Süddeutsche Zeitung
„Wer wird Millionär?“ ist ein Erfolg und hat es verdient.
Die gute Nachricht zuerst: Wegen Wer wird Millionär? muss kein Mensch in der Hölle schmoren. Günther Jauch nicht, die Kandidaten nicht und die Zuschauer auch nicht. Denn das Erfolgsgeheimnis der Sendung ist nicht, wie der Spiegel vermutet, Gier. Es ist die Spannung. Und Spannung ist keine Todsünde. Glück gehabt.
Ein Kandidat bekommt 15 Fragen mit je vier Antwortmöglichkeiten. Jede richtige Antwort verdoppelt seinen Gewinn. Bei einer falschen verliert er fast alles. Er kann jederzeit aussteigen. Simples Konzept. Wollte kein Sender haben. Deshalb packte Paul Smith, Chef der britischen Produktionsfirma Celador, die es sich ausgedacht hatte, zum x-ten Termin bei einem Senderchef vier Briefumschläge ein. Mit 250, 500, 1000 und 2000 Pfund und je einer Frage. Die erste: Was machen Aborigines mit Wurleys? Essen? Damit jagen? Damit spielen? Darin leben? Der Senderchef stieg schon bei 500 Pfund aus: Gier trieb ihn nicht. Aber die Spannung hatte ihn sofort gepackt. Er nahm die Show.
In England ist sie der Renner. In den USA (wo sie schon zwei Millionäre schuf) schlägt sie die beliebteste Sitcom Frasier. Sie läuft in Südafrika, Russland und fast ganz Europa. Bei RTL haben am Montag über zwölf Millionen Menschen die bis zum Frühsommer letzte Folge gesehen. Das ist phänomenal.
Wer wird Millionär? funktioniert wie ein klassischer Filmthriller. Es geht um Dramaturgie, Suspense: Die meisten Zuschauer werden einen erhöhten Puls gehabt haben. Musik mit Herzschlag. Lichteffekte, aber im entscheidenden Moment ist alles dunkel bis auf die Gesichter der Protagonisten. Ein Held, mit dem man sich identifizieren kann. Wie beim Thriller wollen die Zuschauer ihm zurufen: Geh‘ nicht da lang! Weil sie wissen, dass am Ende des Gangs die Gefahr droht. Oder es auch nur vermuten. Der Gang aber hat eine Wendung mehr, als wir vermuten; vor der erlösenden Entscheidung liegt immer noch ein Umweg. Genauso zögert Jauch die Auflösung immer weiter hinaus.
Und natürlich geht es bei dem Helden im Thriller nicht um Zweimarkfuffzig oder eine Schürfwunde, sondern um Alles oder Nichts. Deshalb muss es auch bei dieser Show um ganz viel Geld gehen, also am besten gleich um eine ganze Million.
Es gibt wenige Erfolge, die man RTL uneingeschränkt gönnen kann. Dieser gehört dazu. Am Ende der vorläufig letzten Folge sagte Jauch, in den Gesichtern der Kandidaten habe man „menschliche Leidenschaften gesehen, Abgründe, die sich offenbaren, Hoffnung, Glück, Dramatik, Trauer, Zuversicht, alles, was das Leben zu bieten hat“. Das ist ein Werbesatz und doch wahr, denn natürlich geht es auch um Voyeurismus. Andere Shows bedienen ihn mit 100 Tagen in Quarantäne und lebensgefährlichen Stunts. Es funktioniert auch mit 15 Fragen. Allein für diesen Beweis muss man Wer wird Millionär? mögen.
Die schlechte Nachricht zum Schluss: Die Nachahmer, die jetzt kommen, werden sich nicht auf Spannung allein verlassen. In den USA gibt es schon den verschärften Nachfolger, der auch an die Instinkte des Menschen appelliert, aber vor allem an niedere. Der Nachfolger heißt Gier.
P.S.: Wurleys heißen die Hütten der Aborigines.