Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Anke Engelke könnte heute für „Ladykracher“ den „Emmy“ gewinnen, aber trotz ihres Erfolgs ist sie erstaunlich dünnhäutig geblieben.
Wenn man Anke Engelke begleitet, ist das erste, das man lernt, daß es so etwas wie Routinetermine nicht gibt. Ein paar Minuten fürs Jugendradio, mit kaum mehr Inhalt, als daß sie da war: Was soll da schiefgehen? Nun, was das letzte Mal schiefging, war dies: Moderatorin und Interviewte waren so unterschiedlicher Meinung, was eine „witzige“ Idee mit einer „spontanen“ Anke wäre, daß das Gespräch nur in einer um alle Varianten des akustischen Sich-an-den-Haaren-Ziehens gekürzten Rumpfform ausgestrahlt werden konnte. Diesmal fragt ein Kollege: „Welche Figur aus ‚Ladykracher‘ ist dir am liebsten?“ Und Anke Engelke antwortet: „Natürlich habe ich keine Lieblingsfigur, klar. Aber das wäre eine langweilige Antwort, deshalb denke ich mir immer, wenn ich das gefragt werde, einfach eine aus. Dir also antworte ich heute …“
Was für eine Zicke. Es müßte ein Traum sein, jemanden wie Anke Engelke als Gast im Studio zu haben. Jemanden, der lustig ist, jung und lange selbst Radio gemacht hat, damals bei SWF 3. Häufiger ist es ein Albtraum. Weil sie weiß, wie es geht, hat sie genaue Vorstellungen, was geht, und nicht immer den Gleichmut, den anderen das durchgehen zu lassen, was nicht geht. Einer unbedarften jungen Boulevard-Häppchen-Sammlerin, die sie bei einer Veranstaltung anspricht, ohne sich vorzustellen, flötet sie entgegen: „Ich habe Ihren Namen nicht verstanden?“ Und fügt dann fies hinzu: „Ach Sie — ich habe schon viel von Ihnen gehört.“ Das ist erstaunlich viel Gefühlswallung (und sie kann sich über solche Situationen noch Tage später in Rage reden) für eine, die so lange im Geschäft ist und doch längst einen Weg gefunden haben müßte, auch dessen lästige Seiten zu ertragen. Anke Engelke ist dünnhäutig. Gerade weil sie so professionell ist, weil die lustige Frau ihren Job so ernst nimmt, sich in Sachen reinhängt, ärgert sie sich maßlos, wenn andere in ihren Augen weniger professionell sind.
Beim Deutschen Fernsehpreis, für den sie mit zwei Sendungen nominiert war, ist sie extra zweimal über den roten Teppich gelaufen: Einmal mit Olli Dittrich von „Blind Date“, einmal mit dem Ensemble von „Ladykracher“. Hat die Kolleginnen in den Arm genommen, immer wieder die strahlende Komödiantinnen-Pose eingenommen, für den Fotografen-Pulk auf dieser Seite, jaaaa!, für den Fotografen-Pulk auf der anderen Seite, jaaaa!, endlos. Das Bild stand dann zwar in den Zeitungen, aber den Redakteuren war entgangen, mit wem sie da posierte. „Anke Engelke kam allein“, schrieben sie, „hatte sich aber ein paar Freundinnen mitgebracht.“ Klasse.
Nur: Darf man sich als erfolgreicher Star noch über so was aufregen?
„Ich fühlte mich so gezerrt von den Fotografen“, sagt Anke Engelke, „wie ein Tier, das gezähmt werden sollte. Das war so entwürdigend. Wenn Günther Jauch vorbeigekommen wäre, das wäre meine Chance gewesen, durchzuatmen. Dann wären sie alle mit einem Schritt weg gewesen. Das wäre aber auch das Tragische gewesen: Ich hätte gemerkt, daß ich denen eigentlich völlig egal bin.“ Vielleicht macht diese Empfindsamkeit gegenüber Offensichtlichem einen Teil ihrer Beliebtheit aus. Aber es klingt sehr, sehr anstrengend.
Man muß dabeigewesen sein, bei einer dieser Veranstaltungen, wo ein Dutzend Journalisten mit einem Promi in einem Konferenzraum sitzen. Vorher wird die neue Serie gezeigt, dann sagt der Pressesprecher, jetzt sei Gelegenheit, Fragen zu stellen — nur nichts Privates, das sei tabu. Die meisten Journalisten interessieren sich nicht fürs Fernsehen. Sie wollen wissen, ob die Ehe der Prominenten wirklich kaputt ist, was sie an diesem jungen Komiker findet, wer sich nun um das Kind kümmert. Sie finden immer neue Varianten, scheinbar beruflich zu fragen („Findet Herr Ruf die Serie toll?“), ernten nur Schweigen und fragen immer weiter. Wer würde aus einer solchen Veranstaltung nicht herausgehen und sie alle verfluchen, pauschal und ungerecht, das ganze elende Pack?
Sie macht nicht mehr diese Presserunden. Notfalls, wenn eine Sendung PR braucht, gibt es Telefongespräche. Jeder zehn Minuten, nichts Privates, bitte, danke. Wer sie auf Fakten anspricht, die er aus alten Interviews kennt, läuft Gefahr, als Antwort zu bekommen: „Ach, das hab‘ ich doch nur so dahingesagt, das war nicht ernst gemeint.“ Das ist vielleicht ein naheliegender Reflex auf eine Medienwelt, die von ihren Protagonisten dauernd Kommentare verlangt, und doch wirkt es wie eine Verletzung der Spielregeln. Als die Journalisten vor zwei Jahren in ihrem Privatleben wühlten, auch ganz konkret in ihrer Mülltonne, hat sie Harald Schmidt gefragt. Der sagte: „Erzähl den Leuten nicht, was du zum Frühstück ißt, sondern behaupte irgendwas.“ Er selbst sage fröhlich, er trinke Orangensaft, obwohl er Orangensaft hasse. „Ich hab‘ gesagt: ‚Das kannst du doch nicht machen!‘ Und er: ‚Du mußt das machen.‘ Er hat mich richtig gewarnt: ‚Du bist viel zu ehrlich.'“ Hat er recht? Sie macht ein nachdenkliches Mmmh. Es gibt Hunderte Interviews mit Anke Engelke, aber man hat immer weniger das Gefühl, darin etwas von einer „echten“ Anke zu finden. Sagt sie den Leuten nur noch, was sie hören wollen? „Ja. Das ist nicht zynisch gemeint. Aber bestimmt bediene ich das. Ich kann ja nicht erwarten, daß die Leute mich freitags sehen und mögen und sich samstags nicht dafür interessieren sollen, was für Kleider ich einkaufe.“
Würde man eine Aufnahme vom Verlauf ihrer Karriere machen, hörte sie sich übersteuert an; als hätte jemand den Regler zu weit aufgedreht, so daß alle Höhen und Tiefen gleich in den roten Bereich ragen. Sie war nicht einfach ein frisches Talent in der „Wochenshow“, sie wurde zum Superstar geschrieben. Heute stellt sie selbst die Frage, für die sie Journalisten früher gehaßt hat, ob der Erfolg nicht vor allem daran lag, daß sie eine Frau ist und es so wenig Frauen gab, die Comedy machten. Ihre „Ricky“ jedenfalls, sagt sie, sei so gut nicht gewesen, die Aufregung zu rechtfertigen. Der Hype war ihre Chance und ein Fluch, als den Boulevardblättern ihre Privatgeschichten nicht gefielen und die wunderbare Serie „Anke“ über eine depressive Talkshow-Moderatorin beim Publikum durchfiel und sie weiter grell malten, nur in den anderen Farben.
„Zum Glück“, sagt sie, „habe ich immer, wenn ich etwas gemacht habe, was sehr im Fokus stand, etwas zum Ausgleich gehabt.“ Anfangs, neben der „Wochenshow“, das Radio: „Das war mir ganz wichtig: Daß ich etwas mache, was sich der Öffentlichkeit ein bißchen entzieht.“ Heute übernimmt auch „Blind Date“ diese Funktion, die Improvisation mit Olli Dittrich, bei der nichts vorgegeben ist, außer der Situation: Weihnachten zeigt das ZDF die dritte Ausgabe, eine Begegnung zweier Fremder im steckengebliebenen Fahrstuhl. Man hört ihr an, daß ihr „Blind Date“ nicht nur am Herzen liegt, weil es ein seltenes, spannendes, tolles Experiment ist. Sondern auch, weil es eine Sendung in der Nische ist, so klein, daß es sich für Leute, die ihr Übles wollen, nicht lohnt, sie kaputtzumachen.
Es ist nicht so, als würde sie sich die ganze Zeit beklagen. Man hat nur das Gefühl, sie würde mehr über die Dinge nachdenken, als ihr guttut. Andererseits hat ihre Karriere gerade eine sehr angenehme Reiseflughöhe eingenommen. „Ich spüre, anders als früher, keinen Druck“, sagt sie. „Heute ist die Situation entspannt, und ich bin es auch.“ „Ladykracher“ ist ein anhaltender Erfolg; selbst gewagte Sketche, etwa auf Kosten von Kindern, werden ihr nicht übelgenommen, obwohl die „Bild“-Zeitung, wenn ihr langweilig wäre, leicht einen Strick daraus drehen könnte: Wie kann sie so was tun, als Mutter? „Ich bin ein Glückskind“, sagt sie. „Ich weiß nicht, ob man das allen Kolleginnen so verzeihen würde.“
Heute sitzt sie in New York bei der Verleihung des Fernsehpreises Emmy, für den sie mit „Ladykracher“ nominiert ist. Seit sie die anderen Kandidaten gesehen hat, ist sie überzeugt, daß sie ihn nicht gewinnen wird. Auf die heikle Journalistenfrage, was sie als nächstes macht, kann sie lässig antworten: Wir drehen wieder „Ladykracher“. Sie überlegt sich, ob sie nicht Theater spielen soll, jetzt, da sich die Anfragen nicht mehr nur auf Boulevardtheater oder schlichte Komödien beschränken.
Und natürlich geht sie am 7. Dezember wieder zu „Wetten daß“, weil sie für ihre Weihnachtsshow „Danke Anke“ werben darf. Und weil es „schon toll“ sei, da auf dem Sofa zu sitzen — sie sagt das, als sei sie ein Mädchen, das eingeladen wurde, obwohl es eigentlich nicht dazugehört. Dabei hat sie sich letztes Mal so geärgert, daß sie am Ende nur noch Staffage war und Paul McCartney die Gitarre angeben durfte. Ihr Schimpfen darüber sei im Gegensatz zu so vielen Interviews sehr echt gewesen, sagt sie: „Dann verkauf‘ ich das ein bißchen humoresk, aber eigentlich war das ganz schön intim. Ich war da richtig gekränkt. Dabei finde ich das doof, das will ich nicht sein, schon gar nicht öffentlich. Aber da konnte ich nicht an mich halten.“
Der Witz ist, daß das keiner gemerkt hat.