Goldene Kamera

Wenn man sich dereinst einmal vergegenwärtigen will, wie das damals war, Anfang 2008, in der Zeit vor der Großen Krise, dann wird man einfach den Satz von Jochen Beckmann zitieren können. Der Verlagsgeschäftsführer von Axel Springer erzählte im vergangenen Februar stolz, man habe die Goldene Kamera, den Preis der Fernsehzeitschrift „Hörzu“, überarbeitet: „Sie sieht aus wie ihre Vorgängerin, aber nun ist mehr Gold dran.“ Es muss eine Zeit gewesen sein, in der innere Werte noch zählten, weshalb der Verlag nicht nur in das unsichtbare Aufpäppeln der Kameras von 600 auf 900 Gramm Gewicht investierte, sondern erstmals auch den Drei-Sterne-Koch Juan Amador für das Catering engagierte.

Im kommenden Jahr übernimmt seinen Posten ein Herr Schmalhans. Springer will morgen beschließen, alle größeren Veranstaltungen und Preisverleihungen im nächsten Jahr abzusagen – neben der Goldenen Kamera unter anderem auch das Goldene Lenkrad und den „Bild“-Preis Osgar. Selbst die Kinder müssen dran glauben und auf die große Gala verzichten, mit der die Boulevardzeitung zuletzt gestern im ZDF ihr Herz für sie feierte. „Wir wollen nicht bei unserer wichtigsten Ressource, den Mitarbeitern und dem Journalismus, sparen, sondern lieber bei Partys und Events.“ Dabei waren die Vorbereitungen für die 44. Verleihung der „Goldenen Kamera“ am 4. Februar schon weit fortgeschritten: Frank Elstner war in der Nachfolge von Thomas Gottschalk gebucht und verkündet, und die Restleser der „Hörzu“ hatten schon ihre liebsten amerikanischen Fernsehserien gewählt. Die Absage ist vermutlich teurer, als es die ganze Show gewesen wäre, was man aber als langfristige Investition verbuchen muss. Das ist auch deshalb nur konsequent, weil das Ausfallen der Sendung den Menschen vermutlich eher in Erinnerung bleiben wird als die Sendung selbst.

Was für eine merkwürdige Krise: Die radikale, bis gestern völlig undenkbare Absage all dieser Vorzeigeveranstaltungen ist ein Fanal, ein unübersehbares Symbol dafür, dass nichts mehr heilig ist und alles hinweggeschwemmt werden kann von der Werbeflaute – und gleichzeitig völlig egal. Kein Zuschauer wird sie vermissen. Und Robert de Niro, Chuck Berry, Alfred Biolek, Kylie Minogue und Tokio Hotel haben ja die letzten Kameras in diesem Jahr noch abgestaubt. Die schweren, mit der Extraportion Gold.

(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

17 Replies to “Goldene Kamera”

  1. (Bevor jemand anderes darauf hinweist: Das ist natürlich ein fieser Metaphern-Mix, die „Flaute“, die „alles hinwegschwemmt“.)

  2. Hatte ich gestern schon gelesen, es aber kaum glauben können. Zwischen den Zeilen zu lesen ist angebracht: Die Absage von „Ein Herz für Kinder“ bedeutet das Eingeständnis dessen, was alle gewusst haben: Dass es nie primär um die Kinder ging, sondern eine Gute-Gewissen-Verkaufsshow war für Konzerne mit Imageproblemen und Zwangsteilnahme für Promis.

  3. @Twipsy: Naja, das steht da nicht wirklich zwischen den Zeilen. Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner schreibt: „Selbstverständlich wird die Spendenaktion ‚Ein Herz für Kinder‘ von BILD in anderer Form auch im kommenden Jahr weitergeführt werden. Die zahlreichen Preise und Auszeichnungen werden ohne begleitende Veranstaltungen verliehen und in den jeweiligen Publikationen bekannt gemacht.“
    http://www.axelspringer.de/dl/87992/Anschreiben_Veranstaltungen_2009.pdf

  4. Ist die Frage, wieviele Konzerne dann noch Interesse haben zu spenden, wenn es nicht groß im ZDF rausposaunt wird.

    Kann mir jemand diesen Satz erklären:
    „Wir wollen nicht dort sparen, wo es die Qualität unseres Journalismus und die Motivation unserer Mitarbeiter beeinträchtigt.“ (Döpfner)
    Oder, Moment, ich komm selber drauf: Da ist schlicht kein Einsparpotential vorhanden!

  5. gefällt mir verdammt, gut, goldene kamera und konsorten sind eh völlig überflüssig, 20 verschiedene Preisverteilungen die im Prinzip das gleiche verteilen aber hauptsächlich sich selber feiern und werbung machen wollen NERVEN schon seit ewigkeiten. Wie belanglos diese Preise doch alle sind…

  6. @Stefan / 1: Germanisten nennen das auch Katachrese… Muss jeder für sich selbst entscheiden, ob er das als Stilfigur oder etwas ärgerlichen sprachlichen Fehler bezeichnet… ;-)

  7. Der ist ne echte Konifere auf dem Gebiet! Hoffentlich legt er aber nicht jedes Wort auf die Wasserwaage!

  8. Ich habe mich angesichts der inflationären Preise-Flut sowieso schon immer gefragt was die Kaste der Schauspieler, Sänger und sonstigen Selbstdarsteller so über die ’normaler‘ Menschen mit ’normalen‘ Berufen erhebt. Diese Selbstbeweihräucherung ging mir schon immer mächtig gegen den Strich. Wo sind die Auszeichnungen und die dazugehörigen, im Fersehen zu übertragenden Shows für Bäcker, Maurer, Fliessbandarbeiter, Klofrauen und alle die, die die Nation wirklich am laufen halten?

  9. Springer und das ZDF haben wohl die verheerenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entscheidung nicht bedacht: Edelschneider werden um ihre Existenz bangen müssen, wenn es keine Anlässe mehr gibt, für welche die Damen der Gesellschaft ein neues Kleid ordern müssen. Nobel-Caterer werden massenweise in Konkurs gehen, wenn nirgendwo mehr Beluga-Kaviar gebraucht wird. Und was sollen die Herren Pérignon und Bollinger zu dieser Entwicklung sagen?
    Nein, im Ernst: Das ist ja das Evangelium nach Stefan. Kein langweiliges Promi-Schulterklopfen, keine repetitiven Dankesreden, keine Verschwendung wichtiger Goldreserven mehr … Könnte man in diesem Zuge nicht gleich auch den Zapfenstreich für die diversen Volksmusiksendungen blasen?
    Weiß man denn schon, wie die vakanten Sendeplätze gefüllt werden? Vielleicht ausnahmsweise mal mit Produktionen, die dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag gerecht werden?

    @ Ralph, 8: Nicht nur Germanisten. Als Lektüre darf ich H. Lausberg, Elemente der literarischen Rhetorik bzw. H. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik empfehlen. Lausberg war Romanist. (Disclosure: Ich stehe mit Herrn Lausberg in keinerlei verwandtschaftlicher, geschäftlicher oder wie auch immer gearteter Beziehung.)

    @ Alberto Green, 10: Welche Koryphäe werden Sie sich denn zum Weihnachtsfest ins Wohnzimmer stellen?

  10. @8,9,10: Ich hab gegröhlt vor Lachen. Vielen Dank.

    Ich denke auch, dass diese Shows keiner vermissen wird. Das einzige, was so etwas wie einem Verlust am nächsten kommt, ist die „Ein Herz für Kinder“-Show, denn ich teile Twipsys Ansicht, dass die Spendenbereitschaft sinken wird, wenn die spendenden Firmen und Promis „nur“ noch in der Blöd-Zeitung gefeiert werden.

  11. Hallo Stefan,
    wann stellst Du denn den FAZ-Artikel über Schmidt&Pocher hier rein, den meine Freundin (die ich erst vor 2 Wochen auf Dich aufmerksam gemacht hatte) gelesen hatte und mir danach mitteilte „Den Niggemeier würde ich glatt heiraten, so, wie er die Dinge auf den Punkt bringt!“ :-O
    Ich weiß nicht, ob Du alles so auf den Punkt bringst, aber es hier zu lesen, wäre schön….

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