Und plötzlich, wie ist aus dem Nichts, ist sie ein Fernsehstar.
Das stimmt natürlich gar nicht. Erstens steht Ina Müller seit fast fünfzehn Jahren auf der Bühne, spielt Kabarett und singt. Und zweitens ist sie noch kein Fernsehstar, jedenfalls nicht in dem Sinne, dass sie vor einem Millionenpublikum die Showtreppe herunterkommt. Aber mit einem Mal ist sie überall. Sitzt bei Kerner und in „Zimmer frei“, moderiert im NDR-Fernsehen Sendungen wie „Inas Norden“ und „Land und Liebe“ und seit letztem Jahr sogar eine eigene Late-Night-Show. In einer engen Kneipe am Hamburger Hafen empfängt sie Gäste und singt und trinkt mit ihnen und schafft es regelmäßig, die Atmosphäre eines wunderbar ausgelassenen Abends zu schaffen, bei dem man am nächsten Tag das Gefühl hat, dass der Alkohol nicht unwesentlich zum Gelingen beitrug, aber nicht nur im negativen Sinne. Denn neben all der ungebremsten Albernheit gibt es darin besondere Momente, vor allem wenn die Gäste gemeinsam musizieren und man allen Beteiligten anmerkt, dass das der Grund ist, warum sie Künstler geworden sind: dieses Glück, mit anderen Menschen zusammen zu spielen. Und plötzlich passiert es, und man fragt sich, warum darauf nicht vorher schon jemand gekommen ist: Diese tolle Frau in eine winzige Kneipe auf St. Pauli zu stellen, mit Annett Louisan zu singen und sich von einem Wildecker Herzbuben live auf der Trompete begleiten zu lassen, während ein Shanty-Chor vor dem Fenster auf seinen Einsatz wartet. Es sind Kombinationen, die es nur gibt, weil das Fernsehen da ist, bei denen aber keiner wirkt, als macht er das fürs Fernsehen.
Man kann den Zauber von Ina Müller schlecht beschreiben, ohne das abgegriffene A-Wort zu benutzen: Authentizität. Sie hat eine jahrelang auf der Bühne geschulte Natürlichkeit, und auch wenn man weiß, dass ihre Antworten, die sie bei Kerner auf die elende Frage gibt, ob sie, als Frau über 40, denn keiner Kinder will, aus ihrem Bühnenprogramm stammen, ändert das nichts daran, dass man ihr jedes Wort glaubt. Unverstellt und unkalkuliert wirkt sie, und unverkrampft besonders. Und bei aller lauten Energie und sichtbaren Lust, als Entertainerin auf der Bühne und vor der Kamera zu stehen, scheint sie merkwürdig entspannt und ohne jeden Druck, sich zu produzieren.
In der Sendung am Freitag hat sie mit Ingo Pohlmann „Wenn jetzt Sommer wär“ gesungen, nur begleitet von der Gitarre und einem Cellisten, die meiste Zeit war sie nicht einmal im Bild, und es war kleines Fernsehen, so groß, wie es das Große ungefähr nie hinbekommt.
(c) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Danke Stefan für diesen schönen Artikel.
Endlich versteht jemand diese Frau!
Okay. Ich mag sie auch.
Und zusätzlich möchte ich noch bemerken, dass, wer so einen Hit wie „Lieber Orangenhaut als gar kein Profil“ raushaut, nicht zwangsläufig auf „Ente mit Akne“ stehen muss. ;)