Süddeutsche Zeitung
Premierenkritik zu „TV Total“ (Pro Sieben).
Über Rudi Carrell ist einmal gesagt worden, sein Erfolgsgeheimnis liege darin, daß seine Mundwinkel in einer Form festgefroren seien, die den (meist falschen) Eindruck erwecke, er lächle. Das stimmt nur fast. In Wahrheit – und schon für diese Erkenntnis muß man TV Total dankbar sein – gibt es bedeutsame Nuancen im Carrell’schen Mundwinkelkrümmungsgrad. Als Moderator Stefan Raab ihn in seinem Büro mit Ukulele überrascht und anfängt, ihm ein Ständchen zu singen, ziehen sich Carrells Mundwinkel nach oben und scheinen zu sagen: „Netter, junger Mann, hab‘ ich irgendwo schon mal gesehen, ist ja niedlich, komm‘ ich mal in eine andere Show als meine eigene.“ Raab singt Carrells alten Schlager „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“, allerdings mit dem Text: „Wann wirst Du wieder richtig witzig . . .“ – die Mundwinkel senken sich – „. . . so witzig, wie Du früher schon nie warst.“ Und spätestens an dieser Stelle bilden Carrells Falten nur noch formal ein Grinsen, anscheinend denkt er sich: „Sei froh, daß ich Profi bin und diesen Mist mitmache, aber wag‘ bloß nicht, eine zweite Strophe zu singen!“
Sowas kann Raab. Nicht nur Ukulele spielen, sondern dem Feind direkt ins Gesicht singen. Viel mehr muß er für seine neue Show nicht können, die die Fortsetzung von Kalkofes Mattscheibe mit anderen Mitteln ist und davon lebt, daß der Wahnsinn, der täglich auf den Kanälen tobt, die Vorstellungskraft immer noch um ein Vielfaches übersteigt. Im Regionalsender Südwest macht Dr. Carlo Bussi (!) Hüftübungen: „Schieben, und wieder rausziehen.“ Andreas Türck steht in seiner Talkshow mit „landminengroßen Schweißflecken“ unter den Achseln da. Und Moderator Adi Furler ist halbnackt und erschreckt uns, so Raab, mit seinen „Titten“. Gut, die mußten wir nicht unbedingt sehen. Aber in glücklichen Momenten baut TV Total aus den Schnipseln eine eigene Dramaturgie, und Raab nimmt ab und zu sogar den Blick vom Monitor, auf dem er sich selbst sieht.
Jetzt könnten wir noch ein wenig lamentieren über die Selbstreferentialität des Mediums. Andererseits sind die Müllberge, die es täglich produziert, so gewaltig, daß die ein oder andere Wiederaufbereitungsanlage, die sie recycelt, verbrennt oder schlicht öffentlich ausstellt, nicht schaden kann. Vor allem, da die Alternative aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Produktion neuen Mülls wäre.