Was ddp Raimund Harmstorf nicht erspart

Erst hatte ich angenommen, das hier sei ein Fall für meine Rubrik „Doof wie RP-Online“. Aber der Internet-Auftritt der „Rheinischen Post“ hat den Text nur, wie es seine Art ist, zum Eigenbericht umdeklariert, um die Quelle zu verschleiern. In Wahrheit stammt der Artikel von der Nachrichtenagentur ddp. Sie war es, die die Idee hatte, eine längere Meldung über die Neuauflage des „Seewolfs“ mit folgendem originellen Absatz zu beenden:

Es ist davon auszugehen, dass dem bereits international etablierten Kretschmann („Der Pianist“) ein ähnliches Schicksal wie Harmstorf erspart bleibt. Dieser war nach seinem Durchbruch zeitlebens in Fernsehshows mit der Frage konfrontiert worden, ob er tatsächlich eine rohe Kartoffel auf diese Weise pürieren könne. Die Rollen wurden kleiner, das private Pech größer: Bei mehreren Verkehrsunfällen verletzte sich der 1,89 Meter große Ex-Zehnkämpfer schwer, sogar von Parkinson war die Rede. Im Mai 1998 erhängt sich Harmstorf im Alter von 57 Jahren auf dem Dachboden eines Bauernhofes im Allgäu.

Das ist die Überleitung aus der Hölle: Es ist davon auszugehen, dass Thomas Kretschmann ein ähnliches Schicksal wie Raimund Harmstorf erspart bleibt.

Es ist davon auszugehen, dass Thomas Kretschmann ein ähnliches Schicksal wie Raimund Harmstorf erspart bleibt?

Man kann nicht oft genug daran erinnern, welches Schicksal Raimund Harmstorf nicht erspart blieb. Harmstorfs Lebensgefährtin Gudrun Staeb hat es 2002 für das „SZ-Magazin“ aufgeschrieben, Oliver Gehrs vor zehn Jahren für die „Berliner Zeitung“:

Am Sonnabend, den 2. Mai, standen zwei Illustrierten-Reporter mit einer „Bild“-Zeitung vor der Haustür von Raimund Harmstorfs Bauernhaus im Allgäu. „Seewolf Raimund Harmstorf in der Psychiatrie“ stand in großen Lettern auf der Titelseite und weiter: „Mit aufgeschnittenem Handgelenk von der Polizei aufgegriffen“. In der dazugehörigen Geschichte schmolz sein Leben auf eine Ansammlung von Schicksalsschlägen und Unfällen zusammen: Harmstorf mit Gipsbein im Krankenhaus, Harmstorfs verunglückter Porsche, Harmstorf mit leerem Blick in einer Drehpause. „Das ist ja verrückt, was da steht“, hat der Schauspieler laut Aussage seiner Lebensgefährtin Gudrun Staeb gesagt. Und immer wieder: „Das ist mein Todesurteil.“ Nur wenige Stunden später vollzog er es. (…)

Die Sache mit dem „zerschnittenen Handgelenk“, aus dem „das Blut tropfte“, nahm „Bild“ wenige Tage nach Harmstorfs Freitod eher beiläufig zurück — in Wahrheit war der Zwischenfall wesentlich unblutiger verlaufen: Der Schauspieler litt seit 1994 an der Parkinsonschen Krankheit, weshalb er mit einem Medikament behandelt wurde, zu dessen Nebenwirkungen Alpträume, Angstzustände und Halluzinationen zählen. Um die Symptome vor der Öffentlichkeit zu verbergen und weiterhin Theater spielen zu können, nahm Harmstorf ziemlich viele Tabletten — am Abend des 5. April zu viele. Als er bereits kurz vor einer Ohnmacht stand, rief er den Notarzt. Von der Intensivstation verlegte man ihn später auf die psychiatrische Station des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren — nicht unbedingt das, was man gemeinhin unter einem Selbstmordversuch versteht.

Auch lag Raimund Harmstorf nie „in der geschlossenen Abteilung“, wie „Bild“ zu berichten wußte (…). Am Morgen des 1. Mai wurde er von seiner Freundin Gudrun Staeb aus der Klinik abgeholt zu einem Zeitpunkt, als ihn die „Bild“-Reporter noch „völlig abgeschottet von der Außenwelt“ wähnten, wie sie am Tag darauf rund elf Millionen Lesern mitteilten. (…)

Wie groß die Macht von „Bild“ wirklich ist, zeigte sich wenig später, als das RTL-Magazin „Explosiv“ den „Bild“-Artikel aufgriff und zweieinhalb Millionen Zuschauer wissen ließ, daß sich Harmstorf nach einem blutigen Selbstmordversuch in der Psychiatrie befindet. Doch der war zu Hause, ging nach dem Bericht ins verdunkelte Schlafzimmer und beobachtete die Straße vor dem Haus. Als ihn seine Lebensgefährtin am nächsten Morgen erhängt auf dem Dachboden fand, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. (…)

Rund eine Woche später wurde der Fall Raimund Harmstorf journalistisch abgeschlossen. Per Ferndiagnose brachte das Schwesterblatt der „Bild“, die Berliner „BZ“, die unschöne Angelegenheit auf den Punkt: „Er hat den Starken gespielt und sich furchtbar schwach gefühlt. Ein Zwiespalt, so unerträglich, daß sich Schauspieler Raimund Harmstorf am vergangenen Sonntag auf seinem Bauernhof erhängte.“ So einfach.

Und zehn Jahre später schreibt die Nachrichtenagentur ddp lapidar, es sei davon auszugehen, dass Thomas Kretschmann ein ähnliches Schicksal wie Harmstorf erspart bleibt. Harmstorf mit seinem „privaten Pech“.

33 Replies to “Was ddp Raimund Harmstorf nicht erspart”

  1. (Das ist mein erster Kommentar auf dieser Seite (obwohl ich den Blog schon seit Monaten lese) also bitte nicht böse sein, wenns mit dem Stil etwas hapert)

    Ich finde es abschäulich, dass solche Dinge geschehen. Noch viel schlimmer ist es natürlich, dass so etwas unentdeckt bleibt. Ok, dass gleiche Problem haben wir mit vielen anderen Dingen (bsp. Call-in) aber hier geht es um das Leben eines Menschen.

    Mir scheint übrigens schon die Bemerkung, dass ihm hoffentlich ein „Selbstmord“ erspart bleibt dermaßen daneben; sowas kann man doch nicht schreiben.

  2. Ich verstehe den Artikel irgendwie anders: ich denke der Autor meint, dass der neue Seewolf nicht in jeder Sendung gefragt werden wird, ob er rohe Kartoffeln in seiner Hand zerdrücken kann. Mehr nicht. Unglücklich formuliert aber bestimmt nicht auf den Selbstmord bezogen…

  3. philipp: hier muss sich niemand für seinen vermeintlich schlechten „stil“ entschuldigen. blogs sind gerade dafür da, auch mal schnell und nicht drölf mal korrekturgelesen seine meinung zu posten.

    dementsprechend: schön, dass du aus der „stillen masse“ ausbrichst! :-)

  4. Hm, das liest sich vor Allem wie eine verunglückte Überleitung. Der Autor des Artikels wollte nochmal was zu Harmstorf sagen und wusste nicht wie er die Überleitung macht. Was denkbar blödes dabei rausgekommen, ja.

  5. Für mich ein Zeichen, dass so etwas auch heute wieder passieren kann. Nicht mit Kretschmann (dafür wäre wohl auch der Film nicht prestigeträchtig genug), aber ich befürchte, dass einige Boulevardzeitschriften noch immer so unberechenbar auf Schlagzeile aus sind, dass die Menschen hinter ihren Themen zu Opfern werden. Stefan, danke, dass du uns das erzählst. Ich denke, man kann nie genug darauf aufmerksam machen, was der Effekt der täglichen Bildschlagzeilen sein kann.

    Ach ja, doof ist RP-Online wahrscheinlich aber schon noch, oder? Ich könnte wetten, die haben eine Fotoserie mit Kretschmann und Harmstorf. Mann mann, dabei ist die Wikipedia doch total umsonst verfügbar …

  6. oh, man sollte nachschauen bevor man postet. In der 12-teiligen fotostrecke ist kein Bild von Harmstorf drin.

    interessant aber trotzdem seit relativ kurzer Zeit anstatt dem letzten Bild auf die Fotostreckenübersichtslinkseite zu verlinken. Spiegel Online macht das mittlerweile auch. Mich nervt es jedesmal, vor allem bei der Strecke, die des Kaisers neue Kleider zeigen :(

  7. „Überleitung aus der Hölle“, sehr schön. Unter Journalisten übrigens genauso beliebt, wie das unsägliche Kommentar-Schlusswort: „Bleibt zu hoffen, dass ihm…“. Oder die Turi-Phrase: „Ob ihm ein ähnliches Schicksal erspart bleibt? Unklar.“

  8. „… zeitlebens in Fernsehshows mit der Frage konfrontiert worden, ob er tatsächlich eine rohe Kartoffel auf diese Weise pürieren könne.“

    Die damaligen Reporter/Redakteure/Moderatoren haben halt nur immer wieder die falsche Frage gestellt. Auf die Idee, vorgekochter Pellkartoffeln, ist man wohl erst später gekommen.

    Wie viele Menschen haben es nach der ersten Ausstrahlung des Original versucht, eine rohe Kartoffel wie Wolf Larsen zu zerdrücken. Ehrlich, ich auch, damals in der 2. Klasse.

  9. Die Harmtorf-Geschichte ist meiner Meinung nach eine der schlimmsten Aktionen die BILD je gefahren hat.

    Natürlich ist deine Überleitung von seewolf noch mal zurück auf diese Ereignisse sehr holzhammermäßig. Aber gerade, weil diese Glanzleistung von BILD sehr schnell wieder in Vergessenheit geraten ist und gerade weil meiner Meinung nach BILD viel zu glimpflich aus der Sache herauskam und natürlich nichts dazu gelernt hat, verzeihe ich dir das.

    Meinetwegen kann diese Story jedes Jahr wieder aufgewärmt werden. Viel zu wenige Leute wissen davon, was BILD damals getrieben hat und wie sie diesen armen Menschen äußerst fahrlässig blosgestellt haben.

  10. Tja, ich schätze, da hatte jemand noch viel Platz zum Vollschreiben gehabt und leider ist uns dieses Schicksal nicht erspart geblieben, diesen unreflektierten Unsinn zu lesen zu bekommen.

  11. Es passt schon in „Doof wie RP-online“. Wobei ich bei einer Absatzüberschrift kurzfristig dachte, dass ein Hauch von Selbsteinsicht des Schreibers spürbar ist: Von lauter ‚Kleinhirnen‘ umgeben steht da.

    War aber nicht so gemeint. Hätte allerdings gut gepasst.

  12. Ich warte auf den Tag, an dem mindestens 80 % der hier Kommentierenden wenigstens 90 % der Rechtschreibregeln beherrschen und z. B. Großbuchstaben nicht nach dem Zufallsprinzip verteilen. Das nur mal so zwischendurch.

  13. im 20. jahrhundert, als ich selbst noch bei einer redaktion im privatfernsehen zu schaffen hatte, dachte ich ja immer, wer bei den agenturen arbeitet ist ein richtiger journalist und wir sind nur die verwurster. wenn ich diesen ehrabschneidenden, jämmerlichen und peinlichen gedankenfurz da oben sehe, merke ich, wie falsch ich doch lag und wie froh ich bin, dass ich mit dem ganzen nichts mehr zu tun hab.

  14. Ich schließe mich #2 an. Das war anders gemeint.
    Obwohl: Das hier intendierte würde aber auch gut passen. Wir alle hoffen, dass dem anderen Schauspieler die Bild-Investigationen erspart bleiben.

  15. Da wird sich der Thomas Kretschmann aber freuen, dass ihm die Sorte Schicksal wahrscheinlich erspart bleiben wird. Er hat bestimmt die ganze Zeit Nägel gekaut und gegrübelt, ob es ihm wohl wie Harmstorf gehen wird. Da ist jetzt aber eine Kampagne in der interessierten Presse fällig: Kein Parkinson – Jubel bei Kretschmann. Oder: Seewolf Kretschmann – doch kein Selbstmord.
    Natürlich reich bebildert: Dackel Wuffi freut sich: Herrchen bleibt, oder So freut sich seine Lena, oder ganz tief in die Pathoskiste gegriffen (Bild von Kretschmanns angeblichem Familiengrab, leere Grabsteine): Wird noch lange frei bleiben. Auch seine Kinder könnte man befragen (oder sich Statements von denen ausdenken, was soll’s) und zitieren. Wegen dem human interest.

  16. auch von mir danke, Stefan – kannte die Geschichte schon, aber man braucht immer wieder mal die ganz deutliche Erinnerung, warum die leichtfertig dahingeschriebenen Artikel in BILD eben keine „harmlose Übertreibung“ sind.

  17. Wenn die RP-Online den Artikel „zum Eigenbericht umdeklariert,“ dann bürgt oder haftet sie natürlich auch für den Inhalt. Drum hätte „Doof wie RP-Online“ durchaus gepasst.

  18. Hm, die Aussagen von ddp sind in jeder Form eine Frechheit.

    Hatten die Aktionen von Bild eigentlich juristischen Konsequenzen?

    Wahrscheinlich doch eher nicht, Opfer ist ja tot und der BGH kennt sowieso keine Persönlichkeitsrechte – damals noch weniger als heute…

  19. man sollte bei der ganzen bild-geschichte bedenken: bild ist nicht eine anonyme organisation. da schreiben menschen, einzelne leute. diese redakteure wissen was sie tun, spätestens danach: was sie getan haben.
    hier würde mich mal interessieren, was den bild-schreibern danach so durch den kopf geht. oder ob sie doch eher in einer parallel-scheinwelt leben. bild an sich gibt ihnen eine gewisse anonymität. es sagt ja keiner der xy hat das in bild geschrieben. es heisst (fast) immer: bild hat geschrieben, oder in der bild steht…

  20. Ich weiß noch, dass ich die Schlagzeile am damaligen Tag so geschmack- und respektlos fand, dass ich die Blödzeitung seither nicht mehr gekauft habe und ansonsten tunlichst ignoriere. Das geht einfacher als man denkt.

  21. @ 25
    Ja ich Weiß das es Hier ja Nich so daruf an kommt und Niemand lacht. Sowie Owi (der aus dem Weinachts Lied).

  22. Wenn er es vom Himmel aus las, ist es ihm egal. Er hat nicht den Schwachen *gespielt* er war es und wenn andere in ihrer Fantasie etwas anderes derartiges denken sind sie in meiner Hinsicht fehlerhaft,
    es kann jemandem egal sein, denn jeder Mensch hat seine Fehler und Schwächen. Harmstorf hatte einfach nicht die richtige Frau gefunden, vlt. liebte er sie wirklich, aber wenn er eine wirkliche Frau gefunden hätte, kein Mädchen sondern eine Frau und er hätte sie Geliebt wirklich geliebt, wäre er stärker Gewesen, er hatte nie das Glück gehabt stark zu sein, er hatte nur das Glück, das er es einmal sein durfte, einmal stark, er wollte sich verbessern, in dem er diese starken Rollen meisterte, er hatte es aber nicht Geschafft.
    Und eine wirkliche Frau hätte eine Solche Selbstbeherrschung, ja sie hätte niemals geweint, keine derartigen Gefühlsbrüche erlitten…
    Das leben geht weiter und ich bin mir sicher er hört und oder vlt. lebt er sogar wieder auf Erden als ein anderer Mensch weiter.

    JH

  23. Ich bin ein Fan von Raimund Harmstorf und hätte ihn gerne einmal kennen gelernt. Ich sehe seine Filme heute noch sehr gerne auf DVD. Das was damals passiert ist, das ist sehr traurig und zeigt das die meisten Menschen sich zu wenig oder auch keine Gedanken um andere machen. Die Presse geht über Leichen wenn Sie dafür eine Schlagzeile bekommt.

  24. Dieses teuflische Schmierenblatt sollte eingetlich kein Mensch mehr kaufen. Aber auch die deutsche TV Landschaft ist ein Hyänenloch, wie kann man einen derart guten Schauspieler nur so hängen lassen. In den States wäre Raimund aufgrund seiner imponierenden Präsenz und seinem Können ein Megastar geworden.
    Stattdessen werden hier in der BRD Lachtauben wie Till Schweiger oder Heiner Lauterbach , Bully Herbig oder anderen Knalltüren vergöttert.
    Da schau ich mir lieber zum 100mal den Seewolf an. Einen schönen guten ABend noch und Gott segne Raimund und sein Umfeld.

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