Süddeutsche Zeitung
Dieter Gorny sitzt in seiner Suite in einem Hamburger Hotel und ist zufrieden mit sich und der Welt. Am Tag zuvor hat der Musiksender MTV seinen Abschied aus der Stadt bekanntgegeben. Aus der Routinereise des Viva-Chefs zu Musikproduzenten und Agenturen ist plötzlich ein kleiner Staatsbesuch geworden. Hamburger Politiker rufen an und bitten dringend um ein Gespräch. Journalisten geben sich die Klinke in die Hand. Die Sonne scheint.
Im Gegensatz zu Gorny hält MTV-Chefin Christiane zu Salm nicht Hof. Deshalb läßt sich nur vermuten, daß auch sie strahlt. Hat sie es doch nach monatelangen Verhandlungen geschafft, der Bayerischen Staatsregierung Geld für den Umzug nach München aus der Tasche zu leiern – vier Millionen sollen es sein. Doch da eine Entscheidung selten zwei Konkurrenten gleichermaßen dauerhaft beglückt, stellt sich die Frage, wer zuletzt lachen wird.
Christiane zu Salm kennt das TV-Geschäft. Sie hat dank des absurden Wettlaufs der Medienstandorte geschafft, was in kaum einer anderen Branche denkbar wäre: Für ein Unternehmen Subventionen zu bekommen, das 1998 mit 26 Millionen Mark Gewinn rechnete. Nun sind vier Millionen Mark für einen Sender wie MTV eine Menge Geld – nicht viel höher ist etwa der Jahresetat für die deutschen Sendungen. Aber auf Dauer sind solche Einmalzahlungen ohne Bedeutung, es sei denn, ein Fernsehsender wechselte jährlich seinen Standort. In Hamburg hat zu Salm dagegen mehr verlassen als nur eine Stadt, die ihr keine Millionen zahlen konnte und wollte.
Vom Musik-TV-Geschäft versteht zu Salm nicht viel. Das wäre nicht so tragisch, hätte sie ihre Führungsriege nicht mit Leuten bestückt, denen es genauso geht. Für Musiksender gelten eigene Regeln. Das fängt damit an, daß A und O des Geschäftes nicht Quoten sind, sondern Glaubwürdigkeit. In der Reichweite werden Viva und MTV nie mit RTL 2 oder Pro Sieben mithalten können. Aber sie können eine viel größere emotionale Nähe und Überzeugungskraft zu Teenagern aufbauen – nur das macht sie interessant für Werbekunden. Dazu muß ein Sender dicht an der Szene und den Trends von morgen sein. Über die zukünftige MTV-Heimat München läßt sich einiges Positives sagen. Daß von ihr die angesagtesten Mode-, Musik- und Jugendkulturtrends ausgehen, gehört eher nicht dazu.
Musiksender sind in der kuriosen Situation, daß die Plattenfirmen gleichzeitig Produzenten und Kunden sind: Sie liefern die Videos und werben für die Musik. Die Musikbranche aber sitzt in Hamburg. Die Werbebranche auch. Die kurzen Wege waren ein Vorteil, um den Viva MTV bislang beneidet hatte. Auf seinen Reisen zu Produzenten und Kunden verbringt Gorny regelmäßig vier Tage in Hamburg. München schafft er in einem.
Und dann ist da noch Viva 2: Ambitioniert, laut und billig, für Leute, die weder DJ Bobo noch Rolling Stones, sondern Guano Apes hören wollen; von Gorny mit viel PR als Alternative für die Leute verkauft, die das alte, schräge MTV vermissen. Solange MTV fest in Hamburg saß, verhinderte die Landesmedienanstalt HAM, daß Viva 2 ins Kabel kam. Das tat Gorny weh. Weil Viva 2 naturgemäß eher was für Großstadtmenschen ist als für die Bewohner Mittelhessens. Und weil ausgerechnet die Masse der Werbe-, Musik- und Medienleute sein verlustmachendes Prestigeobjekt nicht sehen konnte – und deshalb nicht buchte oder drüber schrieb.
Das ändert sich jetzt. Vermutlich noch im Sommer wird die HAM bekanntgeben, daß Viva 2 ins Hamburger Kabel kommt. Im Gegenzug wird Viva bekanntgeben, die örtliche Musikszene mit ein paar Hunderttausend Mark zu fördern. Ähnliche Geschäfte hat Gorny schon in Niedersachsen und Berlin abgeschlossen. Gespräche in Hamburg gab es schon länger, aber die Verhandlungssituation hat sich geändert: Bislang brauchte Gorny Hamburg dringender als Hamburg Gorny. Seit dieser Woche ist das umgekehrt.
Christiane zu Salm kommt – wie der Großteil des neuen MTV-Managements – aus München und ist mit der Münchener Medienszene eng verbandelt. Wenn zu Salm in den vergangenen Monaten die Abwanderungspläne dementierte, tat sie das gerne entrüstet: „Sie glauben doch nicht im Ernst, daß wir umziehen werden, weil es mir persönlich in München besser gefällt?“ Eigentlich nicht. Aber nicht nur Dieter Gorny fällt kein anderer Grund ein.