Die Studie der beiden britischen Wissenschaftler Mark Bellis und John Ashton ist genau der Stoff, nach dem unsere Boulevardmedien (vulgo: unsere Medien) süchtig sind. Sie haben herausgefunden, dass Rockstars ein erheblich erhöhtes Risiko haben, jung zu sterben.
Es gibt dazu mehrere Agenturmeldungen. Eine seriöse ist von AFP und liest sich so:
Studie: Rockstars leben in ersten fünf Jahren des Ruhms gefährlich / Wilde 70er waren für Popmusiker besonders riskant
Rockstars sterben früher als Otto Normalverbraucher. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der John-Moores-Universität in Liverpool, die die Lebenserwartung von globalen Größen der Rockmusik mit der der gewöhnlichen Bevölkerung vergleicht. Der Lebensweg von mehr als tausend Musikern, die aus einer Liste der 1000 meistverkauften Platten aus dem Jahr 2000 ausgewählt wurden, wurde von den Wissenschaftlern ausgewertet. (…)
Insgesamt 100 Weltstars starben in der Zeit von 1956 bis 2005. Über eine Zeitspanne von 25 Jahren war ihre Sterblichkeit 70 Prozent höher als die der Durchschnittsmenschen. Als besonders gefährlich erwiesen sich die ersten fünf Jahre des Ruhmes, während derer die Wahrscheinlichkeit 240 Prozent höher ist, das Zeitliche zu segnen, als bei Normalsterblichen.(…)
Die Version von AP ist, vorsichtig gesagt, nicht ganz so seriös:
Popstars sterben früher
(…) Eine britische Studie zeigt, dass nordamerikanische prominente Musiker durchschnittlich nur 42 Jahre alt werden. Europäische Stars sterben demnach noch deutlich früher, nämlich schon mit 35 Jahren. (…)
Von wegen. Das ist nicht das Alter, das Rockstars durchschnittlich erreichen. Sondern das Alter, das diejenigen 100 der insgesamt 1000 untersuchten Rockstars durchschnittlich erreicht haben, die bereits gestorben sind. Dadurch, dass all die, die früh gestorben sind, in die Berechnung eingegangen sind, aber noch lebende Opas wie Paul McCartney, Mick Jagger und Elton John nicht, wird die Rechnung natürlich verzerrt.
Und eigentlich könnte man als Journalist auch ahnen, dass die Aussage nicht stimmen kann, europäische Rockstars würden im Schnitt nur 35 Jahre alt. Aber natürlich nur, wenn das Gehirn nicht völlig damit beschäftigt ist, sich die dazu passende geile Überschrift oder die Klickzahlen, die sich mit ihre generieren lassen, auszumalen.
Entsprechend findet die Falschmeldung von AP guten Absatz. Sie steht heute zum Beispiel in der gedruckten „Berliner Zeitung“, bei „Welt Online“, auf FTD.de (mit Bildergalerie „Die erfolgreichsten toten Musiker“). Auf der Titelseite von „Bild“ ist die AP-Meldung zu dieser erstaunlichen Überschrift geronnen:
Aber den Vogel schießt Spiegel Online beim Versuch ab, das vermeintliche Ergebnis zu personalisieren:
Nordamerikanische prominente Musiker, die die Studie berücksichtigte, wurden durchschnittlich 42 Jahre alt, europäische Stars starben im Schnitt sogar noch früher, nämlich schon mit 35 Jahren. Babyshambles-Sänger Pete Doherty, 28, hätte er [sic] demnach noch sieben Jahre zu leben.
Das ist doch wenigstens eine konsequente Hilfestellung für den weiteren Lebensweg. Wenn er eh nur noch 7 Jahre hat, kann er da ja auch richtig einen draufmachen.
Und was ist, wenn man erst mit 36 Rockstar wird?
mei, wie gut man die zeit, die man für so einen uninteressanten mist verblaßen hat, in einen artikel mit relevanz hätte stecken können. also unsere medien jetzt :x
Und was ist mit Leuten, die in ihrer Jugend Rockstars waren, aber mit Ende 20 lieber Versicherungsvertreter geworden sind oder sich mit dem verdienten Geld zur Ruhe gesetzt haben, um hauptberuflich Bäume zu umarmen?
Ich frage mich, ob man Leute, die solche komischen Statistiken aufstellen, überhaupt noch Wissenschaftler nennen sollte.
@Klopfer: Ich frage mich aber auch, ob man Leute, die offenbar den Eintrag weder gelesen noch verstanden haben, überhaupt noch Kommentatoren nennen sollte.
Dann ist also die Entscheidung, Rockstar zu werden, gleichbedeutend mit der Entscheidung, früh zu sterben, was wiederum die Frage nach sich zieht: Sind Rockstars eigentlich nur musizierende Suizidgefährdete? Oder gibt es einfach nur für jede dämliche Statistik einen profilneurotischen Wissenschafter, der sich den Schuh anzieht?
Da haben eindeutig wieder die Falschen sich an der Statistik versucht. Solche „statistischen“ Studien / Aussagen kann man sofort in die Tonne kloppen, da es eigentlich klar ist, dass Rockstars so früh sterben, da es kaum Rockstars gibt, die alt sind. Junge Rockstars werden mit der Zeit meist immer unpopulärer werden nicht mehr als „Stars“ wahrgenomen.
Den gleichen Mist kann man zum Beispiel auch mit Studenten treiben, indem man schaut mit welchen Alter diese sterben. Da die meisten Studenten ja unter 30 Jahre alt sind, kann man ganz schnell zu der „richtigen“ Aussage kommen, dass die wenigen getorbenen Studenten durchschnittlich 25 (geschätzt) Jahren alt waren. Und wenn irgendwann tatsächlich irgendwo die Schlagzeile „Studenten sterben mit 25“ auftaucht, schwöre ich mir, dass ich von da an keine solche Zeitungen anfassen und keine derartigen Onlineangebote ansurfen werde. So etwas tut mir nämlich beim Lesen weh. ;)
@Stefan: Touché! Mein Gedanke war sehr ähnlich :-)
Stefan: Ich frage mich aber auch, ob man Leute, die offenbar den Eintrag weder gelesen noch verstanden haben, überhaupt noch Kommentatoren nennen sollte.
Den Eindruck hab ich auch.
@Harriet: Würden Sie vielleicht auch den Eintrag nochmal lesen, bevor sie auf „profilneurotischen Wissenschaftlern“ rumhacken? Evtl. noch die beiden Links im ersten Absatz anklicken um die Intention der Studie nachvollziehen zu können? Danke!
@2:
Dann ist man bereits seit einem Jahr Zombie :P
Darf Doherty eigentlich als Star dazugezählt werden?
War das nicht so, dass man erst von einem Star spricht, wenn er mit dem, was ihn zum Star machen könnte, auch entsprechenden, weltweiten Ruhm erzielt hat – in diesem Falle also „Rockmusik“?
Wer zum Teufel sind denn die Babyshambles?
Ich persönlich hab es wohl verfehlt, meine Collection-Of-Fame im CD-Regal mit deren Evergreens zu füllen…
Also eigentlich waren es dann doch nur 99 (möglicherweise) relevante Subjekte…
Ach nee, der gehörte ja jetzt zu den 900 anderen…oder wie war die Gleichung jetzt grad nochmal?
Aber eigentlich auch egal.
Die Babyshambles sind jetzt schon eher bekannt. Vielleicht mal mehr hören als nur die Time-Life-Best-Of-Classic-Rock-Box (aggressiv unterstellt, weil Aggression zum Rock dazugehört!).
Aber am besten wär’s vielleicht, wenn man gar nicht erst mit Musikdiskussionen und Palaver um die Relevanz von Musikern beginnt. Relevanzgelaber stirbt nach Statistik nämlich früh und wird dann hirnlos.
@10
Mea culpa, da habe ich etwas unveständlich herumgeblödelt und so den Eindruck erweckt, ich sei des Lesens nicht mächtig. Rüffel verstanden!
Die AP-Meldung wurde hier auch im Radio verbreitet (DRS3), wobei Kurt Cobain besonders ehrenhaft erwähnt wurde.
Danke für den Hinweis, das Durchschnittsalter von 35 kam mir doch gleich etwas seltsam vor.
Die Auswahl der Stichprobe aus Musikern, die in den 1.000 Top-Alben (wer auch immer diese gewählt haben mag) vertreten sind, ist alles andere als repräsentativ für die Gesamtheit der Rock- und Popmusiker.
Außerdem wird die Stichprobe zusätzlich verzerrt, weil viele Musiker erst durch ihren Tod populär werden. Zum Beispiel Ian Curtis. Und der hat sich nicht umgebracht, weil er ein Rockmusiker war.
Rockstars leben länger!
Wissenschaftler ermittelten: von 1000 Rockmusikern sind erst 100 tot. Bei klassischen Musikern liegt die Sterberate fast 10 mal so hoch!
Um mal der Ärzte „Schneller leben“ zu zitieren:
„Kurt Cobain hat es gewusst
im Alter droht Gesichtsverlust
Was glaubst du warum Jesu Christ
schon so jung gestorben ist?
Jimmi Hendrix und Bruce Lee
alt geworden sind die nie
Lern von diesen Vorbildern
als Leiche hat dich jeder gern“
alles quatsch – elvis lebt!
beim lebenswandel von mr. doherty halte ich sieben jahre als vorraussichtliche lebenserwartung für angemessen bis optimistisch.
OK, dass sich Welt, Bild etc. über die spektakulär niedrige Durchschnitts(!)lebenserwartung nicht ausreichend gewundert haben, liegt auf der Hand. Aber man kann ihnen ja nicht grundsätzlich verübeln, dass sie einer AP-Meldung vertrauen. Die Spon-Kalkulation zu Doherty ist allerdings wirklich von bestechender Blödheit.
#21 – SPON „von bestechender Blödheit“: dem kann ich seit geraumer Zeit leider immer mehr zustimmen. Ich habe das Gefühl, mit wachsender Popularität werden beim Spiegel sowohl Überschriften als auch Inhalt immer reißerischer und substanzloser. Naja, für echte Informationen gibt es ja noch SPAM@Spon ; )
und wer finanziert eigentlich ständig solche Studien? Universitäten werden doch bisher nicht direkt von der Yellow Press bezahlt, oder?
@DieterK(16):Es geht in der Studie um „rock and pop stars“ (aus dem Titel der Studie), die Autoren wollen also keine Aussage über die Gesamtheit der Musiker treffen, sondern die Verbindung von großem Ruhm und Sterblichkeit untersuchen (im Vergleich zur der des „ganz normalen Durchschnittsbürgers“ (diese Formulierung ist in abgeschwächter Form im FAZ.net Artikel „Der Untergangsterror“ zu finden)). Die Liste stammt aus dem gleichnamigen Buch „All-time Top 1000 Albums“ von Colin Larkin. Larkin ist auch der Autor der „Encyclopedia of Popular Music“ und bestimmt keine allzu schlechte Quelle für die Studie, auch weil reine Verkaufszahlen zwar zuerst nach einem gelungenen Indikator für Ruhm klingen, über ~50 Jahre betrachtet aber sicher von einem „Domänenexperten“ normalisiert werden müssten, um z.B. den Ruhm eines Musikers aus dem Jahre 1960 mit dem eines Künstlers zu vergleichen, dessen Erfolg erst in den späten 90er Jahren eintrat. Larkin bezieht scheinbar „over 100,000 votes contributed from ‚critics, journalists, and…the fans'“ (Amazon-Rezension…) in seine Bewertung mit ein.
Die Studie kann als Vorabversion hier gelesen werden: http://jech.bmj.com/preprint/bellis.pdf
Und wer die Autoren noch genauer kennenlernen will:
http://www.johnrashton.securemachines.co.uk/
http://www.ljmu.ac.uk/ecl/psd/reach/MarkBellis.htm
Sie haben auch andere interessante Themen untersucht (Stichworte: nightlife, condom culture, alcohol, tobacco, drugs, syphilis). Da wird Forschung anschaulich…und erreicht die Titelseite der Bild.
Ein „völlig falsch verstanden“ fehlt im letzten Satz nach „erreicht“. Außerdem hat die Studie sechs Autoren, die zwei sind aber scheinbar die „wichtigsten“, man will ja niemanden unterschlagen. :)
das alte leid mit den statistiken…
übrigens fress‘ ich einen besen, wenn pete doherty es schaffen sollte 35 zu werden.
Ich finde die Frage, ab wann von Star (und dem dazugehörigen Rummel) gesprochen werden darf, doch recht relevant.
Daher meine Anmerkung bezüglich der Babyshambles,
die man wohl durchaus eher auf die Liste „Indy“ setzen darf – vergleichsweise (mal mit Jimi (mit nur einem „m“, lieber Ärtzte-Fan) Hendrix) betrachtet.
Da fängt die Statistik doch schon spätestens an zu hinken.
Der Grad des Ruhms bzw. die Höhe der Karriereleiter ist doch wohl ein entscheidender Faktor in der Frage um Stress-Resistenz, denen ja bekanntlich nicht jeder langfristig gewachsen sein soll, wie wir spätestens seit Herrn Cobain wissen.
Abgesehen von den Einflüssen der jeweiligen Zeitabschnitte, denen die jeweiligen Künstler seinerzeit ausgesetzt waren.
Beispiel 70er – im Gegensatz zu heute war H ganz weit vorn in der Liste der populären Drogen.
THC, Mescalin, LSD, Opiate und haufenweise andere, bewußtseinsverändernde Drogen gehörten weitestgehend zum Pflichtprogramm in der Künstlerszene.
Heutzutage regiert ja wohl eher Koks und andere stressabbauende, leistungssteigernde Drogen die Szene.
Man darf also durchaus behaupten, dass die Gesundheit von Musikern der 60er bis Anfang der 80er durch Drogenkonsum und damit einhergehender, möglicher Realitätsverzerrung bis hin zur Suizidgefährdung weit gefährdeter war als heutzutage.
Um auf den Anfang zurückzukommen:
Die Wahrscheinlichkeit von exzessivem Konsum gesundheitsgefährdender Substanzen nimmt exponentiell mit dem Grad des Ruhms zu.
Allerdings auch mit Misserfolg…
Also wer ist bitte als repräsentativer Star zu definieren und wer eher nicht?
Fänd‘ ich schon wichtig.
Naja…
Dieser Artikel wird in gewisser Weise erst durch die Kommentare interessant. Journalisten, die dieses Blog lesen, könnten sich auch sagen: Wenn die Leute selbst bei Niggemeier so ungenau lesen und nur ihre eigene Meinung in fast jeden beliebigen text hineininterpretieren, warum sollen wir dann noch recherchieren, prüfen und uns um klare darstellung bemühen. Schreiben wir doch lieber gleich, was die Leute ohnehin herauslesen!
Ok, das ist ziemlich zynisch, aber: bei Pete Doherty könnte das hinkommen, wenn er so weitermacht. o_O
Erinnert mich an einen tollen Gag von Rüdiger Hoffmann und der geht sinngemäß so:
„Jochen, ihr seid ja jetzt schon zwei Jahre zusammen, da bleiben euch statistisch gesehen noch 7 Monate.“
Das gerade meine persönlichen Freunde von Spiegel Online die wildeste Überschrift finden überrascht mich jetzt irgendwie nicht.
Bin mal gespannt, was Bild.de schreiben wird, wenn in 7 Monaten die Redaktion diese Studie „jetzt“ oder „exklusiv“ vorstellen. Man könnte ja einen kleinen Wettbewerb draus machen. Der Gewinner kriegt dann einen Gutschein für ’n Praktikumsplatz bei der „Ulan Bator Morgenpost“ auf Bewärung. ;-)
das wissen wir auch ohne die Studie!
Die RTL II-News haben übrigens das mit der Lebenserwartung richtig zitiert. Nur um dann im letzten Satz des Beitrages 240 Prozent mit „240 mal höher“, also 24000 Prozent zu verwechseln.
@STU: lol.
Das erinnert mich an Beutelspacher: seiner Erfahrung nach sind die Leute sogar stolz darauf, wenn sie sagen können: „in Mathe war ich immer schlecht“.
Ich hoffe die Bild-Zeitung erklärt diesen ganzen Musikern die Rentenlüge der Regierung – KEINER dieser toten Musiker wird jemals das jetzt erhöhte Rentenalter von 67 erreichen! Ihre Rente ist NICHT sicher!!!11!einseinself!1
Statistisch gesehen haben Soldaten im Irak die gleiche Mortalitätsrate wie Menschen in Kalifornien. In Kalifornien stürben 6,6 Menschen pro Tag, im Irak 1,7 amerikanische Soldaten am Tag. (dies war zum Zeitpunkt errechnet, als bisher 277 Soldaten gestorben waren, also in etwa Juli 2003 – inzwischen ist die Zahl übrigens bei 3600 angekommen nach knapp 4 Jahren. In Vietnam sind in 15 Jahren 7000 Soldaten US- und 70.000 Feindsoldaten umgekommen)
Na wer entdeckt den Denkfehler?
S****** ich muß mit der music aufhören.
@34 (Sebastian): Ich, ich! In Vietnam hat es auf beiden Seiten eine ganze Menge mehr Menschen erwischt.
Nee… in Kalifornien leben 32 Millionen Menschen wohingegen nur knapp 200.000 Soldaten im Irak sind.
Und wenn man bedenkt, dass Vietnam 15 Jahre dauerte und der Irakkrieg bisher ledigich 4 dann kann man mal geflissentlich hochrechnen und kommt auf 14000 wenn die USA so lange da bleiben wie in Vietnam.
Na wie auch immer – Daily Show Seher wissen ja bereits, wo’s als nächstes Rund geht, die Vereinigten Arabischen Emirate haben grad nen Vertrag über 30 Milliarden Dollar Rüstungshilfen mit den USA abgeschlossen und Israel über 10 Milliarden. Irgendwie müssen die ja mit dem Zeug auch spielen…
Das hab ich soweit schon kapiert. Deine Vietnam-Statistiken solltest du aber trotzdem nochmal ueberpruefen. ;)
Echte Rockstars sterben mit 27. Alle anderen sind bloß Poser.
Meeeeeep.
Sz hat heute mal ihre Korrekturspalte zu benutzen versucht.
Das beweist doch nur die Richtigkeit des alten Kalauers:
„Wer früher stirbt ist länger tot.“