Was man nicht mit dem Zweiten sieht

Ich habe dann noch eine Frage zu dem Fernsehpreistheater am Wochenende.

Das ZDF hat aus der Preisverleihung am Samstag größere Teile herausgeschnitten, zum Beispiel eine nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten furchterregende Sketcheinlage von Johann Lafer und Horst Lichter und eine ganze Serie von lustig nur gemeinten Einspielfilmen (ausführlicher haben das die Kollegen von DWDL festgehalten). Das war natürlich im Sinne der Fernsehzuschauer, die so eine bessere und kurzweiligere Show sahen als die Gäste im Saal und geht insoweit völlig in Ordnung. Nur bezog sich der Wutausbruch von Marcel Reich-Ranicki ja gerade auf die Zumutungen dieser Preisverleihung. Offensichtlich waren sie es, die seine Ungeduld und Empörung auslösten, nicht der allgemeine Zustand des Fernsehens. Aber einen erheblichen Teil der Längen und Peinlichkeiten, die Reich-Ranicki ertragen musste, bekam der Zuschauer gar nicht zu sehen. Das ZDF zeigte die Wirkung, aber nicht die Ursache. Ein ehrliches Urteil darüber, ob sein Wutausbruch berechtigt war, kann das Publikum zuhause nicht fällen.

Mir ist schon klar, dass das im konkreten Fall keine dramatischen Folgen hat (und, nein, ich möchte gar nicht sehen, was Lafer und Lichter da vorgeführt haben). Es ist eher eine akademische Frage, die aber vielleicht nicht ganz irrelevant ist, wenn plötzlich eine Grundsatzdebatte über die Qualität des Programmes geführt werden soll: Ist es nicht merkwürdig, mit welcher Selbstverständlichkeit wir es hinnehmen, dass uns das Fernsehen etwas vormacht und ohne Not ein falsches Bild von der Wirklichkeit zeichnet?

79 Replies to “Was man nicht mit dem Zweiten sieht”

  1. Eine etwas platte Frage.

    Übertragen wir das Mal: Du hast Pastewka Raum gegeben – und die einzigen Preisträger, die er erwähnt waren die Auslandsreporter, die ihr Leben riskierten – so als ob die die Hauptrolle gespielt hätten, als ob Reich-Ranicki genau die kritisiert hätte. Er erwähnt keine peinlichen Nummern, sondern nur vier Leute, denen er einen guten Job bescheinigt.

    Fernsehen kann nicht immer alles transportieren. Gestern wurde eine Preisverleihung übertragen, die Peinlichkeiten-Show kann ja am Freitag gesendet werden.

  2. Ist es nicht nicht immer so, dass „das Fernsehen“ nur einen bruchteilhaften Ausschnitt aus der Realität zeigt, ja zeigen kann?

    Ich habe nicht alle Preisverleihungen, die Marcel Reich-Ranicki als würdig genug angesehen hat, um die jeweiligen Preise und Preisgelder zu akzeptieren. Ich weiß nicht in welchem Hotel er vorher geschlafen hat, wie er anreiste, ob er genug, lecker und zur rechten Zeit vorher gegessen hatte. Wer neben ihm saß, wer nicht neben ihm saß, ob er alle „Witzischkeiten“ akustisch, optisch und olfaktorisch „richtig“ wahrnehmen konnte.

    Ich sehe Dein Problem nicht, lieber Stefan. Ich hätte es als problematischer angesehen, wenn das ZDF sich den „Eklat“ so zurechtgeschnitten hätte – was mir nicht so vorkam, ich mich aber gerne eines besseren belehren lassen würde – als die offensichtlich misslungenen Moderationen auch noch ertragen zu müssen.

    Leider hat mir noch keiner auf die Frage geantwortet, warum Ranicki sich dorthin begeben hat, um den Preis zu bekommen, wenn das doch alles Blödsinn ist? Wenn er sich wenigstens eloquent herausgeredet hätte. Aber so kam es mir sehr wirr und unzusammenhängend vor. Sauer aufgestoßen ist mir auch die Bemerkung, dass der Preis ja nicht einmal mit Geld dotiert sei, welches er zurückgeben könne.

    Andererseits wäe ich auch nicht auf die Idee gekommen, ihm, Reich-Ranicki, einen Fernsehpreis zu verleihen.

  3. In MRRs „Ausbruch“ war auch von vier Stunden die Rede, die er ertrage habe müssen. Und da die im ZDF gezeigte Fassung eben nicht vier Stunden zeigte, kann man sich ja fast denken, dass es nur eine Art BestOf zu sehen bekam.

    Zudem ist ja durchaus bekannt, dass solche Preisverleihungen stets zu lang und vor allem für Anwesende sehr öde sind, sowohl bei uns als auch in den vorbildlichen USA. Daher ist es gut, dass geschnitten und dem Zuschauer somit gezeigt wurde, dass auch die verbesserte Variante gerademal mittelmäßig ist.

    Das Fernsehen lügt. Und das zu akzeptieren, hilft doch dabei, die Lüge zu hinterfragen oder zumindest den ganzen gesendeten Kram für wenig bedeutsam zu erachten.

  4. @Torsten: Nein, Fernsehen kann nicht immer alles transportieren. Es ist auch bestenfalls nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit. Aber wenn die Peinlichkeiten in einer Show eine gravierende Wirkung hatten — kann ich sie dann bewusst herausschneiden und die Wirkung drin lassen?

    (Und das finde ich mit Pastewka oder anderen Kommentaren nicht vergleichbar. Die Übertragung des ZDF ist ja sowas wie die Primärquelle für die Zuschauer.)

  5. @Stefan Welche Alternative besteht denn? Ein paar Preisträger rausschneiden? Soll man gezielt die schlechten Sketche zeigen und die etwas weniger schlechten nicht zeigen, damit der Zuschauer mit Ranicki mitleidet?

    Auf dem Programm stand eine Fernsehgala – kein „Leiden mit Ranicki“.

  6. Ein-falsches-Bild-von-der-Wirklichkeit-zeichnen ist in meinen Augen keine Manipulation, sondern vielmehr konstitutives Merkmal des Mediums Fernsehen (zumindest, solange es sich um Unterhaltung handelt). Eine langatmige Preisverleihung wird um die Hälfte gekürzt? Bei DSDS wird manipuliert? Uri Geller kann gar keine Löffel verbiegen? Na und!? Allein die Annahme, Fernsehunterhaltung würde die wirklich wahre Wirklichkeit abbilden, scheint mir äußerst absurd und alles andere als wünschenswert – wenn wir uns schon zu Tode amüsieren, dann bitte richtig.

  7. Nehmen wir einmal an, das ZDF ist so diabolisch und sagt sich: „Den MRR müssen drin lassen, aber: Wir schneiden die grobe Scheiße raus, um den alten Sack zu diskreditieren; daß sogar der intellektuelle Mittelstand sich fragt, was der denn hat.“ – Nehmen wir einmal an, ich traue dem ZDF zuviel zu.

  8. Wer sagt denn, dass der gröbste Mist herausgeschnitten wurde? Reicht es nicht, dass DSDS als Krönung des Fernsehens einen Preis gewonnen hat und auch noch in der Aufzeichnung drin geblieben ist? Allein darüber könnte ich mich aufregen, wenn ich wollte…

  9. Ist es nicht merkwürdig, mit welcher Selbstverständlichkeit wir es hinnehmen, dass uns das Fernsehen etwas vormacht und bewusst ein falsches Bild von der Wirklichkeit zeichnet?

    Ja, aber was denn sonst? Fernsehen macht uns immer etwas vor; jeder Korrespondentenbericht ist nur ein Ausschnitt. Jedes Bild ist der Ausschnitt von „Wirklichkeit“. Jeder Nachrichtensendung enthält schon in sich Auswahl.

    Ein seriöses Medium unterscheidet sich vom Trash dadurch, dass auf diese Auswahl, diese Subjektivität hingewiesen wird und grobe Verallgemeinerungen unterbleiben. Unseriöse Medien tun so, als sei der subjektive Ausschnitt, den sie zeigen, das objektive Bild. Wobei der Begriff „seriös“ und „unseriös“ eben genau nicht mit „öffentlich-rechtlich“ und „privat“ zu übersetzen ist; das geht schon tiefer.

    Als ob es darauf ankäme, das Gehampel zweier Koch-Imitationen auch noch zu sehen, um beurteilen zu können, ob sich MRR zu Recht aufregt oder nicht. Der Zuschauer ist doch kein Masochist (wie es vielleicht ein Kritiker sein muss; da bewundere ich Euch wirklich). Das Verhalten der Leute im Saal spiegelt für mich wieder, wie verkommen diese Branche wirklich ist: Sie waren ja gar nicht entsetzt. Sie haben gelacht, weil sie gedacht haben, der Clown MRR macht wieder den Clown MRR. Und in dem er diese döselige Geschichte vom „Du“ erzählt hat, war ja auch alles wieder in Butter und das Elend setzte sich fort.

    Wenn irgendwann Archäologen als einzige Überreste unserer Kultur Bild- und Tonträger mit Fernsehsendungen finden (Bücher und Computerfestplatten sind längst zerbröselt oder zerstört), dann gnade uns Gott, dass unter diesen Überreste beispielsweise keine Preisverleihungen vom Deutschen Fernsehpreis sind. Und zwar inklusive MRR.

  10. Und wenn die Sportschau Ausschnitte aus einem sehr langweiligen Spiel zeigt, sollte sie doch in Zukunft auf die wenigen höhepunkte verzichten, sondern stattdessen 7 min. mit grausamen Mittelfeld-Gegurke füllen, damit dem Zuschauer ein angemessenes Bild der Wirklichkeit gezeichnet wird. Irgendwie auch unbefriedigend.

  11. Mal wieder 2 Sachen bestätigt worden:

    1. Wenn ein biblisch alter Mann sagt, was fast alle wissen, ist das immernoch irgendwie eine Sensation.

    2. Wenn er es dazu noch auf eine Art und Weise sagt, die einfach nur schlechtes Benehmen ist, zeigt er Größe, lässt sich nicht verbiegen oder ist herrlich unkonventionell.

    Ich für meinen Teil werde meinen Kindern auch in Zukunft beibringen, daß man nicht auf eine Party geht, um dann dort den Gastgeber zu beleidigen – auch wenn es eine blöde Party war.

  12. @SvenR, #2.

    Warum war MRR da ? Naja, eitel wie er ist, fand er es wohl schon ganz gut, einen Preis zu bekommen. Ihm war aber wohl nicht ganz klar, was ihn da erwarten würde, daher seine Reaktion. Offenbar hat er in den letzten Jahren nicht viel Fernsehen geschaut…^^

    Für einen Menschen seines Alters und intellektuellen Anspruches war das vermutlich wirklich eine Zumutung. Und getreu seinem Motto, nie mit seiner Meinung hinter dem Berg zu halten, hat er das dann direkt mal kund getan. :D

  13. Lieber Herr Niggemeier,
    wozu bedarf es der gesamten Vier-Stunden-Übertragung?
    Haben wir nicht alle schon einmal Ferngesehen? Haben wir uns nicht alle schon einmal darüber geärgert, was einem dort präsentiert wird? Und haben wir nicht alle schon mehrmals resigniert den Fernseher abgeschaltet oder sind sogar dazu übergegangen nur noch selektiert einzuschalten?
    Ich denke MRR spricht vielen aus der Seele und hat eine längst überfällige Diskussion eingeläutet. Weiterhin hoffe ich, dass es keine Diskussion der Intellektuellen bleibt, obschon nun der Zeitpunkt ist, sich einzuschalten. Ranickis Kritik ist nicht neu, schon Adorno hat die Kulturindustrie verteufelt, aber sie ist aktuell und eröffnet nun vielleicht ein Forum für eine Medienkritik, die nachhaltige Folgen erwirkt und sich im Bewusstsein der Medienschaffenden niederschlägt und wohlwollend von den Rezipienten empfangen wird.

  14. Also ich kann #12 nur zustimmen. Die Show war doof, das Fernsehen insgesamt ist weitgehend doof, und MRRs Verhalten war auch ziemlich doof, womit die alle gut zusammenpassen. Für ihn war es vielleicht eine Erkentniss, für den Rest der Welt wohl eher nicht. Von einer „längst überfälligen Diskussion“ kann keine Rede sein, die Diskussion findet längst statt, nur halt nicht im Fernsehen.

  15. @Torsten: Ich weiß nicht, welche Alternative besteht. Natürlich wäre eine Alternative, eine solche Sendung live auszustrahlen. Mit allen Höhen und Tiefen — und dem nicht zu unterschätzenden Reiz, dass man nicht weiß, ob gleich etwas passiert, über das morgen alle reden werden, und dass niemand die peinlichen Dinge herausgeschnitten hat.

    Ich habe gestern zufällig noch einmal die alte „Montagsmaler“-Ausgabe gesehen, als das Malgerät gestreikt hat und Frank Elstner viele viele viele Minuten spontan überbrücken musste. Das war tolles Fernsehen. Das wäre auch heute noch tolles Fernsehen, das seine eigenen Gesetze hätte und sich vom Angucken einer DVD dramatisch unterscheiden würde.

    Aber abgesehen davon: Ich weiß nicht, ob das ZDF mit einer Aufzeichnung etwas hätte anders machen können oder sollen. Ich habe nur erstaunt festgestellt, wie sehr wir das akzeptieren, dass das Fernsehen nicht einmal in diesem überschaubaren Rahmen dem Mindestmaß an Wahrhaftigkeit verpflichtet ist, die Ursache einer Wirkung zu zeigen. Das hat für mich nichts damit zu tun, dass schon jeder Kameraschwenk eine Entscheidung ist, etwas anderes nicht zu zeigen, und jeder Auslandskorrespondent in seinem Drei-Minuten-Beitrag natürlich die politische Krise eines Landes nicht einmal im Ansatz so zeigen kann, dass sie der Wirklichkeit entspricht.

  16. @Stefan Ich kann Dein Argument nicht nachvollziehen.

    Ich finde es im Prinzip eher positiv, wenn Leute Inszenierungen wie Inszenierungen behandeln. Dass Du dem ZDF ein „Mindestmaß an Wahrhaftigkeit“ absprichst, finde ich eher peinlich. Es gibt da jede Menge Ursachen und Wirkungen zu transportieren – die Haupt-Wirkung sollten ja eigentlich die Preise sein. Und die Ursache sollte Qualität sein. Was Herrn Reich-Ranicki ärgert, sollte höchstens an zweiter Stelle stehen.

    Irritierender finde ich, dass sich niemand mehr fragt, warum solche Dinge wie DSDS Qualitätspreise gewinnen. Ich hab die Laudatio nicht gehört. Auf der Homepage des Preises stehen zwei dürre Zeilen:

    „Die Jury: Unterhaltung in Perfektion. Der Aufwand, der um die neun Motto-Shows betrieben wird, sucht seinesgleichen. RTL hat das Niveau noch mal gesteigert. Der Wirkung konnte sich kaum jemand entziehen.“

  17. @16/Stefan
    die Ursache einer Wirkung zu zeigen
    Die Ursache einer Wirkung wird eben im Fernsehen so gut wie nie gezeigt; das Beispiel mit dem Fussballspiel bringt es auf den Punkt. Wenn man gelegentlich die Radioreportagen der Bundesligaspiele hört (und die Bewertungen durch die Kommentatoren dort) und dann den Zusammenschnitt in der Sportschau (und den Kommentar dort), so sind die Diskrepanzen unter Umständen sehr gross, obwohl beide das gleiche Spiel gesehen haben.

    Ob MRR wegen der nicht gezeigten Auftritte nun besonders erbost war oder nicht, spielt keine Rolle. Das diese Show der Auslöser für seine Rede war, ist auch nur eine Vermutung. Vieles spricht dafür. Das jemand wie Pastewka, der von und mit der Branche leben muss, den Auftritt skandalös empfindet, ist logisch. Aus seiner Warte hat er Recht. Für Leute wie Reich-Ranicki wird nämlich schon lange kein Fernsehen mehr gemacht. Oder um 0.00 hr im „Nachtstudio“ (irgendjemand hat wohl man Cioran gelesen und dessen Klagen über die Schlaflosigkeit – und jetzt meint man, all diese Kulturmenschen könnten nachts aufbleiben und wären arbeitslos).

    Aber auch in Pastewkas Text zeigt sich die ausschnitthafte Wahrnehmung exemplarisch. Die Alternative wäre gewesen, die gesamte Preisvergabe auszustrahlen. Aber das ist ungefähr so, als müsste ich die einzelnen Leichen bei einem Flugzeugabsturz noch in Nahaufnahme betrachten müssen. Das bisschen Phantasie, den Kulturschock Reich-Ranickis nachempfinden zu können, kann man dem Zuschauer schon zutrauen. Wenigstens dem, der sich für diese Diskussion hier interessiert. Die anderen wussten gar nicht, wer Reich-Ranicki ist.

  18. @rw: Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man auf eine private Party geht, oder ob man vom öffentlichen Fernsehen eingeladen wird. Es ist öffentlich, weil alle Bürger dafür bezahlen. Und wenn mein Geld für Schwachsinn verpulvert wird, dann fordere ich zumindest – wenn ich schon kein Mitspracherecht bekomme – das Recht, diesen Leuten zu sagen, dass sie Blödsinn produzieren.
    Nicht mal Politiker können so unverantwortlich mit unserem Geld umgehen wie die Intendanten des öffentlichen Fernsehens. Politker können zumindest abgewählt werden.

  19. @Gregor Keuschnig: Sie meinen, es wäre abwegig, als Übertragung einer Preisverleihung eine Preisverleihung zu übertragen?

    Beim Fußballspiel wird doch auch das ganze Fußballspiel übertragen. Und wenn man die schlimmsten oder dööfsten Szenen wegschnitte, aber die darüber in Rage geratenen Zuschauer oder Spieler zeigte, fände man das auch nicht in Ordnung.

    Es geht hier nicht um die Berichterstattung über den Fernsehpreis, einen 5-Minuten-Beitrag, sondern um das, was das ZDF als die Verleihung des Fernsehpreises ausgegeben hat. (Und dabei übrigens, @Torsten, die Inszenierung nicht als Inszenierung kenntlich gemacht hat, sondern im Rahmenprogramm weitgehend so tat, als würde die Verleihung tatsächlich erst am Sonntag stattfinden.)

  20. @19: Naja, zunächst mal ist das keine Veranstaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Aber immerhin ist der ör Rundfunk ja maßgeblich dran beteiligt. Aber dieses Argument ist ja eh ein Bumerang, weil all jene, die sich wie von Sinnen DSDS „reinziehen“ ja genauso ihre Gebühren zahlen und möglicherweise an der Sendung „Lesen!“ kein Interesse haben.

    Wenn man denn schon dagegen protestieren wollte, dann doch wohl eher in Karlsruhe vor dem BVerfG, die mit ihrer frei erfundenen Geschichte vom „Vollprogramm“ doch die Ursache allen Übels sind.

    Zurück zu MRR: Es ist ja weiterhin völlig unklar, ob er den Zusstand des Fernsehens an sich kritisiert oder nur die mangelhafte Inszenierung der Preisvergabe. Für letzteres spricht wohl, daß er sich erst während der Show entschieden hat den Presi nicht anzunehmen. Wenn dem so ist, war das natürlich eine maßlose Überreaktion. Sollte er aber doch den Preis deswegen nicht engenommen haben, weil das Fernsehen ansich schlecht ist, ist dsa zunächst mal Quatsch, weil es auch gutes Fernsehen gibt. Desweiteren ist es dann erst recht schlechtes Benehmen, wenn man zu einer Preisverleihung geht, um da den Troll zu geben.

    Seltsam ist, daß jemand, der offenbar Freude daran hat, einen Eklat um seine eigene Person zu inszenieren, keine Freude am Programm von RTL und Co. hat – Dschungelcamp und Effes Heimspiel sind das Niveau, auf dem sich MRR am Samstag (oder wann auch immer das war) bewegt hat.

  21. beitrag 12, rw:

    „Mal wieder 2 Sachen bestätigt worden:

    1. Wenn ein biblisch alter Mann sagt, was fast alle wissen, ist das immernoch irgendwie eine Sensation.
    2. Wenn er es dazu noch auf eine Art und Weise sagt, die einfach nur schlechtes Benehmen ist, zeigt er Größe, lässt sich nicht verbiegen oder ist herrlich unkonventionell.
    Ich für meinen Teil werde meinen Kindern auch in Zukunft beibringen, daß man nicht auf eine Party geht, um dann dort den Gastgeber zu beleidigen – auch wenn es eine blöde Party war.“

    Zu 1: Falsch! Es wär auch eine Sensation gewesen, wenn Harald Schmidt das gesagt hätte, oder eine noch grössere bei Oliver Pocher. Das Alter spielt hier nicht die Rolle, es ist eher dem Prestige bzw. Ruhm des Mannes zu attestieren, was er ausgelöst hat. Bei Pocher/Schmidt etc. wäre der Effekt zudem schon deshalb grösser gewesen, weil sie mit einer solchen Aussage die Hand gebissen hätten, die sie füttert. MRR hat sowas nicht mehr nötig, tut es trotzdem, ergo die Wirkung. Womit wir bei Punkt 2 sind – was ist gutes, hhöfliches Benehmen bei Preisverleihungen? Artig gott und den Eltern und dem Publikum danke sagen und das in kürzestmöglicher Form? Ich bin immer enttäuscht, wenn jemand sowas macht und man spürt, die Launigkeit hat einen Grund, der wird aber schön runtergeschluckt. Besser so wie hier, raus damit, auch wenn der wahre Grund womöglich darin lag, dass Marcel die ganze Zeit auf Klo musste und sich ewig langatmige Unlustigkeiten anhören musste, bis er selber dran war.

    aus Nr 15, Tim:

    „Für ihn war es vielleicht eine Erkentniss, für den Rest der Welt wohl eher nicht. Von einer „längst überfälligen Diskussion” kann keine Rede sein, die Diskussion findet längst statt, nur halt nicht im Fernsehen.“

    Aber wie man sieht hat es einen gebraucht, der sie dahin bringt, wo sie notwendig ist. Sich unterGleichgesinnten übers Fernsehen empören oder z.B. über die Bild bedeutet noch lange nicht, dass es bei den Verantwortlichen ankommt. Wenn dein Chef inkompetent ist, aber immer nur unter Kollegen beim Feierabendbier darüber geflüstert wird, ändert er nichts an seinem Führungsstil…

  22. „Sollte er aber doch den Preis deswegen nicht engenommen haben, weil das Fernsehen ansich schlecht ist, ist dsa zunächst mal Quatsch, weil es auch gutes Fernsehen gibt“ rw

    Er hat sich über die Qualität der Sachen ereifert, die preisgekrönt wurden an diesem Abend, und das ist nachvollziehbar. Als ich noch Fernsehn hatte (ist länger her und wird nicht vermisst) hätt ich mir nicht träumen lassen, dass Reich-Ranicki fürs Lebenswerk und DSDS in der gleichen Sendung geehrt werden.

  23. Stefan: Wie erweckte das ZDF denn den Eindruck, dass es eine Liveübertragung sei? Sagte Gottschalk „Sonntag“ statt „Samstag“? Hat das ZDF irgendetwas gemacht, was mehr „live“ aussah als die völlig selbstverständlich aufgezeichneten Ratesendungen, Talkshows und Musikpreisverleihungen?

  24. @20/Stefan
    Die Bundesligaspiele werden in der Regel nicht in voller Länge übertragen und mein Beispiel bezog sich darauf. In der Relation stimmt das Beispiel sehr wohl. In der Sportschau werden aus 90 Minuten Spiel rd. 10 Minuten destilliert. Insofern ist die Fernsehpreisübertragung mit vermutlich 4 Stunden Realzeit und 2 1/4 Stunden Aufzeichnungszeit ganz gut weggekommen.

    Das Elend dieser Veranstaltung begreife ich auch innerhalb dieser selektierten Aufzeichnung. Es mag aus dokumentarischen Gründen interessant sein, sich die gesamten vier oder fünf (?) Stunden anzuschauen, aber es ist m. E. nicht zwingend notwendig, da man die Entrüstung von MRR auch so nachvollziehen kann.

    Der ganze „Eklat“ erinnert mich im übrigen fatal an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Die Branche umarmt natürlich Reich Ranicki jetzt, weil sie so am schnlellsten hofft, zu besänftigen. Danach geht’s dann weiter wie bisher.

  25. @22: Harald Shcmidt hat doch den Begriff des „Unterschichtenfernsehens“ geprägt. Man muss schon die letzten 5 bis 10 Jahre ganz woanders verbracht haben, wenn man meint, die Kritik von MRR (die sich in erster Linie auf den Abend an sich bezog) wäre irgendwie eine neue Erkenntnis. Neu war auch nicht, daß er das als bekannter Mann im Fernsehen selbst gesagt hat (siehe Schmidt). Neu war lediglich die Inszenierung des Eklats – vom Dschungelcamp unterscheiden sich da nur noch der Zweck, die Mittel sind ähnlich.

  26. @26/rw
    Der Begriff „Unterschichtenfernsehen“ stammt nicht von Harald Schmidt. Er wurde 2001 von Jochen Hörisch verwandt und von Paul Nolte Jahre übernommen. Schmidt hat ihn sozusagen nur popularisiert.

  27. Oh Herr Keuschnig, wegen dir werd ich jetzt zum Korinthenkacker: rw hat nichts von „stammen“ gesagt, sondern von prägen. Und wenn er damit meint „bekannt machen“ bzw. „(stärker) in Umlauf bringen“ , hatter Recht.

    @ rw: Dem letzten Artikel auf Spiegel Online zufolge hat Ranicki das, was er sagte, nicht vorbereitet, sondern spontan geäussert. Stimmt das, dann kann man nicht von der Inszenierung eines Eklats sprechen, und ich bleibe dabei, dass dieser Auftritt wahr war und dem Fernsehn vielleicht helfen wird. Wenn auch nur mittelfristig, in der Menscheitsgeschichte geschieht ja alles in unterschiedlich grossen Zyklen, wenn auf diese Aktion eine Zeit der qualitativ hochwertigeren Unterhaltung folgen sollte, folgt garantiert wieder eine miesere usw.

    Immer locker bleiben. GEIEL (mit zusätzlich und verstärkt ausgesprochenem E übrigens9 fand ich diesen Satz bei Pastewkas fernsehlexikon-Beitrag:

    „Man darf nicht vergessen: Um den 88-jährigen Kritiker zu schonen, wurde die Verleihung des Ehrenpreises spontan vorgezogen und ins letzte Drittel des Ablaufs gelegt.“

    Ins letzte Drittel vorziehen…Da weiss der greis gar nicht, welche Ehre im entgegengehaucht wird…

  28. @27: Genau das ist wohl der Unterschied zwischen „erfinden“ und „prägen“. Sie stimmen mir sicher zu, daß der Begriff erst durch Schmidt eine gewisse Bekanntheit erlangt hat.

    Wegen der kleinen Unaufmerksamkeit, daß sie übersehen haben, daß ich von „prägen“ sprach, gibt es diesmal leider nur 8 von 10 Besserwisserpunkten.

  29. @Torsten: Ja, Gottschalk sagte Sonntag statt Samstag, bzw. genauer: Er sagte zu Veronica Ferres, sie hätte doch, wie eigentlich von ihr geplant, das Länderspiel sehen können, das wäre am Tag vorher gewesen. Okay, das war vermutlich ein Witz.

    Aber guck dir die Vor- und Nachberichterstattung an. In „Leute heute“ hinterher ist das ZDF soweit gegangen, dass die Moderatorin (am Samstag) sagte, Sophie von Kessel habe „heute“ Geburtstag. Der Geburtstag war am Sonntag, dem Tag der Ausstrahlung. Ich finde das keinen Skandal, aber bemerkenswert — und das Gegenteil von „Inszenierung als Inszenierung deutlich machen“.

  30. @ Torsten #24:

    Das ZDF hat schon versucht, so zu tun als ob es live sei. Gottschalk hat doch auch ein „Scherzchen“ mit Veronica Ferres gemacht, dass Sie gestern Fußball und Boxen hätte gucken können. Ich würde sagen, so wie immer.

  31. @ Stefan:

    Aber das ist doch bei fast jeder „Genial daneben“, „Schmidt & Pocher“, „Lesen!“, „Zimmer Frei“ oder was-weiß-denn-ich-Sendung so.

    Jahrelang hat mich das irritiert. Mir ist es richtig live lieber. So wie früher bei „Bio’s Bahnhof“. Mittlerweile irritiert mich, dass ich manchmal zu merken, wissen, fühlen glaube, dass es tatsächlich live ist. „Neues aus der Anstalt“ kommt mir manchmal live vor, „Scheibenwischer“ auch. „Zimmer Frei“ ist manchmal tatsächlich live und ich merke keinen Unterschied zu voraufgezeichneten Sendungen.

    Sonst macht es nichts, aber hier ist es schlimm? Warum auf einmal?

  32. @24 torsten
    Veronika „Kermit“ Ferres sprach in Ihrer Dankesrede von einem Streit in Ihrer Familie, ob man denn nun zum Spiel der deutschen Nationalmannschaft gehen sollte, oder aber zum Boxen. Nun steht sie hier und freut sich ganz dolle über den Preis und wirkt noch mehr wie Kermit.
    Als sie dann wieder auf Ihrem Platz saß, konnte Gottschalk sich nicht verkneifen Ihr zu sagen, das beide Veranstaltungen ja schon gestern (also: Samstag) stattgefunden hätten, und sie also mindestens eine hätte besuchen können.
    Der Saal tobt, es ist Sonntag.

    Ach, ich sehe gerade, die Frage war gar nicht an mich gerichtet. ‚Tschuldigung!

  33. Stefan: Ich sage auch seit langem schon immer „interessant“, wenn ich etwas zur Sprache bringen möchte, aber möglichst ohne Wertung. Ich finde dafür schon sollte dieses Wort maln Lenbenswerkspreis kriegen

  34. @SvenR: Oh je, was siehst du dir den alles an?
    Dass Fernsehen, wie andere Medien auch, die Wirklichkeit zeigt, ist nicht möglich. Es müssen immer Spiegelungen und subjektive Meinungen sein, die angeboten werden. Fatal ist nur, das Ergebnis als unabhängig zu verkaufen. Und das wird getan! Interessanter ist doch die Frage: Wie sehr beeinflußt Fernsehen die Wirklichkeit?

  35. Dennis: klingt eher so, als ob es sehr klar wurde, dass es nicht live ist.

    Das Problem ist halt: Wenn jemand auf der Bühne nach rechts geht, ist er plötzlich auf der linken Seite des Fernsehers. Täuschungsabsichten sind da weniger entscheidend – es soll schlichtweg für den Zuschauer Sinn machen. So hat ja auch DWDL kritisiert, dass irgendwelche Filmchen zum richtigen Verhalten von Preisträgern nicht gezeigt wurden – dabei machten die wohl nur für das Saalpublikum Sinn.

    @SvenR: Klassische Ressourcenproblematik. Wenn man 4 Folgen hintereinander abdreht, muss man die Kulissen nur einmal aufbauen, Sabine Westermann muss nicht jede Woche aus San Francisco einfliegen, einige Dutzend Menschen können ihren Lebensunterhalt noch mit anderen Produktionen verdienen. Würde man immer live auf Sendung gehen, wäre das viel, viel teurer.

  36. Das mit Sophie von Kessel ist nur ein winziges Detail, aber so falsch und doof und albern, dass ich mich frage, ob die Fernsehmacher nicht eigentlich primär sich selbst verarschen wollen und noch nicht mal den Zuschauer.

  37. @ Stefan # 30:

    Ich habe die Nachberichterstattung nicht gesehen, aber sind Sie sich denn sicher, dass die Moderatorin ihre Bemerkung zu Sophie von Kessels Geburtstag nicht nach Mitternacht, also tatsächlich am 12. Oktober ins Mikro gesprochen hat?

    Wann endete denn die Aufzeichnung der eigentlichen Preisverleihung am Samstag, und wie lange dauert es danach normalerweise, bis die Kameras für die Nachberichterstattung anlaufen? Und ist auszuschließen, dass es für die Moderatorin schon „gefühlt“ nach Mitternacht war?

    (Richtig abgefeimt wäre es eigentlich dann gewesen, wenn die Moderatorin Frau von Kessels Geburtstag auf „gestern“ datiert hätte, denn ausgestrahlt wurde das Ganze ja wohl am 13.)

  38. @28/Iago + @29/rw
    Sie springen zu kurz, mir Besserwisserei zu unterstellen. Der Gedanke war ein anderer: rw sagt – zu Recht – dass nicht MRR nicht als erster festgestellt hat, dass das deutsche Fernsehen in grossen Teilen eher schwach ist (um es freundlich zu umschreiben; man muss ja berücksichtigen, dass dort vorgestern Preise für die besten Sendungen vergeben wurden, also muss es noch schlechtere geben). Das bedeutet, dass MRR eine Binsenweisheit ausgesprochen hat, dies jedoch jetzt erst thematisiert wird. Und ähnliches gilt eben mit dem Begriff des Unterschichtenfernsehens, der von Schmidt auch popularisiert, aber eben nicht erfunden wurde.

    Interessant wäre es festzustellen, warum einem Mann wie MRR hier eine Kompetenz zugesprochen wird und den etablierten Fernsehkritikern nicht. Warum bekommt denn Stefan Niggemeier keine Sendung, in der er mit Herrn Schächter über die Qualität des Fernsehens diskutieren darf? DAS wäre mal eine Untersuchung wert. In jedem Fall interessanter als sich mit der zeitversetzten und verkürzten Ausstrahlung dieses Pseudo-Events zu beschäftigen.

  39. @ Stefan #34:

    Es mag ja für Dich ein interessantes Dilemma sein, aber warum fällt es Dir gerade in diesem Zusammenhang auf, und sonst stört es Dich nicht. Mich stört es immer – nicht, dass zusammengeschnitten wird, sondern das man so tut, als sei „jetzt“ jetzt – aber auch ich habe mich daran gewöhnt.

    @ Imbissbudenfreund #36:

    Was tun Sie sich nicht an, und glauben dennoch mitreden zu können? Lesen Sie einfach meinen Beitrag #2 und belehren mich dann weiter. Danke.

    @ Torsten #37:

    Das weiß ich selbst, dass man das heute so macht. Und wenn man noch Geld vorschützen kann – umso besser. Ich bin nicht davon überzeugt, dass das Studio komplett ausgeräumt wird, wenn man eine Staffel Zimmer Frei abgedreht hat.

    Man müsste doch aber gar nicht immer so tun, als ob „jetzt“ Sonntag Abend 22:45 Uhr ist, weil es ja auch im NDR um 0:15 Uhr am Donnerstag versendet wird.

  40. Das Problem ist, dass MRR und andere „Kritiker“ unter gutem Fernsehen etwas anderes Verstehen als die meisten Menschen. Er will wahrscheinlich irgendwelche trockenen „Kultur“sendung wie man sie spät Nachts bei Arte findet. Das hat auch seine Berechtigung und da gibt es gute Sachen, es kann aber nicht alles sein.

    Unterhaltung ist auch Kultur. Diese unsinnige Trennung in E- und -U Musik/Bücher/Fernsehen, die sich durch alle Medien zieht bringt nichts. Es ist hier fast völlig unbekannt, dass Unterhaltung ebenfalls anspruchsvoll sein sollte. Nicht anspruchsvoll in dem Sinne, dass ein sogenannter „Literaturkritiker“ sich jetzt plötzlich über Serien und Filme auslässt, aber in dem Sinne, dass man sein Gehirn dabei nicht abschalten muss. Dass eine Sendung es erfordert mitzudenken um Handlung und Charaktere zu verstehen. Und auch dass sie handwerklich gut gemacht ist, mit vernünftigen Dialogen, Drehbüchern und Schauspielern (daran mangelt es hier stark). Nebenbei kann man dann durchaus Gesellschaftskritik u.ä. übermitteln. Dazu braucht man nicht zwangsläufig mehr Geld, sondern Mut und talentierte Leute, denen man ein paar Freiräume lässt ihre Ideen zu verwirklichen. Das ist aber bei den extrem verkrusteten und autoritären Strukturen der dt. Sender hier nicht möglich.

    Den Reality-Schrott wird man dabei nicht los. Das wird immer die höchsten Einschaltquoten haben. Aber hier gibt es nicht man ein halbwegs intelligentes Gegenprogramm dazu. Wenn man sich für Fernsehen interessiert ist man daher auf andere Quellen wie das Internet und DVDs angewiesen. Zum Glück kann man heute auf deutsches Fernsehen verzichten und trotzdem blendend unterhalten werden.

  41. Ja… wer sagt denn, dass wir uns Inszenierungen dieser und anderer Art bieten lassen? Oder überhaupt irgendwas? Und wer ist dieses „wir“ – andererseits, was könnten „wir“ denn dagegen tun?

    Ohne für andere sprechen zu wollen, ich für meinen Teil lasse mir sowas durchaus nicht bieten. Ich schau’s mir erst garnicht an, oder schalte weg, oder mache den Ton aus, oder beschwere mich oder äussere mich öffentlich und mache Stimmung bzw. wirke bei der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit als Multiplikator mit. Fällt jemandem sonst noch was ein? Ich sitze leider in keinen Gremien oder Redaktionen, ich kann nur für mich und meinen eigenen potentiellen Frust arbeiten.

    Die Effektivität dabei mag ihre Grenzen haben, ich verändere damit nicht wirklich irgendwas an den Zuständen. An der vielfach so unterirdischen Qualität, an der mitunter gezielten um nicht zu sagen boshaften Zuschauerverarsche, an der Lethargie der stumpf bewaffneten Medienaufsichtsinstitutionen. Aber für mich funktioniert es wenigstens. Nein, ich lasse es mir nicht bieten. Wenn irgendwie möglich, dann lasse ich mir nichts vormachen. Dagegen bin ich ziemlich allergisch.

    Natürlich gibt es immer das Umschalten oder Nichtansehen als Totschlagargument. Was natürlich stimmt, niemand zwingt einen mit vorgehaltener Waffe, auch noch den letzten hirntoten Schmu fernzusehen. Aber das Argument funktioniert in der Praxis natürlich nicht, denn das Ärgernis entsteht schon in der Wahrnehmung, dass es diesen Schmu in solcher Menge, Vielfalt und Allgegenwart überhaupt gibt. Dass sowas produziert, ausgestrahlt und auch noch völlig unkritisch massenkonsumiert wird. Dass man eigentlich quasi genötigt wird, drumherum Schlangenlinien auf der Fernbedienung zu fahren um den ganzen Mist zu vermeiden, damit man nicht noch genervter, verärgerter angewiderter ist.

    Ich kann Reich-Ranicki verstehen. Auch Elke Heidenreich hat irgendwo recht, in der FAZ. Aber natürlich auch Bastian Pastewka, drüben im Fernsehlexikon.

  42. Die Kritik am derzeitigen Fernsehen ist doch nun wirklich kalter Kaffee bzw. nichts neues. Wer erinnert sich noch an die Rede von Kalkofe vor ungefähr einem Jahr, die er vor einigen „Fernsehmachern“ also jenen, die für das was im Fernsehen läuft verantwortlich sind. gehalten hat ? (Und Kalkofe hat das so und ähnlich schon vor zwei, drei Jahren gesagt und wiederholt diesen Standpunkt auf Anfrage immer wieder.)

    Sich wegen dem Fernsehprogramm aufzuregen hat ungefähr den gleichen Aktualitätsgrad wie Witze über Michel Friedmann bzgl. seines Kokainkonsums und Prostituierte zu machen (oder Kokain-Witze über C. Daum.) Was kommt als nächstes ? Ziehen wir uns alle wieder die schicken Parka-Jacken an und demonstrieren gegen den Nato-Doppelbeschluss, weil es wieder ein Thema wäre was ja sooooooo aktuell wichtig ist…
    Das war kein Eklat……und auch keine Meldung wert.

    Was meiner Meinung nach eine Meldung wert wäre :
    „Stefan Niggemeier wird neuer Chefredakteur bei der Bild“.
    „Oswald Metzger gründet neue Partei“
    „Stefan Niggemeier startet Musikkarriere – Bild.de zeigt exklusiv vorab das Musikvideo zu seinem ersten Song „Hypnotize“ (Refrain:
    „Niggie, Niggie, can’t you see
    Sometimes your words just hypnotize me
    And I just love your flashy ways
    Guess that’s why they broke and you’re so paid“)
    „Karl Dall zum Bundespräsidenten gewählt worden“
    „Bastian Pastewka wird Tagesschausprecher“
    „Maik Krüger und T. Gottschalk mit einem Oscar ausgezeichnet für ihren neuen Film „The Nose-Brothers“ “
    „Rudi Carell wiederauferstanden von den Toten“
    „Harald Schmidt will Herzblatt wiederbeleben und Sendung selbst moderieren“
    „Rudi Carell gründet eine neue Religion“
    „Haim Saban will ARD-Sendergruppe kaufen“
    „Ferdinand Piech fährt privat einen Opel Astra“
    „Der wiederaufstandene Rudi Carell sorgt für Eklat beim Deutschen Fernsehpreis“
    „Stefan Niggemeier gewinnt drei Grammys“
    „Löwenzahn- Der Kinofilm soll 2010 kommen. Lustig hat schon zugesagt“
    „Quentin Tarantino dreht Remake von Louis de Funes Klassiker „Der Gendarm von St. Tropez““
    „Miss Piggy & Kermit in Love – Die neue Doku-Soap auf Pro7“
    „George W. Bush hat erneut die Wahl gewonnen“
    „Stefan Niggemeier & M. Reufsteck werden ausgezeichnet mit dem Deutschen Fernsehpreis in der (neugeschaffenen Kategorie) bester Fernsehblogger“
    „Carl & Lenny heiraten in der neuen Staffel“
    „Alice Schwarzer wird neues Bondgirl“
    „Rudi Carell neues Jury-Mitglied bei DSDS“

  43. @ SvenR #47
    Ich tue mir an, seit fast 15 Jahren für die ARD zu arbeiten, allerdings als Freier.

  44. Natürlich ist das nichts neues bzw. kalter Kaffee. Und natürlich wird sich auch nichts ändern. Ändern wird sich frühestens langfristig etwas, und auch erst dann, wenn (1) sich diese unsere Gesellschaft und ihre Ansprüche ändert (lies: bessert), und (2) auch die Medienmacher sich ändern und sich vor allem ihrer Verantwortung hinsichtlich ihrer Macht bei der Beeinflussung der Gesellschaft wirklich gewahr werden. Man kann (und darf) nicht nur nicht dem „Volk“ immer das geben wonach es schreit, man kann (und muss) auch dabei helfen, dass es erst garnicht auf die Idee kommt, bzw. dass es eher nach „Besserem“, Wertvollerem, Anspruchsvollerem, Unfragwürdigerem schreit.

  45. @ Stefan # 43:

    (Das ist schade.)

    Dass Sie sich eine berechtigte Frage („Ist es nicht merkwürdig?“) von den Kommentatoren derart aus der Hand nehmen lassen, nachdem Sie mehr als sonst auf diejenigen eingegangen sind, die Ihnen vorwerfen, Sie lägen falsch oder arbeiteten an einer unwichtigsten Baustelle (# 16: „Ich habe nur erstaunt festgestellt“; # 30: „Ich fand das keinen Skandal“; # 34: „Ich sage doch nicht, dass es schlimm ist“), bin ich von Ihnen nicht gewohnt.

    Mich erstaunt aber auch, dass Sie Ihr plötzliches Desinteresse an der Fragestellung ausgerechnet an meinem Kommentar festmachten. Woran lag’s? Doch nicht daran, dass ich in Ihrer insgesamt schlüssigen Argumentation möglicherweise eine winzige Lücke ausgemacht habe? Wenn die vermeintliche Lücke keine war, hätten Sie das schreiben können. Wenn ich Stuss geschrieben habe, auch.

    Ich bin Ihnen freundschaftlich gesonnen. Muss ich das jetzt immer dazuschreiben? Nee, oder?

  46. @Matthias: Es lag nicht an Ihnen allein. Ich weiß die Antworten auf Ihre Fragen oben in #39 nicht. Meine Argumentation hängt nicht daran, wann die Aufzeichnung endete, wie lange es danach normalerweise dauert, bis die Kameras für die Nachberichterstattung anlaufen etc. Ehrlich gesagt, interessiert es mich auch nicht. Mich interessierte eine andere, grundsätzliche Frage. Sie steht oben in meinem Eintrag.

  47. Bei aller Liebe. Jetzt komme ich mir vergackeiert vor: „Oh je, ich habe das Interesse an meinem eigenen Blogeintrag verloren.“ – „Mich interessierte eine andere, grundsätzliche Frage. Sie steht oben in meinem Eintrag“.

  48. @52/nona
    Ihr Punkt 2 bringt es genau auf den Punkt! Am 24. Dezember 1971 um 20.15 Uhr zeigte die ARD einen Film von Horst Stern mit dem Titel „Bemerkungen über den Rothirsch“. Ein derart brisantes Thema zu dieser Sendezeit zu bringen, war ungewöhnlich und mutig. In den 80er Jahren empfand man sowas dann irgendwann als „Bevormundung“. Und die gleichen Leute (Politiker vor allem, aber nicht alleine), die damals vehement für den „mündigen Bürger“ eintraten, haben ihm einen Bärendient erwiesen, in dem sie das private Fernsehen schrankenlos zuliessen (anfangs noch mit Alibiveranstaltungen; Kluge kommt heute auch um 00.30 Uhr auf Sat.1).

    Statt brisante und/oder aufklärerische Sendungen zur Primetime dem Verblödungsfernsehen entgegenzusetzen, steigt man in den Wettbewerb mit ihm ein. Zwei Argumente höre ich dann immer noch: ‚Wir sind nicht so schlimm wie die anderen‘ und ‚Es geht nicht mehr anders‘. Beides sind wohlfeile Lügen, um die eigene Bequemlichkeit und intellektuelle Impotenz zu kaschieren. Der Fisch stinkt – wie fast immer – vom Kopf her.

    Die Crux ist: Schafft man das öffentlich-rechtliche System ab, wird’s noch schlimmer. Lässt man es wie es ist, auch.

  49. @Gregor Keuschnig: Am 21. April 2008 um 20.15 Uhr zeigte die ARD eine Reportage von Sven Kuntze mit dem Titel „Alt sein auf Probe“. Es war ein wichtiges Thema und eine gute Sendung. Sie nahm die Zuschauer an die Hand und machte ihnen den Zugang leicht, verkaufte sie aber nicht für dumm, sondern zeigte viele verschiedene mutmachende und beängstigende Formen, alt zu werden. Es war eine aufklärerische Sendung zur Primetime, die die ARD dem Verblödungsfernsehen entgegensetzte. Die Sendung wurde, völlig zu Recht, mit dem Deutschen Fernsehpreis 2008 ausgezeichnet.

    Nur:

    Sie hatte läppische 2 Millionen Zuschauer. Das ist für Das Erste um 20.15 Uhr miserabel. Der Marktanteil betrug 6,4 Prozent, das ist ungefähr die Hälfte dessen, was Das Erste sonst im Schnitt hat. Bei den 14- bis 49-Jährigen, die der Film auch ansprechen sollte, lag der Marktanteil sogar nur bei desaströsen 3 Prozent. Bedeutet: 97 Prozent der jüngeren Leute, die um diese Zeit ferngesehen haben, haben sich dafür entschieden, lieber etwas anderes zu gucken: „Die Kochprofis“ auf RTL2, „CSI: NY“ auf Vox, „Primeval – Rückkehr der Urzeitmonster“ auf Pro Sieben, „Kalender Girls“ auf Sat.1, „Wer wird Millionär“ auf RTL, „Familie ist was Wunderbares“ im ZDF.

    Kann man natürlich sagen: Muss die ARD aushalten. Dafür sind sie ja öffentlich-rechtlich, dass sie sich nicht dem Quotendiktat völlig unterwerfen müssen. Einverstanden. Aber was nutzen die aufklärerischen Sendungen, wenn sie keiner guckt?

    Der Gedanke, dass die Menschen sich nach Qualität sehnen, ist ein schöner Traum.

    Das nur mal so, um die Debatte aus den Sphären der wohlfeilen Empörung und einfachen Antworten auf den schmutzigen Boden der Tatsachen zu bringen.

  50. @Stefan & Gregor:
    Stimmt natürlich alles. Aber man kann die Situation natürlich auch nicht an blossen Einzelfallbeispielen festmachen, ebensowenig lässt sie sich praktisch über Nacht mit solch kleinen Mitteln ändern. Der Brunnen, in den das Kind namens Gesellschaft unserer Zeit schon vor längerem gefallen ist, ist ziemlich tief und dunkel. Da wieder rauszukommen, oder auch nur ein Stück nach oben wo es heller ist, das ist mühevoll und dauert.

    (Und ich muss übrigens nicht gesiezt werden, so alt bin ich noch nicht, ich sehe nur so aus…)

  51. @ Stefan, #61:
    Auch auf die Gefahr hin, dass solche Grundsatzdiskussionen gerne ins Bodenlose abgleiten…
    Erstens würde ich argumentieren, dass es ja nicht stimmt, dass sie „keiner“ guckt. 2 Millionen Menschen sind zwar nicht viel im Vergleich zu anderen Sendungen, aber es sind ja trotzdem 2 Millionen Leute, die sich „für“ dieses, und „gegen“ ein anderes Program entschieden haben. Musiker wären froh, wenn sie ihre Platte 2 Millionen mal verkaufen würden.

    Und zweitens, wenn alle anderen etwas schlechtes tun, rechtfertigt das, dass man selbst auch nur noch schlechtes tut? Sollte man Qualität nicht unabhängig davon machen, was der Rest tut? Wenn plötzlich alle nur noch Schmuddelblogs lesen würden, würdest du dann aufhören, BILDblog und diesen hier zu pflegen?
    Und muss man wirklich alle Hoffnung über Bord werfen, dass man wenigstens diesen 2 Millionen Menschen einen Gefallen getan hat, und dass diese evtl. etwas davon mitgenommen haben, von dem auch deren Mitmenschen profitieren, die den Beitrag nicht gesehen haben?

  52. Ich stelle gerade etwas erschrocken fest, dass ich beinahe wie ein Politiker plappernd daherphrasendresche. Aber es ist wohl sicherlich so, dass eine Diskussion des schmutzigen Bodens der Tatsachen letztlich eine Diskussion von gesamtgesellschaftlicher Werte- und Bildungsvermittlung ist, und wo und warum da Mängel bestehen. Und wer ist schlimmer: die (meist jugendliche) werberelevante Zielgruppe, die den seichtesten anspruchslosesten Schrott, den abgefeimten voyeuristischen Spott, die hirnlose grenzdebile Berieselung und das Ergötzen am Leid und Unglück Anderer einschalten – oder die schamlosen Medienmacher, die der Zielgruppe diesen Scheissdreck en gros liefern und das auch noch verteidigen, sei es weil sie es nicht besser wissen oder weil sie einfach so skrupellos sind?

  53. Dass „Alt sein auf Probe“ so wenig Zuschauer hatte, ist (vermutlich) schade. Warum die ARD dann aber nicht zumindest nachträglich versucht, diese ach so tolle Sendung über ihre Online-Plattform (oder über andere Kanäle, s.u.) weiteren Kreisen zugängig zu machen, erschließt sich mir nicht. Denn auch im Nachgang über eine Preisverleihung kann man auf die Perlen im Programm hinweisen — kann man die dann nicht mehr sehen, bleibt mir nur der Ärger, die Sendung verpasst zu haben. Und es könnte ja auch an der schlechten Programmierung liegen, dass die kaum einer gesehen hat.

    Es wäre meiner bescheidenen Meinung nach eh eine gute Idee, zumindest ein paar Preisträger (solange es sich nicht um zwölfteilige Vorabendserien handelt) auch insofern zu ehren, als dass man ihre gekrönten Werke möglichst zeitnah noch einmal auf dafür geeigneten TV-Kanälen (EinsPlus, ZDFdoku o.ä.) oder über die Online-Mediatheken noch einmal ausstrahlt. Ich würde mir vermutlich manches auch nur deshalb noch einmal oder gar erstmals ansehen, weil es eben Grimme- oder Fernsehpreis-dotiert ist. Ich bräuchte dafür nicht einmal eine langweilige, geschnittene Preisverleihungssendung als Teaser.

    (davon ab: wenn es massive Schnitte braucht, um eine Sendung ansehbar zu machen, stimmt irgendwas eh nicht mit der Sendung)

  54. lago: Hmmm – ein blödsinnig polemischer Vergleich, Spiegel Online – das kann doch nur von Broder sein?

  55. @61/Stefan
    Neulich war ich an der Nordsee in einem Dorf. Dort gibt es eine Buslinie, die exakt 2 x am Tag (an Werktagen) in die nächstgrössere Stadt fährt. Die Leute sagen nun: Alle haben hier ein Auto, daher gibt es diese geringe Frequenz. Die Busse sind ansonsten immer leer. Man kann aber auch sagen, dass die Busse aufgrund der Frequenz immer leer sind und die Leute aufgrund der Tatsache, dass sie nur 2 x am Tag fahren ein Auto angeschafft haben.

    Dass die Dokumentation „nur“ 2 Millionen Zuschauer hatte: Und? Was ist daran schlimm? Sendet man aus lauter Schockempfinden hierüber stattdessen wieder Volksmusik am Wörthersee? Warum soll ausgerechnet eine Schwalbe einen Sommer machen?

    Natürlich ist es ein Stück ein Traum, dass sich die Menschen nach Qualität sehnen. Die Mehrheit wird man mit einem solchen Programm nie erreichen. Etwa so, als wolle man die Leserschaft der „Bild“-Zeitung auf die „F.A.Z.“ transferieren. Das geht natürlich nicht. Aber muss man im voraus schon kapitulieren? (Abgesehen davon, dass ich die gewählte und immer herangezogene Altersgruppe der „14-49 jährigen“ für Schwachsinn halte; als wäre diese Gruppe homogen; aber das ist nicht Ihr Problem.)

  56. Stefans Argument leuchtet ein: Wer die Wirkung zeigt, darf die Ursache nicht verstecken. Außerdem wäre es eine schöne Dokumentation des Grauens gewesen.

  57. @68 Nur eine kurze Anmerkung: Die Zielgruppe 14-49 ist eine Erfindung von Helmut Thoma um Werbezeiten verkaufen zu können. Ich habe darüber mal einen sehr interessanten Beitrag gelesen. Wenn ich den nochmal finde verlinke ich das gerne hier (falls erlaubt).

  58. @#61:

    Eine Sehnsucht nach Qualität ist aber vermittelbar: und hier würde ich den Bildungsauftrag der ör Anstalten sehen. Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen sind ja nicht angeboren, sondern gesellschaftlich geprägt und entwickeln sich ständig; Zuschauer sind keineswegs komplett hirntot. Sieht man ja schön in einigen online Foren: die Prosieben-Zuschauer wissen schon ganz gut, daß eine Gina-Lisa als Quotentier und nicht als neue Claudia Schiffer ins Heidi Klums Hühnerstall herumgackerte. Und da käme es darauf an, mal witzig, humorvoll und talentiert paroli zu bieten, anstatt schamlos und halbherzig nachzuäffen.

    @ 69:

    Selbst in der gekürzten Übertragung dauert der Fernsehpreis noch gefühlte vier Stunden; und Ranicki hat sich ja schon auch über den Reigen der Preisträger geäußert, dem er nicht beitreten wolle. Um das zu verstehen, muss ein Zuschauer nicht den gesamten Marathon der Peinlichkeiten ansehen, vor allem weil man wohl davon ausgehen kann, daß der Fernsehpreiszuschauer die dort gekrönten Formate besser kennt als Ranicki selbst, und sicher auch noch einige Sendungen nennen könnte, die das dort Gepriesene noch unterkellern (schönes Wort, das). Für mich machen die peinlichen Reaktionen des Publikum die Hälfte von Ranickis Ausbruch aus, und die wurden, so schien es mir, doch ganz gut dokumentiert: Wieso diese dämlichen Standing Ovations am Schluß? Wer beklatscht da eigentlich wen? Diese dümmlichen Lacher an den merkwürdigsten Stellen?

  59. Mann, Christina, was schreibst Du hier für kluge Kommentare. Dein Kommentar beim MRR-Eintrag drüben war ja richtig klasse. Habe meine Meinung zu der Heidenreich-Stellungnahme danach erheblich revidiert. Ich hatte gar nicht an die Aspekte gedacht, die Du da erwähntest.

  60. Dass MRR sich vor allem auf die Verleihung selbst bezog fand ich schon sehr offensichtlich (auch wenn ich nicht wusste, dass die schlimmsten Teile aus der Aufzeichnung geschnitten wurden) – aber es passt natürlich den meisten, die jetzt „endlich sagt’s mal einer“ rufen, ganz gut für eine TV-Generalabrechnung in den Kram.

  61. @71/Christina
    Eine Sehnsucht nach Qualität ist aber vermittelbar: und hier würde ich den Bildungsauftrag der ör Anstalten sehen.
    Genau das meinte ich. Mit vorauseilenden Kapitulationen kommt man nicht weiter.

    Wieso diese dämlichen Standing Ovations am Schluß? Wer beklatscht da eigentlich wen?
    Sie beklatschen vermutlich Gottschalks Idee, den Kritiker, den man nicht bändigen kann (weil er die Branche nicht für zukünftige Projekte benötigt), zu vereinnahmen, in dem sie ihm einfach (proforma) zustimmen. Es ist ein alter rhetorischer Kniff, jemandem mit seiner Kritik erst einmal zuzustimmen (Gottschalk hat das sofort getan: „Sie haben wie immer Recht“ – Natürlich hat MRR nicht immer Recht). Dann wird er sofort ruhiger.

    Und es erinnert an ein Sprichwort: „Eigenlob stinkt, Freundeslob hinkt, Feindeslob klingt.“

  62. @ 75/Gregor Keuschnig:

    Na, ein Stück macht die bunte Meute das, was Frau Heidenreich dann bei der FAZ getan hat: sich selbst beklatschen — die Tatsache, daß sie den Gast aus der „Hochkultur“ kennen, vielleicht selbst ein Buch oder eine FAZ (oder, im Falle von Miriam Meckel: beides) zu Hause haben usw. Das hat bei mir ein Gefühl ausgelöst, das sonst nur bei Castingshows dran ist: Fremdschämen.

  63. Nunja, Gottschalk hat ja schon früher gerne über den Mist auf den privaten gelästert, vorzugsweise über DSDS. Da kam ihm MRRs Rede natürlich sehr recht, wenn das nicht sogar von den Beiden vorher abgesprochen war. (OK, klingt mal wieder nach Verschwörungstheorie. Vielleicht wars ja auch wirklich spontan. Ändert nichts am Ergebnis.)

    Interessant ist aber doch, dass MRRs kleiner „Eklat“ (für seine Verhältnisse hat er’s doch eigentlich äußerst diplomatisch ausgedrückt) wesentlich mehr Wind macht als z.B. „Free Rainer“ – der Film mag streckenweise ähnlich flach gewesen sein wie MRRs „Du“-Rede, brachte das Grundproblem aber genauso auf den Punkt.
    Übrigens sollte man bei der Problematik, dass angeblich nur(?) zwei Millionen Zuschauer seriöse Dokus angesehen haben auch nicht vergessen, dass die paar Mediacontrol-Zuschauer nun wirklich nicht repräsentativ sein müssen.

    Abgesehen davon ging mir in dieser Diskussion auch ein wenig der Beitrag 48 unter: Anspruch muss nicht zwangsläufig knochentrocken sein. Es gibt doch – sogar auf den Privaten – durchaus gute Infotainment-Konzepte, man müsste nur den Rahmen etwas besser füllen. Z.B. seriöse Inhalte bei Galileo (statt der hundersten Werbesendung für irgendeinen Lebensmittel-Anbieter), weniger flache Witze bei Clever und Genial Daneben, …
    Oder auch z.B. Terra X oder Knoff Hoff – die waren zu meiner Schulzeit absolute Renner, und das völlig zu recht. Heutzutage trennt Klassiker wie diese leider nur noch wenig vom Niveau von Galileo.

    Ein anderes Problem ist das miserable Image der öffentlich-rechtlichen in Deutschland. Bei den meisten Leuten unter 30 sind die doch als „Rentner-Sender“ in der Senderreihenfolge irgendwo hinter „Das Vierte“ und „9live“ programmiert. (Oder klassisch ARD auf 1 und ZDF auf 2, aber niemand zappt unter die 3). Selbst wenn mal was wirklich interessantes und unterhaltsames kommt, bekommt das irgendwie fast niemand in der Zielgruppe mit. Und bis eine Sendereihe durch Mundpropaganda und Blogs bei dort ankommt, wird sie wegen schlechter Einschaltquoten wieder abgesetzt…

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