Spiegel Online
Das kann nur böse enden, oder? In der US-Serie „Breaking Bad“ wandelt sich ein langweiliger Chemielehrer zum skrupellosen Drogenboss. Zum Deutschland-Start der vierten Staffel erklärt Hauptdarsteller Bryan Cranston, warum man mit dem Bösen mitfiebert – und verrät, was er bereits vom Ende weiß.
Herr Cranston, werden Sie noch auf „Malcolm mittendrin“ angesprochen?
Bryan Cranston: Das ist eine Generationenfrage. Einige Leute kennen mich von „Malcolm mittendrin“, andere sogar noch von „Seinfeld“ oder älteren Sachen.
Es ist schwer, Sie da überhaupt wiederzuerkennen. Als Zuschauer kann man kaum begreifen, dass dieser lustig-überforderte Vater Hal in der überdrehten Sitcom „Malcolm mittendrin“ und Walter White, der todkranke Chemielehrer in „Breaking Bad“, der zum Drogenproduzenten wird, um für seine Familie zu sorgen, von derselben Person gespielt werden. Wie fühlt sich dieser Kontrast für Sie an?
Angenehm. Es fühlt sich nicht wie ein gewaltiger Wechsel an – ich schätze, einfach, weil ich ihn ja bewusst vollzogen habe. Es ist ein großer Luxus, beides gemacht zu haben, das ist selten. Normalerweise, wenn man für etwas bekannt geworden ist – was ja schon ein großes Glück ist – fällt es schwer, aus diesem Image auszubrechen. Aber ich war nach sieben Jahren „Malcolm mittendrin“ nie versucht, etwas ähnliches zu machen. Ich musste halt nur das richtige Mittel und Material finden.
Haben Sie gezweifelt, ob es Ihnen überhaupt gelingen würde, die Entwicklung des Walter White in all ihren Extremen zu spielen? Wussten Sie überhaupt am Anfang, wie weit es mit ihm bergab gehen würde?
Oh ja, ich wusste, wohin sich das entwickeln würde. Nicht den genauen Weg, aber das Ziel. Nein, die Entscheidung ist mir nicht schwer gefallen. Die meisten Schauspieler haben einen Sinn dafür, riskante Orte erkunden zu wollen. Ich wollte das auf jeden Fall und eine neue Herausforderung annehmen.
Walter White ist ein gelangweilter, langweiliger Durchschnittstyp, der plötzlich entdeckt, wozu er in extremen Situationen fähig ist. All die Abgründe, die er und das Publikum dabei entdecken — müssen Sie die als Schauspieler auch in sich selbst finden?
Die Palette eines Schauspielers besteht aus persönlicher Erfahrung und Vorstellungsgabe. Was einem an persönlicher Erfahrung fehlt, muss man mit seiner Fantasie auffüllen, um es plausibel und nachvollziehbar zu machen. Ich glaube, jeder Mensch trägt das Potenzial zu einer einer Unzahl verschiedener Emotionen in sich. Viele davon schlummern und müssen erst erweckt werden. Im Fall von Walter White war es sicher so: Bevor er die Möglichkeit hatte, an so viel Geld zu kommen, hatte er nicht dieses Anspruchsdenken, diese Gier, die Skrupellosigkeit. Aber im Lauf der Serie entdecken wir, dass das alles in ihm steckt. Es steckt in jedem von uns. Es kommt nur nicht zum Vorschein, wenn es nicht gebraucht wird.
Walters brave, eigentlich grundspießige Frau Skyler macht eine ähnliche Wandlung durch. Als sie hinter das Geheimnis ihres Mannes kommt, entdeckt auch sie ihr Talent zum Lügen und ihre Bereitschaft, eine gute Kriminelle zu werden. Ist das eine Botschaft der Serie, dass wir das alle in uns haben?
Ja, ich glaube, das ist so, und das war tatsächlich eine gewollte Aussage. Walter White wollte Geld machen, um es seiner Familie nach seinem Tod zu hinterlassen. Der Gedanke war altruistisch, aber um sein Ziel zu erreichen, musste er seine Seele verkaufen und etwas werden, was er nicht war. Und in dem Moment verlor er das, was ihn bislang als Mensch ausgemacht hatte. Wann immer jemand das tut, wird er es nie wirklich zurückbekommen. Es ist eine Abwärtsspirale.
„Breaking Bad“ ist in diesem Sinne eine äußerst moralische Serie, weil sie in radikaler Konsequenz und Kompromisslosigkeit zeigt, wohin es führt, wenn man sich auf ein Geschäft wie das mit Drogen einlässt. Andererseits stürzt die Serie den Zuschauer in ein Dilemma: Wir sehen, dass Walter White das moralisch Falsche tut, aber wir drücken ihm die Daumen, dass er damit durchkommt.
Vince Gilligan, der Autor, hat es geschafft, einen inneren Konflikt und ein Drama nicht nur in den Figuren zu erzeugen, sondern auch im Zuschauer. Plötzlich ertappt man sich dabei, wie man hofft, dass ein Mann Erfolg hat, der Drogen verkauft. „Breaking Bad“ löst einen Zwiespalt bei den Zuschauern aus, und es ist fantastisch, wenn das gelingt. Normalerweise ist das Publikum nicht hin- und hergerissen, sondern weiß: Diese Person mag ich, diese nicht. Wir aber lassen diese Grenzen verschwimmen: Ist Walter White ein Guter oder ein Böser? Es gibt keine klare Antwort darauf. Er will seine Familie beschützen, aber es gab einige Entscheidungen, bei denen selbst Walter White selbst zugeben würde, dass er einen Punkt überschritten hat. Er hat lange an seinem Dogma festgehalten, dass er das alles für seine Familie tut, aber wir als Publikum wussten, dass er sich etwas vormacht. Er ist verführt worden: von Macht, Geld, Anerkennung, dem Gefühl, wichtig zu sein, den Risiken, die er eingegangen ist. Das ist wie ein Aphrodisiakum für einen Mann. Jetzt haben wir Walter White entblößt und ich bin bereit, all die dunklen Seiten, seine Hybris und sein Ego zu zeigen – all das, was nicht attraktiv ist, aber ehrlich.
Je weiter die Serie fortschreitet, desto düsterer wird sie. Und je häufiger Walter White über Leichen geht, desto schwerer wird es, ihn noch zu mögen.
Wenn ich ihn spiele, urteile ich nicht über ihn. Ich spiele ihn nur — so ehrlich, wie ich es kann, emotional, intellektuell. Aber wenn ich dann einen Schritt zurücktrete am Ende einer Staffel und mir das ansehe, dann sehe ich natürlich: Oh ja, das ist böse. Er ist auf einem Weg, der nicht gut enden kann. Aber das wusste ich von Anfang an. Vince Gilligan wollte eine Serie schaffen mit einer Hauptperson, die als guter Kerl anfängt und böse wird. Das ist die vorgezeichnete Bahn.
Die Serie wird im nächsten Jahr nach der fünften Staffel enden. Sie kann nicht gut enden, oder?
Das hängt davon ab, wie man „gut“ definiert. Vielleicht ist ein Happy End für Walter White sein Tod. Schauen Sie sich an, was seine Entscheidungen bewirkt haben: Er hat seine Familie in Gefahr gebracht, sein Schwiegerbruder ist zum Krüppel geschossen worden, um ihn herum sterben die Menschen. Man kann in ihm eine Art Krebsgeschwür sehen. Vielleicht ist das beste, was ihm passieren kann, dass er stirbt. Und ich sage das, ohne zu wissen, was Vince Gilligan wirklich vorhat. Ich habe ihn nicht gefragt, und er hat es mir nicht gesagt.
Aber Sie werden es wissen, bevor Sie die letzte Staffel drehen?
Nein. Walter White weiß nicht, was passiert, von Woche zu Woche, von Stunde zu Stunde, sogar von Minute zu Minute. Deshalb gehört es sich für mich nicht, zu weit im Voraus zu wissen, was geschehen wird. Sonst lasse ich beim Spielen vielleicht etwas durchscheinen, was Walter White noch gar nicht weiß.
Der Niedergang des Walter White ist auch ein körperlicher. Er sieht in der vierten Staffel unglaublich geschunden aus. Wie sehr müssen Sie sich tatsächlich ausmergeln lassen während der Dreharbeiten?
Naja, es ist natürlich Make-Up und ich versuche, mich zwischen den Szenen, in denen ich mitspiele, zu erholen. Aber emotional macht man als Schauspieler die Reise des Walter White schon mit. Ich sage jungen Schauspielern immer: Versucht nicht zu schauspielern, sonst könnte man euch beim Schauspielern ertappen. Denkt und fühlt und vertraut darauf, dass ihr das auch ausstrahlt.
„Breaking Bad“ läuft in den USA auf dem kleinen Kabelkanal AMC. Dadurch sind die Freiheiten größer, aber das Budget kleiner.
Ich sehe da nur Vorteile. AMC und andere Kabelknäle hier mussten eine Identität, eine Marke etablieren. Sie suchten deshalb nach Stoffen, die die großen Networks nicht zeigen könnten. Das eröffnete erfahrenen, wunderbaren Autoren die Chance, aufzuschreiben, wovon sie immer schon geträumt hatten. AMC hatte den Mut, das auf Sendung zu bringen. Und Sony Television, unser Produzent, hatte den Mut, das zu bezahlen – und bei jeder einzelnen Episode das Budget zu überschreiten, in der Hoffnung, dass es den Menschen gefallen würde. „Breaking Bad“ ist nichts für die Massen. Diese Serie ist nicht Vanille, sie hat einen scharfen, stechenden Geschmack. Aber genau darum mögen sie viele Leute – weil sie so anders ist. Das Publikum heute ist viel, viel anspruchsvoller als früher. Es verlangt immer höhere Qualität, speziellere und kompliziertere Geschichten und Figuren, keine Stangenware. Das ist das gute an der Explosion neuer Medien und all der Auswahl: Man muss etwas Besonderes machen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Man kann nicht einfach irgendwas Beliebiges, Nettes machen. Es muss jenseits dessen sein, was wir vor 15 Jahren gesehen haben. Es wird keine Serien mehr geben, die sind wie „Mord ist ihr Hobby“ oder „Matlock“ oder „Magnum“. Das ist für immer vorbei. Die sind einfach zu irreal. Damit kann sich der Zuschauer nicht identifizieren.
Hat „Breaking Bad“ Ihnen neue Türen geöffnet?
Ja. Die Serie bekommt in der Branche viel Aufmerksamkeit; die Kollegen lieben sie. Das hat sehr geholfen.
Und die Rollen, die Sie jetzt annehmen, sind vermutlich ganz anders als Walter White.
Ja. Ich will auf keinen Fall wiederholen, was ich zuletzt gemacht habe. Und inzwischen, mit so viel Distanz zu „Malcolm mittendrin“, kann ich mir auch wieder vorstellen, Comedy zu machen.
Haben Sie den Erfolg von „Breaking Bad“ vorhergesehen?
Schauspieler können nur erkennen, ob das Material gut ist. Erfolg vorhersagen können wir nicht. Manchmal hat man alle richtigen Zutaten, aber das Ding will einfach aufgehen. Als ich das Drehbuch zum ersten Mal gesehen habe, war alles, was ich wusste, dass dies eine bemerkenswerte Serie werden würde, wenn sie lange genug auf Sendung bliebe. Und ich wusste: Welcher Schauspieler auch immer das Glück haben würde, Walter White zu sein – es würde sein Leben verändern.