Springers Kommunikationskultur

Ich vermute, sie haben lange gefeilt bei Springers, an der offiziellen Stellungnahme der Axel Springer AG zu Alan Poseners gelöschtem Blog-Eintrag zu Kai Diekmann auf „Welt Debatte“. Bemerkenswert finde ich diesen Satz:

Der Beitrag von Alan Posener über Kai Diekmann ist ohne Wissen der Chefredaktion in den Weblog von Alan Posener gestellt worden.

Mal abgesehen von der lustigen Passiv-Konstruktion, die irgendwie die Möglichkeit nicht auszuschließen scheint, dass Unbefugte den Beitrag in Poseners Blog gestellt haben: Was heißt das: „ohne Wissen der Chefredaktion“?

Zunächst einmal heißt das natürlich: Christoph Keese ist nicht Schuld. Keese ist Chefredakteur von „Welt Online“ und Chefredakteur der „Welt am Sonntag“, wo Posener das Kommentarressort leitet, und die Axel Springer AG teilt mit: Er kann nichts dafür, er wusste von nichts. Das ist eine wichtige Information. Vor allem für Christoph Keese.

Aber wenn man Springer-Sprecherin Edda Fels beim Wort nimmt (und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun), müssen die „Welt“-Blogger vor dem Bloggen brav der Chefredaktion Bescheid sagen.

Lieber Daniel Fiene,
lieber Don Dahlmann,

ist das so? Was bedeutet es, auf „Welt Online“ zu bloggen? Bloggt Ihr nur Dinge, mit denen Christoph Keese einverstanden ist? Habt Ihr die Springer-Leute darauf hingewiesen, dass sie Euch durch die Formulierung in eine unmögliche Situation bringen? Habt ihr da eine Freiheit beim Bloggen oder seid Ihr den gleichen, sagen wir: verlagspolitischen und arbeitsrechtlichen Einschränkungen ausgesetzt wieder jeder festangestellte „Welt“-Journalist?

Könnte es die „Unternehmenskultur“ von Axel Springer mit ihrem „Meinungspluralismus“ aushalten, wenn Daniel Fiene in seinem Medienblog (!) auf „Welt Online“ die Diskussion um den Vorfall aufgriffe? Sachlich, pointiert, wie auch immerß Und wenn er es täte: Würde dann Keese den Beitrag, bevor er in Fienes Blog „gestellt wird“, redigieren?

Die Reaktion auf die Debatte um die (Selbst-)Zensur bei Springer finde ich fast aufschlussreicher als den Akt selbst. Wie erbärmlich ist das: Die einzige Reaktion, die der Axel Springer AG auf die heftige Debatte einfällt, ist sich totstellen. So zu tun, als gebe es sie nicht.

Aber es gibt sie. Auch die „Welt Online“-Leser kennen sie. Aktuell sind die beiden meistgelesenen und meistkommentierten Blog-Einträge auf Welt Debatte zwei Einträge von Posener. Darunter diskutieren die Leser den aktuellen Fall von (Selbst-)Zensur. Aber sie diskutieren unter sich. Von Springer, von der Welt, von „Welt Online“, von „Welt“- „Debatte“ diskutiert niemand mit.

Seit drei Wochen hat Christoph Keese sein eigenes Blog. Er scheint nicht so viel zu erzählen zu haben, aber das wäre doch mal ein guter Anlass. Wofür ist sein Blog da, wenn nicht zur Kommunikation mit den Lesern? Warum kann ein Chefredakteur, dessen Beruf es theoretisch ist, zu kommunizieren (auch wenn er mir vor kurzem in anderem Zusammenhang mitgeteilt hat, weitere Kommunikation sei wegen meiner „impertinenten Unterstellungen“ und meiner „selbstgerechten Vorwürfe“ „nicht erwünscht“), warum kann dieser Chefredakteur sich nicht dem Dialog, der „Debatte“ mit seinen Lesern stellen? Warum kann er ihnen nicht erklären, warum es seiner Meinung nach die richtige Entscheidung war, Poseners Beitrag zu löschen?

Ich fürchte, bei Springers glauben sie wirklich, wenn sie Themen nur konsequent genug totschweigen, seien sie tatsächlich tot.

Sie werden sich noch wundern.

35 Replies to “Springers Kommunikationskultur”

  1. Gerade bei „Was mit Medien“ muss das ja eigentlich auftauchen.
    Da bin ich mal gespannt…

  2. Du kannst es D. Fiene ja gleich heute Abend fragen – er will sich eh noch bei dir melden zum Stichwort „Qualität im Netz“ und hat letzte Wochen offenbar noch mit C. Keese geplauscht. Das entnehme ich zumindest seinem Weltblog.

  3. Egal, was Springer nun sagt, es wird ihnen um die Ohren gehauen werden. Die souveräne Reaktion zur Schadensbegrenzung wäre gewesen, den Blogeintrag als eigene Meinung von Posener zu bezeichnen (was ja für ein Blog meistens selbstverständlich ist) und ansonsten keinen Kommentar abzugeben.
    Dafür ist es nun zu spät. Wenn sie aber nun die Klappe halten, wird sich das Thema IMHO in ein paar Tagen auch in Klein-Bloggersdorf erledigt haben und unter „war ja eigentlich eh klar“ abgebucht werden. Wenn Springer in eine Diskussion einsteigt, die sie nur verlieren können, wird hingegen das Thema am Kochen gehalten. Ich finde die Reaktion von Springer auf Poseners Beitrag völlig daneben und teile deine Kritik, aber an deren Stelle würde ich *jetzt* auch nichts mehr sagen.

  4. Bei der ‚Welt‘ gehen nach wie vor alle Türen nur nach außen auf. Schwingtüren sind die Redakteure nicht gewohnt. Prompt holen diese Kommunikationsexperten sich blutige Nasen …

  5. Also mir gefällt

    „Bei Axel Springer gilt Meinungspluralismus, aber nicht Selbstprofilierung durch die Verächtlichmachung von Kollegen.“

    viel besser. Ich hatte da bislang, wie soll ich’s schreiben, einen anderen Eindruck. Aber gut, dass das mal geschrieben wurde. Jetzt ist mir das ja klar geworden. Würg.

    Peter Turi hat – neben einigen anderen – übrigens den ganzen Artikel im Blog veröffentlicht. Wenn man das liest, wird die Springersche (oder die Keesesche) Löschungsentscheidung noch unverständlicher.

    Das Einzige, was angemessen gewesen wäre, wäre eine heiterer und selbstironischer Kommentar von Kai Diekmann selbst gewesen. Das hätte den Artikel „entwaffnet“. Aber dazu ist er anscheinend nicht in der Lage.

    Hat jemand zufällig ein Foto gemacht, wie K.D. mit hochrotem Kopf, zum Platzen angeschwollenen Schlagadern am Hals, mit den Armen wild fuchtelnd die Herren Keese und Posener durchs Telefon anschreit?

    Nein? Schade.

  6. Schön, dass sich jemand mal an das Offensichtliche macht und die Erklärung/Stellungnahme der Axel Springer AG seziert.

    Ich glaube übrigens nicht, auch wenn das natürlich eine gelungene Pointe ist, dass Posener, Fiene und Dahlmann ihre Blogeinträge mit der Chefredaktion von Welt Online abstimmen müssen (ich hoffe es zumindest nicht). Wenn es allerdings das eigene Unternehmen betrifft, so ist das ja nicht gerade unüblich.
    Wobei ich mir eben solche Kritik wirklich auch wünschen würde. Es würde der Welt zumindest gut zu Gesicht stehen: Die Frankfurter Rundschau stimmt ja ihren Politikteil auch nicht mit der SPD-Parteispitze ab.

    Für mich als Otto-Normal-Blogger hat sich das Potal Welt Debatte auf jeden Fall erstmal erledigt.

  7. @Clap: Diesen Kommentar habt ihr inzwischen in vermutlich dreistelliger Zahl in irgendwelche Blogs gepostet. Ich mag diese Art von Copy&Paste-Werbung nicht und werde die nächsten Versuche als Spam behandeln. Das sagt nichts über die Qualität Eurer Seite. Nur über die Art, wie ihr sie mit Gewalt bekannt zu machen versucht.

  8. Ich kann das ja wieder nur für mich beantworten, aber ich muss niemanden vorher berichten, was ich da so schreibe. Es liest auch niemand meine Einträge vor der Veröffentlichung durch oder zensiert sie. Ich log mich auf der Plattform ein und schreibe den Artikel. Dann geht er sofort online. Wie das bei einem „Chefkommentator“ ist, weiß ich nicht.
    Es ist meines Wissens auch nicht das erste Mal, dass die „Welt“ die „Bild“ aufs Korn nimmt. Zum Politikum wird es halt erst, wenn es jemand macht, der relativ weit oben sitzt.

    Den Eintrag zu löschen war überflüssig, allerdings ist mir Alan Posner jetzt auch nicht als Verteidiger linker Positionen aufgefallen, so dass ich jetzt „Oh, ein Märtyrer“ rufen würde, nur weil er über Kai Diekmann hergefallen ist. Viel interessanter als den Artikel finde ich allerdings die Umstände, die eine ganze Menge über die Macht Hierarchie der Chefredakteure aussagt.

  9. Mir ging es nicht um den Kommentar von Posener und schon gar nicht um die Frage, ob er rechts oder links ist. Mir geht es zum Beispiel darum, wie es ist, in einem Angebot zu bloggen, das sich „Debatte“ nennt, die aber im Zweifelsfall verhindert. Und für einen Auftraggeber, der öffentlich den Eindruck erweckt, hier werde nur nach Chefredakteurs Gnaden gebloggt.

  10. Machen wir uns doch nichts vor: Der Springer-Verlag kann das Kind nicht mehr schaukeln. Nur: Das Schlimme ist, dass es die Welt da draußen nicht mitbekommt, da Springer selbst zum Gatekeeper mutiert und die gestandenen Medien sich meiner Meinung nach nicht trauen werden, diesen Konkurrenten in die Pfanne zu hauen.

  11. @massenpublikum:

    Auf Bildblog findest Du aber schon einige Links zu Artikeln in den „gestandenen“ Medien, die Kritik an wahlweise Springer/Diekmann oder Bild äußern.

  12. Vermutlich handelt es sich (um Deine Überschrift mal aufzugreifen) um eine Kommunikationskultur, die sich eher nach innen wenden soll, um dort effektlos zu versickern. Was in vielen Fällen ja auch klappt (außer vielleicht für den entsprechenden Autor).

    Dass man in diesem Fall mit einer nach außen dringenden Kommunikation nicht adäquat umzugehen weiß, verwundert doch nicht wirklich, oder? Und von einem für Diekmann bekannten Hang zur Selbstironie brauchen wir doch auch nicht… na ja.

    Es scheint sehr schwer zu sein, von der Vorstellung loszulassen, nicht mehr komplett bestimmen zu können, welche Themen wie gesetzt werden.

    Und ich fürchte, dass sich das bekannte sozialkritische Melodram: „Sie sind nicht tot, riechen aber streng“ noch eine Weile hinziehen wird. Noch einige Zeit werden Internetzeitungen gerne an Springer verkaufen, wenn sie ankommen.

  13. @10 (also zu Stefan, der zu Clap etwas schrieb):

    Haben wir unseren Kommentar auch in andere Blogs gepostet? Zugegeben! „In vermutlich dreistelliger Zahl“? Bei weitem nicht! Selbst „in vermutlich zweistelliger Zahl“ wäre noch stark übertrieben gewesen.

    Sind es nicht genau diese Ungenauigkeiten in der Darstellung, die Ihr bei „Bild“ immer wieder anprangert?

  14. @Clap: Hui, das immer wieder gern genommene „Ihr seid auch nicht besser als Bild“-Argument. Ich hatte gedacht, die Übertreibung sei als Stilmittel zu erkennen. War sie nicht. Mein Fehler.

    Noch einmal im Klartext: Ich freue mich über Kommentare, über positive und negative. Kommentare, die im Kern Werbung sind und einfach per Copy&Paste unter jeden Blogeintrag kopiert werden, wo es auch nur halbwegs passt, sind für mich Spam, und so werde ich sie behandeln.

  15. @20:

    … womit Du im Prinzip recht hast, Stefan!

    Aber müsstest Du (gerade im Fall Springer) dann nicht auch die Hälfte (Achtung: bewusste Übertreibung!) aller akut grassierenden Blog-Kommentare der Republik in die ewige Verdammnis wünschen – zwecks Vermeidung von Copy&Paste-Kultur?! Will meinen: Spätestens die 1000ste (vierstellig!) „K.D. hat versagt“-Bestätigung ist redundant.

    Wenn nicht unerträglich.

    Bulo

  16. Stefan das ist Springer. Das geht da gar nicht anders. Springer versteht sich nicht als Informationlieferant sondern als Meinungsmacher.

    Meinung macht man am leichtesten in dem man Tatsachen verdreht oder direkt lügt. Lüge ist aber an sich schon eine Kunst. Sie braucht dazu noch ein gutes Gedächtnis.

    Wenn aber unterschiedliche Redaktionen die gleiche Lüge verkaufen müssen, dann bedarf das einer strengen Führung durch Zensur.

    Der Zweck bedingt in diesem Fall die Zensur.
    Lustig ist nur das es uns diesmal aufgefallen ist.

    Wahrscheinlich werden bei Springer ständig alte Texte geändert um sie der neuesten Springerwirklichkeit anzupassen. Orwell lässt grüßen.

  17. Habe gerade den o.g. Artikel auf sueddeutsche.de gelesen und dabei kurz vergessen, dass das gar nicht Teil dieses hier Blogs war sondern ein Artikel auf sueddeutsche.de.
    Walls come tumbling down. Herrlich.

  18. SvenR schreibt: „Das Einzige, was angemessen gewesen wäre, wäre eine heiterer und selbstironischer Kommentar von Kai Diekmann selbst gewesen. Das hätte den Artikel „entwaffnet”. Aber dazu ist er anscheinend nicht in der Lage.“ Das ist gut gesprochen. Allerdings ist Kai Diekmann nicht nur „anscheinend“ sondern sicherlich definitiv dazu nicht in der Lage. Jemand der so shizophren zwischen seinen Wichs-Vorlagen und seinem Papst-und-Dalai-Lama-Füße-Küssen lebt, derartige Heuchelei lebt, ist zu keiner moralisch anständigen Reaktion fähig!

  19. Auf sueddeutsche.de gibt’s mittlerweile ein Interview mit Keese.
    Fazit: Blogs von Welt-Angestellten sind keine Blogs.

    „Blogs haben ihre Berechtigung und sind eine Bereicherung des Internets. Aber sie stehen für etwas ganz anderes als wir.“

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