Von Kometen, chinesischer Tröpfchenfolter und kollektiver Amnesie: Ein Streifzug durch die bunte PR-Welt der Medien.
Glaubt man Katastrophenfilmen, lautet die Regel so: Wenn du einen riesigen Kometen auf dich zurasen siehst und nur eine kleine Rakete hast, mit der du ihn nie ganz zerstören kannst, schieße trotzdem. Wenn du Glück hast, zerbröselt es den Kometen zu mehreren kleineren Meteoriten, die mit Verzögerung auf dich abregnen. Die tun zwar weh, aber sie vernichten dich nicht.
Zur Zeit regnet es Meteoriten auf Viva. Der Sender hat sich entschieden, seinen Sender Viva 2 einzustellen, weil der partout keine Gewinne abwerfen will und sich für die wertvollen Satellitenplätze bestimmt eine profitablere Verwendung findet. Das ist wirtschaftlich möglicherweise vernünftig. Aus PR-Sicht ist es eine Katastrophe. Dieter Gorny hat Viva 2 über Jahre als Vorzeigeprojekt gepflegt: Es war Der Gute Musiksender, der Talenten jenseits des Mainstream eine Chance gab, die Plattenindustrie glücklich machte und die Musikliebhaber auch. Er öffnete Türen zu Kulturämtern und Landesmedienanstalten. Er war ein Alibi, auf das Gorny verweisen konnte, wenn Viva wieder in die Kritik kam, weil es so gnadenlos auf Mainstream setzte.
Mit der Bekanntgabe, Viva 2 einzustellen, hätte Viva einen Kometen in Bewegung gesetzt. Zeitungen hätten vom „Scheitern“ gesprochen und über die reine Gewinnmaximierung geschrieben, der sich der Musikpädagoge und Schröder- Berater Gorny als Chef eines nun börsennotierten Unternehmens verschrieben habe. Einmal etabliert, hätte sich der Trend verschärft: Journalisten hätten versucht, sich gegenseitig an Horrormeldungen zu überbieten. Journalisten sind so.
Also zündete Viva eine kleine PR-Rakete. Der Sender sprach nicht von einer Einstellung, sondern einer „neuen Programmstruktur“. Er behauptete, Viva 1 und 2 ließen sich fusionieren, weil das Viva-1-Publikum fast nur tagsüber und das Viva-2-Publikum fast nie tagsüber vor dem Schirm sitze. Er verkaufte es als moderne Idee, einen Musiksender zu machen, der je nach Uhrzeit andere Leute anspreche: „ein von gedanklichen Scheren befreites Musikprogramm“, zitierte eine Unternehmensmeldung den neuen Programmchef Stefan Kauertz. Als Sprengstoff füllte Viva in seine Rakete den Satz, Viva 2 sei nur ein „strategisches Tool“ gewesen, das sich erledigt habe, weil der Kampf gegen MTV gewonnen sei: „Die Marktführerschaft ist entschieden.“
Nun kann man zu dem Schluss kommen, dass das ungefähr so viel Sinn macht, als würde McDonald`s in Zukunft keine Chicken McNuggets mehr anbieten, weil man ohnehin im Moment mehr Kunden habe als Burger King. Man könnte sich erinnern, dass Gorny jahrelang erklärt hat, dass es ein Nachteil von MTV sei, mit einem Programm zwei Zielgruppen bedienen zu müssen. Andererseits ist der Gedanke, der Kampf sei irgendwie entschieden, spontan eingängig und überzeugend bei Journalisten, die sich im Musiksender-Gewimmel nicht so auskennen oder gleich Redaktionsschluss haben. Und so wurde die Vivaversion der Ereignisse zwar nicht vollständig übernommen, blieb aber der Rahmen, an dem sich die Berichterstattung entlang hangelte. „Viva wieder vereint – MTV zittert“, schrieb eine Kölner Zeitung.
Jetzt aber sind die Brocken angekommen und regnen auf den Sender herab. In Max und jetzt erschienen kritische Artikel über das Ende von Viva 2, in denen sich nur noch Reste der Beschönigungsversuche wiederfinden. Trotzdem: Kein Vergleich mit dem, was auf den Sender sonst herabgeprasselt wäre.
Pressemitteilungen erzählen nicht nur viel über PR, sondern auch über die Journalisten, an die sie adressiert ist. Denn der Gedächtnisverlust, der die Pressestelle befällt, wenn es in die Strategie passt, trifft oft auf ebenso vollständige Amnesie bei den Empfängern. Dass Gorny gestern noch das Gegenteil von dem gesagt hat, was er heute sagt – wer erinnert sich?
Ein weites, ein besonderes Feld
PR von Medienunternehmen ist ein weites Feld: Über 1500 Pressemitteilungen hat allein Pro Sieben mit seinen Töchtern im ersten Quartal verschickt. Ein besonderes Feld ist es auch: In dieser Branche haben sich die Grenzen von der Unternehmens-Information hin zum Werbetext weiter verschoben als in jeder anderen. Das liegt daran, dass die Inhalte meist nicht auf die Verbraucher zielen, sondern auf die Branche, die Konkurrenz, die Werbekunden. Wenn bei einem Automodell immer ein Reifen abfällt, wird der Hersteller kaum versuchen, Dreiradfahren als neue Mode zu verkaufen. Die Medien versuchen Ähnliches täglich. Nur wenn der Zuschauer sich betrogen fühlen kann, wie bei den Heiratsmillionärsshows Anfang des Jahres, packen die Sender die Wahrheit schnell ungeschönt auf den Tisch. Sonst sind sie erfinderisch.
RTL 2 zeigt mittags mehrere Stunden Kinderprogramm. Um diese Zeit ist der Sender bei Kindern sehr erfolgreich; insgesamt kann er mit der Sparten- Konkurrenz nicht mithalten. Das klingt natürlich nicht sehr griffig. Hübscher klingt es, die Stunden, in denen RTL 2 Kinderprogramm sendet, zur „Kinder- Prime-Time“ zu erklären und sich selbst zum „Marktführer in der Kinder-Prime- Time“. Die meisten Kinder sitzen zwar nicht nachmittags, sondern abends vor dem Fernseher. Aber wer weiß das? Außerdem setzen spätestens nach der vierten Kinder-Prime-Time-Pressemitteilung die zermürbenden Effekte einer chinesischen Tröpfchenfolter ein. Und möglicherweise denkt der Redakteur, der am nächsten Tag eine widersprechende Pressemitteilung des tatsächlichen Marktführers bekommt, dass einfach beide ihn verladen wollen.
Weil der Chef tobte
Schwieriger wird die PR-Arbeit, wenn der Komet längst eingeschlagen ist. Sich dann hinstellen, auf den Krater zeigen und sagen: „Eigentlich ist der gar nicht so groß“ ist selten ein würdevoller Akt. Wenn man sie nicht zitiert, sagen einem Pressesprecher schon mal, dass sie dies gelegentlich nur tun, weil ein Vorgesetzter getobt hat. Jedenfalls flattern einem dann Pressemitteilungen wie diese von Pro Sieben auf den Tisch: „Entgegen der Meldungen einiger Agenturen und Branchendienste ist Pro Sieben sehr zufrieden mit der Quotenentwicklung der Comedy-Show TV total – sie entspricht voll den Erwartungen.“ Ach?
Der Branchendienst kress hatte unbestrittene Quoten der Sendung abgedruckt, kritisch kommentiert und darauf hingewiesen, dass Pro Sieben die Werbepreise senkt – was ungefähr nie für „voll erfüllte Erwartungen“ spricht. Was also erreicht die ProSieben-Mitteilung? Sie macht nur noch mehr Journalisten darauf aufmerksam, dass manche an der Entwicklung von TV Total zweifeln. Andererseits sehen PR-Experten gelegentlich einen positiven Effekt: Manchmal verhindere eine kurze, selbst hanebüchene Reaktion, dass Journalisten in einer Spirale nach unten immer böser voneinander abschreiben. So bleibe die Berichterstattung wenigstens konstant auf negativem Niveau.
Wenn alles nichts hilft, der Krater da ist und sich nicht wegreden lässt, müssen Formulierungskünstler ran, die sich vorher in Seminaren „Schöner Sterben“ qualifiziert haben. So erklärte die Milchstraße, als sie mitteilen musste, dass ihre Zeitung Net-Business wegen Auflagen- und Anzeigenflaute nur noch halb so oft erscheint, nicht nur, dass so in Zukunft mehr Zeit zur Recherche bleibe. Sie fügte auch zwei der schönsten PR-Sätze des Jahres hinzu: „Die Verlagsgruppe Milchstraße richtet Net-Business unternehmerisch und publizistisch konsequent an der aktuellen Marktsituation aus. Hintergrund … ist die starke Veränderung des Neuen Marktes.“ Der Neue Markt ist tot, es lebe Net-Business!
Ein erheblicher Teil der Pressemitteilungen, die die Medien produzieren, ist Desinformation. Kein Wunder. In einer Maschinerie, in der Journalisten die Aussagen jedes PR-Textes routinemäßig um ein paar Grad abkühlen, hat die nüchterne, realitätsnahe Mitteilung keine Chance. Ein PR- Mensch, der einmal eine Meldung nicht aufbläst zum großen Jubel und dann feststellt, dass die Journalisten die mangelnde Begeisterung als Zeichen für eine tatsächliche Katastrophe deuten, dieser PR-Mensch wird seine nächste Meldung anders formulieren. So entsteht ein Kreislauf, bei dem die PR-Leute auf ihre Meldungen immer mehr draufpacken und die Journalisten von den Meldungen immer mehr abziehen, und wo das hinführt, weiß niemand.
Außer vielleicht zu einer plötzlichen, unerwarteten Wertschätzung der Art Pressearbeit, wie sie die Sprecher – besser: Schweiger – von Springer oder Kirch pflegen: Während um sie herum das Chaos tobt, geben sie routinemäßig, zur Not schriftlich, „zu Spekulationen keine Stellungnahme ab“. Und wenn sich der Nebel gelichtet hat, kommt ein Fax mit einem einzigen Satz: Herr X. hat das Haus im gegenseitigen Einvernehmen verlassen.
Da weiß man, was man hat.