E-Mail an Stefan Kornelius

Sehr geehrter Herr Kornelius,

Sie schreiben in Ihrem heutigen „SZ“-Kommentar im Zusammenhang mit dem Video von Saddam Husseins Hinrichtung von der „Seuche Internet“. Ich frage mich, ob das ein Tipp- oder Übermittlungsfehler war, ob beim Kürzen irgendeine ironische Distanzierung verloren gegangen ist — oder ob Sie das wirklich so meinen: Dass das Internet eine Art ansteckende Krankheit ist, eine Seuche, die Pest.

Würden Sie im Zusammenhang mit CDs mit rechtsextremen Texten, die Neonazis vor Schulen verteilen, auch von der „Seuche Musik“ sprechen? Muss man angesichts der antisemitischen Fernsehserien u.a. auf den Hisbollah-Sendern von der „Seuche Fernsehen“ reden? Finde ich in irgendeinem Archiv einen Artikel von Ihnen, in dem Sie wegen der Verbreitung von Kinderpornos die „Seuche VHS-Kassette“ anprangern?

Und ist es nicht interessant, dass im Internet ein Video wie jenes von Saddam Hussein zwar immer nur zwei Klicks entfernt ist, dass es aber immerhin zwei Klicks entfernt ist, während eine Zeitung wie „Bild“ ihren Lesern die besten Fotos daraus gleich auf Seite 1 zeigt und die Leser keine Wahl haben, ob sie die eigentlich sehen und vielleicht mit ihren Kindern angucken wollen oder nicht? (Ich würde deshalb trotzdem nicht von der „Seuche Zeitung“ reden.)

Mit freundlichen Grüßen
Stefan Niggemeier

[die Antwort auf diese E-Mail steht hier.]

43 Replies to “E-Mail an Stefan Kornelius”

  1. Ernst wird’s wahrscheinlich dann, wenn Politiker anfangen, von der „Seuche Journalist“ reden. Im Fall von Herrn Kornelius wär’s ja wohl die „Seuche Kausalitätsverwirrung“, wie Du sehr schön dargestellt hast.

  2. Sehr gut! Irgendwie erinnert mich die „Seuche“ von Herrn Kornelius entfernt an eine Stelle aus der Präambel des Netzwerk Recherche „Medienkodex“. Dort heißt es in gleich in Satz eins ganz pauschal: „Neue Technologien und zunehmender ökonomischer Druck gefährden den Journalismus.“
    Ökonomischer Druck: Okee. Aber: Neue Technologien? Gefährden die tatsächlich per se den Journalismus? Wie konnte das auch dank neuer Technologien bestehende „Bildblog“ 2005 da nur den „Leuchtturmpreis für investigativen Journalismus“ eben jenes Netwerks abgreifen?

  3. Das ist eine gelungene Replik. Das seltsame Verhältnis der Printmedien zum Internet ist verständlich, denn durchs Internet hat man die Nachrichtenhoheit verloren. Allerdings sind die Reaktionen der Journalisten panisch und kurzsichtig. Der alte Zustand ist ja nicht wieder herzustellen, egal ob man es gut findet oder nicht. Solange man im Internet eine Seuche sieht, steht man geistig noch neben der Linotype-Setzmaschine.

  4. […] Was sind 157 registrierte Fälle von Dengue-Fieber und 22 Mal Ornithose gegen 38,64 Millionen Internet-Infizierte in Deutschland? Ein ernstes Wort der Warnung an die Leser zur Seuche Internet: Die Alufolien-Kappe auch nachts nicht absetzen! Andernfalls kommen schon bald diese Stimmen aus der Zukunft, die haarspalterisch zwischen der Nachricht und ihrem Überbringer unterscheiden. Das kann niemand wollen. […]

  5. Danke. Man sollte viel mehr Briefe schreiben und sich über sowas beschwehren, sonst wird die Welt nie besser. Beispielsweise auch an Birand Bingül. Denn dasselbe dachte ich mir gestern während seines Tagesthemen-Kommentares in der ARD.

    Endlich (seit letzten Mai genau) darf ein türkisch-deutscher Moderator mal was sagen und dann sagt er: Das wurde einfach ins Internet geladen vorbei an den Journalisten, die Gesendetes einordnen, erklären oder auch einfach nicht senden. Ja wie jetzt?

    Und damit die erniedrigende Situation, welcher der fiese Sadam Hussein während seiner Vollstreckung ausgesetzt wurde, unter den medialen Teppich kehren? Geht es darum? Und warum nicht senden: Wird die Todesstrafe besser und der Tod weniger, wenn man den Tod selbst nicht zeigt, nur die Sekunden davor und danach?

    Seltsam, dass alle die wilden Bilder „chaotisch“ finden, die zensierten aber irgendwie in Orndung. „Zwei Minuten Handyvideo können den Lauf der Welt beeinflussen.“ Da verwechselt doch jemand die mediale Repräsentation mit der Realität. Und die war irgendwie dann doch auch da. Vielleicht nicht davor, aber zugleich.

    Seltsame Logik überall da draußen.

  6. […] Selbst der Außenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, Stefan Kornelius, verfällt dieser viel zu flüchtig hinschauenden Irrmeinung, aber auch der ARD-Tagesthemen Kommentator Birand Bingül. Der sagte gestern: Das Video wurde einfach ins Internet geladen vorbei an den Journalisten, die Gesendetes einordnen, erklären oder auch einfach nicht senden. Und nun der ganze Trouble. […]

  7. Denkt man die Korneliussche Logik weiter, dann wird er diese E-Mail niemals lesen. Um sie abzurufen, muss er freilich ein Ansteckungsrisiko mit der besagten Seuche in Kauf nehmen. Das wird er nicht wollen. Hättest du, Stefan, nicht doch lieber einen herkömmlichen Brief schreiben sollen?

  8. […] In einem Kommentar über das online abrufbare Video von Saddam Husseins Hinrichtung schreibt Stefan Kornelius in der Süddeutschen: “Die Seuche Internet garantiert, dass die Bilder auf immer abrufbar sein und – so weit der Begriff in diesem Zusammenhang erlaubt ist – kulthaften Status annehmen werden.” Journalistenkollege Stefan Niggemeier schrieb ihm dazu eine deutliche E-Mail und bekam sogar eine Antwort. Interessant, wie ein Printkollege das Medium wahrnimmt. Positive Seiten gibt es daran nicht zu entdecken, es ist in Gänze eine pestartige Cholera. Da ist der Ruf nach Ausrottung dieser Krankheit nicht mehr weit. Die Seuche Internet sorgt jetzt jedenfalls dafür, dass diese Formulierung immer mit dem Namen Stefan Niggemeier verknüpft bleibt. […]

  9. […] Die “Seuche Journalismus” greift ja auch immer mehr um sich. Sei es nun bei dem Gewese um das Saddam-Hinrichtungs-Video oder in der moralischen Echauffierung darüber. Die Medien die nicht genug Details zitieren können und sich daran hochziehen, schimpfen im selben Satz über das böse Internet, daß solche Videos verfügbar mache. Nicht der Vorgang selbst ist verwerflich, sondern dessen Veröffentlichung. Und überhaupt man muß doch auch an die armen Kinder denken. […]

  10. Lieber Stefan Niggemeier,
    ich würde noch hinzufügen, dass nicht nur die BILD auf Seite 1 die schönsten Hinrichtungsbilder ausgewählt und damit den Lesern keine Wahl gelassen hat, sondern auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS), die mit der Bilderabfolge gleich auch noch den Ablauf des Videos simulieren wollte, so dass man sich das vierte Bild nur noch dazuzudenken brauchte.

  11. […] Bildblogger Stefan Niggemeier hat eine E-Mail an Stefan Kornelius (Außenpolitik-Chef der SZ) geschrieben. Weil jener in einem Kommentar von der “Seuche Internet” gesprochen hatte. Es ging um das Saddam Video (hier Meer) und dies ist der Zusammenhang, in dem die Formulierung fällt: “Nun ist ein Video der Hinrichtung aufgetaucht, aufgenommen mit einem Mobiltelefon. Bild wie Ton geben erstens Zeugnis davon, in welch entwürdigender Art Saddam sein Leben ließ, und zweitens, wie verkommen eine Gesellschaft sein muss, in der selbst die Exekution des verurteilten Schergen zum billigen, rohen Spektakel gerät. Die Seuche Internet garantiert, dass die Bilder auf immer abrufbar sein und – so weit der Begriff in diesem Zusammenhang erlaubt ist – kulthaften Status annehmen werden. […]

  12. Lieber Fritz Wolf,
    die FAS hatte am Sonntag allerdings nur Bilder aus dem zuerst veröffentlichten, quasi offiziellen Video. „Bild“ machte am Dienstag mit den neuen Videoaufnahmen auf und zeigte im Inneren fast lebensgroß den „toten Tyrann Saddam, am Galgen baumelnd“, Überschrift: „Hier hängt der tote Saddam am Galgen“. Zugegeben, ob das ein entscheidender Unterschied ist, darüber kann man streiten.

  13. […] Blah blablah blablah, blablablablah blablah blah. Blablah blah blah blablablah, blablah blablah blah blablah, blablablablah blablah blah blablablah blah. Blablah blablablah blablah blah, blablah blah, blablah blah. Blablablah blablah blablah blah, blablablah blah blablah blah blablablah, blablah blah blablah blablah blah. […]

  14. […] Nun aber zu dem unangenehmen Themengebiet, das mir gerade in den Fingern juckt. Die unsägliche Debatte über den Tod von Saddam Hussein und das illegal aufgenommene Video seiner Hinrichtung. Eigentlich wollte ich dazu vorgestern schon mehr schreiben, als ich Stefan Niggemeiers Erwiderung auf die Seuchenwarnung von Stefan Kornelius in der Süddeutschen anmerkte. Im Nachhinein war es dann doch gut, dass mir vorgestern dazu noch nicht genügend einfiel, denn sonst hätte ich jetzt nicht die Chance, die Antwort von Herrn Kornelius, den allem Anschein nach nicht nur das Spaghetti-, sondern auch noch das Zensurmonster geritten hat, gleich mit zu kommentieren. Auch wenn – wie Felix Schwenzel richtig bemerkt – das Hinrichtungsvideo als Snuff, und auch noch der allerübelsten Sorte, bezeichnet werden kann: über den mentalen Gesundheitszustand Derjenigen, die sich das reinziehen, entscheidet immer noch der Arzt. Nicht die Regierung und erst recht nicht der Journalist. Wem das nicht passt, der kann ja gerne nach Singapur oder Taiwan ziehen, dort passen Regierung und Journalisten noch richtig fürsorglich auf Einen auf, ohne dass dort gleich chinesische oder kubanische Verhältnisse herrschen. Demokratie light sozusagen, für alle, die mit Freiheit noch nicht so richtig was anfangen können. Allerdings ist das Folgende nicht auf Herrn Kornelius im Speziellen gemünzt, denn er befindet sich in guter Gesellschaft. […]

  15. […] Als Blogger sind wir Opfer unseres eigenen Prinzips?! Also halten wir kurz inne, und schauen, was dran ist, am Fall Kornelius. Sehr viel sogar, denn Niggemeyer und Cornelius tauschten fleißig Emails miteinander aus, die (Niggemeier an Kornelius, Kornelius an Niggemeyer) durchaus einen Erkenntnisgewinn bereiten. Ich wies bereits daraufhin, dass Kornelius ein konservativer Kader ist, der sich eben in die Blognesseln gesetzt hat. Richtig gesetzt hat er sich ja nicht. Vielmehr wurde er gesetzt. Dann gibt es Schuldzuweisungen, die diskutiert wurden, ob und inwiefern das Internet für etwas verantwortlich gemacht werden kann. Geht es nach Kornelius erhält Hussein nachträglich einen Kultstatus verliehen, weil er damit die YouTube-Generation erreicht. War allerdings zu erst die Internet-Henne oder das Fernseh-Ei? Mercedes-Bunz versuchte ein bisschen Aufklärung zu leisten. […]

  16. […] Der bereits leicht verweste Kampf “Blogger versus Journalisten” scheint Anfang 2007 eher ein Kampf der Vertreter klassischer Medien gegen die des Internet zu sein, etwa bei Stefan gegen Stefan (Runde 1, Runde 2) oder Thomas gegen Tagesthemen. Beide Auslöser drehten sich um die Bilder von Saddam Husseins Hinrichtung. Das Blog der Tagesschau, in dem seit dem 2. Januar die Chefredakteure von ARD-aktuell bloggen, hat die interne Diskussion darüber, was man zeigen darf und soll, transparent gemacht. Sowohl im Fall Saddam als auch bei dem vermißten Felix von Q. Es könnte eines der besten Beispiele für Redaktionsblogs werden, wenn sie so weitermachen. […]

  17. Du sprichst mir da echt aus der Seele, kann mich also Kommentator #2 (Daniel Weigelt) nur anschliessen.
    Insbesondere der Punkt, dass man im Internet nicht gezwungen wird, bestimmte Dinge anzusehen. Die Bildzeitung liegt ueberall aus oder wird ueberall herumgetragen – und jeder muss es sich anschauen.
    -m*sh-

  18. interessant, also Leute umbringen ist in ordnung, solange wir es uns nicht ansehen müssen?
    Jeder der die Todesstrafe in Husseins Fall oder sonst einem gerechtfertigt findet, sollte sich das Video jede Nacht zum ins Bett gehen ansehen…
    Und wenn wir über’s Internet nicht mitbekommen hätten, wie entwürdigend die Situation war, dann wäre es weniger entwürdigend?
    Was ist das denn für eine verkorkste Logik.

  19. Der gute Herr Kornelius bläst hier ein Thema auf, dessen Aktualität bereits 1989 überholt war. Zu diesem Zeitpunkt war ich 12 und habe die Erschießung von Ceauşescu und seiner Frau zur „Ein Colt für alle Fälle“-Zeit im öffentlich-rechtlichen TV gesehen. Ich wäre aber dennoch für ein Handy-Verbot bei Exekutionen. Als ob ne Exekution irgendwas mit Würde zu tun hätte.

  20. […] Erst faselt da einer was von der “Seuche Internet” – ganz banal könnte man das als einen Erguss aus der “Seuche Papier” bezeichnen – und hat dafür auch schon die passenden Worte vernommen, dieser affektierte Lackaffe, der auch mal haarscharf am Rassismus entlangrutscht oder sonstigen Unsinn verzapft. Und jetzt findet mich einer dieser affektierten Lackaffen doof. Erzählt was von Kannibalen, die die New York Times aufessen, ganz so, als ob an dem Gewäsch irgendetwas dran wäre. Ich frage mich, woher der Mann die Zugriffszahlen von Kannibalenforen kennt, dass er die mit der New York Times vergleichen kann. Im Grunde pisst sich Broder doch ganz einfach selbst ans Bein, wenn er hier Äpfel mit Birnen vergleicht. […]

  21. […] Auch weil die Altvorderen schlicht in größerer Zahl auftreten, rechnet Knüwer damit, daß die Innovativen gehen. Sich selbständig machen und “den Guerilla-Krieg beginnen”. Die Sache mit der “Seuche” und Henryk M. Broders schrilles Pfeifen im Wald könnte man glatt als Belege für Knüwers These nehmen. Dr. Kai Gniffke wird trotzdem nicht gleich kündigen, schätze ich. […]

  22. […] bringen: Wenn man Musikschaffender oder Musikvertreibender ist, kann man entweder so und so mit der Seuche Internet umgehen, oder man befolgt die folgenden einfachen Regeln. Internet als Chance, nicht Bedrohung. […]

  23. […] der Vertreter klassischer Medien gegen die des Internet zu sein, etwa bei Stefan gegen Stefan (Runde 1, Runde 2) oder Thomas gegen »Tagesthemen«. Beide Auslöser drehten sich um die Bilder von Saddam […]

Comments are closed.