kleiner geworden ist.

  9. Hatte am Samstag das Vergnügen Hagen Rether in München zu sehen. Ich weiß nicht ob der Herr und Meister des Blogs schon mal das Vergnügen hatte, aber ein Besuch sei ihm (und allen anderen natürlich) dringend empfohlen, da beide offenbar in gleicher Mission unterwegs sind. Man wünschte Ihnen nur mehr Erfolg…

  10. Die Angst des ‚Künstlers‘ vor Handwerk.

    Mach ich es richtig, sauber, lege artis, vernünftig, erwartungsgemäß, normal…- ja, wo bleib dann _ich_, mit meiner Persönlichkeit, Creativiät (mit Zeh), Spontanität, Unabhängigkeit, Nonkonformismus.. ?!

    Früher™ besaß der Journalist die Demut, als verlängerter Arm/Auge/Ohr des Lesers zu dienen.. das ist alles lange vorbei, jetzt steht der Künster-an-sich im Fokus, da kann doch ein ‚Promi‘ mit so einem lächerlichen Anlaß Hr Keil in seinem begnadetem Schaffen eigentlich nur stören …

    .. aber, wie man auch hier in den Re(d)aktionen lesen & bewundern kann:
    Hauptsach‘ anders wird goutiert.

  11. Ist jetzt hier “Vanish” oder “Beckmann” rübergeschwappt?
    Oder warum ist hier aus Versehen so schnell wieder ein Kommentar verschwunden…?
    Oder wird das ein Running Gag?

  12. beim thema „kunst“ und „sammeln“ denke ich gerne an das legendäre sportstudio-interview mit krassimir balakov zurück. muss so 1994 gewesen sein.

    moderator: sie sind ja ein freund der bulgarischen malerei.

    balakov: ja.

    m: sie kaufen ja auch viele bilder.

    b: ja.

    m: dann sind sie also ein kunstsammler.

    b: nein.

    m:aber sie kaufen schon die bilder der bulgarischen maler?

    b: ja.

    m: also sind sie doch ein sammler?

    b. nein.

    m: aber sie kaufen doch die bilder?

    b: ja.

    m: dann sind sie doch ein sammler?

    b: nein.

    usw.
    großartig.

  13. das interview hat eine sehr eigentümliche form von größe, finde ich. der gedanke an pinter ist reizvoll.

    .~.

  14. ist ein wenig off-toüpic aber vielleicht kann mir die holde community in folgender frage helfen:

    beim gesterigen tatort, ein, wie ich finde, endlich mal wieder sehr guten, lief bei der szene, in der schenk den praktikanten im archiv sucht im hintergrund eine coverversion des songs „a forrest“ von the cure. großartig, den hätt‘ ich gern. dankenswerterweise listet die ard auf ihrer website auch den soundtrack zu diesem tatort und guess what? das song fehlt natürlich… bei itunes finde ich ihn auch nicht. habe der redaktion ne mail geschickt. mal gespannt, ob die besser drauf sind als die ddp.

  15. In diesem Interview geht es ja auch um Kunst und darum, dass man sie oft nicht versteht. Prägnant der Satz „Bin ich bescheuert, oder ist das Scheiße?“. Vor diesem Hintergrund also umso lustiger, sollte das Interview irgendwie künstlerische Ansprüche erfüllen.

    Denn auch ich frage mich: Bin ich bescheuert, oder ist das Scheiße?

  16. Was mich erst einmal beruhigt: Dass es das offensichtlich gibt, eine Diskussion zum Thema Print-Interview, dieses aus dem Radio und Fernsehen abgekupferte, halbgare Format, das sich seit 20 Jahren zu einer Seuche entwickelt hat. (Schnell gemacht, schnell ins Blatt gebracht. Kann angeblich schon jeder Praktikant in der gewünschen Qualitätsstufe. Und notfalls wird – im Sportbereich besonders gerne – das Protokoll einer Pressekonferenz abgefiedelt, ohne dass man diesen Umstand dem Leser offen mitteilt.)

    Da ist es irgendwie schon seit langem egal, wer mit wem redet. Interviews sind die Promi-Geilheit in einem anderen Kleid. Man ist an jemanden Berühmten ganz nah herangekommen DAS wird als die eigentliche Leistung betrachtet. Der Rest darf so sein wie Rotz im Taschentuch.

    So gut wie nie kommt dabei ein Gespräch heraus, das eine lesenswerte Dramaturgie hat (wo man zuhören/lauschen würde, wenn man im Café nebenan säße). Der Fragesteller fragt ab. Der Anwortgeber antwortet gekonnt mit nichtssagendem Soundbites. Und manchmal erfindet auch ein Interviewer einfach das Interview. Das hat die SZ zu ihrem Kummer vor Jahren auch erlebt. Der Keil, der da dem hungrigen Bär seine Sachen reinschiebt, steht also in einer gewissen Tradition – und strengt sich an. So hat er zum Beispiel dieses Protokoll aus einem Miteinander destilliert, das sehr viel länger gedauert haben muss („Mit Ihrer Agentin waren zwei Stunden vereinbart…“). Wer sich beim Lesen nur unwesentlich beeilt, braucht…fünf bis sechs Minuten max. Über was Bewegendes wohl sonst noch geredet wurde? Die Fragen lesen sich nachträglich schlank runterredigiert. Üblich für das Format. Man will ja als Journalist nicht dümmer wirken als der Interviewpartner.

    Und trotzdem: Dieses Beispiel ist sicher kein besonders schlagendes für den Trend zum unsinnigen Interview. Denn es transportiert tatsächlich eine Geisteshaltung, die man den Gesprächspartnern und der abdruckbereiten Zeitung gerne abnimmt. „Ich muss meine falsche Scham ablegen“, sagt Bär an einer Stelle. Und so ist denn auch passiert. Jeder legt eben auf seine Weise ab.

  17. Jetzt hat Kohli gleich zwei Mal miesen Geschmack bewiesen: Der Tatort war grottig und Nouvelle Vague geht gar nicht. Wegtreten!

  18. Bär: …. Sondern ich kann endlich mal meine Platzreife machen.

    SZ: Sie golfen?

    Bär: Ha. Ein kleiner Köder an den Haken, schon geht der Schwimmer unter Wasser. Ja, ich golfe.
    Ist auch sehr hübsch …

  19. Ganz normales Interview… nett banal.

    Ich sehe echt keinen Grund dieses Gespräch gegenüber tausend anderen hervorzuheben.

    Ach und ja, das neue FAZ Layout ist ja jetzt fast wie bei der SZ … nur eben trotzdem noch um Längen schlechter.

    :)

  20. Ich habs auch in SZ-Online vor ein paar Tagen gelesen. Und war baff erstaunt.
    Allerdings, doch doch, ja: Was Bär über die „zeitgenössische Kunst“ sagt, ist wahrhaftig, richtig, müsste viel häufiger gesagt werden, etc. Zumindest dafür: Danke Herr Bär und SZ.

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