2007 verschwand die dreijährige Madeleine McCann aus einem Hotelzimmer in Portugal. Der Fall sorgte damals für großes Aufsehen. Medien berichteten weltweit darüber. Maddies britische Eltern nutzten die Öffentlichkeit, um nach ihrer Tochter zu suchen und wurden zwischenzeitlich auch selbst verdächtigt, etwas mit deren Verschwinden zu tun zu haben. Und Maddie – ist bis heute nicht aufgetaucht.
Journalisten stürzen sich deshalb gerne auf jeden Hinweis, wo Maddie sein könnte. Und wenn der Hinweis noch so abwegig ist. Die HNA meldet heute:
Wer das liest, könnte zunächst denken, dass es sich bei der Leiche im Koffer um Maddie handelt – und dann auf den Artikel klicken. In der dpa-Meldung unter der HNA-Überschrift erfahren die HNA-Leser dann:
Die Polizei in Australien geht der Nachrichtenagentur PA zufolge nicht davon aus, dass es die Leiche von Madeleine McCann sein könnte.
Sie geht nicht davon aus. Weil es höchst unwahrscheinlich ist. Maddie verschwand in Portugal; die Leiche wurde nun gut 17.000 Kilometer entfernt gefunden – in Australien. Weil das tote Mädchen zwischen zwei und vier Jahren alt gewesen sein soll, auch blond und weil es vermutlich 2007 starb, also im Jahr, in dem Maddie verschwand, hat sich die britische Polizei, die in dem Fall ermittelt, an die Kollegen in Australien gewendet. Ist ja klar. Die gehen jeder Spur nach, sicherheitshalber.
Aber mal abgesehen von der Frage, wie Maddie von Portugal nach Australien gekommen sein soll, sagt die Polizei, dass neben der Leiche andere Kleidung lag als jene, die Maddie zuletzt trug. Und weiter heißt es, wie der „Guardian“ schreibt:
Australian police commissioner Grant Stevens told a parliamentary committee hearing: „There is absolutely no evidence at this point in time that the child is Madeleine McCann … to suggest something like that at this point in time would purely be speculating to get attention.“
Spekulieren, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Oder eben: Klicks, Leser. An einem Punkt, an dem es eher unwahrscheinlich ist, dass es Maddies Leiche ist. Möglich, aber unwahrscheinlich. Doch eine Möglich-aber-unwahrscheinlich-Überschrift bringt nicht so viel Aufmerksamkeit. Die mit dem Alibi-Fragezeichen hingegen… Und dann noch ein Foto von der blonden Maddie drunter… Läuft.
(Bild)
(news.de)
(krone.at)
Da schwingen die Narren wieder ihr Räppelchen !
Und schreiben ihre ‚witze‘ voneinander ab.
Sehr schön auch zu sehen, wenn man nichts weiß, endet der Titel mit einem Fragezeichen. Aber der Aufreger bleibt.
@reinerw: Japp, wenn ein Artikel heutezutage schon mit einem Fragezeichen endet, ist bereits klar, dass die Antwort höchstwahrscheinlich „Nein“ lautet.
Nicht nur die bekannte Schmierenpresse berichtet so.
Auch das Sinnbild des seriösen Online-Journalismus, SPON, missbraucht Kinderleichen und Elternleid routiniert für die Klickerzeugung:
„Kinderleichenfund in Australien: Maddie-Ermittler verfolgen neue Spur. … Seit acht Jahren wird das britische Mädchen Madeleine McCann vermisst. Jetzt wurden in Australien Überreste einer Kinderleiche gefunden. Die britische Polizei ist alarmiert. “
So steht das jetzt noch da, wenn auch nicht mehr auf der Startseite. Das macht mir doch wieder den Unterschied zwischen klassisch-seriösen Medien und dubiosen Websites und so dahergelaufenen Bloggern wie SN überdeutlich.
Die Meldung ist perfide, nicht nur weil mit dem Verweis auf den Fall Maddie Klicks erzielt werden sollen. Sondern auch weil ein neuer Fall eines toten Kleinkindes ja schon für sich genommen nicht minder schlimm ist, aber eben noch so erträglich anonym. Wenn sich nun endgültig herausstellt, dass das tote Kind im Koffer nicht Maddie ist, bricht ja keine „Erleichterung“ aus, außer bei Angehörigen, die noch an das Weiterleben ihrer Maddie glauben, und der Fall ist damit nicht geklärt. Allerdings würde mich auch solche Meldung: „Erleichterung: Kind nicht Maddie!“ beileibe nicht wundern.
Ich hab manchmal das Gefühl, dass sich diese „Journalisten“ bzw. Schlagzeilenerzeuger in einer Spielwelt wähnen … wo es gilt einen Highscore zu erreichen … erschütternd wenn man sich bewußt macht, dass das auch Menschen sind, die sich nach der Arbeit mit ihren Kindern an den Abendbrottisch setzen …
kurz:: ekelerregend!
„clickbaits“ halt … weiss einer wann genau sich die Rolle des Journalismus vom Informationsgeber zum bloßen Reichweitenvermittler bzw. „Zuhälter für Werbung“ aka „Werbe-Lude“ gewandelt hat?
Kotz!
Die Kwalitets-Schurnahließten des ehemaligen Nachrichtenmagazins waren auch vorn mit dabei:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/fall-maddie-ermittler-wollen-informationen-ueber-maedchenleiche-a-1045626.html
Überschrift: “ Kinderleichenfund in Australien: Maddie-Ermittler verfolgen neue Spur“
Heute wird nachgelegt – oder wie auch immer man das freundlich umschreiben soll:
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/maddie-mccann-leiche-von-maedchen-nicht-in-australien-a-1045817.html
Überschrift: „Fund in Australien: Mädchenleiche ist nicht Maddie“
Money quote: „In Australien wurde eine Kinderleiche gefunden – und Ermittler vermuteten, es könne sich möglicherweise um Madeleine McCann handeln.“
„Ermittler vermuteten“. So, so! Die Formulierung liest sich natürlich schöner als „Möchtegern-Journalisten zogen sich wilde Spekulationen aus dem Arsch“.
Sensationelle Neuigkeiten bei SPON: „Mädchenleiche ist nicht Maddie“ Klingt seriös.
Das Abendblatt hat nachgezogen.
http://www.abendblatt.de/vermischtes/article205517613/Fall-Maddie-Polizei-aeussert-sich-zu-Leichenfund.html
Was ein Glück, dass das nicht die Maddie war, sondern nur irgendein unbekanntes Mädchen.
Ich bin froh, dass es ausgebildete Journalisten gibt, die mir diese Infos bringen. Morgen kaufe ich sämtliche Print-Produkte am Bahnhof auf und bewerbe mich für ein Praktikum bei einer Redaktion. Irgendwie muss ich ja zurück geben.
Muss treverer da komplett zustimmen – geht gar nicht. Praktikum in der Redaktion wäre definitv eine Möglichkeit @Hans ;)