Das Nervige am „Spiegel“ ist, dass im Grunde alle Artikel auf eine These hin geschrieben werden – und widersprüchliche Tatsachen entweder ignoriert oder entsprechend uminterpretiert werden.
„Spiegel Online“ kann das auch schon ganz gut. Heute steht dort ein Bericht über den angeblich „großen Demokratie-Verdruss“ unter den Deutschen. Und dazu diese Statistik zur Frage:
„Wie zufrieden sind Sie mit der Demokratie in Ihrem Land?“
Darunter hat „Spiegel Online“ folgende Legende geschrieben:
„Zufriedenheit der Deutschen mit der Demokratie: Vom Höhepunkt in den siebziger Jahren ging es stetig bergab – vor allem nach der Einheit.“
So möchte „Spiegel Online“ also die Zahlen verstanden wissen. Nur sagen die Zahlen das gar nicht aus. Das kleine Wort „stetig“ zum Beispiel bedeutet „andauernd, gleich bleibend, nicht schwankend“. Die Zufriedenheit der Deutschen mit der Demokratie nimmt aber gerade nicht gleichbleibend ab. Sondern mit erheblichen Schwankungen.
Und der „Höhepunkt“ liegt, genau genommen, auch nicht in den siebziger Jahren, sondern 1990. Dafür liegt lustigerweise der Tiefpunkt in den siebziger Jahren.
Die Art der Darstellung bei „Spiegel Online“ verschleiert auch, dass die Abstände der Erhebungen nicht gleich sind. Mehrere Jahre fehlen ganz, manche sind gleich dreimal vertreten. 1988 betrug die Zustimmung einmal 77 Prozent, einmal 68. Und aus dem Tief von 45 Prozent im Jahr 1997 waren nur zwei Jahre später ansehnliche 66 Prozent geworden.
Wenn diese Statistik irgendetwas beweist, dann dass diese Umfrage bestenfalls flüchtige Stimmungen abbildet, die sich in kürzester Zeit wieder ändern. Anders gesagt: Man darf sie wirklich nicht überinterpretieren.
Aber dann wird natürlich kein „Spiegel“-Stück draus.
Wenn es um falsch zitierte und/oder interpretierte Statistiken geht, neige ich zu übertriebener Klugscheißerei. Aber auch mit nur mäßig klugscheißerischem Gehabe sind die wenigsten Statistiken im Spiegel oder bei Spiegel Online tragfähig. Schlimm find ich in diesem Beispiel, dass „stetig“ eigentlich ein mathematisch wohldefinierter Begriff für eine Datenreihe ohne Unterbrechungen ist. Das Gegenteil davon ist „diskret“. Die Datenreihe, die hier vorgestellt wird, ist diskret. Was der Autor wohl mit „stetig bergab“ zu beschreiben versucht, nennt sich in der Mathematik „monoton fallend“. Und auch das ist hier nicht zutreffend. Aber so viel Selberdenken darf man als Spiegel-Redakteur seinem Leser ja nicht zumuten!
[…] Stefan Niggemeier zeigt an einem aktuellen Beispiel wie der Spiegel sich Zahlen geschickt zurecht dreht. […]
Richtig ist es, zu ergänzen, dass immer nur jeweils ein Artikel auf eine These hin „recherchiert“ wird. Im nächsten Artikel kann das Demonstrandum schon ganz anders lauten. Niemand wird dem Spiegel daher vorwerfen dürfen, dass er so etwas wie eine „Linie“ hätte …
Ja, der erste Absatz bringt schoen neutral formuliert auf den Punkt, womit einem der Spiegel in der Tat ziemlich auf die Nerven gehen kann. (Und man sich fragt, ob das schlimmer wird, oder nur wieder die Vergangenheitsverklaerung zuschlaegt.)
Dabei waere eine Gesamt-„Linie“ ja noch viel doller. Aber es reicht auch so schon fuer eine merkliche Truebung des Lesegenusses. Speziell wenn es um im weitesten Sinne gesellschaftliche Themen geht wie sind-Maenner-anders-als-Frauen (These wahlweise: ja, nein), Sport-fuer-ewiges-Leben (These: so sieht das aus), wo-kam-der-Neandertaler-her-und-wo-ist-er-hingegangen, und natuerlich der Niedergang der deutschen Sprache (These: genau), wo genau genommen egal ist, was man schreibt, gibt es oft kein Halten.
„Ich bieg‘ mir meine Welt“, oder „klein Spiegel erklaert (sich) die Welt“ waeren weniger neutrale Beschreibungen dafuer, wo jedes Faktum dessen man habhaft werden konnte so hingebogen, hinfabuliert und hininterpretiert wird, dass es die These stuetzt. Am besten noch mit dem unterschwelligen Hinweis, dass es ja ganz offesichtlich die These stuetze. Mit den o.g. Themen geht das natuerlich um Laengen besser als mit Tabellen und praezise definierten Begriffen. Wird Fa. Spiegel langsam uebermuetig?