Moooment mal, Herr Hinrichs

Ich mag das „Tagesschau“-Blog. Ich glaube, das Prinzip ist genau richtig: den Lesern Einblicke in Entscheidungsprozesse geben, sich mit Kritik auseinandersetzen, ein paar Anekdoten erzählen, ein bisschen Dampf ablassen. Manchmal ist etwas viel Eigen-PR dabei, und von der schonungslosen Transparenz einer BBC ist man noch ein gutes Stück entfernt, doch die Richtung stimmt.

Aber Voraussetzung dafür, dass das funktioniert, ist bei aller zulässigen Positivdarstellung der eigenen Arbeit eine gewisse Grundehrlichkeit, die so ein Blog von den kalkuliert geschönten Pressemitteilungen unterscheidet. Und die vermisse ich, wenn Thomas Hinrichs, der Vize-Chef von ARD-aktuell, über das Gemäkel von Medienjournalisten über die Quote der „Tagesthemen“ heute ironisch schreibt:

Wir haben im letzten Jahr soviele Zuschauer gehabt wie seit sechs Jahren nicht mehr. Jedes Jahr ein paar mehr. Wir wissen auch nicht, wie das passieren konnte, und ich möchte mich auch entschuldigen bei denen, die sich umsonst Sorgen gemacht haben.

Das ist unredlich. Wie es „passieren konnte“, dass die Zuschauerzahlen im letzten Jahr stiegen, weiß Hinrichs genau: Die „Tagesthemen“ begannen 2006 eine Viertelstunde früher als 2005. Eine entscheidende Viertelstunde, weil um diese Zeit viele Menschen ins Bett gehen. Sendungen, die später laufen, müssen ihr Publikum aus einer deutlich kleineren Gesamtzahl von Fernsehzuschauern schöpfen.

Deshalb ist das Gemäkel an den Zuschauerzahlen der „Tagesthemen“ trotz des Zuwachses gerechtfertigt. Der Marktanteil der Sendung ist nämlich deutlich gesunken: Statt 11,5 Prozent schauten nur noch 10,6 Prozent all jener, die zu der jeweiligen Zeit den Fernseher laufen hatten, die „Tagesthemen“.

Und das ist eine Entwicklung, die auch Herrn Hinrichs „verknautscht“ gucken lassen dürfte.

9 Replies to “Moooment mal, Herr Hinrichs”

  1. Womit aber wieder mal bewiesen wäre, dass sich mit Statistiken alles und das Gegenteil von allem beweisen lässt. Jedenfalls trifft das für 50 % der Statistiken zu. Für die anderen 50 % gilt genau das Gegenteil vom ersten Satz.

  2. @Schnitzel:
    Können Sie Ihre Behauptung mit einer Statistik hinterlegen?
    Man muss nur seine eigene Wahrheit haben, dann klappt es auch mit Grundehrlichkeit. Also bitte 0,9 Prozent? Wie hoch ist denn die Standardabweichung?
    Vielleicht hat Hr. Hinrichs eine nur ihm bekannte Gewichtung bei den Zuschauern vorgenommen. Und reicht dieses 1-dimensionale Zählen von Köpfen, die auf irgendwelche Bildschirme glotzen, generell als funktionales Modell aus? Was bedeutet letztlich der Marktanteil für die Tagesthemen? Dürfen die dann jetzt weniger Werbung machen? Machen die überhaupt Werbung? Was ist mit dem öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag? Dafür gibt es doch bestimmt einen einschlägigen Begriff.

  3. @schnitzel: Man kann mit Statistiken weder alles noch das Gegenteil beweisen, wenn man die Frage klar formuliert und abgrenzt. Dann kann man höchstens noch vera@!#°t werden. Ein guter Versuch war’s ja vom Herrn H., der ist ein ganz ein schlauer! Hat das Wort Quote nicht in den Mund genommen und ist deshalb fein raus.
    Andererseits: Kann man die Quoten überhaupt vergleichen? Sind die Zielgruppen noch die selben?
    Wenn die Tagesthemen jetzt immer Sonntag morgens um 8 Uhr zeitgleich mit Teletubbies liefen, hätten sie sicher auch einen schweren Stand… A OH :-)
    Wir reden von 15 Minuten, das ist viel Zeit. In 15 Minuten verschleudert die Sonne ein paar Millionen Tonnen Masse in den Weltraum und der Herr Gottschalk genauso viel blauen Dunst in die Zuschauerränge.
    (oberlehrerhaft:) UNTERSCHÄTZEN SIE NIE DIE ZEIT, MEINE DAMEN UND HERREN.

  4. @stefan mit f:
    ich halte es für unrichtig, dass man die quote bei den öffentlich-rechtlichen nur deshalb als unwichtig ansieht, weil da zu bestimmten zeiten keine werbeblöcke vermarktet werden. quote ist auch legitimation – in diesem fall für die gebühren. das wichtigste nachrichtenmagazin eines senders muss sich auch an abweichungen um 0.9 prozent sorgen machen.
    im übrigen, herr niggemeier, vielleicht können sie das ja mal irgendwo aufgreifen: interessant ist die form der qualitativen auswertung abseits der marktanteile, wie es die schweizer betreiben. die bewerten ein programm auch mit einer skala. so könnte man endlich einmal programme erfassen, die nicht nur trotz, sondern auch wegen ihrer qualität gesehen werden. denn wieviele leute sehen sendungen, gehen in die quote als zuschauer mit ein, sind aber damit unzufrieden, was sie gesehen haben.
    so würde es auch weniger leicht fallen, die statistik zu lesen wie es beliebt.

  5. es sind übrigens nicht 0,9 prozent, sondern 0,9 prozentpunkte (in diesem fall fast 8 prozent).

    und es geht mir gar nicht so sehr darum, ob die „tagesthemen“ sich nun darum sorgen machen müssen oder nicht. es geht um den falschen eindruck, die „tagesthemen“ hätten auf wundersame weise trotz verzicht auf bunte boulevard-effekte zuschauer gewonnen – ohne den offensichtlichen hauptgrund (die verschiebung der sendezeit) überhaupt zu erwähnen.

  6. es ist deutlich geworden, wie sie das gemeint haben. das schließt ja nicht aus, dass man mal über die möglichkeiten der medienforschung diskutiert.

Comments are closed.